Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1869

DOI Kapitel:
Nr. 115-127 (2. Oktober - 30. Oktober)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43880#0491

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

Preis vierteljährlich 40 kr. ohne
NlstZ Trägerlohn und Postaufschlag.
Jns.-Geb. 2 kr. die Spaltzeile.

Das Völkerrecht und das allgemeine
Concil.
Mehr als ein Minister deutscher Staaten, in denen die kath.
Bevölkerung weitaus überwiegt, vermag nur mit Sorge und Angst
an das herannahende allgemeine Concil zu denken. Denn sie
fühlen und erkenney, daß die Kirche, machtlos in Waffeu, mächtig
im Geiste, ihr gewaltig mahnendes Wort in die Wage legen wird
für die wahre menschliche Freiheit: für di.e sittliche Freiheit des
Individuums, für das Recht der Familie auf ihre Kinder, für die
Freiheit des Unterrichtes und gegen das angemaßte Staatsmono-
pol desselben, für das Recht und die Freiheit des corporativen
Lebens, kurz gegen die erdrückende Omnipotenz des modernen
Staates.
Allein, unseres Erachtens, wird die im Concil vereinigte
Kirche sich auszusprechen haben nicht blos über die Beziehungen
des Individuums zum Staate und umgekehrt: sie wird nicht min-
der ihre mächtige Stimme erheben über die Beziehungen, welche
stattfinden von Volk zu Volk, von Staat zu Staat. Sie wird
ihr Verdammungsurtheil sprechen über das Unrecht und die Ge-
walt von Volk zu Volk, von Staat zu Staat, nicht blos für
Deutschland, nicht blos für Europa, sondern entsprechend ihrer
heiligen Mission, für die gesummte Menschheit. Für Alle insge
sammt ist das heilbringende Wort verkündigt: Dt in tsrra xar
korninikn.8 csui sunt Konus voluntuti8.
Die Gesinnungen des Volkes von Baden und von Bayern
entsprechen nicht denjenigen der Minister in Karlsruhe und Mün-
chen. Die Völker hoffen und vertrauen auf das Concil. Sie
fühlen und wissen, daß ein neuer frischer Lebensodem durch die
Menschheil zieht, daß moralische Kräfte sich regen, die man
früher nicht geahnt, daß sie heranwachsen mit erstaunlicher Ge-
walt.
Ich hebe ein besonderes Symptom dieses neuen erfrischenden
Lebensodems hervor. Der Gedanke, daß das allgemeine christliche
Concil berufen sei, seine Stimme zu erheben für die Herstellung
der geschädigten Principien des Völkerrechtes, ist am nachdrücklich-
sten ausgesprochen von Protestanten. Er ist nicht blos ausge-
sprochen in der Form einer Bitte, einer Erwartung, sondern zu-
gleich derjenigen einer Berufung, einer Forderung. Er ist ferner
nicht ausgesprochen von Protestanten, welche durch den Bruch alles
Völkerrechtes der letzten Jahre geschädigt sind, nicht von Hanno-
veranern, Schlesiwg-Holsteinern, Kurhessen oder Anderen, sondern
die Forderung ist erhoben von völlig unbetheiligten Engländern,
von dem bekannten Gegner des Russenthumes, David Urquhart,
und vielen Anderen.
Es verlohnt sich der Mühe, gegenüber den armseligen Ver-
suchen, welche der Fürst Hohenlohe anstellt, um durch d:e Augs-
burger Allgemeine die „gebildeten Leser" derselben gegen das Con-
cil einzunehmen, mit einigen Worten näher auf die Erwägungen
solcher Männer einzugehen, deren Blick freilich nicht lastet an dem
gebildeten Publikum von Augsburg und München, oder gar von
Heidelberg, sondern denen das Wohl und Wehe der gesammten
Menschheit zu Herzen geht.
David Urquhart und die gesammte Partei, welche ihre lite-
rarische Vertretung in seinem Diplomatie Üsvisv hat, stimmt
nicht überein mit der Friedens-Liga in England. Diese wünscht
ein völkerrechtliches Tribunal, an dessen Spitze der Papst stehe.
Sie wünscht ferner die Abfassung eines internationalen Codex,
welcher den Vattel und andere Privatschriftsteller zu ersetzen habe.
Urquhart weist die Unausführbarkeit dieser Forderung nach. Er
zeichnet in kurzen Strichen die Geschichte des Völkerrechtes. Aller-
dings, sagt er, besteht kein allgemein gültiger Codex des Völker-
rechtes; aber die ersten und wichtigsten Schriftsteller desselben Haden
gebaut auf die Errungenschaften ihrer Vorgänger, und wenn auch
Grotms, Vattel, Puffendorf, Bynkershoek, Wolf und Heineccius
für kerne Nation legal verbindliche Kraft haben, so werden sie doch
allgemein anerkannt als die ersten Lehrer auf diesem Gebiete. Auch
^Fehler nicht daran, daß die Aussprüche dieser Lehrer des
Völkerrechtes zu allgemein und unbestimmt seien. Sie sind viel-
mehr klar und bestimmt genug zu einem vollständigen Verwerfungs-
urtheile über eine Reihe von Acten dieser letzten Jahre.

Urquhart führt einige derselben auf, nicht blos die in Deutsch-
land oder Europa geschehen, sondern, gemäß dem weit umspannen-
den Blicke, wie er von Jedem zu fordern ist, der über die Be-
ziehungen der christlichen Kirche zum Völkerleben eine Ansicht äußern
will — über die gesammte Erde.
Die Geschichte der letzten dreißig Jahre, sagt er, zeigt uns
in Europa, Asien, Afrcka, Amerika den Anblick einer fortlaufenden
Kette der systematischen Verletzung des Völkerrechtes. Da ist der
Opium-Krieg in China, der afghanische Krieg, die Annexion von
Oude, das Bombardement von Jeddo, die Blokade von Buenos-
Ayres, die französischen Eroberungen in Cochin-China, der preu-
sische Raubzug (kriganäags) gegen Hannover, das Zusammen-
schweißen des sogenannten Königreiches Italien aus Neapel, Florenz,
Modena u. s. w. — und andere Acte von ähnlichem Gepräge.
Alle diese Verbrechen, fügt Urquhart hinzu, wurden, wie aller Welt
bekannt, begangen in flagrantem Widerspruche gegen jeden Grund-
satz des öffentlichen Rechtes, und jedes einzelne Capitel und jede
einzelne Zecke der moralischen Gesetze, welche durch diese Acte durch-
brochen wurden, sind in so klaren und so lesbaren Schriftzügen
verzeichnet, daß jedes Kind sie zu lesen und zu begreifen vermag.
Ueber alle die vorgenannten Acte würde kein Lehrer des
Völkerrechtes aller Zeiten, von Cicero an bis Heineccius, mit dem
anderen im Widerspruche sein. Und doch hat man sie begangen!
Doch drohen der Menschheit von Jahr zu Jahr neue Kriege und
Revolutionen zu gleichem und ähnlichem Zwecke, doch wächst der
Pauperismus und das Verbrechen, doch wachsen die stehenden Heere
und die Steuern, dörrend, lähmend, vernichtend!
Nicht ein äußerliches Heilmittel, wie neue Gesetze des Völker-
rechtes es darreichen könnten, thut uns Noth, sondern eine Aende-
rung des Willens. Unsere Zeit muß das thun, was ihrer Selbst-
liebe und ihrer eigenen Unwissenheit am meisten widerstrebt: sie
muß umkehren.
Das Gesetz Gottes in seiner Anwendung auf die Nationen
darf nicht erst gefunden — es muß hergestellt werden, und zwar
nicht hergestellt in sich selber, sondern in den Herzen der Menschen.
Wenst hex Htyrmel düster niederhängt und eiste Teryperatur her-
vorbringt, in welcher das Unkraut lustig wuchert, aber in welcher
die Blumen nicht aufblühen UKtz hie Früchte nicht reifen — so
besteht das Heilmittel nicht in der Erfindung einer neuen Methode
zur Hervorbringung von Licht und Wärme, sondern in der Zer-
theilung des düsteren Gewölkes.
Wer kann es unternehmen das Gewölk selbstzufriedener Un-
wissenheit zu zerstreuen, und das gesammte Dunkel, welches selber
sich Licht nennend, jetzt über der Christenheit hängt, zu erhellen?
Wollen wir erwarten, daß einer von denen, die zur Zeit sich Lehrer
nennen und als solche anerkannt werden, dies auf sich nähme, sei
er Staatsmann, Philosoph, oder Philanthrop? Das hieße Licht
fordern von der Finsterniß.
Woher also?
Wir haben uns gewendet, sagt Urquhart, vor Jahren bereits
an die protestantische Kirche. Sie scheint uns hoffnungslos und
unentwirrbar verstrickt mit der staatlichen Macht. Sie hat in
Sachen des Rechtes und Unrechtes nicht mehr das Urtheil frei:
sie muß dem Willen des Staates gehorchen, dessen Magd sie ist.
Es bleibt die römische Kirche. Seit dem Erscheinen des
Herrn, dessen langersehntes Kommen endlich stattsand zu einer Zeit,
die in so mancher Beziehung der unsrigen ähnlich ist, und unter
einem Volke, welches, wie wir, den Stempel des göttlichen Eben-
bildes bewahrt hatte, ohne die Kraft es zu verwirklichen — seit
jenem Tage bis heute sind niemals Menschen zu emer edleren
Mission berufen gewesen.
Man erwiedert uns, daß die Stimme Roms wirkungslos ver-
hallen werde. Man sagt: dies sei der Grund, weßhalb Rom auf-
gehört habe zu reden, wie einst, in so hochwichtigen Dingen.
Der Einwand macht uns nicht irre.
Rom muß gehört werden von seinem Standpunkte aus den
ewigen Grundlagen der Wahrheit und der Sittlichkeit. Jedermann,
der guten Willens ist, muß in einer so heiligen und edlen Sache
stehen und gehen mit Rom. Wir sind überzeugt, fügt Urquhart
hinzu, daß die Friedensgesellschaft, möge sie immerhin festhaiten
an ihren dogmatischen Sätzen, möge sie daneben über die Heilmit-
tel für die Gebrechen unserer Zeit ihre besonderen Theorien pfle-
 
Annotationen