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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 10./​11.1928/​29

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1./2. Märzheft
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Schiff, Fritz: Ikone
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https://doi.org/10.11588/diglit.25877#0311

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neben dem anderen; die Wand heißt Ikonostasis, Bilder-
sestell. Nur diese Wand ist dem Blick der Gläubigen
offen. Ins Heiligtum hineinzuschauen, ist ihnen nicht ge-
stattet; so öffnet sich ihnen in diesen Bildern ihrer Hei-
ligen und Helfer ihr Himmel. Im Norden Rußländs aber
konnte sich, durch undurchdringliche Wälder vor
Tartaren und Mongolen geschützt, nach der baltischen
Kiiste dem Handelsverkehr der deutsche Hansestädte
offen, im Fürstentum Nowgorod seit dem 11. Jahrhun-
dcrt eine Kultur und Kunst entwickeln, deren Formen-
material byzantinisch, deren Geist und Sinn aber beson-
derer Art waren. An sie und ihre ein wenig jüngere
Schwester im benachbarten Moskau dachte man bisher,
wenn voti russischer Ikonenmalerei dic Rcde war. In

der Europäer; an Stelle der romanischen Starre und
gotischen Pathetik tritt edle Ruhe, die selbst eine
Schlacht der rauhen Wirklichkeit entzieht. So will es
der Idealismus der kultivierten Nowgoroder. Aber nicht
nur Nowgorod, sondern wie wir heute wissen, viele der
kleinen glcichermaßen dem Baltikum zu offen gelegenen
Städte der nordrussischen Tiefebene wurden unter ähn-
lichen politisch-ökonomischen Verhältnissen zu Kultur-
zentren ihres Landgebietes. So entwickeln sicli die
lokalen Malerschulen von Pskow, Jaroslawl und Ssus-
dal, späterer Geburtsstätte einer großartigen Architek-
tur. Im etwas kontinentaleren Twer wächst aus
bäurischer Glaubenshärte ein besondcrer fester, fast un-
erbittlicher Stil, den die Russen weit mehr als den

Der Emanuel
Moskauer Ikon
des 16.—17. Jahrh.

Besitzer:

Qch. Rat Brandt,
Berlin

diesem an sozialen und geistigen Kämpfen reichen stark
demokratischen Fiirstentum wuchs eine Malerei, die für
das Leben der Nowgoroder Bürger ebenso charakte-
ristisch ist, wie etwa die Fresken des Ghirlandaio in
S. Maria Novella in Florenz für die mediceische Gesell-
schaft. Bisweilen erscheinen aucli auf den Nowgoroder
Ikonen die Bürger selbst als Betende, meist aber ist ihr
Abbild nur in den Heiligengestalten zu erkennen. Von
Lübeck und Danzig dringen gotische Formen ein. Der
Kruzifixus weicht mit der gotischen Krümmung eines
westeuropäischen Christus dem Leid dieser Welt aus.
Auf der „Wundertätigen Ikone der Mutter Gottes“ des
frühen 15. Jahrhunderts, eine Schlacht zwischen
Nowgorodern und Ssusdalern darstellend, erscheinen die
Heiligen so, wie wir es aus der romanischen Kunst des
Westens gewöhnt sind, aus Brauweiler und Schwarz-
rheindorf, Kopf an Kopf, eine namenlose Menge. Doch
die Farben der Russen sind leichter und reicher als die

eleganten gotisierenden Nowgorods als ihren National-
stil betrachten.

Um 1400, Giotto und Simone Martini waren ein
halbes Jahrhundert tot, zur Zeit des Masaccio, der van
Eyck und des Steplian Loclmer erscheint wieder im füh-
renden Norden die erste künstlerische Persönlich-
keit, der Maler Andrej Rublow, ein Schüler des Malers
und Philosophen Theophanes des Griechen, der von den
Großfürsten Moskaus vom byzantinischen Hof der
Paläologen-Dynastie nach Rußland berufen worden
war. Rublow galt schon nach seinem Tode als der
größte Meister der russischen Ikonenmalerei überhaupt;
er wurde bald selig gesprochen. Es ist nicht viel von
ihm erhalten, sicher ist eine Ikone „Die Trinität“ in der
Kathedrale der Troitsko-Sergiewskaja Lawra bei Mos-
kau sein Werk: Die drei Engcl, dic Abraham in Mamre
besuchen, um den Tisch mit der Speise sitzend, als
Vorläufer der Dreifaltigkeit; Architektur und Berg-

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