Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 10./​11.1928/​29

DOI Heft:
1./2. Juniheft
DOI Artikel:
Bogeng, Gustav A. E.: Betrachtungen aus der Bibliophilen-Perspektive
DOI Artikel:
Goretzko, Alfred: China-Mode
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.25877#0470

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
werden. Keinesfalls ist das eine Widerlegung alter literariseher
Produktivität durch eine nieue, ebensowenig, wie die Meiningerei
schon dadurch widerlegt wird, daß man fiir ShakesipeareroUen den
Frackzwang einführt. Die Abschaffiung der Vergangenheit mit
ihren historischen Stilen und ihr Ersatz durch eine moderne Stili-
sierung besteht nicht schon darin, daß man alte Werke mit einer
neuen Firma versieht. Es list ,noch kein Mangel an m'odemer
Rc'iproduktiivität der Leser, wenn albe Werke wegen ihres Ei:gen-
ge'halte'S und ihrer Eigengestaltung neben den ncuen geschätzt
werden. Je feiner die literarischc Bildung und die liter'arhi'storische
Sohuluing des Lesers ist, desto umfassender w-ird durch s,eine
Empfindlichkeit fiir stilistiscbe Ddssonanzen, durch seine Fähigkeit,
richtig zu vergleichen, aucli sein Vcrständms fiir die echteu Werte
seiner eigenen Zeit isein. Auch die eingetrocknetsten Scharteikisten
weriden aus iliren verstaubten Wiinkein hervoiikriechen, wenn der
Platzregen -e,iner neuen Geniepeiriode an ihre Femster schläigt.
Allein der Konkurrenz der historischen Poesie und alleän am Publi-
kum wird es nicht liegen, wenn die dichterischen Gewailtien unserer
Gegenwart sich nicht Bahn brechcn. Das beste Mittel, alte durch
neue Kunst zu ersetzen, ist noch iinmer, die neme Kunst ;zu zeigen.
Die Geiegenheiten dazu haben sicli vervielfacht selibst in dem ibe-

grenziten Bereiche de,r Bücheriiebhaberei. Hätten nicht, ais in den
Inflation'Sjahren das illustrierte Buc'h ein Sachwert wurde, noch
unbekannte vielvermöigende Illustratoren hervortreten können und
soilen? Diie sehr ansehnliche Gesellschaft der B ü c h e r f r e u n id e
zu C li e m n i t z veröffentlicht nur Werke lebender deutscher
Dichter und leiht ihren Ausgaben die Unterstützirng eines unserer
vortrefflichisten Buchdruckerkunstmei'Ster, Jean Hoppe. Die
Bände meistgenannter Autoren werden von den ischönwissen-
schaftiichen Verlagen in Auflagenhöhen verbreitet, von denen
Schiller nie zu träumen gewagt hätte, der ängstlich einem ih,m eine
hundertmalige Auffühmng versprechenden Dichter ausgewichen
sein wiir.de. Das Wirkungsfeld der Poesie, auch durcli das Bucli,
ist heutziutage gcgeuiiiber früheren Jahrhunderten so vergrößert,
daß der Platz, den die alte Dichtung der neuen iiberiäßt, dieser
miind'estens nocih den gleicihen Lebensraum läßt, den sie selibst
gehabt hat. Fine anderc Frage ist, oh der „Geweribebetrieb“ dicli-
terischen Schaffens seinen Mann näbrt. Sie steht jetzt vielfach
■im Voirdergrundie, ilire Lösung, mag man sie aos noch so idealen
Motiven fordern, ist indessen nicht mit dem Wwnschibilde zusam-
menzuisehen, daß die Stimmen der Vcrgangenibeit schweigen sollen,
damit sie nicht die der Gegenwart iiibertönen.

Cbina s jvtode.

Üon Atfced Qocetsko.

Noch nie ist in den westilächen Ländern das interesse fiir
Ghina so groß gcwesen wie in den iletzten Jaihren. Ist docih die
Ghina-Kramkheit bei uns so verbreitet, daß es zum guten Ton ge-
hört, Verständnis für chinesische Kunst zu haben, zum mindesten
zu heuchieln; und treffend wird dicse Notwendigkeit, sich für China
zu interessieren, charaikterisiert duroh ein Bonmot, das vor einigen
Mouaten kolportiert wurde, es gä,be keine Asohibeoher mehr in
Berlin W, da sie aile auf der Ausstellung in der Akademie ständen.

Natürlich hat es schon seit Jahrhuinderten Samniler ’giegeben,
die ieidenschafitlich Chin,a, vor altem seime Porzeliame, amhäüften;
in Lonidon, Pariis, Dresden, Berlin, Konsta-ntimopel, überall in den
Hauptistädten sind uns große Samimlungen tiberliefert worden, doch
es scheimt, ,daß die Verbindung mit der eigentliichen Kunist Oist-
asiems, wde wär sie iheute seihen, reöht lose gewesen ist, diaß man
sich wahl in der Hauptsach'e für das fremdiartige begeisterte, für
das bizarre, phantastiscihe oder graziöise, für das wunderbare Reicih
der Mitte, d,as Land der Märchenprinzessin Turandot Kurz, das
Land der Chmoiiserdien, das so unerschäpflich wunidervalile Koist-
barkeiten und reizemde Nippes fabrizierte, Dinge, die wir heute zum
großen Teil gar nioht meihr isohätzen, oder -mit ganz anderen Augen
ansehen.

Sehen wir ü'berhaupt noch etwas ,i,n China? Oder iist es nur
die Mode, lauf d'eren diktiatorischen Befehl wir Menschen des Stalhlis
un,d 'der Maschinen dieser Kunst unsere Reverenz erweisen, die
aus einer Kultur und Weltanschauung -kammt, di.e vollk'omimenen
Gegemsatz zur umsrigen bedeutet? Ist es müder Ueberdruß, der
Sehnsucht weckt naoh exotischer Prirmitivität, i,n di,e man sich aus
zermürbender Kompliziertheit flüchten kann wic van Zanten auf
seine Südseeimsel der Veriheißung?

Oder hiaben wir ein neues China entdeckt, das ums vielleicht
wiirklich ,noch et'was zu geben hätte, eine Kun,st, in dier wir Ver-
wandtes spüren, Amklänge an Ziele, die ,uns vo-rsohiweben?

Ein neues China, das China des ersten Jahrtattiisends, das
noch nicht -die Sohwäche seinier Erfindung umter ekitektiisich zer-
fließender, verischnörkelter Naohahmiung verbergen mußte, das in
sicherster B,ehernschiung handwerlkliohier Technik Werke scbiuf, dde
in ihrer ruihigen Schönheit uins heute naturhaft gewachisen
scheinen.

Wir bewuindern heute die siahere Sel,bstver.stämdlich:keit
chinesiischen Schaffens, wir, die wiir ü'ber Experinnentieren nicht

h'inauisgelangen, die wir sucheii, da wir überdrüssig geworden
simd des leeren ,bomiba>sti,scihen Schmucks, die wir erkannt zu haben
glauben, daß ein Kunstwerk nicht lebendig geimacht werden kann
durch die Sdhm®ike kümstlicher Dekorieriung.

Wir sehen in Ait-China wie selbst kleine, ansprucibsilose hand-
werkiiche Erzeugni'sse uns caur Achtung vor dem künistilerischen
Empfinden, das in deim einfachsten Gabrauohsgegenstand stedkt,
zwingen. So in der Keramik zutn Beispiel die durchg'earbeitiete
Technik der uns mit mode,rnsten Mitteln unerreiohtoaren Glasuren
in ihrer klaren, vielfältigen Farbgebung, die einfache F'orm —
scheinbar die ei,n,zig mögliche —, deren ruhige Linienführung nur
auf den Zweck des Stüdkeis bedacht ist, der spansame Dekor, der
leicht und ungeiziwungen, Material und Forrn angepaßt, trotz der
Beschrämkung ;a,uf das Notwendigste, reiche Phantasie verrät, alles
das he.bt in unseren Aitgen Handwerkliches zur Kunst.

Und wie in der Keramik, so i,m Bronzeguß. Au,s dem Material
u,nd dem Zwecik entwickeite geschlossene, wuchtige Formen von
durcihsichtiger Klarheit, betont durch die großen Linien des Orna-
ments. Ueberall woliin wir blicken, auch in der großen Kumst,
der Plastik, fast alles dient einer besonderen Bestimmung, sei es
zum praktischen Gebraiuch, sei es zu Kultzwecken. Umd auch da
wo die Kun-st Sel-bstzweck ist, w-ie in der Maleinei, nirgemds eigen-
willigeis Voridrängen, -da-s zu gekünstel-ter Originalität fü-hrt, -die
sc-bließlich -das allge-meinigüitige, da-s wesenhafte eines Kiunist-werke.s
zurückdrängt zu Gunsten einer sich spreizenden Selbstbespiege-
hnig, deren R-esultat überhebliche Verachtung handwerkliohier
Durohiarbeituug -i;st, ,um nur einmalig Persönliches als alpha umd
oinega wa-hren Kiinst-schaffens a-ui den Schild zu erheben.

Das ist e-s, was un-s heute viclleicht am stärksten m,it Alt-
Ghina verb-indet, die Aohtung vor der ruhigen Schönheit, die ent-
sianden ist aus de.m dienenden Charakter einer Kunst, in der der
Kü-nstler zurücktritt hiinter seine-m Werk un-d mit hartnäcki-gem
Fleiß und unermüdiichem Feilen sich bemüht au-s ge-gebemem
Mater-ial die letztc cler Bestimmumg des Stückes angepaßte Form
herausizuarbeiten. Es dst das was wir h,eute, von an-derer S-e-ite
kommend, von der Ma-schin-e her, zu erreichen suchen, die Schön-
heit, d-ie hinter der nur nüc-hternen Sac-hlichkeit aus Materialecht-
heit und Zwecfcmäßigkeit herauszu-schälen ist, o,hne ver-wirren-de
Fffeikthaschere-i oder überhitzt'es Pathos, ohne maskierende An-
leihen in Kulturkrei-sen, die wir izwar bewundern können, die u-n.s
Menschen der Techni'k aber nichts mehr z-u geben vermögen.

464
 
Annotationen