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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1869

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Nr. 38-50 (1. April - 29. April)
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Preis vierteljährlich 40 kr. ohne
IIHiI H Trägerlohn und Postaufschlag.
Jns.-Geb. 2 kr. die Spaltzeile.


Samstag den 3. April 1869.


Zuffüac des mit dem 1. April d. I. rmgetreteiieir 2. Huartais
des Pfälzer Boten, machen mir unsere auswärtigen Abonnenten dar-
auf aufmerksam^ dass bei jedem Auartalmechsel die Bestellung bei den
beir. Postanftatten und Postboten besonders erneuert werden mu^
ohne welche die fernere Zustellung unterbleibt.
Heidelbergs 2. April 1869.
Die Expedition des Pfälzer Boten.
:: Constanzer Zustände.
In der Nähe der Münsterkirche ist ein Haus, vor welchem
dann und wann ein Neugieriger stehen bleibt, um Etwas anzu-
schauen. Und was denn? An der Haussronte, ist in einer Nische
eine Büste angebracht, welche man leicht versucht ist, sür die irgend
eines beliebigen Staatsmannes Zu halten. Fragt man aber einen
Constanzer, so lautet die Antwort: „es ist die Büste We s sen-
ke rgs"; das Haus aber ist Eigenthum der Stadt, worin sich
die derselben geschenkte Bibliothek Wessenberg's befindet. Daß
diese groß ist, versteht sich von selbst. Ein eigener Bibliothekar
mit fixem Gehalt besorgt sie. Die Bibliothek ist natürlich durch-
aus in Wessenberg's Geist gehalten. Um nur ein Beispiel anzu-
führen : es befinden sich in derselben alle Schriften gegen die
Jesuiten, nicht eine aber zu ihrer V erth eid ig ung. Ob ras
nicht großartige Einseitigkeit und beabsichtigten Haß beurkundet?
Nun — Wesser.berg ist nicht mehr unter den Lebenden. Das be-
zeugt die Grabschrift im Münster, die er sich selber gemacht:
„Hier liegt die Leiche des Generalvicars und ehe-
maligen Bi sthumsverwesers I. H. v. Wessen berg."
Jährlich an seinem Jahrestag versammeln sich die hiesigen Frei-
maurer, Ziehen in Procession zum Leichenstein, schauen denselben
einige Minuten, wie von Erstarrung ergriffen, an, und freuen sich
nachher ihrer gelungenen Demonstration. Es heißt freilich: „Vs
wortuis uil niüi bene"; doch meinen Andere: „Vs llwrtuls QÜ llisi
vsrs^, zumal bei einem Mann, der in religiös politischer Beziehung
im Lande Baden eine so hervorragende Rolle gespielt hat. Wer
mit den Absichten und den antikirchlichen Bestrebungen Wessen-
berg's nicht bekannt ist, kann die gegenwärtigen Zustände des ehe-
maligen Seekreises gar nicht verstehen. Die wessenbergischen trüben
Gewässer laufen zum Theil jetzt noch durch Städte und Dörfer
des Oberlandes, gar manche Versumpfungen verdanken ihr Dasein
dem sog. Wessenbergianismus, und der vulgäre Liberalismus
kann sich in diesem am allerbesten sonnen. Wessenbergs
Schöngeisterei ist das Grab des pra ktischen Christen-
thums geworden. Selbst was er noch Nützliches schuf, ist,

wenige Jahre nach seinem Tode, bereits zu Grabe getragen. Be-
kanntlich stiftete er in Constanz ein Rettungshaus für sitt-
lich verwahrloste Mädchen; jedoch glaubte er, allen kirchlichen Ein-
fluß davon fern halten zu müssen. In seinem Testamente bestimmte
er sogar: daß nie den Jesuiten seine Anstalt übergeben wer-
den dürfe. Das aber hat er sich ausbedungen, daß die Anstalt
für kathol. Mädchen sei und unter der Leitung von Frauen
stehen müsse. Einem Vsrwaltungsrath aus staatlichen und städti-
schen Mitgliedern untersteht die Oberleitung. Seit voriges Jahr
hat die Anstalt eine ganz andere Gestalt angenommen. Sie ist
confessionslos geworden, protestantische Mädchen sind bereits
darin ausgenommen, und ein verheir at heter Lehrer ist Haus-
wirth. Als geäußert wurde: das sei ja gegen die Absichten Wessen-
berg's, sollen sich die Maßgebenden ausge^ückt haben: er habe
dieses nicht besser verstanden. Also selbst Wessenberg, der in den
Augen der Maurer nie irren konnte, hat in Dingen, die nicht
zum liberalen Kram passen, gefehlt. Einen weiteren Fortschritt
über Wessenberg's Testament bezeugt folgende Thatsache: es hat
bestimmt, daß seine Bibliothek besonders den hiesigen Studirenden
offen stehen solle. Seit Neujahr ist aber die Bestimmung getroffen
worden, daß diese, gleich anderen Leuten, wollen sie Bücher holen,
jährlich einen Gulden zu bezahlen hätten. Selbst der Protest
des Lehrercollegiums blieb unberücksichtigt. Man sieht: die sog.
Verehrer Wessenbergs achten seinen letzten Willen prächtig! Uns
kommt's freilich wie eine Nemesis vor. — Wessenbergs Portrait
ist auch zu sehen unter den Fresko Malereien am Ratbbaus, ge-
rade gegenüber der berühmten Malerin Ellen rie der. Die
pfiffigen Engländer bringen jeweils heraus: es müsse das ein
geistliches Ehepaar sein. So lieblich sich jctzr diese beiden Bilder
ansehen und ansehen lassen, so unliedltch standen die Träger der-
selben sich in den letzten Lebensjahren gegenüber. Richtig ist, daß
Fräulein Ellenrieder den kunstliedenden Generalvioar, so oft sie
ein Werk vollendet hatte, besuchte und sein Urtheil vernahm. Als
aber anno 1853 der Kirchrnstreit ausbrach, m welchem die fromme
Malerin in ihrem natürlichen Rechtssinn sich auf Seite der Kirche
stellte, öffnete Wessenberg, nachdem er dies erfahren, beim nächsten
Besuch die Thüre, und wies die gute Malerin auf nicht ganz
höfliche Weise aus seinem Haus. Das seitherige gute Einver-
nehmen hatte so sein Ende erreicht. „Was ist das für ein wüster
Lärm: die Kirche zürnt" — schrieb Wessenberg in jenen Tagen.
Von seiner johanneischen Liebe wissen Jene zu erzählen, die ihm
Etwas widersprachen. Da stampfte er auf den Boden und tobte
in einem fort: Teufel, Teufel! — Widerspruch konnte dieser Mann

Aus dem Reiche der Verwesung.
Emer wahren Geschichte nacherzähtt von H. Böhler.

(Fortsetzung.)
Ich ergriff den Schrein und stieß ihn mit aller Gewalt bald gegen die
untere, bald gegen die obere Hälfte der Thüre, daß der Schall der Stöße und
das Klirren der Riegel dumpf in dem Gewölbe widerhallten. Mein Bemühen
war vergeblich! Die Thüre war aus Eichenholz stark zufammengefügt und
widerstand memer geschwächten Kraft. Ich sank erschöpft und muthlos auf
meinen harten Sitz zurück."
V.
„Wie aber die Mythe von dem afrikanischen Riesen erzählt, der im ge-
waltigen Ringen mit Herkules durch jede Berührung mit der Mutter Erde
seine Stärke erneut fühlte, — um vielleicht dadurch treffend zu veranschaulichen,
daß des Menschen Kraft unüberwindlich und unbesieglich sei, so lange sie sich
auf eine feste, unerschütterliche Grundlage stütze — so tauchte bei jedem Ruhe-
punkte, der auf meine heftigen und aufgeregten Anstrengungen folgte, eine
neue, belebende Hoffnung in mir auf.
Die Thüre mit Gewalt zu durchbrechen, hatte ich unmöglich gefunden;
doch war sie stellenweise morsch. Mit irgend einem scharfen Werkzeug hätte ich
diese Stellen durchlöchern, mir dadurch Licht und frische Luft verschaffen und
vielleicht um Hilfe rufen können. Sollte sich denn keines, kein Nagel, kein
Stück Eisen oder Stahl finden lassen ? Mit Wehmuth dachte ich an das starke,
scharfe Dolchmesser, das ich zu meiner Sicherheit stets bei mir getragen und
dem menschenfreundlichen Doktor mit meiner Baarschaft und den Effecten über-
geb en hatte! — "
„Vielleicht war aber irgend ein Instrument, ein Werkzeug in dem Ge-
wölbe aus Versehen zurückgelassen und vergessen worden — ein Beil, ein
Hammer, ein Spitzeisen, eine Hacke oder ein Spaten! — Ich suchte überall,
mit Händen und Füßen, so gut ich es bei dem trüben, geisterhaften Lichte
konnte. Plötzlich klirrte etwas Metallisches am Boden — ein Gefühl des Ent¬

zückens durchdrang mich, als ich einen langen, rostigen Nagel aus dem Schutte
aufhob. Bald darauf kam mein Fuß in Berührung mit einem andern,
größern harten Gegenstände, es war leider nur ein Kieselstein, der aber bei-
nahe ein Pfund wog.
„Obschon dieses die einzigen zwei Sachen waren, welche meine emsigen
Forschungen zum Vorschein brachten, so erfüllte mich der Fund mit großer
Freude und belebte meine tiefgesunkenen Hoffnungen auf's Neue. O wie kost-
bar erschienen mir dieser Nagel — dieser Stein. Kein Geizhals hielt jemals
sein Gold und seine Juwelen mit solcher leidenschaftlichen Gier fest, wie ich
diese Gegenstände. Waren sie doch die einzigen Schlüssel, die mich aus diesem
furchtbaren Schattenreiche erlösen und mir die Psorten der schönen lebendigen
Welt mit allen Genüssen, von denen man im Lenze des Lebens träumt, er-
schließen konnten.
„Nun begann ich nochmals die Beschaffenheit meiner Kerkerthüre zu unter-
suchen. Ein Theil derselben erschien mir morsch genug, daß ich glaubte, mit
der Anwendung des Nagels und Steins ein Loch brechen und dasselbe so
weit vergrößern zu können, daß ich meinen Arm durchzustecken vermöchte.
Dem Klirren nach durfte ich vermuthen, daß die Riegel nicht weit von dieser
Stelle entfernt seien. Ich hoffte im Stande zu sein, dieselben mit der Hand
zu erreichen und sie vielleicht zurückzuschieben. Ich machte mich sogleich an
das Werk mit der Energie eines Mannes, der an eine solche Arbeit die letzte
Lebenshoffnung knüpft. Ich mühete mich stundenlang ab, hämmerte und riß
Splitter nach Splitter weg, bis ich endlich fand, daß ich meinen Arm durch
die Oeffnung stecken konnte.
„O welche seltsame Empfindungen von Furcht und Hoffnung durchbeb-
ten mich dann ! Ich zitterte vom Kopf bis zu den Füßen. Ich athmete schwer;
große Schweißtropfen, zum Theil in Folge der fieberhaften Aufregung und
Hast, mit der ich gearbeitet, fielen von meiner Stirne. Das Herz pochte mir
laut und, auf meine Kniee niedersinkend, betete ich zu Gott, daß er sich meiner
erbarmen und mich dem Leben wieder schenken möge!
„Dann erhob ich mich, steckte meinen rechten Arm durch die Oeffnung
und fühlte nach dem Riegel. Meine Hand berührte ihn — hastig nnd zitternd
schob ich ihn zurück — die schwere Thüre knarrte auf ihren rostigen Angeln
und öffnete sich langsam. O Himmel! welch' ein Augenblick war dies! —
Mein Kerker war erschlossen.
(Schluß folgt.)
 
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