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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1869

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Nr. 38-50 (1. April - 29. April)
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für Stadt

Dimstag den 20. April

186«.

F

M 46.

Erscheint wöchentlich dreimal: Dienstag.
Donnerstag und Samstag.

Preis virrteijährlich 40 ?r. vhne
Md -M0. WZ"2



Der Friede.
Es ist eme stehende Redensart der nationalliberalen Phrasen-
helden, daß die großdeutsche Partei zum Kriege Hetze. Unbedacht-
same oder Verdrehte Aeußerungen in Wort und Schrift muffen
hiezu den Stoff liefern.
Untersuchen wir daher in aller Ruhe die Frage, ob die Groß-
deut sch en Ursache haben, den Krieg herbeizuwünschen.
Wir nehmen uns die Erlaubmß, Vie freilich von gegnerischer
Seite nicht gewährt wird, uns noch eine Dosis Patriotismus bri-
zulegen und müssen in dieser Beziehung aus innerstem Herzen das
unabsehbare Unglück beklagen, welches nicht allein für die Gegen-
wart, sondern aus eine lange Reihe von Jahren hin aus einem
abermaligen Bruderkrieg (denn darüber ist man doch wohl einig,
daß die Deutsch-Oesterreicher und auch die Bayern und Württem-
berger an der Seite von Preußen nicht fechten werden) entstehen
muß. Mag eiu solcher Krieg ausfallen, wie er will, so wird das
Hei! des Gesammtvaterlandes trotz der höchsten Opfer nicht erreicht
werden. Der siegreiche Cäsarismus wird weder von der Spree,
noch von der Seine das Volkswohl in's Auge fasten.
Doch hinweg mit der Gefühlspolüik, die ja nach Versicherung
der Nationalliberalen seit Kömggrätz ein abgestandener Artikel in
Deutschland sein soll. Treiben wir Realpolitik.
Wer möchte nun sein Auge und Ohr der Thalsache verschlie-
ßen, daß, je weiter die Zeit oes Juli 1866 hinter uns Zu liegen
kommt, das preußische Prestige in ein Nebelbild sich auflöst, daß
dagegen die Anschauungen der großdeutschen Partei immer größeren
Anklang im Volke finden. Wozu also eiu Krieg, wenn auf fried-
lichem Wege die moralischen Eroberungen sicherer und
ehrenvoller zum Ziele führen? Begründen wir diese Ansicht.
Wir geben zu, die Erfolge der preuß. Waffen vor beinahe
3 Jähren waren so ungeheuere, daß sie nothwendigerweise die
stärkste Pression auf die öffcnlL. Meinung ausüben mußten. Wie
nach einem verheerenden Orkan der Mensch an feinen Kräften
zum Wiederaufbau des Zerstörten verzweifelt und sich einem ver-
zeihlichen Pessimismus hingidt, so hatten oie wunderbaren Siege
der Preußen die Thatkraft gelähmt, den freien Blick getrübt.
Hatte doch die Bevölkerung in Baden nach Bewältigung der Re-
VOlution von 1849 etwas Aehuliches gezeigt, indem sie sich dem
Zweifel an der Lebensfähigkeit des Staates hingab. Doch die
Zeit ist em großer Lehrmeister, sie tritt der Entmuthigung ent-
gegen, regt an zu neuer Lebenskraft und fördert das Naturge-
mäße zu Tage. Und wer wollte da leugnen, daß die im Prager
Frieden geschaffene Lage das Unnatürlichste war, was je durch
Waffengewalt geschaffen wurde! Wenn sm Werk, das nur einer
Bluttaufe entsprossen ist, auf einen Fortgang rechnen soll, so be-
oarf es anderer Mittel zur Versöhnung, Beruhigung und zum
Wiederaufbau, als Militär- und Steuerdruck; es bedarf anderer
Ideen, als solche der fadenscheinigen, auf rohe Naturgewalt ge-
stützten Einheit von Kleindeutschland unter Aegide von Schulmeister-
perrücken und Fortschrittsphilistern; es bedarf eines höheren Zie-
les, wozu nur die Begeisterung und die Vaterlandsliebe ausreichen
des germanischen Zieles der Einheit in der Mannig-
faltigkeit, der Freiheit in allen Verhältnissen des
Staates, der Kirche, der Gemeinden und der Indi-
viduen. Mit Anstrebung dieses Zieles wird der Eroberungs-
politik entsagt und einer kriegerischen Verwickelung mit dem Aus-
land vorgebeugt. Das ist die Mission Deutschlands, daß es im
Herzen Europa's liegend keiner agresfiven Politik huldigend jeglichen
großen Zusammenstoß zu hindern vermag. Darf die Politik von
Blut und Eisen es nur wagen, den Kampf mit der höheren sitt-
lichen Weltordnung noch länger fortzusetzen? Wie weit sie damit
kommen wird, zeigt die kurze Geschichte seit dem Sommer 1866.
Bismarck hat mit seinen Erfolgen in Preußen allerdings
vre^ erreicht: er hat den Conflict der Regierung mit den Ständen
beseitigt, er hat ein strammes Regimen! wiederhergeftellt, er hat
der angebornen preußischen Eitelkeit und Ueberhebung wesentliche
Dienste geleistet. Aber die sottde Basis des Neubaues fehlt, und
scyou^ sticht man die Mauern wanken. Wie ein frecher Spieler
mit seinem nur einen kurzen Augenblick die Ausmerk-
mmkLlt der Menge fesselt, so wird ihm doch bald die Theünahms
mstkert oder das Gelachter zu Theil, wenn er den hohen Einsatz

nicht mehr fortsetzr oder gar zum meversten Point herabfinkt. Die
Kritik ist für solches Gelichter die schärfste Waffe. Sie har für
Bismarck begonnen und ihre Ueberlegenheit bereits offenbart. Der
norddeutsche Bund ist eine Zwittergebmt, kein Einheitsstaat, kein
Staatenbund und sein Schöpfer geizt nichts weniger wie nach der
Ehre, ihn in die eine oder die andere Bahn einzulenken, denn wie
es ihm gerade in Len Kram paßt, gefällt er sich heute in oer Rolle
des Centralisten, morgen in jener des Föderalisten. Woher soll
aber bei solchem Schwanken das nöthige Vertrauen in den Bestand
des neuen Verfassungswerkes kommen? Und ums ist gar aus
der „Krönung des Gebäudes" geworden?
Wenn ein Staatsmann die Geschicke einer Nation in einer
Weise zu leiten beabsichtigt, daß er bei den Nachkommen noch als
ein Heros gelten soll, so muß er vor Allem drauf bedacht fein,
die Grundsätze der Sittlichkeit, der ächten Freiheit und der Ge-
setzestreue feinen Maßnahmen zu Grunde zu legen und mit allen
gesunden, tüchtigen Elementen der bürgerlichen Gesellschaft sich zur
Realisirung seiner Ideen zu verbinden. Wie weit entfernt hievon
ist aber der Mann mir der Devise: „Gewalt geht vor Recht",
wie morsch ist seine Stütze auf zufällige, mit allem möglichen
Köder angelockte Majoritäten, während die Grundpfeiler eines
Staates, eine kerngesunde Demokratie und eine ebenso gesunde con-
servative Partei*) ihm verächtlich den Rücken Zeigen. In welchem
Stande des Preußen-Landes herrscht denn keinem,
mit Ausnahme etwa des Offiziers strmdes — wahrlich ein höchst
verdächtiges Symptom!
Und wenn es sich nun zeigt, daß diese Unzufriedenheit ^täg-
lich weitere Dimensionen mmimmt, Laß der Nordbund ebenso sicher
seinem Verfalle entgegeugeht, wie 5er einstige Fürstenound —
sollte da die großdeutsche Partei so unklug sein, um durch einen
heraufbefchworenen Krieg abermals die in Preußen uns im übrigen
Norddeuischland gahrende, für sie mächtig wirkende Bewegung zu
Gunsten eines auf die Länge unhaltbaren Süstems zu verändern?
Denn unverkennbar ist auch das Streben der norddeut-
schen Bundesgenossen, besonders der Sachsen, Braunschwei-
ger, Mecklenburger und Hamburger aus ser eisernen Umarmung
des Militär- und Junkerstaates baldmöglichst hsrauszukommen.
Man erkennt dies aus dem anfänglich gelinden, aber nun verstärk-
ten Sträuben des Brmdesraths gegen die Unificirung, aus dem
Widerwillen gegen die Miütärverträge, gegen die Ueberbürdung
mit neuen Steuern, gegen die intime Freundschaft mit Rußland,
gegen die Scheinvertretung im norddeutschen Reichstag, die ihnen
täglich die Thatsache vor Augen führt, daß sie nichts Anderes
sind als Preußen zweiter Klaffe. Also auch hier die steigende Un-
zufriedenheit — warum denn die Fortentwickelung plötzlich durch
einen Krieg sistiren?
Hiezu kommt aber nun vollends die aufgeregte Stimmung in
sämmtlichen anneetirLen Ländern. Jedes Zeitungsblatt
bringt uns hierüber haarsträubende Berichte. Von einer Ver-
söhnung kann keine Rede sein trotz honigsüßer Redensarten, trotz
Gnadengeschenken und Provinzialfonds — das System kann u.
darf seinen Ursprung nicht verleugnen und ohne dies muß die
Aufregung nur noch immer wachsen. Welche Waffe wäre in die
Hände eines Napoleon gelegt, wenn er als demokratischer Impera-
tor die Forderung einer Volksabstimmung in den aunectirten Län-
dern erheben würde?
Sv geben denn die Zustände jenseits oes Mains den Groß-
deutschen wahrlich keinen Anlaß, einen Krieg herbeizuwünschen;
vielmehr dürfen sie der allmächtigen VernunftstiMme, dem Drange
nach geordneten und gesicherten Verhältniffeu, ohne die kein Han-
del und Wandel erblühen kann, getrost die Gestaltung der Zu-
kunft überlasten. Die Frucht ML vom Baum von selbst, wenn
sie reif ist.
Daß in Süddeutschland eine besondere Vorliebe für den
Krieg bestehen sollte, wird jeder Einsichtsvolle bestreiten, da es in
relativ günstigeren Verhältnissen sich befindet, als die rechtsmainischen
Staaten, um länger als letztere das vorhandene Uebergangsstadium
für Deutschland ertragen Zu können und da zudem seine expo-
nirte Lage zwischen Frankreich und Oesterreich im Falle eines
Krieges unsägliches Elend verbreiten wird. Gelüste nach Rhein--
Vergl. Deutschlands Errettung durch Oesterreichs Erhebung und Preu-
ßens Buße von M. u. Wittenburg (Leipzig 1868).
 
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