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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 10./​11.1928/​29

DOI Heft:
1./2. Juliheft
DOI Artikel:
Hellwag, Fritz: Die gegenwärtige Lage des Kunsthandwerks
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https://doi.org/10.11588/diglit.25877#0491

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/ahrgang 1929

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1./2. -7uliheft

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jie Gegenwart ist dem Knnsthandwerk nicht
^ eigentlich wohlgesinnt. Nicht nur, daß die
Schwesterkünste sich angewöhnt haben, den Begriff
„kunstgewerblich“ in etwas ironischem und ablehnen-
dem Sinne zu gebrauchen; der schöpferische Geist, der,
wie wir es aus der Kunstgeschichte wissen, oft mit
scheinbar unerklärlicher Laune von einem C.ebiet zum
anderen überspringt, hat sich mit Anzeichen der Ermat-
tung vom Kunsthandwerk abgewendet. Mit der allge-
mein schwachen Kaufkraft und der durch sie beschränk-
ten Absatzmöglichkeit ist diese Tatsache nicht genügend
zu erklären, man muß schon etwas tiefer den inneren
Gründen nachgraben.

Der langjährige Leiter des Münchener Kunst-
gewerbevereins, Dr. Panl Danzer, klagt in einer
Broschüre „Geldverdienen und gewerbiiche Kunst“
(München 1928, Verlag B. Heller, Preis RM 2,40), das
(münchener) Handwerk hätte, „getrieben vom Tempo
der Maschinenkünstler“ beginnen müssen, „die 'Förm
der Maschinenarbeit zu imitieren“. Angenommen, ein
solcher Zwang zur wirtschaftlichen Selbsterhaltung be-
stehe wirklich, so könnten wir ihn doch nur als das
Symptom einer Krankheit nehmen, die konstitutionellen
Charakter trüge. Die Diagnose muß anders lauten.

Es sei zugegeben, daß der Maschinenkult, den wir
aus sozialen und wirtschaftiichen Grün'den zwangs-
läufig betreiben, das Wesen dcs Handwerks überhaupt
im tiefsten Inneren erschüttert hat. Auf der Suche nach
dem veriorenen Gleichgewicht ist man lange Zeit in der

Irre gegangen. Die Zwecktheorie des Deutschen Werk-
bundes, die nur die „Materialgerechtigkeit“, nicht aber
die konsequente Formgestaltung gefordert hat, trug
wenig dazu bei, den Ausblick in die Zukunft zu erhellen.
Man stieß in die nebelhaften Regionen des Ornamentes
vor, um so dem formbildenden Handwerk neue Kraft
und Anregung zuzuführen, und begnügte sich damit, im
Gegensatz zum Handwerk die Ornamentlosigkeit der
Maschinenarbeit zu proklamieren, ohne logisch deren
Produktionsweise nachzugehen. Mit solcher Schei-
dung nach äußerlichen Merkmalen konnte die Unklar-
heit nur vergrößert werden.

Auf einer mittleren Linie kultivierte man im breiten
Strom den guten Geschmack. Nur auf den extremen
Flügeln entwickeiten sicli regellos und eigenwillig die
Kräfte, mit denen die alte und die neue Zeit in aller Ent-
schiedenheit sich befehdeten. Der Wiener Architekt
Adolf Loos verkündete als Bannfluch das Wort: „Das
Ornament ist ein Verbrechen“; er stellte in Wien jene
Häuser in die Mitte alter Stilbauten, die Entsetzen, Ent-
rüstung und — begeisterte Zustimmung hervorriefen:
es waren die Vorläufer der heute noch kampfumtobten
„Neuen Sachlichkeit“. Loos und seine Anhänger ver-
traten und vertreten in der allgemeinen Entwicklung
das soziale und rationalisierende Prinzip, das sich be-
wußt von allem Handwerk ab und der Maschine
zuwendet.

Gereizt durch die unerbittliche Konsequenz der
Loos’schen Formulierung und aus innerem künst-

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