Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1869

DOI Kapitel:
Nr. 63-74 (3. Juni - 29. Juni)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43880#0293

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext


Preis vierteljährlich 40 kr. ohne
NNjZ LÄHÜ» Trägerlohn und Postaufschlsg.
Jn^Geb, 2 kr. die Spaltzeile.

I liRZ
f !
Erscheint wöchentlich dreimal: Dienstag,
Donnerstag und Samstag.!

M. 74.

Dienstag den 29. Juni

1869.

Constitutionelle Zustände.
Aus Göggingen, 22. Juni. Kaum waren die besagten
Unterschriften der Bürger gegeben, als auf einmal die Einschüch-
terung auf die manigfachste Weise gegen die Unterzeichnung losging
und zwar von Seite der Gendarmerie, des Bürgermeisters und
durch den Polizeidiener. Im Allgemeinen hieß es, die Adresse sei
eine Majestätsbeleidigung gegen den Großherzog; den Taglöhnern
und Handwerkern, welche im Meßkircher Vorschußverein sind, wurde
gedroht, daß wenn sie unterschreiben, würden sie aus dem Vor-
schußverein ausgeschlossen und sie müßten die erhaltenen Vorschüsse
sogleich zurückbezahlen, und den Soldaten wurde das Einrücken-
müssen in Aussicht gestellt u. s. w. Daß besonders die Drohung
mit dem Ausschluß aus dem Vorschußverein auf die armen Tag-
löhner und Handwerker einen sehr einschüchternden Einfluß aus-
übte und vom Unterschreiben der Adresse abschreckte, läßt sich leicht
begreifen, besonders wenn man bedenkt, daß der Vorstand des
Vorschußvereins in Meßkirch aus lauter Liberalen, und zwar der
schlimmen und rücksichtslosen Sorte besteht. Wie ich vernommen,
sollen bei Gelegenheit der Rekrutenaushebung in Meßkirch die Bür-
germeister des Amtsbezirks in dieser Beziehung aufs allerärgste be-
arbeitet worden sein.
Aus St. Peter. Gensdarm Kupferle von St. Birgen er-
kundigte sich angelegentlich um die Anzahl der beurlaubten Solda-
ten, welche die Adresse an den Großherzog unterschrieben haben.
Einige derselben stellte er scharf zu Rede, was sie zur Unterzeich-
nung veranlaßt habe. Da hier auf dem Schwarzwald das nämliche
Inquisitions-Verfahren wie im Seekreis und Unterland von der
Gensdarmerie eingehalten wird, so dürfte wohl kein Zweifel mehr
darüber übrig sein, daß demselben eine Instruction von Oben zu
Grunde liege.
Treffend äußerte der Vater eines der inquirirten Soldaten
über dieses Einschüchterungssystem: „Ich darf doch unfern Herrgott
bitten um was ich will; warum will man nun ein Verbrechen
daraus machen, wenn wir den Großherzog um etwas bitten?"
Aus Hugstetten. Ein verheirateter Bürger und früher
sehr begünstigter Soldat bewarb sich um den erledigten Accisors-
dienst, bestand die Prüfung mit Erfolg und bereits im Besitze
der Impressen, sollte seine Verpflichtung durch Oberamtmann
Haas in Freiburg vor sich gehen. Auf die Frage, ob er ein
Unterzeichner der Adresse sei, die bejaht wurde, erfolgte die Er-
klärung, die Verpflichtung finde nicht statt und der Be-
treffende solle sich an das Finanzministerium wenden, welchen Rath
derselbe, mit Rücksicht auf dessen wahrscheinliche Wirkungslosigkeit,
jedoch nicht befolgen zu wollen scheint. Ueberall wurde gleichzeitig
das Gerücht verbreitet, alle unterzeichneten Soldaten würden ein-
berufen, sogar in die Strafcompagnie versetzt werden.
Aus Elchesheim. Es verdient bemerkt zu werden, daß man
kein Mittel scheute, um die Bürger vor dem Unterschreiben abzu-
schrecken. Als man aber sah, daß man seinen vermeintlichen Zweck
nicht erreichte, so mußte deßhalv noch auf Hähern Ortsbefehl ein
Gensdarm hieher reclamirt werden, in der Person des Stationscom-
mandanten von Durmersheim, um noch vollends die Bürger vor
dem Unterschreiben in Angst und Schrecken zu setzen. Zum Aerger
gewisser Leute kam aber auch dieser Gensdarm leider zu spät, denn
die Adresse, welche man abfangen wollte, war schon unterschrieben,
und in sichern Händen. Dessen ungeachtet begab sich fragl. Gens-
darm auf das hiesige Rathhaus und ließ in Abwesenheit des Bür-
germeisters durch den Polizeidiener einen braven unbescholtenen
Bürger, dem ich die Adresse zur Besorgung übergeben habe, vorladen,
mit den Worten „er solle sogleich zum Hrn. Bürgermeister auf das
Rathhaus kommen." Allein, wie erschrack dieser Mann, als er sah,
daß er ein Verhör vor einem Gensdarm zu bestehen habe. Die erste
Frage war: Sie sind also der Mann, der die Adresse besorgte? Ja,
ich bin es. Woher haben Sie die Adresse? Vom Hrn. Pfarrer.
Haben Sie die Adresse? Nein, ich habe sie schon abgegeben. Wie
Viele haben etwa schon unter schrieben? Ich kann mich nicht so genau
erinnern, doch könnten sie schon 130 Bürger unterschrieben haben.
Nennen Sie mir einige Bürger! Er nannte ihm vier Bürger, wo-
runter auch ein Gemeinderath ist. Hierüber aufgebracht, erging sich
der Gensdarm so weit, daß er diesen Gemeinderath einen „dummen
Menschen" nannte. Schließlich notirte er diese 4 Bürger und als

er gehört hatte, daß fragliche Adresse sich wieder im Pfarrhause
befinde, entließ er diesen Mann wieder, mit der Drohung, daß er

gewiß keine Unterschriften mehr sammle.
Katholische Bolkspartei.
Weitere Adressen an S. Kgl. Hoheit den
Großherzog mit der
dringenden Bitte um Kammerauflösung sind abgegangen:
Von Villingen von
242 Staatsbürgern.
„ Weilersbach
54
„ Bräunlingen
44

„ Rauenberg, A. Wertheim
82
„ Ebenheid
27
„ Wessenthal
24

„ Altheim, A. Walldürn
72
„ Zuzenhausen, A. Sinsheim
23
„ Hoffenheim, A. Sinsheim
10
„ Oestringen
151

„ Neusatz, A. Bühl
203
„ Waldmatt, A. Büh!
26
„ Waldulm
53

„ Gutmadingen
20
,,
„ Güttingen u. Nöggingen
83
„ Hammereisenbach
17
„ Kath. Thennenbronn
112
„ Raithaslach
62
„ Neukirch, A. Triberg
70

„ Oberbiederbach, A. Waldkirch
51
„ Eschbach
68
„ Stegen
50
„ Schwäblishausen u. Zell
39

„ Bulach
107
" 'M?
„ Thannheim, Ar- Donaueschingen 64
„ Lichtenthal
178
,,
„ Nenzingen
87
„ HochsaL
72

„ Rotzel
76
„ Alb und Albert
38
„ Schachen
34
„ Binzgen
22
„ Rosenberg und Bronnacker
102
„ Urloffen
187
„ Kadelburg
62
„ Balzfeld u. Horrenberg
191
Uebertrag von letzter Nummer 49,532
Uebertrag: 52,335 Staatsbürger.

* Der neueste Gimpelfang.
Die Wiener „Presse" enthält folgende Originalcorrsspondenz aus
„Wien, 21. Juni. (Fürst Hohenlohe und das Concil.) Die
Präventivmaßregeln, welche das Ministerium Hohenlohe gegen das
bevorstehende Concil ergriffen wissen möchte, sowie die ganze Agi-
tation unserer Regierung gegen die allgemeine Kirchen-Versammlung,
werden nur dann auf ein richtiges Verständniß rechnen können,
wenn man die StellunM«Möayerischen Regierung gegen den künf-
tigen Landtag in's Aug«MM Das bayrische Concordat mit Rom
läßt sich mit der österreichischen Convention mit Pius IX. nicht
vergleichen, aller Vortheil ist in jenem Uebereinkommen auf Seite
des Staates und der Episkopat von der weltlichen Gewalt so ab-
hängig als es nur immer ein Dicasterium von Staatsbeamten sein
kann. Die Furcht vor den Beschlüssen des bevorstehenden Concils
kann daher die treibende Kraft nicht sein, wohl aber ist es die
Furcht vor der „patriotischen" Majorität der Kammer. Da ein
Theil der neu gewählten Deputirten der ultramontanen Partei
angehört, so strebt die Regierung danach, die ganze Majorität im
vorhinein dieser Gesinnung zn verdächtigen und um ihren politi-
schen Credit zu bringen. Ein sicheres Mittel zu diesem Zweck
scheint die Fiction außerordentlicher Gefahren, welche von Rom
her drohen. Die Regierung hofft jenen Theil der „Patrioten",
der nur aus politischen Rücksichten zu den Ultramontanen hält,
von den kirchlich gesinnten abzulösen und so das gegnerische Cent-
rum zu sprengen, ehe es noch Gelegenheit hatte, in Action zu tre-
 
Annotationen