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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1869

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Nr. 102-114 (2. September - 30. September)
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und Land.

Preis vierteljährlich 40 kr.Uohm
Trägerlohn und Postauffchlsg-
Jns.-Geb. 2 kr. dis Spaltzetle.'


Samstag den 4. September

1869.

An die Wahlmänner!
Die Taktik, die liberale Opposition durch einen frischen Krieg
gegen die Katholiken zu zerstreuen, scheint noch nicht verbraucht
zu sein. Wie man hört, soll dem nächsten Landtag ein Gesetzent-
wurf über die Armenpflege und über die kirchlichen
und weltlichen Stiftungen vorgelegt werden. Zum Kirchen-
vermögen sollen nicht mehr die Stiftungen gehören, welche der
Kirche oder einer kirchlichen Anstalt zu Schul- oder Wohlthätigkeits-
zwecken geschenkt oder vermacht wurden oder werden. Die kath.
Behörden (Stiftungscommissionen) sollen nicht mehr die Verwal-
tung und Verwendung der katholischen Unterrichts-, Spital- und
Armenstiftungen haben, sondern die politischen, nicht confesstonellen
Gemeindebehörden. Dieses ganze Stiftungs- und das Armenwesen
soll unter der Leitung der Staatsregierung stehen. Die Armen-
und Krankenpflege würde also soweit menschenmöglich der Kirche
und den Katholiken entzogen werden und an deren Stelle würden
die englischen Werkhäuser treten. An die Stelle der christlichen
Sorge für Hilflose käme die kostbare staatliche Armenpflege. Die
Stifter dürfen nicht mehr stiften wem sie wollen, sondern wie das
„Gesetz" will und nur so wird ihre Bestimmung über Verwaltung
und Verwendung ihrer Stiftung beachtet. Es ist ja bekannt, daß,
seitdem die Schulstiftungen unter dem „Staat" stehen, nichts oder
sehr wenig gestiftet wurde. Was aber nicht gestiftet ist, dafür
müssen die Gemeinden einstehen.
Aus Gründen des öffentlichen Interesses (oder der öffentlichen
Wohlfahrt?), über deren Bestehen das Ministerium urtheilt, soll
das Ministerium über die wohlerworbene seitherige kathol.
kirchliche Verwaltung einer kirchlichen Stiftung entscheiden und
solche gegen den Willen des Stifters einer nicht katholischen Be-
hörde übertragen können. Ebenso soll das Ministerium, wenn der
Fortbestand einer kirchlichen oder weltlichen Stiftung ihm aus
Gründen des Staatswohls Nachtheilig erscheint, das Vermögen der-
selben zu andern Zwecken verwenden können. Der Rechtsstreit
zwischen der Staats- und Kirchsnbehörde über die Frage, ob eine
Stiftung kirchlich sei oder nicht, soll nicht mehr von den unab-
hängigen ordentlichen Gerichten, sondern von dem Verwaltung s-
gerichtshof entschieden werden. Der Kirche sollen keine Eigentums-
rechte über das kirchliche Vermögen zustehen.
Das katholische Volk hat seine Lage bei den jetzigen Wahlen
erkannt. Die Wahlmänner wissen, woran wir sind und unsere
Abgeordneten werden wie ihre Wähler ihre Schuldigkeit thun.
(Bad. Beob.)

Berlin, 30. Aug. Von der „Volksversammlung" in
der „Kl ost er frage", deren Resolutionen unsere Leser aus dem
gestrigen Ersten Blatte kennen, entwirft der federgewandte Parla-
ments-Berichterstatter der „Weser-Ztg." folgendes anschauliche Bild:
„Nachdem über dasMoabiter Kloster ln der Presse so viel Verständiges gesprochen,
haben die Berliner es sich nicht nehmen lassen, den Jüngern des hl. Dominicus
— wie er heute genannt wurde — und den Verehrern des päpstlichen Syllabus
— wie er heute genannt wurde— einen Triumph zu bereiten, an dem sie wahr-
scheinlich lange zehren werden. Denn es wohnten heute, wenn auch, wie es
schien, nicht Mitglieder dieses Ordens, so doch Anhänger desselben der
Versammlung bei, und ein Verehrer nahm sogar aus der Tribüne das Wort,
während Andere mit Interjektionen sich begnügten. Sie sind also Augen-
zeugen der Art und Weise gewesen, wie in Berlin gewisse Schichten der Be-
völkerung berathen, die parlamentarische Ordnung handhaben, über welchen
Vorrath von Bildung sie disponiren, und aus welchen Quellen sie die Kraft
ihrer Argumentation ziehen. Sie werden nicht verfehlen, zu sagen: seht, das
Md unsere Gegner, so discutirt man unsere Sache, so macht sich die Indig-
nation der Berliner Lust, nicht über unser Kloster, sondern über die inbibirten
Steinwürfe. Man wird ihnen allerdings entgegnen: wir verbitten uns die
Verwechselung mit den Elementen der Volks-Versammlung in der Tonhalle;
aber eme Genugthuung -st doch den Dominicanern geworden, die sie zu oer-
werthen aussen werden. Die Versammlung machte in der That nur den Ein-
druck, als sollte Revanche dafür genommen werden, daß Vie Mönche sich den
Schutz der Polizei geholt und den Berlinern die Abendspässe verdorben haben
Schon die Abwesenheit jeglicher diftinguirten politischen Persönlichkeit charakteri-
dre Zusammensetzung des Meeting. Außer einigen Clubfiguren zweiten
Ranges schmückten die obscursten Namen die Redner, unv das Verhalten der
Zuhörer entsprach dem Mangel an der Theilnahme der gebildeteren Klassen
Die Versammlung selbst kannte die Redner nicht, sondern erzwang sich jedes
Mal erst mit Tumult die Namensnennung, wenn aus der Tribüne ein Wechsel
statfiand. Es zehU- zwar 'nicht, um gerecht zu sein, an einzelnen Rednern,

Das Treiben des Protestantenvereins.
VII.
L Aus der Pfalz im August. In Anbetracht, daß jeder
Parteigenosse des Protestantenvereins an nichts glaubt als an sich
selber und jeder sich allein höchste und letzte Autorität ist, war es
selbstverständlich, daß der Verein Gleichberechtigung aller religiösen
Meinungen auf seine Fahne schreiben mußte. Nur in Geltend-
machung dieses Princips konnte er für sich selber Gleichberechti-
gung in der protestantischen Landeskirche erringen. Da jedoch die
Sekte durch Aufgebung aller Dogmen, Symbole und kirchlichen
Autorität alle Bande gelöst hatte, die sie noch mit der Landes-
kirche hätte in Gemeinschaft halten können, ihr aber an dieser Ge-
meinschaft von wegen der Lebsucht etwas gelegen war, so mußte
wenigstens ein Band festgehallen werden, das die Mutter zu Gun-
sten der neuerungslustigen Kinder stimme und sie fortwährend als
Fleisch von ihrem Fleische und Bein von ihrem Beine erkennen
lasse. Haß gegen die katholische Kirche, Bekämpfung derselben bis
zur Vernichtung — das war die Blüthe und Frucht des Princips
der Gleichberechtigung aller religiösen Meinungen, die der Prote-
stantenverein proclamirt hatte, das war die „sittliche That", durch
die er sich für die Verläugnung des Christenthums Indemnität u.
Duldung bei der Orthodoxie zu erringen hoffte. Er hat sich nicht
getäuscht.
Lecky in seiner Geschichte der Aufklärung bemerkt: daß die
katholische Kirche sich im Allgemeinen toleranter bewiesen als die
protestantische in ihren ersten Blüthejahren. Es kommt daher, weil
die katholische Kirche eine Weltkirche, die protestantische eine Partei-
kirche ist. Je mehr die Parteien sich zersplittern, desto intoleran-
ter werden sie gegen einander. Heut zu Tage gibt es keine prote-
stantische Gemeinschaft oder Kirche mehr; es gibt unter diesem
Namen nur eine Anzahl von Sekten, von denen jede sich den
Namen protestantische Kirche vindicirt, obgleich sie alle einander
diametral entgegengesetzt sind, wie z. B. der Protestantenverein
sich entgegensetzt der sog. evangelischen Landeskirche, die an einem
Bekenntniß festhält, während ersterer keine andere Grundlage hat
und von seinen Mitgliedern nichts fordert als ein religiöses Be-
wußtsein. Als Quasidogma und Bindemittel kann man den allen
protestantischen Sekten gemeinsamen Haß gegen die katholische
Kirche, weil das Bollwerk der positiven Religion, annehmen. In
Folge dessen war es seit Jahrhunderten unverbrüchliche protestan-
tische Tradition und feststehende Norm geworden, gegen die kath.
Kirche und alles Katholische zu protestiren und zu polemisiren,
überall wo sich Gelegenheit darbot, in der Kirche und Schule, in
welche, trotz des Radikalismus, eine gewisse Klarheit ihren Worten bewahrten,
auch zusammenhängend sprachen; aber sie trafen eben dadurch den vorherrschen-
den Ton so wenig, daß sie ohne Sang und Klang die Tribüne verlassen hätten,
wenn nicht noch zu guter Letzt ein den Beifallssturm herausforderndes Stich-
wort gefallen wäre.
„Der große Saal der Tonhalle, an deren Eingänge die große Rede des
großen Emilio Castelar feil gehalten wurde, füllte sich sehr früh. Bald nach
zehn Uhr waren schon die meisten Tische in der Haupthalle und in den Seiten-
hallen besetzt, d. h. die Stühle von Mitgliedern der Versammlung, und die
Tischblatten mit Krügen, deren Inhalt im Laufe des Tages noch eine so her-
vorragende Rolle spielen sollte. Die Menge vermehrte sich von Minute zu
Minute, bald füllten sich auch die beiden Logen-Etagen, welche die Seiten-
wände des Saales einnehmen. Die Theaterbühne an der einen Schmalwand
der Halle nahmen allmälig, wie es schien, die Veranstalter der Versammlung,
die Candidaten des Präsidiums und des Bureau's, so wie die Reporters ein.
Es waren wirklich Reporters da, die unverdrossen bis zuletzt Gedanken aus
den Reden heraus zu lesen und einen leitenden Faden zu entdecken suchten.
Kurz vor II Uhr erschien die Hermandad, aus einem Polizeihauptmann und
einem Polizeilieutenant bestehend. Sie nahmen ebenfalls aus der Bühne Platz,
um sich ebensalls der Aufgabe zu unterziehen, das Gesprochene so weit als
möglich zu Papier zu bringen.
„Bald nach II Uhr erscholl die Präsidentenglocke. Ein Herr haranguirte
von der Bühne die Versammlung. „Eine finstere Bande... ." Lautes Bravo,
eine einzelne Stimme: „Pfui!" „Raus, raus. . .." In dem Tumulte, der so-
fort entstand, war es schwer erkenntlich, ob der rasende See, der im Laufe
der Sitzung noch öfters sein Opfer verlangte, schon jetzt seine Genugthuung
erhielt. Es trat aber nach einer Weile wieder Ruhe ein, worauf die Wahl
des Präsidenten rc. vollzogen wurde. Der Präsident: „Hr. L. hat das Wort."
Eine sehr bewegliche, pfiffig thuende Figur erschien auf der Rampe der
Bühne.
sSchluß folgt.)
 
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