Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 10./​11.1928/​29

DOI Heft:
1./2. Novemberheft
DOI Artikel:
Hildebrandt, Edmund: Die beiden Professoren vor der "Aula": Fichte und Savigny von Hugo Lederer
DOI Artikel:
Grautoff, Otto: Neu aufgefundene Werke von Nicolas Poussin
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.25877#0110

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
lebendig wirkender Kräfte und organisch wachsender
Formen.

Dieses Schauspiel gilt es in voller Stärke zu er-
fassen. Es wird wie alle wahrhaft große Kunst sicli
nicht auf den ersten Blick enthiillen. Aber bei jedem
neuen Versuch wird es an Eindruckskraft gewinnen.
Und schließlich werden die Steine zu reden beginnen,
und was sie sagen, wird zum Erlebnis werden.

Wer dann von hier herüberblickt zu dem Vorgarten
der Universität, wo jenseits dcr Straße die jüngeren
Kollegen der beiden Alten, ein Helmholtz, ein Treitschke
auf ihren Sockeln thronen, wird den ganzen Abstand
fühlen, der monumentale Kunst von Denkmalsarbeit
trennt. Dort drüben ist alles mehr oder minder Zufall,
guter Wille und Geschmack, ehrliche Bemühung, abcr
keine zwingende Größe und Einheit. Die Figuren

bleiben bei a'ller Pathetik klein, und trotz des soviel
kostbareren Materials, auf die einmal ihnen angewiese-
nen Maße geistiger und körperlicher Erscheinung be-
schränkt. Sie w a c h s e n nicht in der Phantasie des
Beschauers wie die Lederers. Das Pathos des
Treitschke wirkt auf die Dauer theatralisch, der allzu
weiche Mommsen droht zu zerfließen, und der Helmholtz
gar iu seinem Talar (dem gleichen Verlegenheitsmotiv
wie der Feldherrnmantel bei Rauch) wird immer nur der
berühmte Professor vom Jahre 1900 im akademischen
Festgewand bleiben, kein Typus und kein Repräsentant
des Geistesadels für a 11 e Zeiten. Und jeder von die-
sen dreien hätte doch als geistige Potenz und historische
Weltmacht das gleiche Recht auf ein monumentales
Abbild seiner Persönlichkeit gehabt, wie die glück-
licheren KoTlegen drüben vor der Aula.

JHeu aufgefundene IDecKe oon JHicolas Pousstn

oon

Otto öi’autoff

or mehreren Monaten wurde mir iti der Galerie
’ Ehrhardt ein Werk des NicoTas Poussin gezeigt.
Der Fall schien klar zu liegen. Es mußte eine späte
Kopie des Triumphes der Galathea sein, die in der Ere-
mitage von Leningrad hängt. Die Komposition ent-
sprach bis in alle Einzelheiten dem bekannten Bild. Die
Konturen waren mit feinem Pinselstrich so pedantisch
sorgfältig gezogen, wie der Meister selbst es niemäls
getan hat. Die Bewegungen der Körper waren irgend-
wie erstarrt, die Augen saßen tot in den Köpfen. Die
Farben entsprachen in der Anlage dem Original, waren
aber bleiern schwer, stumpf und kalt. Man rnußte das
Bild für eine Kopie aus dem beginnenden 19. Jahrhun-
dert halten, das heißt aus jener Zeit, in der das Schwer-
gewieht auf Genauigkeit und Sorgfalt der Zeichnung ge-
legt wurde und die Farbe nur als „plus d’agrement“
gaBt. Dennoch ging von dem Werk irgend ein unbe-
stimmbares Fluidum aus, das zu Bedenken bei der
Urteilbildung Anlaß bot; vielleicht war es nur die über
dem Durchschnitt stehende Sicherheit des Kopisten,
vielleicht aber sprach der Hintergrund durch die obere
Schichte hindurch. Ich schlug vor, das Bild zu reinigen,
zuerst e-inmal mit leichten Mitteln zu untersuchen, ob
das ganze Werk von einer Hand sei, ob sich vielleicht
djese oder jene Stellen leicht lösen ließen. Die Arbeit
wurde unternommen, erst an den Ecken, dann auf dem
Körper der Galathea. Schon die ersten Versuche er-
gaben, daß sich die obere Malschicht leicht löste. Mit
dem üblichen verschmutzten Firnis verschwand auch
eine kalte, harte, nüchterne Uebermalung, darunter
tauchte ein ganz anderes Bild auf von frischer Zartheit,
von schwebend konturierten Körpern, von differenzier-
ten Tönen in den Gestalten, von hingespritzten Blumen
und von Corothafter Weichheit im landschaftlichen Hin-

tergrund. Ich habe dem Reinigungsprozeß selbst bei-
gewohnt und erlebt, wie dem ganzen Bilde nacli und
nach die bleierne Schwere genommen wurde. Es war,
als ob ein düsterer, verschmutzter Vorhang von einem
Meisterwerk langsam fiel. Die mythischen C.estalten
schlugen nach jahrhundertelangem Schlaf die Augen auf,
atmeten wieüer in ihrer allegorischen Verbundenheit.
AlTe Farben begannen in sonniger Heiterkeit zu singen
und zu klingen. Kein Zweifel, daß sich hier ein Meister-
werk enthüllte, das eine pedantische Kopistenhand mit
der Absicht es zu verbessern durch Uebermalung vor
dem Verfall bewahrt hat. Hier wie auf dem Exemplar
der Eremitage glaubt man den Wind zu spüren, der die
breite Gruppe vorwärts jagt. Hinter ihr braust und
wallt es. Neptuns sicli bäumende Rosse rasen daher.
GaTathea schwebt in behender Eile unter dem sich bau-
schenden, windgefüllten Tuche heran. Die Beruhigung
der ungestümen Gruppe ist durch die Einheitlichkeit der
sich auf Galathea konzentrierenden Blickrichtung aller
erreicht. Ihre sanfte Schönheit ist bedeutend hervor-
gehoben, und in ihr finden auch die Blicke des Beschau-
ers die erwünschte Sammlung. Ihre Formen werden
von ruhigeti Konturen umschrieben; beglückt ruht das
Auge auf ihrem lächelnden Antlitz, um den Dämon des
Mecres zu vergessen. Reicher nuanciert, zarter und
schwebender ist der Hintergrund auf dem Berliner
Exemplar, so daß gerade deshalb die Vcrmutung einer
zeitgenössichen Kopi'e abgelehnt werden muß.

Das Petersburger Gemälde mißt 1,14)4 X 1A6V2,
das Ehrhardtsche 1,17 X 1,53. Aus der Literatur sind
zwei Exemplare des „Triumphes der Gaiathiea“ oder des
„Triumphes Neptuns und der Amphitrite“, Wie das Bild
auch genannt wird, nicht klar zu entnehmen, aber schon
Jamot bemerkte 1921 in der Gazette des Beaux-Arts:

104
 
Annotationen