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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 10./​11.1928/​29

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1./2. Juliheft
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Schmidt, Paul Ferdinand: Wilhelm Tischbein
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Tietze, Hans: Das Ende der Sammlung Figdor
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https://doi.org/10.11588/diglit.25877#0518

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ist es übrigens auch) als einer der prominentesten Ver-
treter des deutschen Klassizismus. Sozusagen als ein
Hermann der Cherusker, Befreier deutscher Kunst-
auffassuug aus den Banden des welschen Rokoko.

Es ist ganz unmöglich, den vielfach verhedderten
Knoten von Mißverständnissen bezüglich des deutschen
Pseudo'klassizismus, des Rokoko und der Entstehung
der Romantik in einem so knappen Rahmen, wie ein
Hundertjahrgedenken bietet, verständlich auseinander-
zuwirren. Ich muß dabei notgedrungen, weil es keine
andre Darstellung dieser schwierigen Komplikationen
gibt, auf meine eigne ausftihrliche Schilderuug im „Bild-
nis und Komposition“ (Deutsche Malerei um 1800) ver-
weisen.

Die Rolle Tischbeins bei der Ueberieitung der
klassizistischen Form aus dem Rokoko ist klar uud un-
durchsichtig zugleich; weil er iu der Idee, nämlich in
seinem Wollen und sinnlichen Anschauen, ein Realist
war, der das Notwendige immer sah — aber in seiner
Kunstübung ein selir schwacher Geist, ein ldealist von
reinstem Goetheschen Wa-sser, der große und hehre
Vorstellungen (aus der griechischen Mythologie) in ent-
setzlich schlechtc Malerei übertrug. Man kann das
Problem des Pseudoklassizismus, repräsentiert durch
Mengs, Füger, Goethe, Tischbein dahin vereinfachen,
daß es den deutschen Kulturträgern lcdiglich auf einen
idealen Inhalt ankam, letzten Endes auf hellenische
Mythologie aus Homer, deren teclmische Wiedergabe
mittelst Oel und Leinwand bloß die Forderung zu er-
füllen brauchte, korrekte Kopic nach römischen
Marmorkopien der Antike zu sein. Diese Forderungen
erfiillten die schreckl'ichen Kompositionen Tischbeins
aus seincr römischen Zeit, unter den Augen und mit
allerhöch'ster Billigung Gocthes entstanden, am voll-
kommensten; Orest und Iphigenie, Agamemnon, Paris,
Amazonen, Mustcrtafeln, die man seinerzeit in dcr histo-
risch äußerst verdienstvollen Jahrhundertausstellung
von Darmstadt 1914 zu selien bekam, uud die einen. un-
auslösclilichen Eindruck hinterlassen haben: den einer
Kunst, die nach Regeln geübt wird wie der Parade-
marsch, einer Malerei, wie sie nicht sein soll, der alles
Wesentlichen entkleideten Maskerade einer Kunst,
gegen die gehalten Gallait und Piloty Götter genialer
Intuition bedeuten.

rischbein hat nun keineswegs sein ganzes Leben
lang die Mengsisch-Goetheschen Theorien von angeb-
lichem Klassizismus befolgt. Von seinen Jugendwerken
vor 'seiner römlschen Bekehrung, von den Rokoko-
porträts aus seiner Schulung durch Joh. Heinrich Tisch-
bein in Kassel, kann nicht einmal die Rede sein, weil
diese so ziemlich verschollen sind und erst eine
minutiöse Spezialforschung sie aus dem uferlosen Meer
der Zeitproduktion wird herausholen müssen. Aber er
nahm später teil aucli an anderen Kunstwandlungen se,-
ner Zeit. Nach der Vertreibung aus Neapel, wo er 1789
bis 1799 Direktor der Akademie gewesen wrar und grie-
chische Vasenbilder in (ungenießbaren) Umrißstichen
herausgab, floh er zuerst nach Hamburg, wo er mit Ph.
O. Runge eine folgenschwere Berührung hatte, und 1808
nach Eutin, wo er in sorgenloser Altersmuße seinen
eigensten Neigungen leben konnte. Die erstreckten
sich, außer auf Historienbilder fiir das Oldenburger
Schloß, die man in seinem Interesse besser nicht ans
Tageslicht zieht, auf Idyllen von alltäglicher und von
mythologischer Art und auf romantische Ideen, die ihm
aus der Bekanntschaft mit Runge erwuchsen. Aber
darüber kommt man nicht hinweg: auch die lebens-
vollsten Einfälle, die ihm von dieser Seite geiangen, vor
allem die kleinen Idyllen-Bildchen im Oldenburger
Schloß und der merkwürdige Versuch eines großen
Symbols „D'ie Stärke des Mannes“ — gerieten zu völlig
unwahren und starren Exerzitien, weil seine Hand nie-
mals seiner Phantasle zu folgen vermochte. Sie wur-
deu dürr und unanschaulich von lauter versteinertem
„Klassizismus“: Dieses Gespenst schleppte er bis an
sein Lebensende mit sich herum. Klassizismus ist an
sicli eine vollkommen adäquate Ausdrucksform des
deutschen Geistes: leider aber geriet sie, und dies gilt
nicht bloß für Tischbein, sondern für die übergroße
Mehrzahl seiner Zeitgenossen, in die Hände von theore-
tisierenden Paukcrn. die aus dem göttlichen Vorbild eine
ledcrne Schulaufgabe machten. Flagrantes Beispiei
siud Tischbeins sogenannte Stilleben. Dergleichen Bil-
der sind ja wohl Uebertragung von rein Angeschautem
in reine Malerei. Tischbeins Stilübungen aber haben
datnit auch kaum mehr den Namen gemein; es sind
wahre Jammergerippe, trostlo'se Versuche, Begriffe von
Obst und Blumen in angemaltes Blech zu verwandeln.

Das Sndc dev Sammtung ftgdot?.

Don Jians Tiet^e — LDien.

Im Dezember 1928 ist die weltberühmte Wiener
Sammlung Figdior an den Kunsthändler Gustav Nebehiay
in 'Berlin verkauft worden, der sich in den Kauf mit dem
Berliiner Kunsthändler Alfons Hcilbronner teilt. Die
jetzigen Besitzer werden die Sammlung in drei bfs vier
Auktionen auf den Markt bringen. Die Auktiionen werden
in W i e n stattfinden.

Das Schicksal der Sammlung Fiigdor in Wien, vielleicht der
reichtsen und kostbarsten, jedenfalls der vielseitiigsten und originell-
sten Priiviatsammlung der Welt, ist nunmehr beisiegelt. Die öster-
reichische Regierung, die sie auf Grund des Denkmalschutzgesetzes
als eine Einhieit erklärt und damit ihrem Erwerber, der Kunsthand-

lung Gustav Nebehay, ihre Veräußcrung und Verwertung so gut
wie unmögliich gemacht hatte, hat die Sammlung endlich frei-
gegeben; eine Auswahl von Objekten wird dem öffentlichen Knnst-
besitz einverleibt, die iibrigen werden das Material zu einigen sensa-
tionellen Auktionen liefern und in a.lle Welt zerstreut werden. Da-
mit endet ein Zustand, der für den Staat, fiir die Denmalbehörde,
fiir die Wiener Kunstsammler, nicht zuletzt natürlich fiir den gegen-
wärtiigen Eigentümer der Sammhmg, naebgerade zu einer drticken-
den Verlegenheit geworden war.

Die im Gesetz vorgesehene Möglichkeit, eine Gruppe oder
Siammlung von Gegenständen unter Umständen zu eiiner unteilbaren
Einheit zu erklären, soll die in der Vereinigung solcher Gegenstände

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