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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 2.1920/​21

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1. Juliheft
DOI Artikel:
Bogeng, Gustav A. E.: Über Buch- und Bucheinbandfälschungen und -Verfälschungen, [5]
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https://doi.org/10.11588/diglit.27814#0439

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Zusehen noch standhielten. Man mußte Männchen auf
Männchen setzen, das heißt den alten Satz buchstaben-
und zeilengetreu nachahmen und für das typographische
Facsimile war daher nicht allein der Besitz der alten
Druckschrift oder eines entsprechenden Nachschnittes,
sondern auch die Beobachtung der alten Druckweise
erforderlich. Das aber blieb ein kostspieliges und
schwieriges Unternehmen, an das sich die alten Bücher-
fälscher überhaupt nicht wagten. Ein vielgenanntes Bei-
spiel, der Nachdruck der Ventisettana des Decam-
rone (Firenze, Philippo di Giunta: 1527),
den 1729 Stefano Orlandelli in der Druckerei
Pasinello-Venedig auf Kosten des bekannten
englischen Büchersammlers und Consuls in Venedig
J. Smith besorgte und dessen dreihundert Abzüge (und
einer auf Pergament) allerdings ohne jeden Neudrucks-
vermerk blieben, darf hier nicht angeführt werden. Denn
dieses und ähnliche, späteren Betrugsversuchen behülflich
gewesene Bibliophilenunternehmungen waren aus wissen-
schaftlichen Absichten wie die modernen Facsimileaus-
gaben entstanden oder aus der guten Laune eines biblio-
graphischen Scherzes und ohne das ängstliche Gefühl
seines Mißverständnisses. (Zudem gehörte es damals
auch zur Gewohnheit, aus diesem oder jenem Grunde
Titelverschleierungen vorzunehmen.) Dieser sehr sorg-
fältige Decamerone-Druck, der im übrigen durchaus
nicht in allen typographischen Kleinigkeiten seiner Vor-
lage entspricht, verbesserte deren Druck- und auch andere
Fehler. Nach der Absicht seines Urhebers kann er also
wohl die Bestimmung eines bibliographischen Scherzes
gehabt haben, mit dem auch die Kenner getäuscht werden
sollten, die einer contrefagon hatte er ursprünglich aber
nicht und bekam sie erst später durch unredliche oder
unwissende Händler. Man begnügte sich damals, als
selbst die „großen“ Kuriositäten und Raritäten noch
verhältnismäßig billig waren, mit einem recht und schlecht
verfälschten Titel und schenkte einer einigermaßen alter-
tiimelnden Ausstattung weder dei der Herstellung noch
bei dem Vertriebe einer contrefagon erhöhte Aufmerksam-
keit. Das zeigen einige ähnliche angeblich alte italienische
Novellenbücher, die ungefähr in gleicher Zeit entstanden
waren und besonders die contrefagons von in der Auf-
klärungszeit wieder berühmt gewordenen antikirchlichen
und antistaatlichen Schriften. (So der Neudruck der
„Christianismi restitutio“ des Servetus, den
v. Murr, Nürnberg 1790 veröffentlichte und an dessen
Ende die neue Jahreszahl so klein angebracht ist, daß
man sie, nach Ebert, für eine Schlußlinie halten muß.)
Es war eben noch sehr einfach, auch den „Bücherkenner“
zu täuschen, zumal dann, wenn es sich um wenig be-
kannte oder beinahe ganz unbekannte Werke handelte,
die durch irgendeine andere Schrift zu ersetzen waren, im
Buchgewande ihrer Zeit für die Verheimlichung im Bücher-
handel veröffentlicht wurden. (So die Ausgaben der
Abhandlung: De tribus impostribus, so einzelne Spinoza-
schriften.) Aber bereits 1750, als in Rouen Postel’s
1 553 erschienene „Tres-merveilleuses vic-
toires des femmes du Nouveau-Monde“
geschickt nachgebildet wurden, brachte man künstliche

Hans Meid Reiter in der Allee

Verlag Neue Kunsthandlung, Berlin.

Mittel in Anwendung, um die Bogen der Abzüge alt zu
machen. Damit war für das achtzehnte Jahrhundert, daß
alle Formen des Nachdrucks in der verschiedenartigsten
Weise verwertete, auch die contrefagon zu einiger Be-
deutung gelangt, die aber immer sehr eingeschränkt
geblieben ist und einige Ausbreitung nur in den Nach-
drucken der geschätztesten Kupferstichwerke jener Zeit
fand. Denn gerade an ihr bildete sich das bibliographisch-
kritische Unterscheidungsvermögen für echte und falsche
Buchwerte aus.

Die Contrefagon durch bibliographische Kennzeichen,
das Facsimile als Reproduktion technisch festzustellen,
ist verhältnismäßig leicht und deshalb sind Täuschungs-
versuche mit ihnen schwer, Aber Contrefagon und Fac-
simile könnnn als Defektergänzungen doch noch recht
gefährlich werden. Denn Buchfälschungen von Druck-
werken werden in der Hauptsache als Buchverfälschungen
erscheinen, und zwei Hauptrichtungen nehmen, um aus
einer billigen eine teuere, aus einer minderwertigen eine
wertvolle Ausgabe zu machen, indem sie entweder (und
zwar in der Regel in Verbindung mit Einbandfälschungen)
durch Ausbesserung von Schäden ein hervorragendes
Exemplar herzustellen streben oder aber durch Ergänzung
von Lücken ein vollständiges Exemplar zu gewinnen
suchen. Und ähnlich, wie diese Ergänzungen werden
Änderungen bewirkt werden, die durch Einschaltblätter
statt der echten die falsche Ausgabe Vortäuschen.

Es lag und liegt sehr nahe, aus mehreren schlecht
erhaltenen, unvollständigen Abzügen einer wertvollen
Auflage die besten Bogen für ein vollständiges Exemplar

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