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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 10./​11.1928/​29

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1./2. Novemberheft
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Eckstein, Hans: Max Beckmann: zu einer Ausstellung seiner Gemälde im Graphischen Kabinett zu München
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Peter, Kurt von: Camille Pissarro
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https://doi.org/10.11588/diglit.25877#0136

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eine Erscheimmg der Gegenwart, vor der sohon jeder von uns wie
vor einem diisteren Schicksal entsetzt erscliauerte. Und wenn in
unserer Zeit, die allzu viel des bloß Gefälligen, des bloß Modischen
hervorbringt, einmal ein Künstler auiftritt, dessen Werk so rein
menschliches Bekenntnis ist, daß es nicht bloße Be-
wunderung, sondern wieder Bekenntnis heischt, so ist sicher damit
der Kunst ein heute schier hoffnungslos verschütteter Weg frei-
gelegt, auf dem sie wieder zu der Steilunig eines lebenskündenden
und lebenformenden Faktors in unserem Dasein gelangen könnte.

Es ist deshalb von entschiedenem Gew-icht, wenn Beckmanns
Werk in diesem Jahre allein nunmehr zum dritten Maie zur Erör-
terung gestellt wird: der umfassendsten Ausstellimg in der Mann-
heimer Kunsthalle (Frühjahr 1928) und einer kleineren Schau bei
Flechtheim in Bcrlin reiht sich die Aussteilung in dem von Günther
Franke vorzüglich geleiteten Graphischen Kabinett ,in Miinchen an.
Sie umfaßt Gemälde der ietzten acht Jahre und
wurde durch einen Form und Gehalt der Beckmannschen Kunst und
ihre für diese Zeitwende symptomatische Bedeutung erläuternden
Vortrag von Dr. Fritz Wichert (Frankfurt) am 15. September
eröffnet.

In dieser neuen Schau fehlt der noch im Bannkreise des Ber-
liner Impressionismus stehende Beckmann, den die große Mann-
heimer Ausstellung mit einbezog, gänzlich. Es hat das seine Be-
rechtigung: Beckmanns Kunst ist in allen Wesenszügen durch die
Zeitkatastrophe bestimmt. Wenigstens wird das Entsetzen über die
solipsistische Vereinsamung des Menschen, das einige der impressio-
nistischen Bilder wie die „große Sterbeszene“ von 1906 mit den
vom Schmerz zerbrochenen, in wilder Gebärde sich aufbäumeniden
Menschen Edvard Munch nahe kommen lassen, erst durch das Erleb-
nis des Krieges hell wach. Ja dieses Entsetzen scheint in Beckmanns
Kunst gorgonisch versteinert. Auch vordem malte er nicht um
der bloßen Farben und Töne willen, sondern es drängte ihn zu
Siinnbildlicher Gestaltung seiner Erlebnisse, Visionen, Bekenntnisse.
Er drückt, was er zu sagen hat, eigentlich nur noch in den Mitteln
aus, die zu beherrschen er gelernt hat. Es ist längst ke.in echter
Impressionismus mehr. Er malt in Riesenformaten eine Kreuzigung,
eine Auferstehung, die Entfesselung wilder Leidenschiaften, Kampf,
Vergehen, Katastrophen: eine große Amazonenschlacht, das Erd-
beben von Messina, Vergewaltigunigen, Schiffsuntergang. Erst der
durch das Kriegsgesicht völlig aufgewühite Künstler dringt zu einem
eigenen Stil durch. Jede malerische Verbrämung der Form wird
aufgegeben. Eine strenge bildnerische Gesetzlich-
k e i t, eine eisi.g klare kantenscharfe Konstruktion, eine geradezu
militärische Zucht beherrscht jetzt seine Graphik und Mailerei. Die
apokalyptisdhen Visionen des Fünfundzwanzigjährigen bleiben däs
Grunderlebnis, aber dieses heftet sich nun ganz an das gegen-
wärtige Dasein. Es hat wohl noch niemand so qualvolle Bilder,
aber auch wohl noch niemand mi't solchem inneren Widerwillen das
Häßliche gemalt wie dieser Beckmann, Sie sind eine einzige
gellende Anklage, die Gemäide „Variete“, „Trapez“, „Traum“,
„Galleria Umberto“, deren erschreckende Scheußlichkeit audh nicht
ein zynisches Uachen zu mildern vermöchte. Der starke Wille zur
Straffung der Form deutet auf einen so unerhörten Drang zur Nie-
diev wU'ftunig aller Fratzenhaftigkeit djeses Daseins, zur Ueberwin-
dung und Bändigung dieser selbstquälerischen Negat-ion und Ver-
zerrung, dat? der Gestalter des grauenhaften Inferno unserer Zeit
gar nicht als wüster Zyniker, eher schon als Moralist erscheint.
Beckmanns Sci: iffen ist ein Abwehrkampf, m.it selbstmörderischen
Waffen geführt.

Immer wieder versucht der Künstler den ifurchtbaren Bann zu
durchbrechen; er wendet sich zu Stilleben und Landschaft. Aber
es sind nur kurze Ate npau-sen, dieses Margeritenbild von 1921 und
die gewittrige FrüMinigslandschaft aus der Sammlung Dr. Heinrich
Simon-Frankfurt (1924) — Etappen bis zu einer endgültigen Beruhi-
gung und Klärung. Die Ausstelkmg des Graphischen Kabinetts mit
acht Bildern aus diesem Ja’nre, diie teilweis-e zum erstenmal öffent-
lich ge-zeigt wer-den, un-d finf Zcichnungen desselben Jahrgangs
lassen zur Gewißheit werden. was alle, die Beckmanns Schaffen
aufmerksiam verfolgt -haben, eiwarteten und erhofiften: daiß er aus
dem Streit m.it unserem Zeitafer als Sieger hervorgehen werde.

Da ist noch aus dem vorigen Jahre das Bi-ld des Hafens von Genua,
das schon von den früheren Ausstellungen her -bekannt ist; aus
schimmerndem Dunkel leuchten -die b-unten Schornsteine der Schiffe
im Hafen; lunheiim-lich genähert und doch geheimnisvoll fern zugle-icli
di-e mondbleiche Stadt wie in scbaukelndier Schwebung zwischen
lastendem Himmel und düsterem Grün der See.

Dann, die neuen Bilder. In -ihnen s-ind nicht mehr Menschen
und Dinge zusammengepfercht, eingespannt in das frü-her so bevor-
zugte unbequeme Kompo-sitionsgehäusie schmal-er Rechtecke. Si-e
haben die dynamisohe Wuch-t und Spannung der Zeit und geben
doch Raum zu vo-ller Ausladung und Entfaltung menschilicher Ge-
bärde. Die natürl-iche Welt tritt wieder in ihre Rechte. Und wie
d-ie qualvolle Gebundenhe-it, der dogmatis-che Zwang der früheren
Bilder mit ihrer grellen, überhellen De-utlichkei-t, Scharfkantigkeit
und Starre der räumlichen Fixier-ung e-iner größeren mensch-
I i c h e n F r e ,i h e-i t we-icht, in dem-selben Maße gewimnt die Farbe
neues, erst wahres elementares Leben. Bei unverminderter Wuch-t
des Plastisch-Räumlichen s-in-d die neuen Bilder -nicht m-ehr bloß
illuminierte Umrißze-ichnungen, sond-ern primär mal-erisch
e-mpfun-den: „Anpro-be“, „Die Loge“, „Zige-unerin“. Beckmanns
impres-sion-istische Vergangenheit und die -Phase seiner starren- b-ild-
nerischen Konstr-uktion s.ind in diesem Ne-uen gleic-herweise frucht-
bar geworden. Unser-e näch-ste Gegenwart enithüllt sic-h in dieser
Kunst mit iiberraschender N-euheit. Er scheint h-ier -mehr geschaffen
und im Entstehen begriffen als nur ein neuer „Stil“.

CamtUe pi{Tat?t?o.

Am 12. November s-ind es 25 Jahre, daß Camille P-iissaro in die
Ew-igkeit heimging, dem Lob der Zeiten überiiefent. Als Franzose
u-n-d Israelit am 10. Ju-li 1830 auf der Insel St. Thomas auf den Antillen
gebo-ren, wu-rde er -in Par-is (Passy) erzogen, von einern- Mr. Savary,
der ihm dle ersten Ze-ichenstunden gab. Dur-ch seinen Vater zum
Kaufmann bestimmt, gin-g er eine Zeitlang -i-n die Heimat zurück;
sein Leh-rer hatte i-hrn bei der Abre-ise von der Pen-si-on gesagt: „Ver-
gessen Sie vo-r allem n.icht, rech-t viel Kokospal-men n-ach de-r Natur
zu zeichnen“, was er auch in der Tat n-icht versäumte. Im Jahire
1852 kam der dänische Maler Fritz Melbye durch St. Thoma-s; er
erkannte d-ie künstle-rischq Begabung des jungen Pi-s-saro un-d- na-h-m
ihn nach Caracas mit, wo Pissaro nach Herzensl-ust im Fre-ien zeich-
net-e -und malte. So begann der spätere Führende der Ple-in-a-ir-
Malerei. Im Jahre 1-855 majorenn geworden, kommt er wieder nach
Paris, um sich ganz der Kunst zu wiidmen. Jeder „Malkla-sse“ -ab-
hold, fühlt e-r sich zu Corot hingezogen, der i-hn durch se-ine Rat-
schläge, si-ch immer n-ur an die Natur zu halten, in seinen Ne-iigungen
bestärkt. Er zeichnet nur nach iebenden Modellen, ,und da er der
Umgegend der Hauptstadit die Moti-ve für seine Landschaftsmalerei
cntneh-men w-ill, läßt er -sich 1859 in Mo-ntmorency, 1863 in La
Varen-ne—St. Hila-i-re un-d 1867 i-n der Hermit-age in Pontoiise -nieder
(nach der Ver'heiratung lcbt er 1868/69 -und 187-0- i-n Lo-uvecienne-s).
Im Jahre 1859 hat er zum erstenmal eine in Montmorency gemalte
Landscha-ft an -den „Salo-n“ gesc-hickt, welche auch angen-ommen
wurde. Nach zwei Zurückweis-ungen — später — stellt er im Salon
des Re-f-uises aus, dann wi-eder 1864, 65 und 66 in den Ausstellun-gen
des Salon-s. In dieser er-sten Par.iser Sch-affensze-it m-alt er noch vor-
wiegend i-n einer d-unklen Weise, die an Corot un-d Courbet erinnert
u-nd von ebenso großer Tonschönheit ist w-ie bei diesen, er bevor-
zugt besonders eini ernstes Grün un-d eiki düstere-s Grau. Im Jahre
1866 mach er die für ihn sehr entscheidende. persönliche Bekannt-
schaft mit Man-et, der die bi-s da-hin übüch-e Techndk, Lich-t -und
Sch-atten in ständigen Gegen-sätzen z-u -malen, umw-arf, im vollen
Licht'malte und Lokalfar'ben ohne Ueberga-ng nebeneinander setzte.
Au-ch mit einem anderen Aufrührer gegen d,ie offiz-ielle Kunsti, mit
Monet, wird er befreu-n-det, und mit ihm befind-et -e-r sic-h während
de-s Krieges von 1870 in Lo-ndon-, wo sie beide den Einfluß T-urner-s
erfahren. Pissaros M-alwei'Se w-ird' -gleichsam von Tag zu Tag heller
und heller, -und man kann s-ein-e Landschaften- nach dem Fortschreiten
zur Helle und zum iLich-t beinahe chronologisoh ordnen. Nach dem
Krieg und Bürgerkrieg kehrt er nacih Frankreich z-urück un-d lebt
zehn Jahre in Pontoise, von 1872—1882. In dieser Zeit steh-t er im

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