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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 10./​11.1928/​29

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1./2. Septemberheft
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Bogeng, Gustav A. E.: Betrachtungen aus der Bibliophilenperspektive, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.25877#0025

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Rahmung' zeigen. Als Bruchstiicke, die günstigenfalls
mit einigen „Reihen“ vollständäg werden. in denen sich
dann alierlei Unbeträchtlches und Zufälliges einer
solchen Vollständigkeit im Einzelnen wegen zusammen-
findet, indessen überall Wichtiges fehlt. Hätte man eine
umfassende Anthologie der deutschen Nationaliiteratur;
so wiirde sich auf ihr ebenmäßig jede s'ie erweiternde
Teilsammlung errichten lassen und der Büchersammler
könnte, mit ihr noch überall dem Gesamt-Bereiche der
deutschen Dichtung verbunden, in seinen Bezirken sich
freier ergehen. Die bedeutsamsten Erscheinungen des
älteren und neueren deutschen Schrifttums wären ihm
zur Hand. Zwar nur in einer Auswahl, aber doch in
einer Auswahl, in der seine Spezialkollektionen zu 'l’ei-
len eines Ganzen werden. Das alte Kürschnersche
Unternehmen der „Deutschen Nationalliteratur“-Serie
konnte diesen Wunsch nicht befriedigen, ein ihm ähn-
liches, doch wissenschaftlich wohlgegründeteres —
„D e u t s c h e L i t e r a t u r“ (H e r m a n n B ö h 1 a u ,
W e i m a r) — wird ihn bcsser erfüllen. Den anthologi-
schen Ausbauteu einer Bücherei, die ihre Auswahl um-
gren-zen, entspricht als ihr das Gleichgewicht haltender
Mittelpunkt notwendigster Orientierung eine gute Welt-
literaturgeschichte. Daß man sich aus Büchern über
Bücher, anstatt aus den Büchern selbst unterrichtet, gilt
noch als ein Vorwurf. Wer ihn erheben will, müßte
auch noch begründen, wie man sich sonst in den
tausendjährigen Labyrinthen der Literatur ohne Um-
wege zurechtfinden so'il. Und diese Begründung müßte
durch die Erfindung eines Lebenseiixieres gegeben wer-
den. Das biographische Element ist in den literatur-
historischen Systemen auch noch des 19. Jahrhuuderts
übermäßig hervorgetreten. Meist, indem man, in einer
Übersteigerung des Entwicklungsgedankens, den
Lebensorganismus mit dem Organismus der „Gesam-
melten Werke“ zusammenzustimmen versuchte und
zwar durch ganz subjektive Wertungen. Das chrono-
logische Prinzip wäre ein besseres Mittel gewesen, um
nach den Geburtsdaten die geistige Lage der
Geschlechtsfolgen zu bestimmen. (An einetn auf-
schlußreichen Beispiel hat H a n s v o n M ü 11 e r ge-
zeigt, daß die einfache Anordnung einer Sammiung
deutscher Dichtung des 18. und 19. Jahrhunderts nach
den Geburtsdaten der Autoren die weitaus anschau-
lichste ist.) Die Abstammung hätte ebenfalls in viel
höherem Maße berücksichtigt werden müssen. (Wie
JosefNadler in seiner Literaturgeschichte
der deutschen Landschaften und
S t ä m m e , H a b b e 1, Regensburg, ze-igte.)
Kurz, das Verfahren, aus isolierten Persönlichkeits-
wertungen eine Schrifttumsgeschichte zusammen-
zustücken, mußte versagen. Die Literaturwisserischaft
des 20. Jahrhunderts will nicht wie die Bibliographie eine
Geschichte der Bücher sein, sondern eine Geschichte
der Ideen und ihrer wissenschaftlichen wie künst-
lerischen Form, eine Geistesgeschichte, die zeit-
geschichtlich auf ihre kulturhistoriischen Grundlagen zu-
rückgeführt werden soll. Bemühungen, die nicht be-
reits überall geglückt sein mögen. Die indessen doch
wieder das Einzelwerk als solches zu seiner vollen

Wirksamkeit bringen. Ebensowenig, wie cs etwa dem
Kunstsammler einfällt, aus dem Besitze eines Haupt-
werkes von Raffae'l1 oder Rembrandt die Notwendigkeit
herzuleiten, alle Entwürfe und Nebenwerke in seinem
Besitze zu vereinen, sofern das möglich sein würde —
und es ist nicht ganz unmöglich, weil man Reproduk-
tionen sammeln kann, wie die Kupferstichsammler des
18. Jahrhunderts — ebensowenig kann dem Bibliophi-
len, der ästhetischen Genuß in den schönen Wissen-
schaften sucht, eine Art moralischer Verpflichtung zur
unbedingten Vollständigkeit daraus entstehen, daß er
neben den Hauptwerken eines Meisters auch noch dessen
gesamte Nebenwerke haben und kennen muß. Hier
wirkt die gute Literaturgeschichte ausgleichend, sie be-
freit von dem Vollständigkeitszwange, der sich ständig
vordrängt. Sie überbrückt die unserer Gegenwart lan-
gen leeren Strecken einer universalen Auffassung der
Weltliteratur. Sie befriedet und befriedigt das unruhige
Sammlergemüt, indem sie auch der gewählten Klein-
bücherei einen festen geistig gesicherten Standpunkt in
den unübersehbaren Literaturweiten gibt. Bei manchen
fernen und fremden Literaturen — so den altorientali-
sclien, den sog. mittclälterlichen — kann man sich mit
den Stichproben und Uebersichten begnügen, die eine
gute Literaturgeschichte bietet. Ja, man kann über-
haupt nur so eine umfassende, vergleichende Anschau-
ung der literarischen Phänomene bekommen, die immer-
hin lückenhaften Betrachtungsweisen vorzuziehen ist.
weil sie zunächst einmal die höchststehenden literari-
schen Produkte aller Völker und Zeiten zusammensieht.
Daraus ergibt sicli, daß eine umfassende Weltliteratur-
geschichte zu den unenthelirlichsten Bestandteilen auch
der kleinsten literarisch orientierteu Büchersammlung
gehört, deren gedachte Vollständigkeit sie insoweit ge-
winnt, als sie wenigstens die Aussicht auf eine solche in
einem dem Einzelnen noch erreichbaren Rundblick zu-
sammenfaßt. Glücklicherweise ha'ben wir jetzt in dem
Handbuch d e r Literaturwissenschaft,
das 0 s k a r WaTzel herausgibt (Akademische
Verlagsanstalt Athenaion, Wildpark-
Potsdam) ein Panorama der Weltliteratur, das deren
Dimensionen angepaßt ist. Allein die stattliche Bänder-
reihe, die es umschließt, wird den Bibliophilen davon
überzeugen, daß sein Eklektizismus gerechtfertigt ist.
Das Verlangen nach Vollständigkeit, das den Auf- und
Ausbau einer jeden Sammlung bestimmt, wurzelt in
einem Wissenstriebe und in dem Wunsche, die Einheit-
lichkeit ilires geistigen Gefüges auch in den größten Zu-
sammenhängen zu wahren. Der Bibliophile muß weise
seine Auswahl auf die dein einzelnen erreichbaren und
lesbaren Werke beschränken. Er kann sich nicht an-
ders das Gesamtbild der Weltliteratur vergegen-
wärtigen, als daß er an den Anfang einer jeden Bücher-
reihe, die es ihm in die Nationalliteraturen vertieft, deren
Literaturgeschichte stellt. Ein Miteinander aus einem
derartigen Nebeneinander entsteht freilich erst, wenn
man die Allgemeinerscheinungen in der Ausbildung einer
jeden Literatur an sich gleichbleibenden Maßstäben ver-
gleichen kann. Es ist ein Verdienst W a 1 z e 1 s , daß er
uns in seiner Erörterung der modernen Problematik der

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