Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1869

DOI Kapitel:
Nr. 38-50 (1. April - 29. April)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43880#0161

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

Erscheint wöchentlich dreimal: Dienstag.
Donnerstag und Samstag.

für Stadt



und Land.

Preis vierteljährlich 40 kr. ohne
Trägerlohn und Postaufschlag.
Jns.-Geb. 2 kr. die Spaltzeile.

siU 41. Donnerstag

Zur Weltlage.
(Demokr. Corresp.)
Belgien zappelt an des mächtigen Nachbars Spieß; es kommt
nicht los. Immer deutlicher geht der napoleonische Plan auf eine
zoüvereinliche Annectiruug. Setzt er die durch neben guten Wah-
len im Innern, so ist anzunehmen, daß der Weltfriede für den
Sommer erhalten bleibt; wenn nicht, so ist Gefahr, daß der Tha-
tendrang in den Tuilerien sich einen andern Ausweg sucht. In-
zwischen ist man in den maßgebenden Kreisen Berlins in einiger
Unruhe. Wir wissen auch weßbalb. Man sucht etwas, was je
länger je schwerer zu finden ist. „Gesucht wird jemand, der sich
noch belügen läßt." Und das hat begreiflicher Weise Schwierig-
keiten. Der „Jemand" muß begreiflicher Weise etwas mehr sein
als ein National-Liberaler; deren hat man genug, und an ihnen
— was hat man? Nein, an dem gesuchten „Jemand" muß man
ordentlich etwas haben, eine Großmacht womöglich, am allerlieb-
sten eine recht mächtige. Und merkwürdig, daß seit 1866 keiner
mehr auf den Leim gehen will, sich betrügen zu lassen von jenen
maßgebenden Kreisen. Augenblicklich scheint nur noch Rußland
nicht ganz ausgelernt zu haben. Der Großfürst Wladimir, sagt
man, hat in Wien versucht, für die Ostmächte thätig zu sein.
Man hat ihn sehr artig, aber sehr kalt empfangen. Man ist sehr
aus seiner Hut gegen alles, was in Großpreußen macht. Wir kön-
nen unsre Mittheilung von neulich, daß alle einflußreichsten Mit-
glieder des kaiserl. Hauses und Hofes entschlossen sind, die Erfah-
rung von 1864/66 nicht zu vergessen noch zu vergeben, zu unserer
großen Genugthuung nur nochmals aufrecht erhalten und bestäti-
gen. Auch Preußen selbst scheint das zu wissen, sonst hätte es
wohl statt der russischen Großfürsten einen eigenen Prinzen gesandt.
Aber für Wien ist die Zeit für immer vorbei. Um so intimer
die Beziehungen zwischen Berlin und Petersburg. Da liegt offen-
bar seit lange eine dauernde Verabredung vor, deren Inhalt (nach
ihren Früchten zu schließen) dahm geht, daß Rußland innerhalb
seiner Grenzen die unbedingte Freiheit hat, zu schalten und zu
walten nach Herzenslust mit allem, was polnisch heißt und was
deutsch heißt. So systematisch wie in den letzten Jahren hat's Ruß-
land in dieser Beziehung noch nie getrieben. Unsere Ostgrenzen
werden gradeso verengt wie die im Westen, und nebenbei, daß Lu-
xemburg, die ehemalige Bundessestung schon jetzt indirekt eine fran-
zösische Festung ist, darüber wird sich allmälich selbst Hr. v. Ben-
nigsen klar sein.
Die Entblößung und Wehrlosigkeit Süddeutschlands seit der
Großthat von 1866, wie sie Arkolay dargestellt hat, ist den Groß-
und Bettelpreußen eine höchst fatale Geschichte; sie haben sofort
eine Broschüre losgelassen, wonach strategisch allerdings Arkolay
nicht Unrecht haben soll, aber taktisch die Sache doch nicht so
schlimm aussehe. Nach der Köln. Ztg. zu schließen, fühlt man in
deren Nähe die Wahrheit der Arkolay'schen Ausführungen recht
tief; das genannte Blatt bezeichnet dieselben als im Allgemeinen
schwer widerleglich. Sollt's meinen.

den 8. April 1869.

:: Constanzer Zustände.
Je nachdem die Leute Brillen aufhaben, beurtheilen sie die
hiesigen Zustände auf die verschiedenartigste Weise. Die Einen
sagen: es stehe vortrefflich, eine wahre Musterstadt — dieses
alte Constanz. Schrreb's doch jüngst Einer in ein Karlsruher
Blatt — wie es scheint ein Herr, der hie und da Diäten in Con-
stanz verdient; da darf man doch auch ein wenig dankbar sein.
Andere schauen nicht durch gefärbte Brillen, sondern durch ge-
wöhnliches Fensterglas ünd finden viel Geschrei und wenig
Wolle. Ob dem „gemeinen Manne", dem eigentlichen Volk mit
dem, wie es jetzt in Constanz getrieben wird, geholfen ist, bezwei-
feln gar Viele, ja sie sehen Berge von Schulden, trotz erhöhter
Steuern, sich aufthürmen. Wie in Paris und Freiburg werden
neue Stadtviertel und Wege angelegt. Wir sind weit entfernt,
einer materiellen Besserung entgegentreten zu wollen; nur glauben
wir, das Pferd werde am Schwanz aufgezäumt. Man spürt bis
jetzt, trotz Anlagen, Thurm- und Stadtmauerniederreißen, keinen
Zuzug fremder Herrschaften und Kapitalisten. Im Gegentheil:
wer es machen kann, zieht überdrüssig der wüsten liberalen Partei-
wirthschaft von dannen. Beweis: ein jünst pensionirter Beamter,
reich und überall gern gelitten, zieht nicht blos aus Constanz,
sondern vom ganzen bad. Reich fort. Ein Rentner, der schon
lang hier gelebt, ging nach Lindau. „Wenn's noch länger so
fort geht", sagte mir jüngst Jemand, der über Hundertausend zu
verfügen hat, „so bleib ich auch nimmer." Das ist denn auch
ein Fortschritt, wenn die besten Kunden fort schreiten.
Vom wüsten Fortschritt waren bis in die letzte Zeit am
wenigsten inficirt die Bewohner der Vorstadt Paradies, die
einen großartigen Gemüfehandel treiben. Sie haben ober wenig
eigenes Feld, sondern pflegen ihre Gemüse meist auf dem Almend-
gut, das sie gepachtet haben. Bekanntlich trat man in neuerer
Zeit mit dem Ansinnen hervor, die Bürger sollten freiwillig auf
den Gemeindenutzen verzichten. Sodann hatte man vor, diese
Felder in großartigem Maßstab zu verpachten, wobei auch Schwei-
zer sich betheiligen dürften. So ein reicher Schweizer als General-
pächter würde dann die Parzellen an die Paradiefer wieder ver-
pachten. Der Rahm aber würde nicht mehr diesen, sondern den
Schweizern zukommen, die gewiß auch sür solche badische Liberali-
tät den ihnen Günstigen sich dankbar zeigen wurden. Das ganze
Project aber läuft, wie es offenes Geheimniß ist, darauf hinaus,
die Paradiefer, welche bei Wahlen und im christlichen Leben bis-
lang sich selbstständig gezeigt haben und sich noch nicht in's schein-
liberale Schlepptau nehmen ließen, zu unselbstständigen Fabrik-
arbeitern zu machen, wie wir es bereits früher angedeutet haben.
Der unabhängige Mittelstand soll verschwinden und ein Sclaven-
thum, gegen welches die frühere Hörigkeit noch ein Herrenleben
war, soll an dessen Stelle treten. Möglich, daß das fortschrittliche
Bestreben durch Einführung von Einwohnern- statt Bürgergemeinden
begünstigt wird.
Ein weiterer Beweis, wie „human" die liberalen Herren mit
der arbeitenden Classe umgehen: bis 1. Januar d. I. mußten

Die Kaiserin Eugeuie.

Das reiche, blonde, ins Röthliche spielende Haar, die engeren Augenkreise,
der Helle, durchsichtige Teint und das in die Länge gezogene Oval des Gesichts
verrathen die Schottländerin, Gang und Haltung dagegen, die Lebhaftigkeit
der Geberden, das Feuer im Blick, der zierliche Fuß, die sinnliche Gewalt im
ganzen Wesen lassen die Südländerin erkennen, und aus diesem Gemisch hat
sich an der Kaiserin ein eigenthümlicher Typus herausgebildet, der auffällt und
anzieht, der Aufmerksamkeit erregt und einnimmt. Die Kaiserin Eugenie ist
Spanierin in dem ganzen Umfange der Bedeutung; sie ist fromm, heftig, auf-
brausend, eifersüchtig, von ungezwungener Art, herablassend, ohne Absicht, d.
h. leicht über die Schranken, welche die Stände trennen, sich hinwegsetzend;
sie geht mit Schranzen und Dienern wie mit ihres Gleichen um, sie scherzt
und lacht mit ihren Arbeiterinnen, mit ihrer Nähterin und Putzmacherin, wie
mit Damen ihres Umgangs. Die Glückliche, welche der Kaiserin die Anzüge
oder wenigstens die meisten Anzüge fertigt, ist eine Frau Moga. Sie gewinnt
200,000 Fr. jährlich, da die ganze höhere ossicielle Damengesellschast und selbst
die Bantiersfrauen, welche auf große Eleganz halten, gegen den guten Ton
zu verstoßen glaubten, wenn sie ein Kleid anzögen, das in einer anderen
Werkstatt als der der Frau Moga die Weihe erhalten. Eines Tages kam Frau
Moga nach St. Cloud, um mit der Kaiserin über die „Staatsangelegenheit",

welche derselben als die wichtigste gilt, zu sprechen. Die Fürstin erging sich
im Park, und einer der Aufwärter des Palastes zeigte aus Versehen dem Kai-
ser an, daß ihn Frau Moga zu sprechen wünsche. Der Kaiser, galant wie er
ist, ging ohne weitere Umstände, die Angekommene zu empfangen, und er
knüpfte eben mit der Kleidermacherin ein Gespräch an, als die Fürstin vom
Spazierweg zurückkehrte. „Wie, Madame Moga," ries diese unter Lachen,
„Sie benutzten meine Abwesenheit, um den Kaiser zn verführen!" Der Kai-
ser lächelte, und die Nähterin , weit entfernt in Verlegenheit zu kommen, fühlte
sich durch den Scherz geschmeichelt und rühmte sich desselben nachher zu Freun-
den und Bekannten wie emer hohen Auszeichnung. — Madame Ode, die Putz-
macherin, Rue de la Paix, welche wegen ihres Geschmacks und zum Theil
auch wegen ihrer guten Art zu sprechen und sich zu benehmen der Kaiserin an-
genehm ist, war noch glücklicher als Madame Moga. Sie kam eines Tages
ebenfalls nach St. Cloud, als der Kaiser und die Kaiserin auf der Terrasse
sich befanden; sie näherte sich, und die Kaiserin in einer Anwandlung heiterer
Laune rief: „Louis, küssen Sie poch Madame Ode." „Mit Vergnügen", er-
wiederte der Beherrscher der Franzosen, nahm den Hut ab, ging aus die Putz-
macherin zu und pflanzte einen Kuß auf ihre Wange. Es ist zu bemerken,
daß Frau Ode äußerlich von der Natur sehr vernachlässigt ist, und daß dem
Scherze der Kaiserin ein wenig Bosheit zu Grunde lag.
(Schluß folgt.)
 
Annotationen