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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1869

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Nr. 26-37 (2.März - 30. März)
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und


Preis vierteljährlich, 40 kr. ohne
Trägerlohn und Postaufschlag.
Jns.-Geb. 2 kr. die Spaltzeile.

M 31.
Samstag den 13. März 1869.

Die Fahrt nach Kiel, oder: die Rechnung
folgt nach.
Der wohlgeneigte Leser muß sich fein durch die Überschrift
nicht vorweg täuschen lassen. Ich will keinen Schwank schreiben,
keine Novelette, keine Causerie, sondern eine ganz ernsthafte poli-
tische Abhandlung will ich schreiben. Und so Gott will, wird man
den Diplomaten außer Dienst bald erkennen; obgleich seine Erzäh-
lung wie ein Märchen klingen wird.
Zur Zeit der Luxemburger Affaire brach durch den dicken preu-
ßischen Hochmuth gleichwohl die klare Einsicht durch, daß man sich
mit Frankreich nicht messen könne, weil Frankreich eine mächtige
Kriegsflotte hat und Preußen nicht. Bismarck ließ also Luxemburg
fahren, und beschloß eine preußische Kriegsflotte herzustellen. Es
wurde zunächst das Corps der preußischen Preßhusaren vorbeordert.
Diese stellten nun in hundert Blättern dem deutschen Volke die
fürchterliche Schutzlosigkeit des deutschen Handels und der deutschen
Handelsschiffe vor und wie der ganze deutsche Wohlstand auf dem
Spiele stehe. Bei der dadurch entstandenen allgemeinen Angst brachte
der Abgeordnete Dr. Aegidi im norddeutschen Reichstage den An-
trag ein, „den Bundeskanzler aufzufordern, zu veranlassen, daß
bei dem gegenwärtigen friedlichen Einvernehmen mit den auswär-
tigen Mächten Verhandlungen eingeleitet werden, welche zum Zwecke
haben, durch Uebereinkunft von Staat zu Staat die Freiheit des
Privateigentums zur See in Kriegszeiten zu einem vertragsmäßig
anerkannten Grundsatz des Völkerrechtes zu erheben." Der Antrag
war ganz vernünftig; im Interesse der Menschlichkeit und der Ci-
vilisation muß eine solche Lösung der ^rage angestrebt werden.
Die Frage der Sprenggeschosse ist soeben vor unsern Augen auf
diesem Wege befriedigend gelöst worden. Aber Dr. Aegidi hatte
den Grafen Bismarck nicht recht verstanden. Bismarck wollte eine
Kriegsflotte haben, die Furcht war ja blos der Flotte halber ge-
macht worden; nicht die Furcht sollte fortgeschafft werden, sondern
die Furcht sollte eine Flotte herschaffen. Demnach redeten die in
spirirten Blätter deutlicher. Eine preußische Kriegsflotte wollen
wir haben, sagten sie, und der norddeutsche Bund muß sie bezah-
len. Preußen hat das Recht dies zu verlangen; denn Preußen hat
die Landarmee in den Bund mitgebracht, also muß der Bund für
Preußen die Marine schaffen. Bismarck schlug also vor, der Nord-
bund solle eine Anleihe von einigen Millionen machen. Das wären
zwei Fliegen auf einen Schlag gewesen; denn erstens machten Vun-
desschulden den Nordbund zu einem veritablen Einheitsstaat, Zwei-
tens bekam eben Bismarck Geld. Den Nationalliberalen war alles

recht. Aber doktrinäre Wortfuchser wie sie einmal sind, so wollen
sie zuvor ein Bundesschulden-Gesetz haben. Zu diesem Bundes-
schuldengesetze stellte Miquel das Amendement, daß die betreffenden
Beamten nicht blos dem Bundesrathe, sondern auch dem Reichs-
tage verantwortlich sein sollten. Die Nationalliberalen möchten
eben gar zu gern auch ein Bischen mitregieren. Das Amendement
wurde am 22. April mit 131 gegen 14 Stimmen angenommen.
So naiv glaubten sie die große Prinzipienfrage der parlamentari-
schen Mitregierung entscheiden zu können, um dessentwillen der
große Verfaffungskampf und dann der Bürgerkrieg von 1866 von
Bismarck gewagt worden war. Nach Annahme des Amendements
zog Bismarck den ganzen Gesetzentwurf zurück. Er ließ alle Ha-
fen- und Schiffsbauten einstellen, die Werftenarbeiter entließ er
und alle seine Blätter mußten das alte Lied von der deutschen
Flotte anstimmen, die nun die Nationalliberalen vereitelt hätten.
Bismarck schmollte. Den Nationalliberalen wurde angst und bange.
Sie erweckten Reue und Leid in ihren Blättern und baten, Bis-
marck möge die Kriegsflotte halt doch bauen. Da es mit dem
Schuldenmachen nichts sei, so möge er die Matrikularbeiträge. d.
h. die Steuern erhöhen. Bismarck sagte, das gehe nicht und
schmollte.
In diesem Momente trat das Zollparlament dazwischen und
dauerte einen Monat. Hernach führte der Mann von Blut und
Eisen eines seiner gelungensten Stückchen auf. Während die Na-
tionalliberalen noch voll Angst waren, daß sie die Knute bekommen
möchten, kehrte Bismarck die andere Seite der Zweiseelentheorie
oben auf. Er erwog, daß man mit einem Löffel Honig mehr Flie-
gen fange, als mit einem Faß voll Essig, und spielte den Liebens-
würdigen. Eine große Fahrt nach Kiel wurde veranstaltet, um die
junge deutsche Flotte zu schauen. Ein Exrrazug nach Kiel kostete
keinen Kreuzer ;F!ottenschau, Festmahl, Toaste, darunter öerSepp'sche,
Begeisterung, Rückfahrt nach Hamburg, deutscher Empfang, Hoch!
Und alles das kostet nichts, rein gar nichts, Bismarck zahlte alles,
das doch war nobel! Ein.wer noch ein Wörtchen
von der preußischen Schoflesse sagen will!
Die Nationalliberalen waren nicht blos gerührt, sie waren
ganz weg. Sie baten Bismarck in allen Tonarten, er möge doch
seine Bundesschuld nochmal einbringen, sie würden alles geneh-
migen mit oder ohne Controle. Das edle Herz ließ sich erweichen.
Bismarck brachte seinen Antrag nochmal ein, General Moltke schlug
trotzig an seinen Säbel und am 15. Juni 1868 genehmigten die
Nationalliberalen das, was sie innerhalb derselben Saison, am
22. April nämlich verweigert hatten. Die ganze Welt lachte und

Aus dem Reiche der Verwesung,
«mer wahren Geschichte nacherzähtt von H. Böhler.

(Fortsetzung.)
II.
Trotz dem vermehrten Unwohlsein begab er sich, als die Stunde der Be-
erdigung herannahte, in das Spital, wo er als einzigen Begleiter nach dem
nahen Kirchhofe den eben wieder zurückgekehrten Arzt fand. Er drückte dem-
selben einige Guineen für sich, die Spitalverwaltung und die Abwärter in die
Hand und gab ihm, nachdem die einfache Trauerceremonie vorbei war und
sich das Gl ab über dem Sarge des treuen Dieners geschloffen hatte, Bericht
über sein wachsendes eigenes Uebelbefinden. Der Doktor, den das veränderte
Aussehen des jungen Lords bereits befremdet hatte, nahm denselben sofort
nur sich im seine eigene Wohnung, wo er ihm eines seiner besten 8immer
"Ees Bad bereiten ließ und sonstige erwärmende Mittel
anwendete. Es schien aber, als ob diese Behandlung nur dazu diente, den
bereits allzusehr erstarkten Keim der Krankheit zum raschen Hervorbrechen zu
s-Äüds Nacht verschlimmerte sich der Zustand des Patienten zu-
H ^"-^stsgen Magcnkrämpse nebst andern Symptomen, welche sich
vor Anbruch des nächsten Tages einstellten, ließen dem Doktor, sowie dem
ranken kaum einen Zweifel darüber, daß die furchtbare. Alles hinwllrgende
Cholera auch ^hn erfaßt habe. Der menschenfreundliche Arzt wendete Alles
5."' Wissenschaft, langjährige Praxis und der Scharfsinn eines denken-
< ^eten vermochten. Umsonst! - Seine Mittel mochten die
geeigneten sein oder nicht — unfehlbare hat ja die medicinische Facultät noch
nicht gesunden — oder der Arzt mochte in der Anwendung derselben ru spät
--r-mbr-ch, w°r bei dem unglMlich-s, «lsr/d jcho"
das letzte Stadium der Krankheit eingetreten und der Doktor erachtete es für
^Altt^ schnell lerannahendes Ende vorzubereitw.
die Nachricht mrt männlicher Fassung. Da kein vrote-
stantischer Geistlicher sich in der Nähe befand, so empfahl er seine unstett-siche
Seele dem ««gütigen Erschaffer und »ater aller Wesen m innigem Gebett.

Dann dankte er dem freundlichen Arzte für seine unermüdliche Pflege, bat
ihn, ein kleines Geschenk — einen werthvollen Brillantring — zu feinem An-
denken anzunehmen, und ersuchte ihn schließlich, seinen Freund Sheridan, des-
sen Adresse er ihm überreichte, sofort von seinem Dahinscheiden zu benachrich-
tigen und ihm bei dessen Ankunst seine sämmtliche Habe zu übergeben. Auch
ließ er ein rechtskräftiges Testament errichten, in welchem er den Jugendfreund
mit der Uebergabe seines Vermögens an die gesetzlichen Erben beauftragte und
ihm selbst durch Aussetzung einer Jahresrente für sein ganzes Leben eine sor-
genlose Existenz sicherte.
Die entsetzliche Schnelligkeit, mit welcher die Cholera ihre Opfer wie im
Fluge ereilt, lähmt das menschliche Gemüth mit starrem Schrecken. Selbst der
Arzt wurde mächtig erschüttert, als der starke, junge Mann — noch vorgestern
ein Blld männlicher Schönheit — auf seinem Schmerzenslager sich krampfhaft
dehnte im furchtbaren Kampfe zwischen Leben und Tod. Den letzten starren
Blick auf den Doktor gerichtet, verschied Lord Morton.
Mit aufrichtigem Schmerze erfüllte Doktor Bartolini die übernommene
Liebespflicht gegen den Dahingegangenen und sandte mit erster Post die Trauer-
nachricht an dessen Freund nach Florenz. Gerne hätte er bis zu dessen An-
kunft die Beerdigung des Verstorbenen aufgeschoben: allein der allgemeine
Schrecken, welchen der Tod des Dieners in dem Städtchen und der Nachbar-
schaft hervorgerusen, war durch das so schnell darauffolgende Dahinscheiden
des jungen Herrn zu einem wahren Entsetzen gestiegen. Man befürchtete den
Ausbruch einer Epidemie. Die große Zahl der Furchtsamen und Schwachherzi-
gen sah schon das gräßliche Gespenst der Cholera verheerend durch die stillen
Thäler hinschreiten. Zu dieser Schaar gehörten vor Allen die hochweisen Be-
hörden des Städtchens; sie wiesen denn auch das Ansuchen des Doktors um
Verschiebung der Beerdigung des jungen Lords mit Entrüstung zurück und
aus „wohlbegründeter Furcht vor der Ausbreitung der schrecklichen Pestilenz"
und „zur Vermeidung aller weitern Ansteckung" befahlen sie, daß die Leiche
schon bei Einbruch der nächsten Nacht in aller Stille beigesetzt und in den
Kleidern, die der Lord getragen, begraben werden müsse.
(Fortsetzung folgt.)
 
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