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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 10./​11.1928/​29

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1./2. Märzheft
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Schiff, Fritz: Ikone
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https://doi.org/10.11588/diglit.25877#0310

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Ikone

uon

fvitz Scbtff

Jahrhunderte hindurch wußte man in Europa so gut
wie nichts von den bildenden Künsten des
slawischen Ostens; als angeblich in Barbarei erstarrte
Derivate der ohnehin gering geschätzten byzantinischen
Kunst kamen sie kaum vor das strenge Forum west-
europäischen Kunstrichtertums. Die Renaissance und
ihr Raffael waren Maßstab für jegliche Kunst überhaupt.
Kurz vor dem Kriege begann man die Bedeutung der
Kunst des nahen Ostens zu ahnen, aber erst die
russischc Revolution ließ uns die Größe der russischen
Kulturen begreifen und öffnete uns die Augen auch fiir

Christentum den kiinstlerischen Bilderkult überhaupt
•nur nach langem Widerstreben und nach hundert-
jährigem Kampfe im S. Jahrhundert gestattete. So be-
kamen die Gestalten der byzantinischen Kunst ihre
übermäßige Länge, ihre starre, substanzlose Wirklich-
kcitsferne, ihre Architektur und Latidschaft die sym-
bolische Bilderschriftgestalt; göttliche Wesen blicken
uns an, die nicht iin irdischen Raum lebcn, denen ein
Goldhintergrund der einzige würdige Rähmen ist.

Diese Kunst drang über die Schwarzmeerufer nach
Norden, in Kiew im 11. Jahrhundert großartige Doku-

Das Mandilion-
Fresko aus dem Ende
des 12. Jahrhunderts

In der Kirclie von
Nercditza
bci Nowgorod

iltre Künste; mit der neuen Welt dämmerte zugleich
eine a'.te herauf. Die Regierung der Sowjetrepubliken
setzte das unmittelbar vor dcm Kriege begonnene Werk
licbcvoller Restauration der Kunstdenkmäler ihres
Landes mit den modernsten Methoden fort und kann
Europa heute eine Ausstellung von denjenigen Werken
zeigen, die zusammen mit der Architektur das eigent-
liclie Wesen russischer Kunst ausmachen, den Ikonen,
die als „Denkmäler altrussischer Malerei“ im Februar
dieses Jahres zum ersten Male in Berlin gezeigt wurden.

Das Wort Ikon (eigentiich „cikon“) ist griechisch,
lieißt Bild und wurde von jelier im religiösen Kult, vorn
4. Jahrhundert an, im oströmischen, also byzantinischcu,
Kirchendienst übcrall gebraucht. Byzanz war im
Grunde nur eine Stadt mit cinigem Transithandel
zwischen Orient und Okzident, im übrigen nichts als dic
Residenz einer unheimlichen absolutistischen Monar-
chie, deren Kultur glcichermaßen absolutrstisch und
antidemokratisch war, und deren streng asketisches

mente hinterlassend und von dort in die ganze große
russische Tiefebene hineinstrahlend. Ueberall traf sie
auf ihrer Heimat verwandte Bedingungen: absolutisti-
sche Ftirsten, in kleinen Handelsstädten verbarrikadiert,
nicht allzu viel bcstelltes Ackerland ihr eigen nennend;
denn Tartaren und Mongolen durchzogen immer wieder
Wohnstätten suchend das Land. Die Kunst dieser
byzantinischen Christen Rußlands, die sogenannte „vor-
mongolische Kunst“, wicli nicht wesentlich von der
ihrer Geburtsstadt ab.

In dem immer stärker städtisch werdenden Westeu
Europas war das Heiligenbild auch fiir den einfachen
Gläubigen schon seit dem 11. Jahrhundert Symbol,
Glcichnis, geworden, für den primitiveren Menschen des
streng feudalen Ostens blieb es noch lange rcligiöse
Wirklichkeit. An der hohen Wand, die in der russi-
sclien Kirche Klerus und gemeine Gläubige trennt, so
wic Fürsten und Volk im Alltag scharf geschieden wer-
den, hängen die Ikone der Heiligen und Märtyrer, eines

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