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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 10./​11.1928/​29

DOI issue:
1./2. Februarheft
DOI article:
Friedrich, Paul: Gedanken über das Motiv
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https://doi.org/10.11588/diglit.25877#0251

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1

/ahrgang T929 ]-/2. rebruarnen

Qedank.cn übep das Jvlotiü

oon

Paul pt’tcdetd)

„Der Kunstwanderer“ veröffentlicht dcn nachstehenden
sehr bemerkenswerten Aufsatz, teilt jedoch in manchen
Punkten nicht ganz die Ansicht des Verfassers.

Die Redaktion.

I inmer wieder begegnet man dem naiven Irrtum der
1 Künstler, die glauben, privilegierte „Freiheit“ vor
so viel Tausend und Millionen zu genießen, die einfach
kraft ihrer Phantasielosigkeit gezwungen sind, das zu
betrachten und aufzunelnnen, was ihnen als „fertige
Weit“ gegeniibertritt. Die Künstler zeigen schon in
ihrer Charakterologie ein freieres Gehaben, was Banau-
sen oft mit „locker“ verwechseln. Sie sind sprung-
liafter, rcagieren feuriger auf Lust- oder Unlustreize,
sehen Einzelheiten, wo andre nur Massen wahrnehmen
und sind andrerseits auch wieder oft wie Kinder „in
Gedanken“ oder beißen sicli an irgend einen Farb- oder
Formeindruck fest.

Ergötzlich, wie Dilettanten Künstler beurteilen, ist
folgende Anekdote, die mir in der Erinnerung aufsteigt:
ein in manchen „artibus liberis“ dilettierender nam-
hafter Rechtsgelehrter besuchte einmal einen früheren
Akademiker in seinem „Studio“. Mit brennender Neu-
gier schweifte sein Blick im ganzen Raum umher und
spähte auch hinter einen Wandschirm, so daß der Künst-
ler sich die Frage nicht verkneifen konnte: „Suchen Sie
was?“ „Na, und wo ist das Modell?“ Der Mann der
Pandekten konnte sicli einen Meister der Palette an-
scheinend nicht ohne ein in irgendeinem Winkel ver-

stecktes nacktes Weib denken, das dann in irgend einer
Salome oder Judith farbliche „Vercwigung“ fand.

Der Künstler lebt in einer ähnlich naiven Selbst-
täuschung über die individuelle Freiheit seines
Schöpferwillens wie ein Schulknabe am Sonntag, wenn
er glaubt, die ganze Welt liege offen vor ihm und er
könnte nun machen „was er wolle“. Natürlich ist das
nicht der I-all. Nicht nur die eigne Art setzt jedem
Menschen, auch dem scheinbar „reinen“ Künstlertypus,
ziemlich enge Grenzen, sondern aucli der allgemeine
Geschmack, der nichts andres als eine transponierte
„Convention“ ist und diesem wieder genau wie ihm die
Z e i t : das Medium, in dem wir uns verständigen. Wer
näher zusieht, merkt lrinter aller nocli so groß schei-
nender individueller Verschiedenheit von einer Zeit an-
gehörenden Schaffenden ein sie Bindendes. Sowohl im
Ausdruck der Form, als in der Art sie zu reflektieren als
auch besouders im M o t i v.

Die Gotik war streng sakral und noch ganz an die
aus dem Mosaik entwickelte flächige Form primitiver
Ungclenkhcit gebunden. Bis sie nach und nach, Schritt
für Schritt, im Fortgang der zeitlichen Entwicklung die
Starrheit der Gesten und Gebärden überwand. Mit dem
Wiederauftauchen der Antike ging den Künstlern der
Renaissance der Sinn für die Architektur der Alten und
das Wesen des Mythologischen auf. Eiu gewaltiger
Drang nach dem unmittelbaren L e b e n , der das sicli
von Kaiseridee und düstrer Scholastik zu vielfältigem
partikularem Leben in den Stadtstaaten entfaltende

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