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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 10./​11.1928/​29

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1./2. Juliheft
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Riess, Margot: Paläste und Kirchen in Umbrien
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Schmidt, Paul Ferdinand: Wilhelm Tischbein
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https://doi.org/10.11588/diglit.25877#0517

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schen Vertreter der neuen Zeit mit ihrer edlen Form-
kultur eine Arbeitsstunde zur Feierstunde wurde.
Reinste Entspannung mußte dann ein Schritt auf den
kleinen Balkon bieten, der gleichfalls nur für einen
Menschen, für eine Persönlichkeit, einen Fürsten des
Geistes wie dcs Besitzes gedacht war. Hier lassen
auch wir noch einmal den Blick tiber das Land Umbrien,
von den alten Schriftstellern schon das ,,Herz Italiens“
genannt, schweifen. Die Linien der Berge singen und

LÜtlbeltn

Paul p.

\l or hundert Jahren, am 26. Juni 1829, starb in Eutin
* der Künstler, von dem man Lessings Wort
variieren möchte:

Wer wird nicht einen Klopstock loben?

Doc'h wird ihn jeder lesen? Nein!

— nämlich dahin, daß man ihn zwar im Munde führt und
als Freund von Goethe nennt, aber eigentlich gar nichts
vor ihm kennt: J o h. H e i n r. W i 1 h c 1 m T i s c h -
b e i n. Er starb im Alter von 78 Jahren, sein Leben
umfaßte die ganze Entwicklungszeit der deutschen Kul-
tur von ihrer Erniedrigung unter romanischer Vor-
herrschaft bis zum Glanze höchster Weltgeltung und
dcm Zerfall des ietzteu großen europäischen Gemein-
schaftsideais, der Romantik. Er selber hat an allen
geistigen Strömungen dieser wechselvollen Epoche teil-
genommen, aber freilich nur am Rande, als Zaungast und
enthusiastischer Mitläufer. Wcil sein Talent nur repro-
duktiv war und nicht zu selbständigen Mitteln langte,
sind all seine Werke verschollen und blieben schon zu
seinen Lebzciten, kaum daß sie hervorgebracht waren,
wirkungslos. Niclit weil Tischbeins Bilder und Zeich-
nungen meist an schlecht zugänglichen und wenig be-
suchten Orten sicli zusammengefunden haben, sind sie
unbekannt; aucli in der Nationalgalerie, in Städel oder
iu der Hamburger Kunsthalle übersieht man sie, weil sie
blntlecr sind und allzu wenig lebendige Werte enthalten.
Es bleibt aber von ihm ein literarisches Zeugnis, das
von erstem Rang ist: scine Selbstbiographie „Aus mei-
nem Leben“, 1861 erschienen, einc der ansohaulichsten
und reichsten Biographien, neben denen von Mannlich,
Ludwig Richter und Kügelgen das schönste Kiinstler-
Dokument jener mit Kulturenergien so gesegneten
Epoche; ein Buch, das neben dem bewegten Lebens-
lauf und vielen treffenden Urteilen über Menschen,
Werke und Institntionen voll von Schilderungen erstaun-
licher Augenerlebnisse ist. Leider nur hat der Autor,
der ja im Hauptberuf eigentlich Maler war, von diesen
köstlichen Schilderungen in seiner Kunst niemals Ge-
braueh gemacht, obwohl uns viel rnelir an solchen
stummen Zeugen gelegen wäre als an ihrer Tagebuch-

lächeln hier und lassen Raum, daß sich etwas ausbrei-
tet — flügelweit, still. Das Lächeln reifer Güte, das
eigentlich Raffaelische liier überall, der heitere Ernst
dessen der arbeitete, schuf, der sich nicht verlor und
nicht verschwendete, sondern sich schenken konnte,
weil cr sicli behielt! Dic Berge sind Grenze, oline
Wand zu sein, verbauen nicht die Welt. Eine Land-
schaft, nie ganz faßbare Gegenwart und doch oline
„Unendlichkeit“.

Tiicbbctn

Scbmidt

Aufzeichnung: und zwar einfach deshalb, weil er es
nicht konnte. Von Tischbein gilt ebenso das schönc
Wort unfreiwilliger Selbsterkenntnis, das J. 11. Meycr,
auch ein Malerfreund Goethes, in unbewachter Stunde
ausließ: daß ihn Gott in seinem Zorn zum Maler ge-
schaffen habe. Von Meyern ganz abgesehen: man kann
jedes beliebige Bild Tischbeins ins Auge fassen, um die
Richtigkeit dieses Ausspruches aus tiefstem Herzens-
grunde zu bcstätigen.

Merkwürdig scheint nur bei solcher uuwillkürlichen
Eintaxierung dcs edlen Malwerks, daß Wilhelm Tisch-
bein einen so bedeutenden Ruf genießt. Denn seinc gc-
schriebenen Selbstbekenntnisse sind nicht so bekannt,
daß sich just auf ihnen seine Einschätzung gründetc.
Auf den Bildern, die man vielleicht nocli weniger kennt,
kann sie auch nicht stabilisiert sein. Er blcibt nur die
dritte Möglichkeit: daß die historische Spiegelung sei-
ner Existenz im Leben und in der Selbstbiographie
Goethes ihm den unverdienten Ruhm verschafft hat.

So ist es. Wir Deutschen haben Gocthe in einer
Weise kultivicrt, daß aucli die merkwürdigsten Kost-
gänger des lieben Gottes unsrer Aufmerksamkeit gewil.1
waren, sofern sie nur im Kosmos jener Großen eine
Rolle spielten. Wilhclm Tischbein abcr steht im Brenn-
punkt der wichtigsten Epoche von Goethes Leben, als
er sich zu den Künstlerburschen in Rom und Neapel be-
gab, um seinem schwächlichen Kunstdilettantismus auf-
zuhelfen. Diese Künstlerburschen, so unbedeutend sie
vor jedem Forum dastehen, haben cs fertig gebracht,
erstmals Goethes eigenes Weltbild von der Kunst, und
in dessen Verfolg unsre Vorstellung von deutschem
Klassizismus derart zu beeinflussen, daß es nocli heute
nicht lcicht ist, so eingerostete Vorurteile zu beseitigen.

Denn Goethe wurde seit jenen römischen Jahren
(1786—88) zum obersten Kunstrichter Deutschlands. Er
hat auf diesem Thron beträchtlichen Schaden angerich-
tet, natürlich im allerbesten Glauben, nämlich in dem an
sich selbst. Und Wilhelnr Tischbein gehört zu den Klei-
nen, die von der Goetheschen Dogmatik am lebhaftesten
profitiert haben. Er gilt, kraft Goethes Autorität (und

oon

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