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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1869

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Nr. 63-74 (3. Juni - 29. Juni)
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und Land.

Preis vierteljährlich 40 ?r. ohne
Trägerlohn und Postaufschlag.
Jns.-Geb. 2 Lr. die SpalLzeile.


Dienstag den 8. Juni

1869.

An jeden charaktervollen Mann!
Die badische Laudeszenuug bringt heule ein „zweites offenes Schreiben" an mich, angeblich ausgegangen von „Mehreren Priestern."
Ich glaube im Jnterffe „geistiger Bildung und religiös sittlichen Ernstes" zu handeln, wenn ich erkläre:
Leute, welche nicht den Muth haben, mit ihrem Namen Bestrebungen entgegenzutreten, die ihnen verderblich erscheinen, die
umer der Form eines „offenen Schreibens" in anonymer Weise den ganzen Stand des katholischen Clerus compromittireu, die
da glauben, daß ein Mann, der mit seinem Namen und seiner Person für seine Ueberzeugung eintritr, sich verpflichtet fühlen
könne, ihnen Rede zu stehen, sind politische Buben. Wenn von solcher Seite „Anklagen" gegen mich erhoben werden wollen, so
gibt mir die That fache, daß das badische katholische Volk in den Zollparlamentswahlen für meine politische und kirchliche Rich-
tung sich ausgesprochen hat, die Berechtigung, solche Anklagen mit Verachtung zurückzuwelsen, zugleich aber legt mir diese
Thatsache die Pflicht auf, unerschrocken auf dem betretenen Wege fortzuschreiten. Die katholischen Bürger aber fordere ich
um so mehr auf, die Adresse recht zahlreich zu unterzeichnen.
Heidelberg, 6. Ium 1869. Jakob Lindau,
Kaufmann und Abgeordneter.

Constitutionelle Zustände.
Unter dieser Ueberschrift wird das Ceutral-Comiti der kathol.
Voltspartei, hiermit beginnend, beleuchwn, wie in Baden von der
Regierungspartei „öffentliche Meinung" fabrieirt, resp. wie die wahre
Volksstimmung niederzuhatten versucht wird.
Man. meldet aus Alehingen bei Bretten: Dem hiesigen Bür-
germeister wurde eine Jollyadresse vom Bürgermeister Paravieini in
Bretten zur Empfehlung w. übersendet; allein er legte sie ruhig
Darauf kam Weisung vom Bezirksamt, und als der Bürger-
meister auch darauf hin die Adresse nicht in Bewegung setzte, so
mußte dies Geschäft auf amtliche Anweisung der Gensd'arm
lhun. Dieser soll auch die Bemerkung haben fallen lassen (als of-
siciöses Organ des Hrn. Spangenberger?), wenn Flehingen nicht für
Jolly stimme, besonders wenn feine Gemeindebehörde so störrisch sei,
so würden sie die Eisenbahn (von Bretten nach Eppingen) nicht be-
kommen.
Ferner aus Ladenburg: Die Gensd'armene forschte in den Pri-
vathäusern nach den Unterschriften der Adresse, offenbar um die Leute
einzuschüchtern. Ein schriftlicher Nachweis Seilens der Polizeibehörde,
um diese Art der Hausuchnng vollziehen zu können, wurde nicht vor-
gelegt.
:: Constanzer Zustände.
„Habt Ihr Constanzer den Boten vergessen?" — also fuhr
mich dieser bei der jüngsten Begegnung an. „Mußt wieder gut
Wetter machen, dacht ich, und den „Pfälzern und Taubergründ-
lern — die ich schön grüße — Etwas aus dem Seehasenland
schreiben." — In Constanz dreht sich bekanntlich mehr als irgendwo
im Land Alles um die Schul frage. Die Strohmeier'sche Com-
munaftchule, über Kopf und Hals zur Welt geboren, sollte für
ganz Europa eine Musterschule werden, die Lehrer sollten natür-
lich Musterlehrer, die Schüler lauter Musterkinder sein, denn in
der Seestadt regiert ja ein Muster bürger meister. Wo in
der Welt hat Strohmeier einen zweiten excommunicirten,
ächt confessionslosen Bürgermeister neben sich? In der Biographie
unseres Lieblings wurde, wie manche Freunde behaupten, die schönste
Episode seines Lebens, die Zeit zwischen Knabe und Jüngling, zu
flüchtig behandelt. Strohmeicr hat schon dann und wann in
heilerer Gesellschaft — in allem Ernst — sich als Akrobat pro-
ducirt und hat durch brillant ausgeführte Productionen fick den
Beifall aller Zufeher erworben. Wo hat Herr Max dies gelernt?
Als allseitig „Unwissenschaftlich" gebildeter Staatsbürger soll ihn
m den fünfziger Jahren eine Künstlergefellschaft, die hauptsächlich
:n luftiger Höhe ihre Kunst ausführte, so angezogen haben, daß
er, der Poesie des Lebens gedenkend und der „ewig Grünen" —
den Nomaden sich anschloß. In welchen Weltgegenden und wie
lange man diese Künstlerbahn wandelte, haben die Biographen
bislang nicht genau feststellen können.
Ei welch' literarische Verirrung l Komm' ich von der Schule
auf das Seil. Flugs zurück m die Schule. Sattsam ist bekannt,
paß voriges Jahr 1100 Unterschriften nach Carlsruhe gewandert
und wegen Erhaltung der Klosterschule Zoffingen. Die
Kathmiken von Constanz waren aber nicht so glücklich wie der
liebe Herr Jolly, am Tage der Eingabe auch gleich Antwort zu
erhalten. Der 23. April dieses Jahres sah bereits die Schul-
zimmer des Zoffinger Instituts verödet, die Bänke entferm.

„Und der Wind streicht durch die Hallen,
Wolken ziehen drüber hin."
Die Lehramtscandidatinnen wurden entlassen, die ehrwürdigen
Lehrfrauen empfahlen sich Gott und Mariä. Zwei und dreißig
Eltern und deren Kinder — sie meinten, das Herz müsse ihnen
brechen — wenden sich noch einmal nach Carlsruhe mit oer Bitte,
nicht Gnade, nur Recht walten zu lassen und die Gesetze auch
auf die Katholiken anzuweudeu. Sie warten uno warten —
„was lange währt, wird auch noch gut", denken sie, und „Rom
ist auch nicht in einem Tag erbaut worden."
Wer am 28. Mai Abends 4 Uhr im Refectvrium des Lehr-
instituts Zoffingen war, konnte weinende Frauen sehen, in Ordens-
und in Welikleidern. Doch diesmal waren es nicht Trauerlhränen,
deren so viele im Verlauf eines Jahres in diesen ehrwürdigen
Räumen geflossen — es sind Freudonthränen; denn soeben
ist, gezeichnet „von Seyfried", vom Ministerium d. I. ein Erlaß
erschienen, besagend, daß den Lehrfraueu auch künftig erlaubt sei,
Kinder von 6 bis 14 Jahren in die. Schule zu nehmen. Wie
ein electrischer Schlag durchzuckt diese Nachricht die Stadt. Doch
wie verschieden ist der Eindruck! Bei allen christlichen Eltern und
Kindern himmlische Freude, im Lager der Logmmänner Entsetzen
und Verwirrung. „Das ist ein harter Schlag für uns"
— so hörte man sie sagen. Allerdings, wo ungerechter Zwang
ein wenig aufhört und ein Stückchen Freiheit herausschaut, da fühlt
die Maurerwirthschaft sich geschlagen. Denn ihre Domäne, ihr
Ledenselement ist Lüge, Knechtschaft, Heuchelei und Brutalität unter
schlangenfarbigem Firniß. Die Mädchen hatten kaum die frohe
Botschaft, sie könnten wieder zu ihren geliebten Lehrerinnen zu-
rückkehren, vernommen, als ein großer Theil, natürlich mit Zu-
stimmung der Eltern, sich zur Aufnahme in Zoffingen meldete.
Doch die Situation ist nun schon etwas anderes wie früher. Da
Zoffingen noch städtische Mädchenschule war, mußte die Stadt jähr-
lich etwa — freilich gegen die jetzigen Ausgaben eine Bagatelle,
— außer Heizungsmaterial gegen 1000 fl. bezahlen. Dies fällt
nun weg, und das Einkommen des Klosters ist so gering, oaß,
wollte man die Lehrfrauen pensioniren, der „Staat" keinen guten
„Schick" machen würde. Während nun ein Kind in der Com-
munalfchule jährlich 4 fl. Schulgeld zahlen muß, sehen sich die
ehrwürdigen Frauen genöthigt, etwas mehr zu verlangen, was
freilich bedauernswürdig ist wegen der Kinder armer Leute. Es
ist zu wünschen, daß hier auf andere Weise tüchtig geholfen wer-
de, damit alle kathol. Ellern und Kmder ihrer Gewissenspflicht
entsprechen können. Die Lehrer der Mädchenmischschule hat es —
wir können's ihnen nicht verdenken, — sehr bekümmert, andern Tags
einzelne Schulbänke leer zu sehen. Auch das können wir ihnen
nicht verdenken, daß sie durch honigsüße Reden die Kinder zum
Dableiben zu bereden suchen, durch Versprechen von Ausflügen,
Dampfschifffahrten u. dgl.
Es wehrt sich eben Jedweder um seine Haut. Hängt doch
jedes Thierlein, das Gott erschaffen hat, an seinem Leben. Ganz
unartige Kinder werden übrigens in Zoffingen nicht mehr ausge-
nommen. Diese müssen in die— Mischschule gehen. Rührende
Scenen von Anhänglichkeit der Kinder an das Zoffinger Lehr-
institut können verzeichnet werden. Eine arme Mutter brachte
ihr Töchterlein mit der Bitte um Aufnahme. Sie erfährt, daß
das Schulgeld ihre Kräfte übersteige. Das Kind weint, fleht und
sagt: „Mutter, ich hab' ja noch em paar Gulden in der Spar-
büchse, und ich will ja gern entbehren und sparen, nur laß mich
 
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