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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1869

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Nr. 89-101 (3. August - 31. August)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43880#0377

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Erscheint wöchentlich dreimal: Dienstag.
Donnerstag und Samstag.


und Land.

Preis vierteljährlich 40 !r. ohne
Trägerlohn und Postaufschlag.
Jns.-Geb. 2 kr. die Spaltzelle.


Samstag den 14. August


Katholische Volkspartei.
Die Zahl der Unterschriften der kathol. Volkspartei ist im Boten unrichtig
angegeben; vielmehr ist die vom Beobachter festgestellte Liste die richtige: 68,696.
Die Ursache dieses Jrrthums kam durch die Confiscation unserer Nr. 87 so-
wie durch die öftere Abwesenheit unseres ersten Mitarbeiters.
Weitere Adressen an S. Kgl. Hoheit den Großherzog mit der
dringenden Bitte um Kammerauflösung sind abgegangen:
Von Meßkirch u. zwei Filialen von 165 Staatsbürgern.
„ Wangen, A. Radolfzell 62
Uebertrag wie oben 68,696 „
Uebertrag: 68,923 Staatsbürgern.
Südderrtschlsnd.
* Heidelberg, 11. August. Die Bethlen'sche diplomatische
Wochenschrift, ein in Pest erscheinendes und, wie allgemein behaup-
tet wird, von Bismarck erkauftes Blatt, bringt in Nr. 19 eine
Corresponz aus Baden und zwar, wie sie sagt, „von einem geehr
ten Herrn Collegen, der ein nationalliberales Blatt redigirt."Nach
den gewöhnlichen Tiraden über die verschiedenen Parteien in Baden
wird über das Ministerium Jolly in einer so starken Weise her-
gefallen, daß wir die betr. Stellen nicht wiedergeben können ohne
Confiscation und den schwersten Prozeß mit Sicherheit erwarten
zu dürfen. Es genügt zu bemerken, daß wir noch in keinem
Oppositionsblatt ein solches Maß von „Haß und Verachtung" ge
funden haben, wie es hier gegen Jolly's Staatswaltung ersicht-
lich ist.
Was uns aber besonders in diesem Aussatz bemerkenswerth er-
scheint, ist die Bestätigung der von uns bereits früher mitgelheilten An-
sicht, daß eine wirkliche Cordialität zwischen den Offenburgern u.
Jollyanern nicht besteht, daß vielmehr die Arena am Landgraben
demnächst dazu benutzt werden wird, die Gurten des Regierungs-
sattels etwas loser Zu machen, so daß der Reiter, um sich im
Sartel zu erhalten, der Hilfe der Nahestehenden bedarf. Daß die
fragliche Correspondenz von dem Redacteur eines nationallrberalen
Blattes verfaßt ist, beweist aufs Neue die Unzuverlässigkeit der
HH. Offenburger; denn unseres Wissens geriet sich die gesammte
nationalliberale Presse in Baden durchaus ministeriell. Wei-
ter ist aber bezeichnend, daß ein durch und durch preußen-
freundliches Blatt, wie Bethlen's Wochenschrift, eine solch' leiden-
schaftliche Sprache gegen Hrn. Jolly führt. Sollte er aufgehört
haben, eine xorsoua, gratu in Berlin zu sein? oder sollte ihm
nur ein Wink mit dem Finger gegeben sein, wie es einst von seinem
Beschützer Häusser geschah?

* Heidelberg, 12. August. Die Nachricht über die vollzogene
Wahl der sechs Abgeordneten des grundherrlichen Adels in die I.
Kammer muß alle guten Badener mit Freude erfüllen. Mit dieser
Wahl hat sich unser Adel aus's Entschiedenste den Bestrebungen der
antipreußischen Parteien angeschlossen. Wir hatten uns dieses von
ihm versehen; denn unser badischer Adel zählt nicht zu den preußi-
schen Junkern und wird auch ferner beweisen, daß ihm die berech-
tigten Wünsche des Volkes höher anliegen, als seine Standes-Jnte-
ressen. Faßt der Adel von dieser Seite seine Aufgabe auf, so wird
er Kalo jene Stellung im Staate einnehmen, die wir ihm, als Ver-
treter des Großgrundbesitzes, von Herzen gerne einräumen. Würde
die kathol. Volkspartei all' jene Zwecke verfolgen, welche ihr von
den Gegnern angedichtet werden, so könnte sie sich nicht freuen über
die Wahl des grundherrl. Adels; denn es sind darunter drei Prote-
stanten, ja sogar zwei sehr eifrige Protestanten und der demokratisch
gesinnte Graf Berlichingen. Allein gerade weil wir wissen, baß die
Erwählten nichts weniger als Haß gegen die Katholiken kennen,
weil ferner Berlichingen's Grundsätze in politischer Beziehung mit
dem Programm der kathol. Volkspartei ganz übereinstimmen und
in kirchlicher Beziehung einer vermittelnden Richtung zugethan sind,
so halten wir die aus der Wahlurne hervorgegangenen Män-
ner als die geeignetsten, um das badische Staatsschiff in die richtige
Bahn wieder einzulenken. Erst vor wenigen Tagen schrieb uns ein
tiefer Denker aus Oesterreich, der unsere badischen Wirren sehr genau
kennt: „Wie wäre unsere (die österreich.) Regierung so froh, wenn
unsere katholische Opposition politisch liberal sein wollte!" Beherzi-
gen wir badischen Katholiken diese goldenen Worte; unsere Vertreter
in der II. Kammer werden ihn zur Wahrheit machen.
ß Heidelberg, 12. August. Die Heidelberger Zeitung und
andere servile badische Blätter bringen mit unverholenem Wohlge-
fallen die Nachricht, daß Herr Amtsrichter Franz Junghanns von
Heidelberg nach Offenburg versetzt worden sei. Sie scheinen stolz
daraus zu sein, daß dem von ihnen laut und stürmisch ausgesproche-
nen Verlangen sofort entsprochen wurde, einen Beamten von Heidel-
berg zu entfernen, der sich vor Kurzem gegen die bei Abstimmung
über die Mischschule geübten Scandale so männlich dagegen ausge-
sprochen hatte.
Wieder ein beklagenswerthes Beispiel, wie unabhängige Ge-
sinnung im Lande geachtet, wie das Gesetz über Unabhängigkeit des
Richterstandes im Großherzogthum gehandhabt wird!
* Heidelberg, 11. Ang. Aus Tauberbischofsheim hören
wir soeben, daß Bürgermeister Reidel, Referendär Jung und
der Ex-Mediciner Meinhard in dem Gasthaus zur Sonne ohne

Jnsectenqualen am oberen Amazonas*).

Wer nicht am oberen Amazonas gereist ist, kann sich keinen Begriff machen
von der Menge und Gefräßigkeit der Jnsecten, sowie von den Qualen, welche
die Unglücklichen zu erleiden haben, die den Angriffen derselben ausgesetzt sind.
Da die „Sancudos", wie diese den Europäern gemeinlich als Moskitos bekann-
ten Jnsecten hier genannt werden (der Name Moskito findet nur Anwendung
auf eine kleine Sandfliege, von der wir später sprechen), bei Weitem die wich-
tigste Abteilung bilden und in der Unterhaltung tatsächlich die Stelle ein-
nehmen, wie in Europa das Wetter, so wollen wir ihnen den vordersten Platz
in unserer Liste anweisen.
In den „Pueblos"-Dörfern, um welche der Wald eine Strecke weit aus-
gerottet, sind die Sancudos den Tag über gemeiniglich ziemlich ruhig, ausge-
nommen wo Dunkelheit vorherrscht: hier sind sie immer geschäftig. Die Ein-
wohner aber haben, um diese Quälgeister aus den Häusern hinauszubringen,
ein Auskunftsmittel gefunden, das wir hier anführen wollen. Die Fenster —
wenigstens in jenen begünstigten Niederlassungen, welche Fenster besitzen —
sind, anstatt des Glases, mit feiner Gaze versehen, und da gerade vor Sonnen-
untergang alle innerhalb eines Hauses befindlichen Sancudos dem Lichte zu-
fliegen, so schließt, diese Eigenthümlichkeit benützend, jeder Einwohner bei An-
näherung der Nacht sein Haus ab und verhindert das Eindringen von Licht,
mit Ausnahme durch ein einziges Fenster. An der Innenseite der über die
Rahmen ausgebreiteten Gaze sammeln sich nun alle oder beinahe alle im Hause
vorhandenen Sancudos und fliegen, sobald das Fenster geöffnet ist, hinaus.
In dem Augenblick, in welchem die Sonne unter den Horizont sinkt, wird das
Fenster wieder geschlossen, und so kann man durch Anwendung dieser Vor-
sichtsmaßregel, wie durch die Beihilfe guter Moskitovorhänge, bisweilen einer
behaglichen Nachtruhe genießen. Läßt man aber das Fenster nur fünf Minu-
ten nach Sonnenuntergang noch offen, so wird das Elend über die Inwohner
hereinbrechen und das Haus voller Sancudos fein, denn jeder hinausgeflogene
*) „Ausland."

Sancudo ist, wie es scheint, mit seiner ganzen Verwandtschaft und Bekannt -
schäft zurückgekehrt. Der Triumphgesang eines Sancudo ist für dich dann be-
lästigender, als selbst fein Biß; solltest du dich daher ohne die gehörige Vor-
sichtsmaßnahme zu Bette legen und von zweien oder dreien dieser Blutsauger
begleitetet werden, so wirst du nicht eher einschlafen können, als bist du sie
vertilgt hast. Du liegst ruhig da und hörst sie um dich herum summen; jetzt
nähert sich dir einer, und du kannst mit Sicherheit darauf rechnen, daß er sich
sachte aus deiner Wange niederläßt; du gibst dir einen tüchtigen Schlag in's
Gesicht, aber — du tödtest den Sancudo nicht; im Gegentheil, du hörst ihn
nur munterer summen als je. Er weiß sehr wohl, daß du nicht schläfst, und
erlustigt sich nur. Wenn du wirklich Ruhe erhältst, hat er dein Blut schon
eingesogen. Magst du auch noch so oft nach ihm schlagen, nie wirst du einen
tödten. Das einzige Mittel, dir Frieden zu verschaffen, besteht darin, daß du
aufstehst, ein Licht anzündest (Jedermann nimmt eine Kerze und Zündhölz-
chen mit sich zu Bette) und regelmäßige Jagd auf die Blutsauger machst, da-
bei aber, wenn du dies thust, Sorge trägst, daß der „Mosquitero" nicht Feuer
fange.
Im Wald und an dem Fluß sind die Sancudos Tag und Nacht geschäf-
tig. Als wir zum ersten Mal den Fluß hinauf kamen, begab sich ein Theil
der Mannschaft auf die Marse des Schiffs und bedeckte sich dort trotz der Hitze
mit Säcken, um gegen die Angriffe der Sancudos nur einigermaßen geschützt
zu sein. Frauen und Kinder, welche noch Neulinge im Lande sind, werden
auf so furchtbare Weise von ihnen gequält, daß sie häufig aussehen, als ob
sie von den Blattern befallen wären.
Glücklicherweise können die Sancudos keine Luftströmungen ertragen und
so blieben wir aus der Fahrt vergleichsweise frei von ihnen; wenn wir aber
vor Anker lagen, waren sie, besonders zur Essenszeit, eine furchtbare Plage.
Eine schönere Illustration einer „Mahlzeit unter Schwierigkeiten", wie wir sie
bisweilen vor uns hatten, kann man sich kaum vorstellen. Man denke sich eine
Anzahl Männer, die ihre Röcke dicht um ihre Handgelenke, ihre Beinkleider fest
um ihre Knöchel gebunden hatten und die wie ein in einen Käfig eingesperrtes
wildes Thier Herumliesen, einen Teller in der einen und eine Gabel in der
anderen Hand — ein Schauspiel, das einen in einiger Entfernung stehenden
Beobachter, der die Ursache dieses Thuns nicht kennt, wahrscheinlich auf den
 
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