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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 2.1920/​21

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2. Februarheft
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Baum, Julius: Christus und Johannes
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https://doi.org/10.11588/diglit.27814#0255

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erhaltenen Darstellungen ist dieses wiederum völlig gold-
strahlende Bildwerk, dessen Herkunft sich bis an den
Oberrhein verfolgen läßt, das umfangreichste; die beiden
sitzenden Gestalten haben Lebensgröße. Trotz dieser
Mächtigkeit des Volumens wird die alte Feierlichkeit nicht
mehr erreicht, ja gar nicht erstrebt. Aus dem Schülzburger
Bilde spricht noch die reine Göttlichkeit Christi. Johannes
darf neben ihm sitzen; aber es wird Distanz gewahrt,
und es genügt ein Berühren mit den Fingerspitzen, damit
der göttliche Funke auf
den Jünger überspringe.

Nun ist Johannes näher an
den Heiland gerückt; sein
rechter Arm muß sich beu-
gen; das Haupt ruht an
der Brust des Herrn, und
Christus selbst beugt sein
Antlitz liebevoll zu ihm
herab. Aus dieser Gruppe
sind alle Härten verschwun-
den; Haarbehandlung und
Gewandstil sind aufgelockert
und malerisch; der Künstler
muß sich an sehr guten
französischen Arbeiten aus
der zweiten Hälfte des
13. Jahrhunderts geschult
haben. Unzweifelhaft aber
ist die Gesamtauffassung
vom Geiste der Mystik
stärker berührt.

Etwa die gleiche Auf-
fassung wie das in Ant-
werpen befindliche Bildwerk
zeigt die Gruppe (Abb. 2),
die um die Mitte des
19. Jahrhunderts aus der
Nachbarschaft von Sigma-
ringen indas dortige Waisen-
haus Nazareth und von dort
neuerdings in das Kaiser-
Friedrich-Museum in Berlin
gelangte0). Johannes sitzt
entfernter, so daß er sein
Haupt nur an die Schulter
Christi lehnen kann und der
Heiland stark zur Seite
blicken muß, damit sein
Auge das Haupt des Jüngers erreiche. Der Faltenwurf
ist einfacher und in den Säumen welliger. Sowohl das
Schülzburger wie das Sigmaringer Bildwerk erscheinen
ruhiger, schlichter, minder von westlicher Kunst berührt
als die Gruppe in Antwerpen.

Noch dreimal findet sich im 14. Jahrhundert der
Typus des Schülzburger Bildwerkes frei wiederholt: in
her Heiligkreuztaler Gruppe um (1350), in einer Gruppe

9) Vgl. Thiry (Rieffel), Die Christus-Johannes-Gruppe in

Sigmaringen, „Das illustrierte Blatt“ 10. Juni, 1917. Eichenholz,
Höhe 89 cm.

der Sammlung Wilhelm Holzmann in Berlin und in dem
Bildwerke, das aus S. Katharinental in das Baseler Histo-
rische Museum gelangte (aus dem Ende des 14. Jahr-
hunderts). Das Heiligkreuztaler Bild und die Gruppe der
Sammlung Holzmann zeigen wenigstens noch eine Spur des
Nachwirkens der mystischen Beseelung. Das kleine Werk
aus S. Katharinental aber — es kann nicht mehr die
Gruppe sein, deren Erwähnung im Schwesternbuche des
Klosters wir festgestellt haben — verdeckt notdürftig die

Ausdrucksarmut hinter orna-
mentalem Faltenreichtum.
Es zeigt als Neuerung eine
sehr starke Wendung des
Johannes, derart, daß dieser
nicht nur mit seiner Rechten
die Hand, sondern mit seiner
Linken das Knie Christi
berührt.

ln zwei anderen Schöpfun-
gen der zweiten Hälfte des
14. Jahrhunderts wird die
Wichtigkeit des Berührens
der Fingerspitzen für das
Überströmen der göttlichen
Liebe gar nicht mehr em-
pfunden. Auf eines aus
dem Elsaß stammenden ge-
wirkten Antependium im
Clunymuseum zu Paris
(Phot. Alinari Nr. 25 423)
stützt Christus mit der
Rechten den rechten Unter-
arm des Johannes, der dem
Haupte des Jüngers als
Unterlage dient. Und in
der bäurischen Gruppe aus
Sulzdorf im Stuttgarter Lan-
desmuseum (Nr. 29) legt
Christus seine Rechte auf
das Haupt des Johannes,
während dessen rechter Arm
auf den Knieen des Hei-
landes ruht.

Sämtliche bisher behan-
delten Bildwerke zeigen das
Antlitz des Johannes zwar
mehr oder minder wagrecht
an die Schulter oder Brust
Christi gelehnt, doch stets in Vorderansicht. Etwa
seit dem zweiten Drittel des 14. Jahrhunderts wird
die Darstellung des Hauptes des Johannes in Seiten-
ansicht häufiger. Das früheste Beispiel zeigt eine
wohl aus Oberschwaben stammende Gruppe des Stutt-
garter Landesmuseums (Nr. 28), wieder eine Schöpfung
von beträchtlicher Größe9 10), aber leer und ausdrucks-
arm, verglichen mit den älteren Werken. Christus
sitzt, wie in der Schülzburger Gruppe, steil aufrecht, ohne
auf Johannes zu blicken. Dessen Haupt ist in das Profil

10) Eichenholz. Gewänder vergoldet. Höhe 120 cm.

Christus und Johannes

Berlin, Kaiser-Friedrich-Museum aus Sigmaringen

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