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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 10./​11.1928/​29

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1./2. Novemberheft
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Widmer, Johannes: Schweizer Kunstbrief
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Aus dem nordischen Kunstleben / Londoner Kunstschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.25877#0132

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Scbu)ei2ei? Kunffbütef.

Don ]obannes LÜidmeE — Genf

Die Reihe der großen Jubiiläen ist an Aibert Anker (1831
bis 1910). So hat, d'as genaue Datum des hundertsten Geburtstages
leicht vorausnehmend, die Leitung der Berner Kunsthalle
gedacht und dem Meister von Ins eine gediegene Zentenarausstellung
geriistet.

Dem Meister von Ins, so wird er in der Schweiz gerne ge-
nannt. Ins ist ein schönes und schöngelegenes Dorf in einem Ge-
biete, das geographisch-geschichtlich mit Abwechslung, Schicksal
und Ueberlieferung gesättigt Ist und deshalb auch malerisch voll
Figur stekt. Der junge Mensch, der da aufwuchs, das Land zwi-
schen den drei. Seen von Biel, Neuenburg und Murten, schweizerisch
gesagt, wie seine Tasche kannte und nach einer Abirrung in die
Theologie sich der Kunst zuwandte — in Paris, statt wie es da-
mals in dcr Schweiz vorlierrschende Sitte war, in Deutschland —
dieser junge Mensch hat den unschätzbaren Vorzug einer solchen
Heimat iiber den Lchren seines Lehrers Charles G 1 e y r e , des
Idealisten Ingres’schen Schlages nicht vergessen, und sein Dasein
galt je länger je mehr der Verbernerung des Abstrakteni. Haller,
Gotthelf, Hodler haben es auf ihre Weise auch so gehalten.

Der Verbernerung oder „Verankerung“ des klassizistischen
Ideals in der bernischen Wirklichkeit, zuerst mit jährlichem Wechsel
des Wohnsitzes: Paris—Ins, Ins—Paris, dann in bleibendem Hausen
unter dem väterlichen Dache durchgeführt, erwies sich ais 'eine
Ouelle unerschöpflicher Anregung und Wamdlung, als das Gegen-
giift gegen Ansteckuingen, denen Anker durch sein Naturell ausgesetzt
war. S'ie schützte fhn gegen die Historie und gegen das Genre oder
bog beide Kunstformen nach einer Richtung um, wo sie ungefährlich
waren, weil sie beide vor Färbe und Liclit und Bewegung eines
bestimmten Menschenbereiches stellte, der sich nur dadurch verall-
gemeinern ließ, daß man ihn maximal erfaßte.

So steht denn Anker, an den historisierenden und genre-
malenden „Düsseldorfern igemessen“, als ein Selbständiger, als ein
Größerer, geistig und malerisch, da. In seinem Gesamtschaffen be-
trachtet, ist er der erfindungsreiche Odysseus, der zwischen der
Skylla und der Chayrbde seiiner Zeit und seiiner Artnachbarn hin-
durchsteuert und ein nicht wie Jener Schaffen periodischeim Ver-
gessen verfallenes Werk aufstellt, sondern eines, das Geschlechter
für Geschlechter abbildet und nachersohafft. Sein Tun liegt, nach
beiden Seiten offen, in der Mitte zwischen dem Klassischen und
dem Naturalistischeni, aber auf einem Plan, wo Tagesfragen ver-
hallen, wo Schicksal und Kunst allein entscheiden.

Werke wie die „Genesende“ zeigen Anker auf der Höhe ein,es
Cour'bet, andere, wie di;e Studie „Murten“ — ich sagte es dem
glücklichen Besitzer schon vor vielen Jahrem, im Angesicht des
koloristiischen Wunders — auf der Manets. Dennoch, auf die Dauer
möchte man sich weder mit der einen noch mit der andern Glei-
chung abfinden. Dazu sind die Gemälde zu wenig auf Glanz und
Ueberraschung berechnet. Sie sind innerliche Auseinandersetzun-
gen eines Denkers, eines Bildners, eines Gleichen mit der wan-del-
baren Form, in der er und seinesgleichen über diese Erde wallen,

die ihm weder Thronsaal noch Schlachtfeld, weder Ateliernord
noch Orient zu sein braucht. Ins hat iim Schulmeister den Weisen,
im Gemeindesekretär seinen Sohn, in jedem, ernsten Bauer seinen
Schicksalsforscher und -Präger, und einen Flor unter schlichtem
Gewande hinreißend, lieblicher Knaben- iund Mädchenzukunft. Sie
alle hat Anker mit der riuhigen Größe des antiken Plastikers ge-
staltet, ohne je in einen Antikensaal (der übrigens dazumal im der
Schweiz noch nicht vorkam), und der unauffallend mächtige Kolo-
rist, der er war, hat die Gestalt in einer nie sklaviseh, stets über-
legen gemutzten Atmosphäre gegeben. Wirken die bedeutendsten
Anker so fiir den Farbenfreund zunächst statuarisch, so machen sie
auf den Formenfreund einen merkwiirdig tonigen Eiindruck, und
allmählich kommen der Eine und der Andere, wie ich in Bern neuer-
diings feststellte, zu der Einsicht, daß dieser „Bauernmaler“ eine
Anlageneinheit ersten Ranges war. Ueberhaupt, alles war in ihm
geeint, was anderswo auseinanderklafft: Farbe und Zeichnung, In-
lialt und Gehalt — man vergleiche die puitzigen Bäuerleän Vautiers
mit den wie durch neue Sachlichkeit geprägten Ankers — Körper
und Luft, Tracht und Macht, Germanisches und Romanisches. Ein-
fachheit und raffiniertc Künstlerbewußtheit, Drang und Geschmack.
Deutsch gesagt ,und verglichen: später Leibl, früher Thoma. Wun-
derbar vor allem die Spannweitie des Psychischen: holländische Zu-
standsmalerei, Burckhardtsche weltweite Vision, die ungesagt aus
den Dorfgenossen herausschaut.

Aus(iel(ungcn in det? Scbu^cts.

In Genf: Haberjahn, ein begabter Landschafter mit
Japan-, Lorrain- und Hodlereinschlag: Albert Jakob Welti, ein
naturalistischer Märchenmaler, schweizerisch-bajuvarisch, die Phan-
tastik seines Vaters nicht ungern ins Krasse treibend und mit einem
Zusatz vo,n Korpsstundentenpoesie versetzend; Schöllhorn, an
den Gestaden des Mittelmeers ständiger Gast, die Augen voller
Rhythmoskoristik leichter wohliger, lüsterner Art; und Estop-
pey, der lebenslang sein solides Temperament dem Flüchtigen,
dem impressionistischen schönen rosigen uind grünen Farb-Licht hin-
gegeben hat; spannender Fall, soweit das Biedere spannen kann
oder will.

In Lausanne: die Waadtländer Maler, unter denen sich
w,ie seit einiem Menschenalter A .ulb e r j o ti oii s , unter den Neuern
C o u v e t, B i s c h o f f, Gueydan, C h i n e t, D u t o i t her-
vortun. Beherrschend wirkt R. Th. Bosshard, der bald in
Paris, bald in dem lemanbeherrschenden Weindörfchen Riex haust
und die weltstädtische Phantastik an der herrlichen Luft und Weite
der Heimat zu reiner Phantasie und Forrn läutert.

In Bern: Anker in der Kmnsthalle.

In Basel: junge Basler Maler.

In Z ü r i c h : die dritte Fassung der Buchser - Jubiläums-
aiusstellung und danach Gustave .1 e a n n e r e t.

In C h u r : Eröfftiung eines Kuinsthaiüses in der von den Be-
sitzern zu diesem Zwecke geschenkten Villa Planta.

Aus dem nordifcben KunfHcben.

Das allbekannte „Nordische Museum“ in Stockholm hat in
Dr. Gustaf Upmark seinen ausgezeichneten Leiter verloren.
Upmark war 1875 geboren und hat sich diuirch seine Arbeiten zur
Geschichte des schwedischen Kunsthandels wissenschaftlichi einen
angesehenen Namen gemacht. An seinem 50. Geburtstage kon-nte
er sein Hauptwerk über die schwedische Gold- und Silberschmiede
abschließen; seine Sammlung „Möbel der höheren Stätide im Nor-
dischen Museurn“ ist als unentbehrliches Ouellenwerk anerkannt.
Als sein Nachfolger ist Dr. Andreas Lindblom, der gediegene Kunst-
liistoriker der Stockholmer Hochschule, ausersehen, der sich durch

sein Buch über die gotische Malerei in Schweden und Norwegen
und durch seine Veröffentlichungen zur Geschichte der schwedi-
schen Kunst im Barockzeitaltier allgemein bekannt gemacht hat.

Eine umfassende Ausstellung in der „Modernen Galerie“ gilt
dem Gedächtnis von Carl Wilhelmsson. Wilhetmsson war
ein Maler von herber Wahrhaftigkeit, der in dem Baiuiernleben der
südwestschwedischen Landschaft Bohnslän seine Stoffe fand. Er
gehörte nicht zu denen, die das Bauernleben sentimental aufputzen;
er war eine sachliche Natur; man würde zuweilen versucht sein,
ihn niichtern zu nennen, zeugte nicht der Ernst seiner Einfiihlung in

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