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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 10./​11.1928/​29

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1./2. Februarheft
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Friedrich, Paul: Gedanken über das Motiv
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https://doi.org/10.11588/diglit.25877#0252

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Italien durchzog, sprengte dic enge und .srebundene Forrn
der Gotik oder der nachbyzantinischen Kunst. Die Ge-
stalten der Götterwclt stiegen aus ihrem Olymp herab
und führten ihre heidnischen Feste auf, für die die
strenge Hieratik der rein sakralen Kunst zu tot war.
Natüriich sprang der so geweckte Funke der Lebens-
freude auf die Details über. Was früher als leuchtendes
Rot oder dämmerndes Grün nur den Charakter des
Sakralen unterstreichen sollte, das lebte nun aus sich
selbst; es Rab künstlerische Prospektabschlüsse oder
einen Schleier zur Hebung der Nacktheit einer ruhenden
Göttin und es diente nun auch als lebensvoller Akkord
zum Hymnus auf die „Unbefleckte Muttcr“, die nun mehr
und mehr ,,die Idee dcr Maternitä“ wurde, verkörpert in
einem zugleich typischen und doch vollebendigen lieb-
lichen Wesen. Dieser Zusammenklang antiker heid-
nischer Bukolik und Lebensfreude bis zum Schwelge-
risch-Ueppigen der Venetianer und eines nun ganz
Farbe und Leben ausströmenden Gestaltens christlicher
Motive von der Süßigkeit der Geburt bis zur herbsten
Gedämpftheit der Passion mit a’lem drumherum von
Heiligen, Engeln, Märtyrern und bekehrteu Heiden gibt
der Renais’sance jenen unseheuren M o t i v -
r e i c h t u m , der an sich schon ein Heer von großen
Talenten bedingte. Jeder hatte die Mögjichkeit, sich in
seiner individuellen Eigenart in einer nun allen geläufigen
tiefst malerischen Fülle von Gestaltunsen aus-
zusprechen. Es wurde ein Chorgesang, eiue jubelnde
Polyphonie im Malerischen, wie sie die We'lt nicht wie-
dererlebt hat.

Dann kam das Zeätalter des fürstlichen Absolutis-
mus und darnit der großen, repräsentativen Bildnismale-
rei, die vom 16. bis zutn Ende des 18. Jahrhunderts
reichte. Das rein Sakrale hatte seine Gewalt über die
Welt verloren, stattdessen wurde die Mythologie zur
barockcn Heroisierung der „großen Herren“ und ihrer
J'aten verwandt. Das Urbi'd der späteren „Schlachten-
malerei“ trübsinnigen Gedenkens entstand. Schmei-
chelnder Byzantinismus versetzte den „roi soleil“ und in
äffischcr Nachahmung nach seinem Vorbild kleinere
Potentaten in einen neuen ülymp unter Götter und
Halbgötter. Auf die Idee des Heils und der Madonna
„Immaculata“ folgte hier die des übersteigerten „uomo
singulare“. Kein Wunder, daß uns lieut der gehäufte
Prast an Emblemen des Ruhms, posaunenden Sieges-
engeln, pathetischen Barockrömern leer und abge-
schmackt anmutet. War die sakrale Kuust ganz aus
religiöscr Inbrust, die mächtige heidnische aus einer
endlichen dionysischen Daseins- und Sinnenfreude er-
wachsen (zum Triumph der Fleischlichkeit und des
Genießens. in R u b e n s Werk kulminierend), so war
liier das vergoldete und versilberte „Theater“, das der
Eitelkeit dcr Fürsten liebedienerte, das Kunst im reine-
ren Sinn nicht aufkommen ließ. Einzig in der Porträt-
kunst der großen Hofmaler mit ihrer geschmacksvertief-
ten inncren Gchaltenheit fand die Kunst des „Absolutis-
mus“ zeitüberdauernden Ausdruck.

Und als kräftiger Gegensatz dazu: die breite
niedefländisch - b ü r g e r I i c h e Art, aus der ein in

Wahrheit „ausnahmshafter“ Genius wie R e m b r a n d t
herau'sfällt; diese untragische, unpatlietische Objekt-
nähe, dieser fröhliche Blick für das Detail und das
,,G e n r e“, seien es leckere Stilleben oder funkelnde
Zinnkriige. Ist die pathetische Hofmalerei der Ausläufer
dcr Sakralkunst, so die niederländische Genremalerei
mit ilirer Vorliebe ftir das Körperhaft-Lustige und
Grotesk-Fidele ein Ausklang der heidnisch-mythologi-
schen dionysischen Richtung der Renaissance und des
Barock. Aber Holland, das Land der Flüsse, Weiden,
Windmühlen, Grachten war nicht nur Städte- und Bür-
gerkultur, sondern auch Bauernland und Land der
Ebenen mit weitem Himmel. Hier mußte neben dem
bürgerlichen Behäbigkeitsgenre aucli die damals übri-
gens allgemein beginnende Naturliebe erwachen.
Die Landschaftsmalerei um ihrer selbst willen, die dann
die Engländer und die Schule von Barbizon und die
deutsche Romantik aufnahm.

Wie stark Volkstum und Zeitgeist bindet, beweist
gerade die niederländisch-holländische Malerei. Bei
natürlicher großer Verschiedenheit der Temperamente
und Talente schließt sich doch ihr M o t i v s c h a t z zu
einer ganz bestehenden Reihe von Vorwürfen zusam-
inen, die alle ein gemeinsamer Zug zur Enge, zur Selbst-
genügsamkeit, zur bürgerlich-bäurischen Sphäre be-
grenzt, vom einen Brief lesenden Bürgermädchen über
zechende Kirmeßbauern, Eisläufer und Hühnerhöfe bis
zu den opulenten Stilleben mit zu vertilgenden Genüssen
des Gaumens, Geist einer bestimmten, durch ihren Be-
freiungskampf ihrer Kräfte bewußt gewordenen
Ecke Welt.

Im Deutschland des 18. Jahrhunderts ist bei dem
ganz zerrissenen Charakter seiner Geschichte von Allem
etwas und wieder nichts Ganzes da. Neben Ausläufern
herrlichen Barocks im Siiden im Norden höfische
Porträtkunst uud Imitation des Rokoko. Schließiich
faßt der biedere C hodowiecki als Stecher nocli
am spezifischsten das nachfriederizianische preußisch-
bürgerliche Rokoko in seinem S t i 1 zusammen.

Der Klassizismus war für die bildende Kunst
doch nur eine Pfropfkultur: trotz Schinkel und
S c h a d o w. Seine Aesthetik rezipierte den P 1 a t o.
Man kann die Auffassung, die dann die erste Hälfte des
19. Jahrhunderts neben und trotz der romantischen be-
herrschte, die „i d e a 1 i s c h e“ knapp uud kurz noch
in S c h o p e n li a u e r s „Parerga uud Paralipomena“
(zur „Metaphysik des Schönen“ S. 211) nachlesen, da
heißt es klassisch für jene Zeit, fremdartig für die Gegen-
wart: „Malerisch“ bedeutet im Grunde das Selbe
wie s c h ö n : denn es wird dem beigelegt, was sich
so darstellt, daß es die I d e e s e i n e r G a 11 u n g
deutlich an den Tag legt; daher es zur Darstellung des
Malers taugt, a'ls welcher eben auf Darstellung, Hervor-
hebung der Ideen, die ja das 0 b j e k t i v e im Schönen
ausmachen, gerichtet ist.“

Moderne Maler würden, wie ich glaube, über diese
Definition des Schönen vor Lachen heulen. Damäls sah
man darin (und es ist erst 80 Jahrc her) das „A“ und „O“
aller Weisheit. Kein Wunder, daß sich auch die

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