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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1869

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Nr. 38-50 (1. April - 29. April)
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Erscheint wöchentlich dreimal: Dienstag.
Donnerstag und Samstag.

für Stadt



und Land.

Preis vierteljährlich 40 kr. ohne
Trägerlohn und Postaufschlag.
Jns.-Geb. 2 kr. die Spaltzeile.

44. Donnerstag

Sonst und Jetzt.
(Sächsische Zeitung.)
8p6s M6L in veo.
Als dem Grafen Bismarck eines Tages gejagt wurde, daß er
1848—1849 sich zu anderen Grundsätzen über Deutschland und
den Bund bekannt habe als in der Gegenwart, äußerte sich der-
selbe ohngefähr dahin, „er habe damals noch an ven frommen
Gefühlen „gelitten", die man so aus dem Vaterhause mit in die
Welt hinaus trage."
Zu der Zeit, wo der Graf Bismarck das Vaterhaus verließ,
war bis in die kleinste Hütte, von Deutschen bewohnt, ein Gefühl
vorherrschend — im gewöhnlichen Leben Vaterlandsgefühl genannt,
welches dahin verstanden wurde, daß jeder vor Augen kommende
An- und Eingriff gegen uns in deutschen Interessen gemeinsam
abzuwehren sei, — gleichviel wo er gewagt werden sollte. Jede
Entziehung dieser Pflicht galt für entehrend, jede Begünstigung
oder Unterstützung, durch Neutralität (1805!) oder Alliance, als
Verbrechen schlimmster Art. — Der deutsche Bund war das Sym-
bol für diese Anschauung des Vaterlandsgefühls. Für den Frie-
den im Innern war die Gesammtheit verantwortlich, das Anrufen
fremder Hilfe würde dem Friedensstörer für immer die Achtung
jedes Einzelnen entzogen haben. Mit dem Jahre 1866 hat sich
dies geändert. Die Erfolge des preußischen Heeres haben an Stelle
des Vertrauens auf Verträge, auf Recht und sonstige sittliche Ge
fühle die Ueberzeugung festgewurzelt, daß es dem leitenden Staats-
mann Ernst war als er sagte, „ich alliire mich mit dcm Teufel,
wenn es das Interesse Preußens gilt." — Er alliirte sich wenn
auch nicht mit dem Teufel, für diesmal doch mit einem durch
Verrath und Gewaltthat zusammen gebrachten Staate, Italien
genannt, um — für preußische Interessen innerhalb Deutschland
Fürsten zu depossediren, deutsche Stämme zu berauben, deutsche
Männer zu erschlagen und trat so jenes Gefühl unter die Füße,
in dem seither alle Deutschen einig gewesen waren, Abweisung
fremder Einmischung, Festhalten an Treue, Vertrag und Recht.
Mittelbar und unmittelbar rief die preußische Actionspartei die
Italiener zu Hilfe gegen Oesterreich und um Hannover, Hessen,
Nassau zu annectiren, Sachsen zur Nullität herabzudrücken, Bayern
von Geld zu erleichtern, die Harm- und schutzlose Stadt Frank-
furt a. M. in schmählichster Weise zu mißhandeln. Jndeß nicht
nur „Italien" wurde engagirt, um österreichische Heere abzuziehen,
auch in Biarritz sind Abkommen getroffen worden, nach denen
eventuell Deutschland die Zeche hätte bezahlen müssen und hier
sehen wir uns der Wohnung des Teufels schon etwas näher.
Um aber das Maaß voll zu machen, wurde in Ungarn und so
weit möglich in Böhmen die Revolution in optima forma cultivirt,
Koffuth und Garibaldi wurden benutzt und aus den zur Desertion
verleiteten Ungarn ward eine Legion unter Führung von Klapka
gebildet! Oesterreich ward aus Deutschland verdrängt, deutsche
Provinzen, ja selbst die deutsche Kaiserstadt Wien wurden dem
„Fremden" als Preis für Mithilfe geboten. Das Deutsche in
Oesterreich gab man den Slaven, d:m Magyarenthum Preis!
Trotz solch gänzlicher Lossagung vom Recht Seiten Preußens kann
man sich doch der Frage nicht entschlagen, wie Erfolge eintreten
konnten, die so schwer auf Deutschland, ja auf Europa lasten?!
Noch war der Glaube an Treue und Recht zu stark im deutschen
Volke, als daß die Möglichkeit nur gedacht werden wollte an solch
brudermöderisches Regiment, wie es das Jahr 1866 zu verzeichnen
Schluffe dieses für Deutschland traurigen Jahres
die Gräber der Männer geschändet wurden, welche auf den Schlacht
feldern und in Hospitälern den Tribut der Treue an ihre Fürsten
zahlten, inoem der Sieger als Schutz und Hort der deutschen
Soldaten gefeiert wird — wir und Millionen auf dem ganzen Erd-
kreise zollen jenen Tapferen unsere Achtung, die Geschichte sichert
chnen ein ehrendes Angedenken, ihnen die für Erd und Treue
Blut und Leben willig dahingegeben — selbst der Gegner vermag
anders nicht zu fühlen.
... ^^n Warnungen zum Trotz hielt Oesterreich sein Auge nur
für Italien offen, wo es denn auch zu Land und zu Wasser siegte.
Für Deutschland geschah wenig oder nichts und als alle Zweifel
über den Ernst geschwunden, mit Uebereilung und Pianiosigkeu.
Hier liegt die wesentliche Ursache, daß die preußischen Heerführer
Erfolge hatten, wie sie nach Zett und Raum sich großartiger in

den 15. April 1869.

der Geschichte kaum verzeichnet finden. Im Glauben an Treue,
Ehre und Recht vernachläßigten Bayern, Hannover, Württemberg
selbst die primitivsten Vorsichtsmaßregeln und wurden mehr oder
weniger das Opfer des — es fehlt uns das rechte Wort — Ueber-
falles im eigenen Hause. Sachsens erleuchtetem Minister Beust
waren die Merkmale gegenwärtig, an denen man in der Natur-
geschichte die Raubthiere erkennt und er schloß aus dem übrigen
Weltall auf's Menschengethier. — Materiell war Sachsen allein im
Stande, seiner Bundespflicht zu genügen, zu dem bundesbrüchig-
angefallenen Oesterreich zu stehen. Dank der Weisheit seines Für-
sten, der Thatkraft seines Kriegsministers.
„Selbst der Mindermächtige würde sich entehren, wenn er
unberechtigten Forderungen gegenüber feig zurückweichen wollte",
so die Thronrede im Frühjahr 1866. — Und wo steht nun Deutsch-
land ! Die einzelnen Völkerstämme unterliegen genau so der Borus-
sificirung, wie die Ostseeprovinzen der Russificirung.
An Stelle guter heimischer Gesetze treten königl. preußische
Vorschriften, Verwaltung, Rechtspflege, ja selbst die Kirchen werden
gleich der Armee preußisch uniformirt. Und dabei geht durch ganz
Deutschland ein Erstaunen, wie weit das „Königreich" Preußen
in seiner Gesetzgebung hinter anderen Staaten zurückblieb. Die
Ernüchterung ist so vollständig, daß aller und aller Orten die
früheren Verhältnisse zurückerwünscht werden. Dazu tritt die Un-
gemüthlichkeit weiter und weiter ' gehender Geldforderungen und
für das Gefühl edler Metalle hat auch der Deutsche einen abson-
derlich feinen Sinn.
Das Fürstenthum „von Gottes Gnaden" ist ein Opfer roher
Gewalt geworden, die Träger desselben sind zu den „Reptilien"
geworfen! Das fromme Gefühl aus dem Vaterhause, welches die
Regenten als „Gesalbte des Herrn" betrachten ließ, wurde zum
Stillstehen gebracht. Vom Thron herab stürzte man diese Altäre
um und — alle Throne würden fallen ihrer Stützen beraubt —
wenn keine Sühne nachfolgen, wenn das Recht machtlos am Boden
liegen bleiben sollte.
Siwilia sirailibus! Im Verein mit der Revolution, mit Ita-
lien sammt Garibaldi unter der Aegide des zweimal begnadigten,
erst verbannten dann eingekerkerten Mannes von Straßburg und
Boulogne, unter Zuhilfenahme der destructivsten Aufwiegelungs-
mittel, selbst zum Treubruch im Heere, feierte der Sieger die
Triumphe der Gewalt.
Sollte es den unter die Füße getretenen, zu Sclaveen des
Prätorianerthums herabgewürdigten Volksstämmen zu verargen
sein, wenn sie sich nach Mitteln umsehen gegen Blut und Noth
im eigenen Hause. Sollen die deutschen Stämme von der Spree
aus etner Behandlung unterworfen bleiben wie sie den Polen, den
Bewohnern der Ostseeprovinzen von der Newa aus zu Theil wird?
Das wolle Gott im Himmel verhüten!
Als Napoleon I. 1813 Preußen und Russen am 2. und 22.
Mai geschlagen hatte, trat nicht nur helfend, sondern rettend Oe-
sterreich zur Coalition und heute? Nur mit Oesterreich und seinen,
wenn auch 1866 geschlagenen, tapferen Herren steht Deutschland
unantastbar da. Der norddeutsche Bund, wie er dermalen besteht,
ist einer jetzt vielfach ventilirten Coalition um so weniger gewach-
sen, als an eine innere Zufriedenheit nicht zu denken ist.
Eine Carricatur aus der Stunde, wo Napoleon I. den Bele-
rophon bestieg, zeigt den gestürzten Feldherrn das Haupt einem
Kosaken zugewendet, der ihm ein „Vergißmeinnicht" überreicht. —
Es gibt wohl noch weitere Sieger, die doch nicht jenen Anspruch
des „Feldherrn" machen können; welch'Blümlein und aus welcher
Hand möchte ihnen dereinst bei der Abreise gereicht werden?

:: Constanzer Zustände.
Die Demonstration, welche am 24. Januar anläßlich der
Excommunicaüon Strohmeiers staltgefunden, hat vielfach die öffent-
liche Meinung Betnffs des Charakters der hiesigen Einwohner-
schaft irregeleitet, weil man die hiesigen Zustände entweder gas
nicht kennt, oder nichts im Aug hat als den 24. Januar. Das
ist gerade so viel als wenn Jemand auf den Charakter des Volkes
in Baden einen Schlug machen wollte, weil in der Kammerblos
drei anti p se udol i be r a l e Manner sitzen und in Karlsruhe
ein Mimslelium Jouy lebt.
 
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