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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1869

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Nr. 89-101 (3. August - 31. August)
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/r» Preis vierteljährlich 40 kr. ohne
Milli Trägerlohn und Postausschlag.
LLNV J^.,Geb. 2 kr. die Svaltzells.

1869.

Dienstag den 24. August

Erscheint wöchentlich dreimal: Dienstag.
Donnerstag und Samstag.

für

der

Das Treiben des Protestantenvereins.
v.
L Aus der Pfalz, im August. Woher stammt dieser in
grimmige Haß des Protestantenvereins gegen die kathol. Kirche,
warum ruft diese Sekte, wie wir kürzlich aus einer Broschüre
Blunpchli's nachqewiesen haben, den Staat zum Vernichtungskampf
gegen die Katholiken auf? Warum verbündet sich die Sekte mit
allen unsaubern und abgestandenen Katholiken, um diese zum offe-
nen Kampfe gegen ihre Kirche vorwärts zu treiben? Wir glauben
diese Thalsachen aus zwei Ursachen erklären zu können: einmal
aus der religiösen Haltlosigkeit und Nullität der Sekte, sodann
aus dem Bestreben sich durch den bis in's Ungeheuerlichste zur
Schau getragenen Haß gegen die kathol. Kirche noch als Ange-
hörige des ächten landeskrrchlichen Protestantismus auszuweisen u.
angenehm zu machen.
Der Protestanienverein verdankt seine Entstehung einer Charak-
terlosigkeit, einer Servilität, einem Buhlen um Menschengunst,
einer Heuchelei, wie sie auf religiösem und kirchlichem Gebiete noch
niemals dagewesen sind. Mit einer Offenheit, die an Cynismus
gränzt, gestehen die Führer der Partei ein: unser protestantisches
Volk will von der Religion, wie sie in unsern Katechismen, bib-
lischen Geschichten, Gesangbüchern und von unsern Predigern ge-
lehrt wird, nichts mehr wissen, besonders die Gebildeten; unsere
Lerchen stehen leer und verödet, das protestantische Christenthum
in seiner bisherigen Gestalt ist abgethan, es mußte eine andere
Form gefunden werden, um das Christenthum für die protestanti-
sche und moderne Welt einigermaßen schmackhaft zu machen, und
das bewerkstelligen wir, indem wir „das Christenthum in
Einklang bringen mit der Culturentwickelung unse-
rer Zeit." In verständliches Deutsch übersetzt heißt das mit
andern Worten also: die Heidelberger und ihre geistesverwandte
Sippe im Protestantismus hatte längst allen christlichen Glauben
verloren; aber nichts glauben und dennoch äußerlich thun müssen,
als glaube man, vielleicht gar lehren sollen, worüber man inner-
lich lacht, sich auf Symbole zu verpflichten, die man zusammt der
Bibel als veraltete Dinge ansieht, das wird auf die Länge uner-
träglich und unmöglich. Jedoch sich öffentlich als Unchristen zu
erklären wäre vorläufig in mancher Beziehung eine bedenkliche
Sache; denn ein großer Theil des dummen Volkes macht noch
Ernst mit dem Christenthum, wie es seither existirte, weßhalb die
aufgeklärten Herrn, wenn sie offen Farbe bekennten d. h. daß sie
ebenso wenig an einen persönlichen Gott als an einen ditto Teu
fel glaubten, leicht Gefahr laufen könnten, ihre Geheime- und
Kirchenraths-, Professor- und Pfarrstellen und sonstige Nutznießun-
gen aus christlichen Säckeln zu verlieren. Geheimerath Bluntfchli
hat ja in Zürch vor einigen Jahrzehnten gesehen, wie das christ-
liche Volk mit dem Freidenker Strauß experimentirte, und doch
war der Mann um ein gutes Theil hinter unsern heutigen Prote
stantenvereinlern zurück. Um Schaden zu verhüten, dabei aber
dennoch thun und leben zu können was und wie man wolle, und
obendrern noch als hoch erleuchteter Christ den Zulauf und die
Gunst der modernen Lebemenschen zu erhaschen, wurde das merk-
würdige Experiment vorgenommen, ein Christenthum ohne christ-
lichen Inhalt zu etabliren, den Unglauben in christlichem Gewände,
ein leibhaftiger luous a non luoenäo, das wahrhaftige Lrchten-
bergische Messer, dem die Klrnge fehlt und das Heft verloren ge
gangen ist, eine äußerlich aufgeputzte Marionette, die immer mit
Kleie und Häcksel gefüttert, oder mit Wind aufgeblasen ist. Man
höre die Dogmatrk der Sekte und ihre Moral:
Von Gott kann man nichts Gewisses rmssen; Gott existirt
eigentlich nur im Genüssen des Menschen, in seinem Selbstbewußt-
fern ; was sich der Mensch von Gott denkt und einbildet, das ist
Gott, nicht mehr und nicht weniger; somit also ist Gott ein Ge-
milchte des Menschen, während man bisher im Christenthum die

Katholische Bolkspartei.
Eine weitere Adresse an S. Kgl. Hoh. den Großherzog mit
dringenden Bitte um Kammerauflösung ist abgegangen:
Von Muggensturm von 100 Staatsbürgern.
Uebertrag von letzter Nummer 69,202 „
Uebertrag: 69,302 Staatsbürger.

Sache als umgekehrt geschehen geglaubt hatte. Welch ein Quodli-
bet von Göttern sich auf diesem Wege ans „dem Menschenkehricht"
herausschafft, um mit Heine zu reden, wissen eben nur diese Götter
selber, und wie kannibalisch wohl sich's mit einem solchen Götter-
thum leben läßt, hat schon Altmeister Göthe gewußt und ergötzlich
dargestellt.
Als kürzlich im badischen Predigerverein zu Karlsruhe —
1. Juni d. I. — der inwendige angeborne Gott als „unerschütter-
liche Thatfache und als festes Fundament der Religion" procla-
mirt wurde, wagte es Hosprediger Doll von da zu bemerken: mit
dem inwendigen Gott könne es doch nicht richtig sein, sintemalen
durch die Erfahrung bewiesen sei, daß die m ei st e n Me n sch e n
gar kein Gottesbewußsei n in ihrem Innersten hät-
ten; die meisten Menschen seien ja Polytheisten (Vielgötterer); er
meine, das rechte Gottesbewußtsein sei dem Menschen erst von
Oben mitgetheilt worden" (füod. Protest. Kirchenbl., Nr. 27.) —
Der Mann wurde einer Widerlegung nicht gewürdigt; die Ver-
sammelten mögen mitleidig gelächelt haben über die veraltete
Dogmatik und den beschränkten Horizont des Herrn Hofpredigers,
der gar nicht einsehen wollte, daß die neue Culturreligion gerade
im Polytheismus ihre Schönheit und Vielseitigkeit auspräge; viel-
leicht wurde der Hofprediger als ein Knak II. bedauert, der noch
an ein feststehendes Oben glaube, während es doch in der neuen
Culturreligion kein Unten gibt, ein Oben also schon deswegen
unmöglich ist, da jeder Satz doch seinen Gegensatz haben muß.
Außer dem naturwüchsigen Gott im eigenen Innern und dessen
Correlat: soviel Menschen, soviel Götter, brauchen die Mitglieder
des Protestantenvereins nichts zu glauben. Sollten sie aber am
Glauben Vergnügen haben, so können sie glauben, was sie wollen,
z. B. von der Bibel, von Christus, von Religion, von Kirche und
dergleichen schönen Sachen mehr. Mitglieder des Vereins sind alle,
wenn sie auch nicht ihren Beitritt ausdrücklich erklärt haben, die
sich selber anbeten und außer den Dictaten des inwendigen Auto-
kraten kein anderes Gesetz anerkennen, als das durch äußere Qual
oder Nothwendigkcit aufgedrungen wird. Die individuellen Götter
bilden in ihrer Gesammtvereinigung den Collectivgott, und dies
ist der Protestantenverein, der hinwiederum aus seinem Gölteroor-
rath Neisegötter ausschickt, um die auswärts unbewußt kreisenden
Schwarmgötter in's eigentliche Götterplenum zur Vergottung ein-
zubringen.
Es ist begreiflich, wie süß und einschmeichelnd die neue Reli-
gion, die so lustig mit dem Strome schwimmt, den Culturinhabern
des modernen Bewußtseins sich darstellen mußte. Rief man ihnen
doch zu: kommt ihr nicht mehr zu uns, so kommen wir zu euch;
wollt ihr nichts mehr von Religion und Christenthum wissen,
wohlan wir geben euch beide preis; wir machen euch eine Religion,
wie sie euch gefällt und ihr sie brauchen könnt, wir vergöttlichen
euch die gesunde Sinnlichkeit und was sonst noch Menschliches pas-
siren kann — nur thut uns den Gefallen euch noch Christen zu
nennen; unter dieser Fahne segeln wir frei und fröhlich neben
Orthodoxen, Pietisten, Pantheisten, Materialisten und Naturalisten
in der Arche, Protestantismus geheißen. Als Alliirte ziehen mit
uns zu Schutz und Trutz vereint die Freunde von langher, die
Meister und Gesellen mit Hammer und Kelle zum Zerschlagen und
Einsargen des alten Nazaräerthums und zum Ausbau des gewalti-
gen Weltentempels ohne Dach und Fach, ohne Fundament und
Dpitze, wo „dem großen Weltenbaumeffter", dem „Urgeiste" von
seines Gleichen Hymnen ertönen.
Das ist der Protestantenverein, ein Verein angeblich für
Christen ohne eine einzige christliche Wahrheit, ohne daß ein ein-
ziger christlicher Gedanke die Mitglieder vereinigte, oder wie eine
kürzlich erschienene geistreiche Broschüre sagt: „der Protestanten-
verein mit seinen Projecten einer Volkskirche ist eine Ausdehnung
der Loge in's christlich protestantische Volk; eine Vorhalle für jene,
deren Fußbekleidung zu schmutzig ist, um in die geweihten Räume
der Logen einzutreten; er ist der mit dem Scheine der christlichen
Kirche zugedcckte, unter ihm versteckte Versuch, das gläubige prote-
stantische Volk unter die Hand der Loge zu bringen. Daher stehen
auch Logenbrüder überall an der Spitze der Bewegung zur Grün-
dung der neuen Volkskirche."
Der im Freimaurerthum stets vorhandene, nun aber im Prote-
stantenverein zum offenen Kampfe ausgetretene und die Massen
 
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