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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 10./​11.1928/​29

DOI issue:
1./2. Februarheft
DOI article:
Steinbart, Kurt: Giorgio de Chirico: anläßlich seiner Londoner Ausstellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.25877#0267

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AnläßUcb fßinet? londonee Aus(fct(ung
oon

Kutt Stetnbaet^london

ei A. Tooth ließ Chirico neue Arbeiten sehen. Vie-
lerorts hat er sich bereits gezeigt. Der Handel
schiägt, \vo er kann, für ihn die Werbetrommel.
Geschäftise, die das Gras wachsen hören, glauben wei-
ter steigende Preise für seine Bilder prophezeien zu
können. Alles in allem, er wird gemacht, um en vogue
zu kommen. Da fragt man sich mit Recht, wo liegt der
Wert bei soviel Geschrei? Siud tiefste künstlerische
Belange zu verzeichnen, die um eine zeitgemäße Aus-
drucksforni ringen, oder täuscht Blendwerk, geschickt
angefacht, Geistiges vor? Mir scheint es notwendig,
die zweite Frage zu bejahen und damit die Verneinung
der ersten näher zu begründen.

Der Werdegang des Malers ist kurz gekennzeich-
net: 1888 von italienischen Eltern in Griechenland ge-
boren, studierte er bis zu seinem 16. Lebensjahr auf der
Akademie in Athen, darauf zwei Jahre in Florenz, an-
schließend in München, um nach neuerlichem Aufent-
halt in Italien (Mailand und Rom) 1911 nach Paris iiber-
zusiedeln. Bei Kriegsausbruch verließ er Frankreich,
kehrte nach Italien zurück, bis er 1924 besonders vom
Kunsthändler Leonce Rosenberg bewogen wurde, sich
in Paris ansässig zu machen, wo er heute noch seinen
Aufenthalt hat. Ein Italiener von Gcblüt, jetzt vierzig-
jährig, bildete sich in den internationalen Kunstzentren,
und zwar unter erheblicher Bevorzugung seiner eigent-
lichen klassischen Heimat.

Der Komplex der Antike spielt bei Chirico offen-
sichtlich die erste Rolle, so daß ohne Weiteres ver-
ständlich wird, warum er gerade dem Einfluß Picassos
im Zeichen dessen augenblicklichen Schaffens unter-
liegt. Nur sind Chiricos Formen des Aktes härter 'im
Kontur, schärfer in der Modellierung, kurz insgesamt
plastischer empfunden. Allenthalben läßt er skulp-
turale Gesichtspunkte mit übertriebenem Zwang des
Epigonen in die Komposition eingehen. Schildert er die
Heimkehr des verlorenen Sohnes, stellt er die ineinan-
der gekeilten Statuen von Vater und Sohn in den Vor-
dergrund, ordnet den Faltenwurf ihrer Togen nach stei-
nernen Vorbildern, wirft in die linke Ecke den abge-
schlagenen Kopf eines antiken Marmors, in die rechte
Ecke gläserne Trauben auf staniolartiger Decke, distan-
ziert mit größeren und kleineren Bauklötzen den Raum
und läßt den Vorgang zwischen Rudimenten alter Bau-
teile stattfinden, auf denen am Bildrande eine Skulptur
steht, die sich in nichts von der Versteinerung des Men-
schen unterscheidet. Dieses Konglomerat liegt völlig
auf der Linie jener Arbeiten der nordischen Italien-
fahrer, die in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts
über die Alpen gingen, um an der ausgegrabenen römi-
schen Plastik ihre Studien zu treiben. Während damals

eine tiefliegende Ursache, nämlich der Drang nach
Erlernung der Gesetzlichkeit des menschlichen Körpers
treibende Kraft war, ist heute eine derartige Problem-
stellung überflüssig und erkünstelt. Selbstredend wird
auch das Tier entorganisiert. Sich bäumende Pferde
am Meeresstrand sind ein beliebtes Motiv des Italieners.
Er denkt an die Rosse vom Monte Cavällo, nimmt ihnen
nur die schwere Massigkeit, verjüngt sie zum Typus
des Araberhengstes und stelit sie aus Holz geschnitten,
leblos trotz flatternder Mähnen, weil diese in Kautsclmk
geknetet erscheinen, auf die Hinterhufe. Um die Statu-
arik noch zu steigern, heftet er die langen wulstigen
Schweifsträhnen mit Hilfe ihrer in Kugeln auslaufenden
Enden an den Boden fest, plaziert einen kanelierten
Säulentorso schräg in den Vordergrund und läßt auf
felsigem Hügel des Hintergrundes dürftige Gebälkteile
eines antiken Tempels thronen. Sein Stilleben, auch
solche sind mehrfach vorhanden, ist in einem einzigen
Falle impressionistisch gesehen: Blumen auf bräun-
lichem Grunde leicht hingewischt, eine Verschmelzung
von Delacroix und Renoir ohne entscheidend eigene
Zutat, oder aber zumeist ein ausgeschütteter Berg an-
tiker plastischer und architektonischer Bestände, wie
sie ein Ruinensammler vereinen könnte: Dingliches,
Bruchwerk menschlicher Leistungen, nicht mehr tote
Natur, sondern ausgesprochen Denaturiertes. Dazu
streicht ein mit geringen Ausnahmen grobborstiger Pin-
sel nacli dem einfachen Rczept komplementärster Far-
benwahl unter möglichster Ausschaltung von Zwischen-
stufen über die Leinwand. Eine grelle, plakatartige
Wirkung ist die beabsichtigte Folge. Wenn weite
Tragfähigkeit gleichbedeutend mit guter Malerei wäre,
dann müßte man sich vor Chirico als einem großen
Meister beugen.

Neben dem plastischen und malerischen Effekt steht
zur Ergänzung ein räumlicher. Sind wir an die land-
läufige Vorstellung gewöhnt, Innenraum und Außenraum
gesondert für sich zu denken, ist also für uns ein
successives Eortschreiten im Denkvermögen üblicher
Vorgang, vcrsucht Chirico in einigen Bildern ihr gleich-
zeitiges Ineinandergreifen zu veranschaulichen. Auf
dem Gemälde „Interno in una valle“ werden beispiels-
weise die Wände eines sechseckigen Innenraumes ent-
fernt, man sieht nur die Plattformen des Fußbodens
eincr hochliegenden Etage und auf ihr zwei Figuren,
sitzend und stehend an einem Tisch, und blickt zwischen
dem Türrahmen mit geöffneten Flügeln, einem Pfosten
und Möbelstück hinab in die Landschaft. Der Innen-
raum wird auf einige wesentliche Bestandteile redu-
ziert, somit zum offenen Raurn umgeschaffen, der ohne
Zweifel derart beherrschend ist, da alle schließenden
und deckenden Flächen fehlen, daß von einer gleich-

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