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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1869

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Nr. 115-127 (2. Oktober - 30. Oktober)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43880#0464

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-- 45 S

den Grundsatz proklamiren konnte: „Eine starke Regierung muß der
Preßprocesse entbehren können."
Unser Vereinsleben zeigt dieselben bedrohenden Erscheinungen.
Während geheime Vereine auf das gesammte Staatsleben ihren
Einfluß auszubreiten trachten, nimmt das Parteileben die beklagens-
werthe Richtung an, daß die die Regierungsbestrebungen unterstützende
Partei sich als alleinberechtigt im öffentlichen Leben zu erklären
keinen Anstand nahm, worin ihr allerdings das großh. Ministerium
des Innern mit dem beklagenswerthen Beispiele voranging, in Be-
ziehung auf das Versammlungsrecht in unserem Lande mit zweier-
lei Maß zu messen. (Ordnungsruf des Präsidenten.)
Die große finanzielle und militärische Belastung unseres Vol-
kes — die nothwendige Folge des von der Volksvertretung ange-
nommenen preußischen Militärsystems hat die völlige NichÄberein-
stimmung zwischen den Bedürfnissen des Volks und den Beschlüssen
seiner Vertretung auch auf dem Gebiete unserer inneren Entwicke-
lung constatirt.
Geehrteste Herren! Ich will mich bei den Einzelheiten die-
ser Erscheinungen nicht zu lange aufhalten — zumal die Behaup-
tung, daß das in unserem Lande durch die Verfassung vorgeschrie-
bene Wahlverfahren nicht geeignet fei, den wahren Willen des
Volkes zum Durchbruch gelangen zu lassen, oaß es nicht das rich
tige Mittel sei, um wahrhaft constitutionelle Zustände zu schaffen,
durch noch schlagendere Thatsachen nachgewiesen werden kann. Kurz
nach dem Schluffe des verflossenen Landtags fanden in unserem
Lande die Wahlen zum deutschen Zollparlament statt. Nach dem
von Preußen uns auferlegten direkten, geheimen Wahlverfahren vor-
genommen, zeigten diese Wahlen die auffallende Erscheinung, daß
das badische Volk mit großen Majoritäten als seine Vertreter
nach Berlin Männer wählte, welche in Beziehung auf unsere
äußeren und inneren Fragen diametral entgegengesetzte Grundsätze
vertheidigen, als die durch das indirekte öffentliche Wahlverfahren
geschaffene innere Volksvertretung. Wie sehr bewahrheitete sich bei
dieser Gelegenheit der Ausspruch des preuß. Staatsmannes Bis-
marck : „die indirekten Wahlen sind eine Fälschung der Stämme der
Nation!"
Ich will rasch hinweggehen über die Zugeständnisse, welche
auf Grund dieser Erscheinungen von einer großen Anzahl Mit-
glieder der badischen Volksvertretung dem Volke gemacht wurden
und gehe übcr zu der Thatsache, daß in den letzten Monaten 70,000
bad. Staatsbürger sich direkt an Se. Königl. Hoheit den Groß
Herzog gewendet haben, mit der Bitte um Einführung des direk
len und geheimen Wahlverfahrens und um Auflösung der Stände-
kammer.
Geehrteste Herren! Die Thronrede gibt uns keine Auskunft
darüber, daß diesem so dringend ausgesprochenen Wunsche durch
Vorlage eines betreffenden Gesetzentwurfes willfahrt werde.
Dagegen gibt uns dieselbe Thronrede die Gewißheit, daß eine
Menge der wichtigsten tiefeinschneidensten Gesetzesvorlagen uns er-
warten.
Im Hinblicke auf diese Thatsachen, scheint es mir unumgäng-
lich nöthig, daß wir zur Herstellung wahrhaft constitutioneller Zu-
stände uns vor allen Dingen damit beschäftigen müssen, durch
Schaffung eines richtigen Wahlverfahrens den wahren Willen des
Volkes mm Durchbruch gelangen zu lassen, nachdem durch den
Ausfall der Zollparlamentswahlm zur Evidenz bewiesen ist, daß
die jetzt angewendete Wahlart dies nicht vermag. Die Fruge der
Einführung des direkten geheimen Wahlverfahrens ist keine neue.
In unserem Nachbarlande Frankreich zuerst praktisch angewendet,
ist der norddeutsche Bund rasch mit gutem Verspiele gefolgt; in
Oesterreich ist man ernstlichst bemüht, dem Volke diese Grundlage
constitutionellen Lebens zu bereiten; in unserem Nachbarlande
Württemberg wirkt sie bereits zu gegenseitigem Wohle von Fürst
und Volk und in Bayern hat der soeben zusammentretende Land-
tag dieser Frage ebenfalls seine vollste Aufmerksamkeit nicht ver-
sagen können!
Meine Herren! Baden wäre demgemäß der einzige deutsche
Staat, der diesem Bedürfnisse nicht folgte!
Es liegt aber auch im Interesse der regen Betheiligung des
Volkes an seinen Angelegenheiten, daß das bestehende Wahlver-
sahren möglichst rasch beseitigt werde.
Die öffentliche Art der Stimmgebung sagt unserem Volke
wenig zu, und jedem Unbefangenen drängt sich auf den ersten
Blick die traurige Erscheinung auf, wie gering die Betheiligung
bei dieser Wahlart ist im Gegensätze zu der so überaus lebhaften
Betheiligung bei den Zollparlamentswahlen.
Ein neues freisinniges Wahlgesetz ist aber auch eine Forde-
rung der Gerechtigkeit. Unsere Verfassung sichert allen Bürgern
möglichst gleiche Rechte zu und nun sehen wir, daß ein veraltetes
Wahlgesetz kleineren Städten, wie z. B. Ueberlingen, Durlach unb
Wertheim eigene Abgeordnete gewährt, während größere Amtsstädte
wie Vlllingen, Weinheim und Ettlingen dieses Recht nicht besitzen.
Wer sehen, daß Lahr z. B. zwei Abgeordnete zu wählen hat,
während das um 1500 Einwohner größere Baden-Baden nur einen
Abgeordneten wählen darf. Wir finden, daß Wahlbezirke von 2
und 3 ABMlern mit zusammen über 45,000 Einwohnern nur

einen Vertreter wählen dürfen, wie Rastatt-Ettlingen und Stockach-
Engen-Mößkirch, während kleine Amtsbezirke bis zu 10,000 Ein-
wohnern herab für sich allein dasselbe Recht genießen, wie z. B.
die Aemter Durlach, Müllheim und gar Boxberg.
Kann man hier nicht in Wahrheit sagen, in unserem Staate
gibt es Bürger mit doppelten und Bürger mit halben Rechten?
Und erscheint eine rasche gründliche Abhilfe hier nicht doppelt am
Platze?
Dazu kommt aber ferner noch, daß es dringend geboten er-
scheinen dürfte, im Hinblicke auf die große Verschiedenheit der
Wahlarten in unserem Lande das einfache rationell richtige Prin-
zip der direkten geheimen und allgemeinen Abstimmung in allen
öffentlichen Verhältnissen als Grundsatz auszustellen und durchzu-
führen.
In unseren Gemeinden haben wir noch das Dreiklaffensystem
mit geheimer Abstimmung; im Kreisverbande findet indirekte, geheime
Wahl statt; in die Kammer wählen wir auf indirekte Weise, theils
öffentlich, theils geheim; in das Zollparlament direkt und ge-
heim ! Und während die Bezirksräthe als Vertreter des Volkes bei
der Verwaltung gar auf Vorschlag der Kreisausschüsie gewählt wer-
den anstatt durch das Volk direkt, hat man bei der Abstimmung
über gemischte Schulen in allerneuester Zeit das direkte öffentliche
Votum eingeführt!
Nach diesen Erörterungen glaube ich, geehrte Herrn, daß wie
in anderen Staaten theilweise bereits geschehen, theils in nächste
Aussicht genommen, auch für Baden die Einführung des allgemeinen
direkten Wahlrechts mit geheimer Stimmgebung eine Forderung der
Nothwendigkeit, der Freiheit und zugleich eine Garantie für die ge-
sunde Entwickelung unserer öffentlichen Zustände sein müsse und ich
erlaube mir deßhalb Ihnen den Antrag zu unterbreiten:
Die Großh. Staatsregierung aufzufordern, so-
fort dem Landtage einen Gesetzentwurf über Ein-
führung des allgemeinen direkten Wahlrechts mit
geheimer Stimmenabgabe vorzulegen.
Hochgeehrteste Herren! Wenn sie in Uebereinstimmung mit
meinen Auseinandersetzungen und unter Adoptirung meiner Motive,
diesen Antrag annehmen, so kann ich nicht umhin, Ihnen als logische
Folgerung dieses Schrittes die Nothwendigkeit der Ersetzung des
gegenwärtigen Landtages durch eine auf Grund der neuen Principien
gewählte Volksvertretung vorzuführen. Das Verlangen der Auf-
lösung der Ständekammer mußte sich naturgemäß und machte sich
deßhalb auch stetsim Zusammenhänge mit dem Verlangen nach direkten
geheimen Wahlen geltend. Erkennt man nämlich an, daß der Wille
des Volkes nur durch dieses System in constitutioneller Weise
sich Geltung verschaffen kann, so ist es nach meiner innigsten Ueber-
zeugung ein Gebot der Pflicht, eine Pflicht gegen den Staat und
das Volk zugleich, keine Minute länger als nöthig ein Mandat auf-
recht zu halten, welches durch unzeitgemäße, die Freiheit verletzende
Wahleinrichtungen geschaffen worden ist.
Meinem obigen Antrag muß ich demgemäß sogleich den weiteren
Zusatz beifügen:
Die Kammer veschließt, sofort nach Durchberathung dieses Ge-
setzentwurfes an Se. Königl. Hoheit den Großherzog die unter-
thänigste Bitte um Auflösung des Landtages und Einberufung eines
anderen auf Grund des neuen Wahlverfahrens gewählten zu
richten!
Hochgeehrteste Herren! Ich verkenne nicht das Gewicht der
Einwürfe, welche etwa vor dem Gesichtspunkte aus erhoben werden
könnten, als würde durch Annahme meines letzten Antrages die
Möglichkeit eines rechtzeitigen Zustandekommens des Staatsbudgets
und rechtzeitige Ernennung einiger mit Jahresschluß ablaufenden
Gesetze schwinden.
Trifft in dieser Richtung auch vor Allem die Großh. Staats-
regierung der gerechte Vorwurf, daß sie dem schon so lange und so
laut sich kund gegebenen Verlangen des Volks hartnäckig sich ver-
schlossen hat, so kann ich doch nicht zugeben, daß bei allseitigem
guten Willen, bei vereintem aufrichtigem Streben nach gedeihlicher
Entwickelung unseres Staatslebens die Zeit zu knapp zugemeffen
sein sollte.
Der norddeutsche Bund gibt der Großh. Regierung ja ein Vor-
bild für ein neues Wahlgesetz, welches sofort vorgelegt in wenigen
Wochen dem Volke die Möglichkeit gewähren könnte, auf neuer frei-
heitlicher Basis an seinen Geschicken mitzuarbeiten. Diese Erwägung,
geehrteste Herren, sollte uns vor Allem in unserer heutigen Ent-
schließung leiten!
Die Thronrede hat uns die Vorlage einer Menge der wichtig-
sten in den Organismus unseres Volkes auf's Tiefste einschneiden-
den Gesetzesentwürfe angekündet; verschließen wir uns nicht länger
mehr der nicht läugnenten Thatsache, daß es nur dann möglich ist,
an dem Bau unseres Staates mit sicherer Hand fortzuarbeiten, wenn
vor Allem durch ein gerechtes freiheitliches Wahlsystem für diesen
Aufbau ein sicheres Fundament gelegt sein wird.
Die erste Grundbedingung eines gesunden constitutionellen Le-
bens ist die innige aufrichtige Uebereinstimmung zwischen dem Volke
und seiner Vertretung. Nachdem die ernstesten Zweifel darüber sich
 
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