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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1869

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Nr. 102-114 (2. September - 30. September)
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Erscheint wöchentlich dreimal: Dienstag,
Donnerstag und Samstag. ? "

Zwanzigste Generalversammlung der katholischen
Vereine Deutschlands.
(Kölnische Volkszeitung.)
(Schluß der Rede des Mr. Stein von Lötn.)
Nun, m. H., lassen Sie mich die im Eingangs meines Vor-
trages aufgeworfene Frage wiederholen: Worin liegt der Grund
der auffallenden Erscheinung, daß die moderne Oper die Gunst des
Publikums in einem so hohen Grade erworben, und daß sie nicht
allein die ältern Meisterwerke dieser Gattung, sondern auch alle
Meisterwerke des gesprochenen Drama's aus unsern Theatern in
den Hintergrund gedrängt hat? Wir können diese Frage jetzt beant-
worten, wie ich glaube. Der Grund dieser auffallenden Erschei-
nung liegt darin, daß in der modernen Oper die Kunst in den
Dienst der Sinnlichkeit getreten ist; daß sie alle höhern und ede-
lern Zwecke aus dem Äuge verloren und die Unterhaltung eines
von Genüssen aller Art abgestumpften Publikums, die Befriedigung
der Schaulust, die Huldigung gegen die herrschende Frivolität,
Schmeichelei für die Leidenschaften und Jrrthümer des Zeitalters
und den Mißbrauch mit gangbaren Schlagwörtern sich zur Aufgabe
gestellt hat. Wer daran noch zweifeln wollte, den möchte ich noch
auf eine höchst auffallende Erscheinung Hinweisen, auf die Verbin-
dung des Ballets mit der Oper, welche der herrschende Geschmack
des Publikums jetzt zum Gesetze gemacht hat. Wie kommt das
Ballet in die Oper hinein? Es steht meist mit der Oper weder
in logischem noch in musicalischem Zusammenhang. Es ist ein
ganz fremdes Element, welches sich dort in die musicalisch - drama-
tische Handlung eindrängt, uno welches auftritt mit der unoerhoy
lenen Tendenz, die Sinnlichkeit zu reizen. Die Vernunft muß das
Ballet verachten (Bravo!), das sittliche Gefühl muß es verabscheuen
(Bravo!), die Tonkunst muß es als eine schwere Verirrung bekla-
gen (Bravo!), und dennoch hat die moderne Oper mit diesem fri-
volen Kinde der neuesten Zeit einen Lebensbund geschlossen. Da
tritt die alte bekannte Regel in Geltung: „Sage mir, mit wem
ou umgehst, und ich will dir sagen, wer du bist."
Das Alles wollen sich freilich unsere Opernfreunde nicht sagen
lasten. Solche Ansichten sind ihnen nur der Ausdruck emes von
der modernen Bildung abgewandten und in verrotteten Ideen ver-
kommenen Geistes. Und wenn ein Solcher unglücklicher Weise von
meinen Worten Kenntniß bekommen sollte, wird er gewiß dre Fin-
sterniß meiner ultramontanen Seele schwärzer schildern als die
Farbe meines Rockes. Da soll es lediglich die ästhetische Bildung,
der Kunstsinn, die Begeisterung für die Musik sein, was diese „Kunst-
freunde" zu solchen Opern hinzieht, während diese nämlichen „Kunst-
freunde" für ältere dramatische Tonwerke, du wirkliche Kunstwerke
sind, aber kein pikantes Sujet haben und wenig Futter für die
Sinnlichkeit darbieten, kühl sind bis an's Herz hinan; während
die nämlichen „Kunstfreunde" oft bei den bedeutendsten Meister-
werken der reinen Tonkunst, bei Beethoven'schen oder Mozartffchen
Symphonieen, sich die Kinnbacken fast aus einander gähnen und
bei der bloßen Erwähnung eines Oratoriums von einer Gänsehaut
überlaufen werden. (Bravo.) Und nun m. H., die ernste Frage:
Welche Stellung haben wir als Christen diesen bedenklichen Erschei-
nungen der Gegenwart gegenüber einzunshmen? Ein Kunstrichter
des siebeuzehnten Jahrhunderts — der Mann hieß Wehrenfels —
stellt für das Drama überhaupt folgenden Grundsatz auf: „Schließ-
lrch sollen unsere Schauspiele von der Art sein, daß Plato in sei-
ner Republik sie dulden, Cato mit Vergnügen sie anhören, Vesta-
linnen ohne Verletzung ihrer Schamhaftigkeit sie sehen, und, was
die Hauptsache ist, daß Christen sie anhören und besuchen können."
(Bravo.) Das ist freilich ein sehr altfränkischer Grundsatz, m. H.
Bei unseren meisten Theaterfreunden wird der Grundsatz arges
Kopfschütteln erregen, uno sie werden bei sich denken, der Mann
sei in der Bildung noch sehr weit zurück. (Gelächter.) Indessen
wird doch Keiner es unternehmen, diesen Grundsatz zu widerlegen,
diese Forderungen als unberechtigt nachzuweisen. Sind diese For-
derungen a^er beim Drama überhaupt berechtigt, was wir so lange
annehmen, als uns das Gegentheil nicht bewiesen wird, sollte man
dieselben dann nicht auch bei der Oper geltend machen dürfen?
Unterliegt das gesungene Drama nicht den nämlichen moralischen
und ästhetischen Gesetzen wie das gesprochene Drama?
Wir pflegen an alle Erscheinungen, die im Lebe n an uns

herantreten, einen zweifachen Maßstab anzulegen, den Maßstab
des Gewissens und der Vernunft, sollten wir nicht berechtigt und
verpflichtet sein, diesen Maßstab auch an die Oper anzulegen und
nach dem Ergebnisse einer solchen Prüfung unser Verhalten einzu-
richten? Auch diese Frage, m. H., wird Keiner entschieden zu ver-
neinen wagen. Und doch wird sie bei Vielen Anstoß erregen, denn
es bestehl nun ein Mal bei unsern Opern-Freunden die stillschwei-
gende Übereinkunft, daß man da, wo es sich um die Oper handelt,
vom Gewissen und vom gesunden Menschen-Verstande nicht sprechen
soll. (Gelächter.) Wir aber, m. H., wir dürfen und wollen auf
diesen Maßstab nicht verzichten. Wir würden unsern christlichen
Standpunkt verlassen, wenn wir diesen Maßstab nicht eben so gut
bei der Oper wie bei jeder andern Erscheinung aus dem Gebiete
des Lebens anwenden wollten. (Bravo.) Uno wenn wir diesen
Maßstab nun anwenden, wenn wir ihn anlegen an das Opernwe-
sen unserer Zeit, und das Gemessene mit dem Maß nicht zusam-
menfällt ; wenn Gewissen und Vernunft beiderseits ihre Mißbil-
ligung aussprechen; wenn das Gewissen sein Verdammungsurtheil
aussprechen muß über die offenbare oder verhüllte Frivolität, welche
die Würze der meisten modernen Opern ist, über die Verhöhnung
aller Züchtigkeit und Scham durch das Ballet, über oen Mißbrauch,
der hier mit der Religion getrieben wird, sei es durch eingeflochtene
religiöse Scenen oder durch offene Angriffe aus die Religion; wenn
in den Gedichten, die diesen Compositionen zu Grunde liegen, in
der Art und Weise, wie dort die Scenen in Rücksicht aus den Effect
an einander gereiht und eingerichtet sind, allen Denkgesetzen und
allen Forderungen des gesunden Menschenverstandes Hohn gespro-
chen wird; wenn Vernunft und Gewissen gleichmäßig den Mißbrauch
verdammen müssen, der hier mit der Kunst getrieben wird, rndem
die Kunst zur Magd des Effectes, die Musik zur Sklavin dec Deco-
ration gemacht wird, und wenn sie beiderseits ihr Verdammungs-
urtheil aussprechen müssen über die Verlogenheit, womit man dies
alles für wahre Kunst ausgibt und das Publikum zu überreden
sucht, daß es sich dort nur allein um Kunstgenuß handle, wo es
sich in der That nur um Sinnengenuß handelt; wenn alle diese
schweren Anklagen des modernen Opernwesens leider als begründet
erachtet werden müssen, meine Herren, wie sollen wir uns dann
dieser Erscheinung unserer Tage gegenüber verhalten? Wollen auch
Sie, meine hochverehrten Herren und Damen, gedankenlos mit
dem Strome schwimmen und ihrer Vernunft und ihrem Gewissen
Stillschweigen gebieten, wo man ihnen ein angenehmes Amüsement
in der Oper verspricht? Wollen auch Sie für ihr gutes Geld sich
von der Bühne herab Dinge vorsingen lassen, die sie verabscheuen
würden, wenn man sie Ihnen vorsagen wollte? Wollen Sie
Ihre Heranwachsenden Kinder, Ihre aufblühenden Töchter, welche
Sie daheim in Frömmigkeit, in Sittlichkeit, in christlichem Ernst
und christlicher Zucht zu erziehen bemüht sind, wollen Sie denen
dadurch Vergnügen bereiten, daß Sie sie zu diesen Opern hin-
führen? Sollten diese etwa dort ihre Religion achten lernen, wo
sie die Religion als ein Spielzeug mißbraucht sehen und offenbare
Angriffe auf ihre Religion hören müssen? Sollen dieselben dort
vielleicht Schamhaftigkeit und Züchtigkeit lernen von den Ballet-
tänzerinnen? (Beifall.) Sie haben sich die Antworten auf diese
Fragen schon selbst gegeben. Ich habe nicht nöthig, sie auszu-
sprechen.
Aber wozu nun diese Erörterungen? Was werde ich damit
erzielen? Wird es mir dadurch gelingen, den so zerfahrenen Kunst-
zweig der dramatischen Musik aus der verkehrten Richtung, in welche
er gerathen ist, in eine bessere Bahn zu lenken? Werden die Tau-
sende und abermals Tausende, die ihren höchsten Genuß in der
modernen Oper finden, von meinen Worten Kenntniß nehmen und
denselben Beachtung schenken? Meine Herren, ich bin nicht so ver-
wegen, das zu hoffen. Das aber hoffe ich mit Zuversicht, daß Sie
Alle durch meine Worte sich veranlaßt finden werden, diesen Ge-
genstand von nun an schärfer in's Auge zu fassen und genauer
zu prüfen; daß Sie sich nicht werden bestimmen lassen, durch das
Urtheil der gewöhnlichen Kunstschwätzer und Kunst-Enthusiasten,
sondern daß Sie selbst urtheilen werden, und daß Sie bei Ihrem
Urtheil Ihren christlichen Standpunkt nicht vergessen und verlassen
werden. Und wenn meine Worte nur das erreicht haben, dann
habe ich nicht vergebens zu Ihnen gesprochen. (Stürmischer an-
haltender Beifall.)
 
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