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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1869

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Nr. 75-88 (1. Juli - 31. Juli)
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Donnerstag den 1. Juli

1869.

Constitutionelle Zustände.
In Häg ist die Petition an den Großherzog unterschrieben
worden, nachdem die Bürger in einer Versammlung, die im Wirths-
haus stattsand, ohne daß vorher der Polizei Anzeige gemacht war
(was man nach Z 10 des Vereinsgesetzes auch nicht für nothwen-
dig erachtete,) belehrt worden waren. Währens in der Versamm-
lung gegen den Vortrag des Pfarrers keine Einwendungen ge-
macht wurden, machte der Lehrer nach derselben desto größern Lärm.
Die Gensdarmen forschten, Bürgermeister, Lehrer und Polizeidiener
werden vom Amt vorgeladen. Die Folgen dieser Inquisition wer-
den sich dem Großh. Bezirksamt in Bälde zeigen.

Katholische Volkspartei.
Weitere Adressen an S. Kgl. Hoheit den Großherzog mit der
dringenden Bitte um Kammerauslösung sind abgegangen:

Von Odenheim vr
m 124
Staatsbürgern.
„ Ballruhten und Döttingen
72
„ Rohrbach, A. Eppingen
161
„ Neibsheim 154 statt 124
30
„ Obersäckingen t
„ Harpolingen
210
„ Rippolingen s
„ Heuweiler
71
„ Glotterthal
181
„ Wittenhofen
18
„ Unterschwarzach
33
„ Schutterthal
157
Uevertrag von letzter Nummer
52,335
Uebertrag:
53,392
Staatsbürger.

Erklärung.
Die am 22. d. M. zu Freiburg in freier Conferenz ver
sammelten Geistlichen der Capitsl Freiburg, Breisach, Güdingen
und Neuenburg
an
Wohlgeboren Hrn. Kaufmann Jakob Lindau,
Abgeordneten im bad. Landtag und beim deutschen Zollparlament
in Heidelberg.
Hochverehrtester Herr!
Wir finden es sehr wohl begreiflich, daß die kirchenfeindliche
Partei, welche unsre hl. Kirche und deren verehrungswürdiges
Oberhaupt, den hl. Vater Pius IX., unablässig mit Hohn, Spott
und Verläumdungen überschüttet, auch einen so muthvollen und
charakterfesten, so populären und einflußreichen katholischen Mann,
wie wir ihn in Ihnen ehren, zur Zielscheibe ihrer boshaften An-
griffe macht. So bringt es die Consequenz des Kirchenhasses
mit sich.
Wir wissen auch, daß Ew. Wohlgeboren alle offenen und ge-
heimen Anfeindungen verachten und Ihren Lohn und Trost in dem
beglückenden Bewußtsein finden, für die edelsten und heiligsten
Güter des Volkes in lauterster Absicht zu kämpfen.
Aber trotzdem fühlen wir uns verpflichtet, Ihnen, Hochver-
ehrtester Herr, hiemit unfern wärmsten Dank, unsre lebhafteste
Sympathie und unsere größte Anerkennung für den überzeugungs-
treuen Muth, die große Opferwilligkeit, die seltene Uneigennützig-
keit und die rege Liebe zum Volke und zum deutschen Vaterlande
auszusprechen, mit denen Sie für die Freiheit der Kirche, des
Volkes und des Gewissens, für Hebung des katholischen Bewußt-
seins, für die Gleichberechtigung aller Staatsbürger, für wahre
Selbstverwaltung und Emancipation aus manchfacher Bevormun-
dung zu wirken fortfahren. Gerade darum, weil Sie mit der
politischen Freisinnigkeit treue Anhänglichkeit an Ihre Kirche ver-
binden, sind Sie Denjenigen ein Dorn im Auge, deren ganze Frei-
sinnigkeit in leeren Phrasen und in unversöhnlichem Haffe gegen
das positive Chriftenthum und dessen Hauptvertreterin, die kathol.
Kirche, besteht.
Hochverehrtester Herr! Sie haben den Kampf für wahre
Freiheit des Volkes und der Kirche unter den ungünstigsten Ver-
hältnissen begonnen und bereits Großes geleistet für die gute Sache.
Die Katholiken Baden's haben einen O'Connell — der Gladstone
wird nicht ausbleiben!

Wir bitten zu Gott, daß er Sie und Ihre edlen Bestrebun-
gen segnen und beschützen möge, und zeichnen
in vorzügl. Hochachtung und Verehrung
Freiburg, den 22. Juni 1869.
I. B. Miller, geistl. Rath,
Vorsitzender der freien Conferenz.

SüddeutschLknd.
* Heidelberg, 29. Juni. Wie die Landesbase doch gut
unterrichtet ist! Sie läßt Herrn Lindau „auf einige Zeit" ver-
schwinden, da derselbe sich in der Schweiz von seinen Strapatzen
erhole. Kostbar! Herr Lindau wird morgen einer wichtigen Ver-
sammlung in unserem Casino präsidiren, kann also nicht in der
Schweiz sein. Dagegen ist so viel richtig, daß Herr Lindau auf
einige Tage, aber nicht auf einige Zeii verreisen wird,
wie sein Arzt es ihm vorgeschrieben hat, der ihm nicht erlaubte
nach Berlin zu gehen. Ferner soll Herr Stadtpfarrer Wilms
nach der Landesbase um eine andere Pfarrei eingegeben haben.
Wir können versichern, daß uns davon kein Wort bekannt ist,
es müßte denn sein, daß der Herr Landesbase-Correspondenr mit
dem Herrn Stadtpfarrer näher bekannt wäre als wir, was wir
einstweilen bezweifeln. Auch die Lügengeschichte der Heidelberger
Zeitung in Betreff des Herrn Beneficiat Schuh, als habe dieser
unverdientermaßen zwei Schulkinder geschlagen um seinem Zorn
wegen der Schulabstimmung Luft zu machen, wird von der Lügen-
base zum Besten gegeben. Herr Schuh hat bereits im Pfälzer Boten
geantworiet, — wir haben nichts hinzuzusetzen.
/X Mannheim, 28. Juni. Nach den neuesten Vorgängen
in Heidelberg dürfte es nicht ohne Interesse sein, etwas Näheres
über den Stand der Mischschule in hiesiger Stadt zu erfahren.
Zur Vorbereitung für die Ausführung der mit glänzender Majori-
tät beschlossenen Mischschule wurde vom hiesigen Gemeinderathe ein
aus 9 Mitgliedern bestehendes Comüö, wozu auch je ein Lehrer
von jeder der drei Religionsgenossenschaften berufen wurde, einge-
setzt. Diese Commission ist seit längerer Zeit in voller Thäügkeit,
ist aber alsbald der Uederzeugung gelangt, daß es sich hier
um eine Aufgabe handelt, deren Lösung ungeheure Schwierigkeiten
in sich schließt und bei den gegebenen Verhältnissen zu einer noch
größern Zersplitterung, als sie früher bestand, führen muß. Die
meisten Bürger ließen sich bei der Abstimmung von dem Gedanken
leiten, das Schulgeld werde in Folge oer neuen Einrichtung weg-
fallen und durch eine nach oem Steuerquotum anzusetzende Ge-
meinoeumlage ersetzt werden. Große Täuschung! Schon in der
ersten Sitzung wurde dies als unausführbar fallen gelassen. Das
Schulgeld bleibt beibehalten. Ebenso hoffte man, daß die ver-
haßte Trennung in Schüler der einfachen und erweiterten Schule
wegfallen werde und so eine Vereinigung aller Kinder in einer
gehobenen Bürgerschule erzielt werden könne. Abermals
große Täuschung! In einer der Commisstonssitzungcn wurde be-
schlossen, die Trennung nach Vermögensverhältnissen deizubehalten,
weil sonst die besseren Leute ihre Kinder der Schule entziehen und
sie in Privatinstituten unterbringen würden. Aber es kommt noch
bester. Bei der Abstimmung träumten die Meisten von einem großen,
in der Mitte der Stadt gelegenen neuen Schulgebäude, welches
alle Kinder der Stadt aufnehmen könne. Die Commission hat
diesen Gedanken fallen lasten, weil hierzu 200,000 Gulden nöthig
sind. Sie hat beschlossen, die vorhandenen kath., evang. und
jüdischen Schullokalitäten in Gebrauch zu nehmen, und da es deren
sechs gibt, sechs Disiriktsschulen einzurichten und die Stadt nach
Lage dieser Lokale einzutheilen. Bis jetzt gab es drei Vereinigungs-
punkte der Schüler, in Zukunft werden wir deren sechs haben.
Also man sucht Vereinigung und findet Zersplitterung! Ist dies
nicht eine allerliebste Ironie des Schicksals?! Mit der Frage, ob
auch das Vermögen der kathol. Schulgemeinde für die gemischte
Schule in Anspruch genommen werden könne, sind die Förderer
der gemischten Schule bald fertig. Sie sagen, dre Mehrzahl der
Katholiken hat ja für dieselbe gestimmt. Die Süftungscommission,
in der hervorragende Juristen sich befinden, ist anderer Ansicht
und wird somit wohl eine gerichtliche Entscheidung nothwendig
werden.
Wir halten es für eine große Thorheit, daß man in Heidcl-
j berg mit der Abstimmung nicht so lange zugewartet hat, bis man
 
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