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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 10./​11.1928/​29

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1./2. Februarheft
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Erdmann, Kurt: Neuerwerbungen der Staatlichen Museen zu Berlin auf dem Gebiete persischer Keramik
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Winkler, Friedrich: Leonardo's Kunst in neuem Lichte: Bemerkungen zu Hildebrandt's Biographie
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https://doi.org/10.11588/diglit.25877#0261

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bene kleinere (1,51 m : 0,69 m) Mihrab aus einem
Mausoleuin in Kum (Abb. 5). Seine Inschrift lautet:
„Solches wurde geschrieben am 10. Safar des Jahres
663; sein Schreiber war ’Ali ben Mohammed ben Abi
Tähir, nachdem er es verfertigt und verziert“ (nach der
Lesung von Professor E. Kühnel). Er ist also 1264 ent-
standen, d. h. rund 40 Jahre jünger als der Mihrab der
Meidan-Moschee. Technisch steht er jenem noch sehr
nahe. Wie dort sind auch hier zwei verschiedene
Reliefhöhen gewählt: die leider heute verlorene
sicher in Lüsterfarben bemalte Lampe in hohem
und die Schriftzeichen und Ranken in flachem
Relief. Wie dort sind die Schriftzeichen blau, die Ran-
ken zwischen den Lampenschnüren türkisgrün bemalt;
über der farblosen Glasur endlich ist ebenfalls ein Ran-
kenmuster in Goldlüster aus dem weißen Grunde aus-
gespart. Im Aufbau dagegen bcstehen denkbar starke
Unterschiede. Die architektonische Form, die am
Mihrab der Meidan-Moschee trotz des rein flächenhaf-
ten Charakters noch bewahrt blieb, tritt hier zurück.
Es ist kaum ein Zufall oder eine nur aus technischen
Gründen zu erklärende Tatsache, daß der kleincre
Milirab aus nur zwei verhältnismäßig großen Flie-
sen zusammengefügt ist. Das Gefühl für den

ursprünglich räumlichen Charakter der Anlage ist
verloren gegangen — nur die Moscheelampe erinnert
uoch leise daran — die Fläche als solche domi-
niert und wird unter oberflächlicher Wahrung der äuße-
ren Form, die ganz aufzugeben natürlich unmöglich
war, nach eigenen Gesetzen gegliedert. Im Wesent-
lichen ist sie mit Schriftzeichen bedeckt, die teils in
schwerem Kufi, teils irn leichteren Naskhi Duktus ge-
schrieben sind. Der Nischenbogen entwickelt sich dabei
in großartig dekorativer Weise aus der Schrift; ebenso
wird der oben überschneidende Kreis aus der Verlän-
gerung einzelner Schriftzeichen gewonnen. Wie aus
beiden Formen zusammen ein Nischenbogen gebildet
ist, ist ein Motiv, das den, der die raffinierten Spielereien
islamischer Kalligraphen kennt, nicht erstaunen lassen
wird, das aber als Kompromiß zwischen unuingäng-
licher, ursprünglich architektonischer Form und rein
flächig zeichnerischem Dekorationsempfinden künst-
lerisch sein Gegenstück sucht. Daß die so entstehende
Form als Ganzes an einen Dreipaß erinnert, mag als
Gedankenverbindung insofern niclit rein zufällig sein,
als der Dreipaß des gotischen Maßwerks, wie sich u. E.
nachweisen ließe, auf islamische Anregungen zurück-
zuführen ist.

Leonat’do's Kunff in neuem tlcbte

Bemet’kungcn zu fiildcbüandt’s Biogt?apbt£

oon

f. LÜinklet? — Bedin

[jer Kampf ist dcr Vater aller Dinge —das Wort des
griechischen Philosophen muß wie kaum ein an-
deres als Leitspruch des Schaffens Leonardo’s gelten.
Was sich bekämpft, was sich aufzuheben scheint, reizte
ihn. Das Unvereinbare zu einigen, das Unmögliche
möglich zu maclien — ein solch seltsames Ziel bewegte
Leonardo’s Gestaltungsdrang. Eine problematische
Natur. Der Widerspruch gegen ihn ist deshalb bis heute
lebendig geblieben, obgleich er zu den Größten gerecli-
net werden muß. Der umfassendste Geist der neueren
Zeit, eine sieghafte Natur, die selbst die unscheitibarste
Aeußerung eines Gedankens, einer Bildvorsteliung in
eine köstliche Form kleidet, wird noch heute zuweibn
als Künstler abgelehnt. Er ist in der Tat selten zur
Vollendung seiner Werke gelangt. Der Kampf um das
Werk scheint ihm mehr zu gelten als das Werk an sich.
Er ist eine problematische Natur im tiefsten Sinne des
Wortes.

Der Grundzug seines Wesens hat sich seinen Bio-
graphen mitgeteilt. Die besten sind selbst problema-

*) Leonardo da Vinci. Der Künstler und sein Werk. Von
Edm. Hildebrandt, Professor an der Universität Berlin. Berlin.
Q. Grote’sche Verlagsbuchhandlung 1928. (Mit 296 Abb.)

tische Erscheinungen geworden. Ihr Werk ist unvollen-
det; sie beschäftigen sich mit Teilausschnitten aus dem
gewaltigen Schaffen oder sie sind — was Leonardo
ganz entgegengesetzt ist — formlos geblieben.

Auch Hildebrandt’s Buch faßt nur den Künstler
Leonardo ins Auge. Hildebrandt legt den Grundzug von
Leonardo’s Schaffen in sein Künstlertum. Schon hier
taucht die Frage auf, ob er riicht ebenso sehr Forscher,
ob nicht seine Doppelnatur das Unbegreifliche, Groß-
artige an ihm ist. AIs Künstler ist er jedenfalis vor allem
lebendig geblieben. Wer wie Hildebrandt über das
Problematische bei Leonardo hinaus zu seiner künst-
lerischen Größe gelangen und andere von ihr überzeu-
gen will, die noch immer ihre Widersacher hat, der muß
den Begriff Kunst im weitesten Sinne nehmen, und der
muß ihr einen modernen lebendigen Sinn geben. Die
Königin der Künste aber ist — nach einem Worte
E. Grosse’s — heute die Musik. Das Musikalische, der
Urgrund aller Kunst, ist Hildebrandt’s Leitmotiv.

Von den älteren Biographien unterscheidet sich der
neue Leonardo durch den Einklang zwischen Bild
und Text. Das Geschriebene dient nicht nur der Be-
lehrung, es will kontrolliert sein; die Reproduktionen

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