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Trägerlohn und Postaufschlag.
Jns.-Geb. 2 !r. die Spaltzeils.
M 52.
Dienstag den 4. Mai
1869.
Heidelberg.
Jakob Lindau, Abg. zur II. Kammer und
zum deutschen Zollparlament,
vr. Frrd. Vissing, Zollparlaments Abg.
vr. L. Fischer, prakt. Arzt.
Einladung.
Die katholische Volkspartei ladet ihre Gesinnungsgenossen zu einer größeren Versammlung
aus Sonntag den 9. Mai, Nachmittags 2V- Uhr,
im großen Saale der Fortuna in Bruchsal freundlichst ein.
Gegenstand der Berathung bilden die in unserem Aufrufe dargelegten Grundsätze und die Bedürfnisse des badischen
Volkes, welche sich in dem einstimmigen Verlangen zusammenfassen lasten: Auflösung der jetzigen Ständeversamm-
lung und Einberufung eines außerordentlichen Landtags zur Schaffung eines neuen Wahlgesetzes auf
Grundlage des direkten geheimen Wahlverfahrens!
Wir erwarten im Hinblicke auf die große Wichtigkeit zahlreiches Erscheinen.
den 1. Mai 1869.
Namens der kathol. Volkspartei das provisorische Comits:
Bruchsal.
G. Merle, Pfarrer und Kreis-Abg.
F. Hetterich, Vorstand des kath. Bürgervereins.
I. H. Martin, Gemeinderath.
badische
Die Mehrzahl unserer Kammerabgeordneten, welche noch auf
dem verflossenen Landtag die Politik des Ministeriums Mathy.Jolly
in allen Theilen unterstützte, hat auf einmal ohne besondere äußere
Veranlassung sich zu dem Geständniß genöthigt gesehen, daß die
Haltung des Großh. Staatsministeriums das Volk nicht befriedige.
Damit wurden die Behauptungen der Oppositionsorgane, daß Volk
und Volksvertretung, Volk und Regierung in unserem Lande sich nicht
in constitutioneller Uebereinstimmung befinden, so zutreffend bestätigt,
daß es für die Unterzeichneten eine Verletzung ihrer politischen
Pflicht wäre, sich dieser wichtigen Thatsache gegenüber noch länger
stillschweigend Zu verhallen.
Wie sieht es in unserem Lande aus? Keine freudige Stimmung
beherrscht das Volk! Seit dem Jahre 1860 ist unser Land mit
confessionellem Hader erfüllt. Religiöse Fragen werden allseitig in
den Vordergrund gezogen, weil man wohl weiß, daß es ein Leichtes
ist durch Erregung confessioneller Leidenschaft die dem Volke unlieb-
samen politischen Ziele zu verdecken und um so sicherer zu erreichen.
Die Folge davon war, weil jeder Druck einen Gegendruck hervor-
bringt, das Entstehen der katholischen Volkspartei, welche
trotz aller bei den Zollparlamentswahlen entwickelten büreau-
kratischen Beeinflussung zum ersten Male dem In- und Auslande
bewies, daß Bismarck nicht Unrecht hatte, wenn er behauptete: Die
indirekten Wahlen sind eine Fälschung der Stimme
der Nation!
Es ist seitdem nicht besser geworden! Im Gegentheile! Die
erhabene Verheißung Sr. K. H. des Großherzogs in der Proclamation
vom 7. April: „Ohne Haß über Gegensätze, welche der Vergangenheit
angehören müssen, stehet fest in dem Vertrauen einer Zukunft, die
Niemand verletzen wird, weil sie gegen Alle gerecht sein will", —
wie grell sticht sie von der Wirklichkeit ab! Anstatt der Kirche ihre
Selbstständigkeit zu gewähren und damit den Frieden zu sichern,
womit die Gesetze vom Jahre 1860 motivirt wurden, dienen diese
letzteren dazu, die Kirche zu knechten und sie der Büreaukraüe
zu Füßen zu legen. Die Schulfrage wurde Zum Nachtheile der
Freiheit der Ellern entschieden — eine religiöse Erziehung im An-
schlüsse an ihre Kirche ist, dem Prinzipe der persönlichen Gewissens-
freiheit zum Hohne, den badischen Bürgern gesetzlich unmöglich ge-
macht. Anstalt der Kirche freie Lebenslust zu gestalten und gleiches
Recht für Alle zu schaffen, verweigert man ihr durch Ausnah ms-
gesetze den Schutz, den jeder Privatmann beanspruchen kann.
Die Kirche ist unfrei in Bezug auf die Verwaltung ihres
Vermögens, in der Besetzung ihrer Pfarreien, in der Besetzung des
erzbischöflichen Stuhles! Die Geistlichen sollen keine Standesbeam-
ten mehr sein, gleichwohl verlangt der Staat, der doch keine
-religiösen Interessen mehr kennt, von ihnen eine besondere Staats-
ptüfung. Die Thalsache der jüngsten Tage, daß man unseren hochw.
BiSthumsverweser wegen treuer Pflichterfüllung seiner
Kirche gegenüber zum Verbrecher am Staate machen wollte, be-
wies auf's Deutlichste, welche Gesinnungen gegen die
Kirche und welche Unkenntniß katholischer Grundsätze
und unserer strafrechtlichen Vorschriften indemEtaats-
ministerium vorherrschen.
Solchen Verhällniffen gegenüber, die für jeden Staats-
bürger, dem der religiöse Friede ebenso wohl wie die Gewissens-
freiheit hohe heilige Güter sind, unerträglich werden, muß Ab-
hilfe geschehen. Wir sprechen mit den Worten unseres hochw. Bffchofs
deßhalb aus:
„Wir halten die absolute Trennung des Staates von der Kirche
keineswegs für den normalen und für die menschliche Gesellschaft
zuträglichsten Zustand, können aber, wenn der Staat immer mehr sei-
ner Pflichten und Verbindlichkeiten gegen die Kirche sich entledigt,
nur darin eine Remedur finden, daß das Princip der Freiheit und
Selbstständigkeit der Kirche nach allen Seiten hin consequent durch-
geführt wird."
Darum verlangen wir:
1) Vollständige Trennung der Kirche vom Staate!
Keine Begünstigung für die Kirche außer der An-
wendung der allgemeinen Grundsätze des Rechts
und der Freiheit, aber noch weniger Ausnahms-
gesetze, die jede freie Thätigkeit unmöglich machen.
2) Wir verlangen die vollständige Freiheit der Kirche, ihre Ange-
legenheiten selbstständig zu ordnen — selbstständige Verwal-
tung ihres Vermögens, selbstständige freie Besetzung der kirchlichen
Aemter.
3) Wir verlangen für die Bürger des Landes das unbeschränkte
Recht, von der allgemeinen Vereinsfreiheit wie für die
politischen auch für die religiösen Vereine freien Gebrauch
zu machen.
4) Wir verlangen entschiedene, redlich durchgeführte Schul frei-
heit. Damit bestreiten wir nicht der Staatsregierung das
Recht, den öffentlichen Unterricht zu beaufsichtigen, aber
wir verlangen für die Bürger die Freiheit, welche ihnen
das jetzige Schulgesetz raubt — die religiöse Erziehung
ihrer Kinder in Verbindung mit ihrer Kirche be-
wirken zu dürfen. Eine „Staatserziehung" können wir nie
zugestehen, denn wie der „moderne Staat" sich gestaltet, ist eine
solche stets eine Parteierziehung.
Mit diesen Grundsätzen allein wird die Gewissensfreiheit,
das kostbarste Palladium unsrer Verfassung, gewahrt, die ächte
Toleranz geübt und der gestörte confessio ne lle Friede wie-
derhergestellt.
Badische Mitbürger! Dies zu erreichen ist jedes Mannes Pflicht.
Mit diesen Beschwerden, die wir in kirchlicher Beziehung er-
heben müssen, gehen die beklagenswerchen staatlichen Verhältnisse
Hand in Hand. Und hier sind es ebenso wohl die materiellen
Interessen, als die freiheitlichen, welche das Bild des einst
verherrlichten Musterstaales von der dunkelsten Kehrseite zeigen.
Indem wir an der Gestaltung eines großen, föderalistisch ge-
einigten Deutschlands mit Einschluß Oesterreichs festhallen und über-
zeugt sind, daß der norddeutsche Bund zur Verarmung des Volke-
führt und dessen Freiheit verkümmert, beschränken wir unsere Aus-
lastungen zunächst auf die inneren badischen Zustände.
Was ist aus der Steuerkraft unseres gesegneten und von
einer rührigen Bevölkerung bewohnten Landes geworden? Wie kann