Donnerstag den 4. Februar
1869.
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* Der Recurs an das Großh. Staatsmini-
sterium wegen Aufhebung des Vereines katholischer
Jungfrauen auf dem Lindenberg.
(Fortsetzung.)
Es ist aber unrichtig, fährt die Recursschrift fort, daß der
Verein den Character eines religiösen Ordens im gesetzli-
chen Sinne jemals gehabt und angenommen habe.
Ein religiöser Orden, oräo religiosus, vera religio, ist
nur derjenige, welcher als solcher die päpstliche Bestätigung
erlangt hat und sich von allen andern ähnlichen Instituten dadurch
unterscheidet:
1) Daß die Niederlassung nothwendig eine Corporation ist,
eine juristische Persönlichkeit ist, in welcher die physische Per-
sönlichkeit der Mitglieder derart verschwindet, daß sie bürger-
lich todt sind, daß sie kein Vermögen besitzen, erben oder
erwerben, weder unter Lebenden noch aus den Todsall Ver-
fügungen treffen können.
2) Daß nur die in einem derartigen Institute dem päpstlich be-
stätigten Ordensobern abgelegten Gelübde feierliche, auf
immer bindende, vom Lolöwnim sind und heißen, welche nur
oer Papst in seltenen Ausnahmsfällen lösen kann und von
denen das votura EtitÄti« ein trennendes Ehehinderniß ist.
3) Daß bei weiblichen Orden die kanonische Clausur unerläßlich
ist, wornach keine Nonne ohne gesetzliche Ursache und bischöf-
licher Erlaubniß das Kloster verlassen, Niemand ohne schrift-
liche Autorisation des Bischofs oder Superiors dasselbe be-
treten darf und den Letzteren selbst der Eintritt nur zu amt-
lichen Functionen gestattet ist.
Alle anderen religiösen Vereme sind entweder Congregationen
oder nur Bruderschaften.
Der hier in Frage stehende Verein ist nur eine einfache
Bruderschaft, und es wird der Nachweis nicht schwer fallen,
daß alles was in dem Ministerialerlaß angeführt wird, um den
Verein als religiösen Orden zu bezeichnens auf Jrrthum oder
Mißverständniß beruht.
I. Es ist allerdings wahr, daß die Mitglieder — Schwestern
nicht Frauen — im Allgemeinen die päpstlich gebilligte Regel des
dritten Ordens das hl. Franciscus zur Richtschnur nehmen. Dieser
s. g. dritte Orden ist für Laien bestimmt, welche, ohne ihre
Stellung in der Welt oder Beruf aufzugeben, sich den dssfallsigen
Verpflichtungen unterwerfen wollen.
„Auch bildete sich auf Betrieb des Franciscus noch eine
Bruderschaft, deren Mitglieder in der Welt zurückblieben,
llsrtias oräo Ü6 poerntkQtis,, lertinrii seit 1221."
Alzog. Kirchengeschichte Bd. II, S. 94. 8. Aufl.
Für ehelose Mitglieder dieser Bruderschaft und welche zugleich
in Gemeinschaft leben wollten, gibt das päpstliche Breve von 1521
eine Anleitung. Gerade der Inhalt dieser Regel, von welcher die
Schwestern eine schlechte Untersetzung haben, beweist unwiderleg
bar, daß von einem religiösen Orden oder Frauenkloster
gar nicht die Rede sein kann.
Cap. I. handelt von den Aufnahmsbedingungen: katholischer
Glaube, unbescholtener Wandel, Zurückerstattung ungerechten Gutes;
Cap. 2. von der Aufnabme: sie versprechen Gottes Gebote zu hal-
ten, Uebertretungen zu büßen und in Gehorsam, ohne Eiqenthum
und in Keuschheit zu leben.
3. regelt die Abstinenz und Fasttage: die von Ostern
ms Herbst schwere Arbeit verrichten, mögen dreimal im Tage spei-
sen; Cap. 4. regelt die gemeinsamen Gebete und Andachtsübun-
gen: sie sollen in der Kirche das Stillschweigen halten, dreimal
rm Jahre beichten und communiciren.
r. 5. soll die Bruderschaft einen gewählten Vor¬
stand haben, der bei Männern „Diener des Ortes", bei Frauen
aber „Mutter" heißt.
Ganz characteristisch sind die Bestimmungen des Cap. 6. „von
dem innerlichen und äußerlichen Wandel." „Die Brüder und
Schwestern dieser Bruderschaft, die Büßer genannt", sollen ein-
fache sch .-ucklose Kleider tragen (also kein bestimmtes Ordensgewand),
nicht gehen an die Höfe der Fürsten, zu vornehmen Herrn und
Frauen, nicht anwohnen Tänzen und Schauspielen und anderen
leichtfertigen Darstellungen; sie sollen in Wort und Rede kurz sein,
weil selten ohne Sünde viel geredet wird, nicht lügen und nicht
schwören.
Cap. 7. empfiehlt die sorgfältige Verpflegung eines kranken
Mitglieds dieser Bruderschaft.
Cap. 8. „wie von den Prälaten die Brüder oder Schwestern
sollen visitirt werden," so wie dasjenige, was in Cap. 5 vom
Provmcialobersten u.'s. w. gesagt ist, findet hier keinerlei An-
wendung; denn der fragliche Verein stehl mit keinem anderen in
Verbindung und unterliegt keinerlei kirchlicher Regierung. Er ist
dergestalt lediglich ein auf sich beschränkter Prioatverein, daß nicht
einmal das Ordinariat officielle Kenntniß von ihm hat.
Cap. 9. ordnet das Begräbniß und Vas Gebet für die Ab-
gestorbenen.
In Cap. 10. endlich ist erklärt, daß alle Vorschrifren nur
Räthe seien, deren Umerlassung an sich nicht zur Sünde werde;
jeooch sind die Bruder und Schwestern verpflichtet:
„zu denen drei wesentlichen Gelübden, als zu der Armuth,
daß sie nichts haben besonders; zu der Keuschheit, denn nach
geschehenem Gelübd können sie sich nicht mehr verheirathen
noch ohne Uebertretung fle schlichen Lastern vermischen; zu
der Gehorsame als Vil. betrifft diejenigen Sachen, ohne
welche diese Versammlung nicht mag füglich handgehabt
werden."
II. Es ist nun ferner wahr, daß bei der Aufnahme in die
Bruderschaft die Schwestern diese Gelübde ablegen.
Allein diese Gelübde sind keine feierliche und ewig bindende,
sondern einfache vota siruplieia, wie schon im Cap. 10 der Regel
angeoeutet ist und wie solche in allen religiösen Frauengenoffen-
schaften der Neuzeit abgelegt werden.
Die Schwestern sind lediglich in ihrem Gewissen daran ge-
bunden ; sie können nach Belieben aus dem Verein treten und mit
dem Austritt zerfallen die Gelübde oer Armuth und des Gehor-
sams von selbst, weil sie nur mit Rücksicht auf den Vereinsbe-
stand abgelegt werden und auch nur in der Gemeinschaft ausge-
übt und beobachtet werden können.
Das Gelübde der Keuschheit kann allerdings auch außer der
Gemeinschaft bewahrt werden und um ihr Gewissen nicht zu be-
lasten, müßte die Ausgetretene, welche sich verehelichen wollte, die
bischöfliche Dispensation nachsuchen; selbst aber dann, wenn
sie dieses unterläßt, würde kein trennendes Ehehinderniß
vorliegen.
Schulte, kath. Eherecht H. 29 und 30;
Knopp „ „ 18,
woselbst auch der Unterschied zwischen votum sol«m»v und
Simplex ausführlich abgehandelt ist.
Vergl. Regulativ von 1811.
Allein zu jeglicher Wirkung eines Gelübdes, außer derjenigen,
welche der Gelobende ihm selbst beilegt, ist nothwendig, daß der
Eintritt in einen religiösen Verein mit bischöflicher Genehmigung
geschehen sei. An dieser Voraussetzung fehlt es hier. Die Ge-
lübde, welche die Schwestern auf dem Lindenberg ablegten, sind
daher lediglich Privat fache und gehören vor kein äußeres
Forum.
Was den zugesagten Gehorsam anlangt , so ergibt sich das
Nöthige schon aus der Regel selbst, es ist der Gehorsam, ohne
welchen eine Versammlung nicht füglich bestehen kann. Die
persönliche Armuth der Religiösen kann — abgesehen von den
Bettelorden — nur bestehen mit dem genügenden Aus-
kommen der Corporation. Hier, wie überhaupt mehr oder
minder bei allen nicht klösterlichen Frauengenossenschaften unserer
Zeit, hat sie einen andern Sinn und besteht in der Regel nur
darin, daß das Mitglied auf den persönlichen Genuß und die eigene
Verwendung seines Vermögens zu Gunsten der Gesellschaft zeit-
weise verzichtet. Die Mitglieder des Lindenberger Vereins sind
eigenthumsberechtigt, erb- und erwerbfähig, haben volle Testirfrei-
heit und können beim Austritt das Eingebrachte zurückfordern.
So sind auch die Liegenschaften unbestritten das Eigenthum Ein-
zelner, nicht aber des Vereins. Die Lindenberger Schwestern haben
nie aufgehört selbstständige Rechtssubjecte zu sein.