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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 10./​11.1928/​29

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1./2. Februarheft
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Aus dem nordischen Kunstleben
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Peter, Kurt von: Daumier
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Bülow, J. v.: Deutsche Kunst in Belgien
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https://doi.org/10.11588/diglit.25877#0275

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Daumiet?.

Am 11. Februar waren es 50 Jahre, daß Daumier aus dem
L eben schied. Zwischen zwei historischen Schönheiten von Paris,
dem Hotel Lauzun und dem Hotel Lambert, am Quai d’Anjou, mit
dem Blick auf dic Seine, liest das alte Haus, das er viele Zeit be-
wohnte, das Haus, wo er einen großen Teil seiner Werke schuf.
Einc kleine Stufenleiter fiihrt oben in sein Atelier — cs ist im Laufc
der Jahre kaum etwas verändert, und auch das kleine Quckfenster,
durch das das geistreich-ernste Qesicht des Meisters schaute, ist
noch vorhanden; durch dieses Quckfenster hat er die Wolken und
den Fluß, die Häuser und den Quai, die Frauen, die Kinder, dic
Aspekte des Lichts und die Schatten und, vor ailem, die Fischer
am Ufer betrachtet: alle Erscheinungen waren ihm gute Beute.
Und nie soll jemand das Fluidum seines beobachtenden Willens ge-
fühlt haben, nie, auch wenn seine große Bosheit noch so sehr der
Menschheit den Prozeß machte. Denn der liebenswiirdige Vaude-
villist, als der er vielfach galt, war er nicht; auch nicht jener Kari-
katurist, als der er leichthin katalogisiert wurde, sondern ein
Karikaturist, der genau in der Art Molieres Charaktermaler war.
Während Gavarni meist seine ganze Philosophie in der „Legende“
hat, wirkt Daumier durch die grandiose Zeichnung selbst, bei der
jede Skizze beinahe unmittelbar ein skulpturales Ausselien erhält.
Fern von den banalen Karikaturenzeichnern seiner Zeit hat er Ele-
mente geistiger Form mit der steinbildlichen Fronde gemeinsam,
die sich an Portalen und in Kapellen mittelalterlicher Kathedralen
zeigt. Von seinen ersten Schritten an erscheint er loyal im Qeistc,
fein in der Vision, decidiert in der Hand, sowohl in den Porträts
und Szenen der „Caricature“, als auch in den moralischen und
politischen Satiren des „Charivari“. In Betrachtung der Sicher-
lieit seiner Ausführung und der Qröße seines Stils sagt Balzac, als
die „Caricature“ noch in ihren Anfängen ist, iiber Daumier: „Ce
gaillard-lä, mes enfants, a du Michel-Ange sous la peau“.
Daumier ist ein Künstler der „Vereinfachung“; unter Umgehung
des Details traclitet er instinktiv nacli summarischer, ausdrucks-
voller, sicherer Komposition. Dieser Südfranzose, in Marseille
geboren, jung nach Paris gekommen, kennt wunderbar die „große
Stadt“ und stellt sie in erstaunlichen Bildern, in wenigen Zügen,
dar; wunderbar fixiert er die Physiognomie der Briicken. die Häu-
ser der Quais, die Straßen im Regen, die Landschaften der Bann-
meile, und er liebt die Dramen, die „comedie humaine“ der Stadt
— und das leichte Qrau des Himmels iiber den Dächern.

Natürlich war er ein Spötter, ein „Respektloser“. Er höhnt
die Reklame, die Marktschreierei, den Schwindel (in der Serie

B r ü s s e 1, im Januar.

In der Kunstbeilage des belgischen Blattes „Das 20. Jahr-
hundert“ bespricht Marcel Sclimitz die kürzlich in Brüssel ver-
anstaltete Ausstellung von Paul Klee und Renee Sintenis. Es ist
nicht uninteressant zu lesen, wie man sich in Belgien, im Lande,
wo die Kunstiibung noch nicht bis zur neuen Sachlichkeit durch-
gedrungen ist, zu den Klee’schen Bildern stellt. Ich gebe nach-
stehend eine Uebersetzung der erwähnten Besprechung:

„Auf kleinen, preziösen Bildern (precieux hat einen Doppel-
sinn; es kann sowohl lobend „fein geformt“, wie auch tadelnd
„gespreizt“ heißen), die aussehen wie Schiilerzeichnungen, stei-
gen und fallen, kreuzen und verwickeln sich zarte Linien. Es
sind keine Bilder mehr, höchstens Niederschriften von Ideen.
Es ist nichts oder doch alles, was man darin sehen will, Felder,
Städte, Triumphzüge. Paul Klee ist die Rückkehr zur Kind-
heit, zur Dichtkunst. Einige wollen diese geheimnisvollen
Spinnengewebe für Schwindel erklären. Sie haben unrecht.
Auch wir wollen nicht tadeln, vvenn wir dabei an Kinderzeich-
nungen denken. Es gibt Kinderzeichnungen, die mehr wert sind,
als die bedeutendsten Gemälde und die mehr von der Welt er-
zählen als solche. Leider heben wir sie nicht auf. Klee hat die

dcs „Robert-Macaire“), er liöhnt die Künstlichkeit, die Unduldsam-
keit der „Qens de justice“ aller Kategorien, ob Anwalt, ob Richter,
die Entstellung der Traditionen, die Pedanterien des Professorats,
das Zur-Konvention-Werden des Ideals in seiner „Histoire
ancienne“. Jacques Offenbach inspirierte sich an ihm. Er kam
aucli immer wieder zur politischen Satire, und liatte großen prophe-
tischen Blick für den Qang der europäischen Ereignisse, viele sei-
ner Träume wurden Wirklichkeit. Die Qeschichte seines Qeistes
vervollständigte sich, indem sein Talent in Kontrast kommt mit
dem „täglichen Leben“ seincr Zeitgenossen, die er „komisch“ sieht,
im Sinne Baudelaires, der sagt: „Ein Wesen ist komisch, wenn es
scitie eigene Natur nicht kennt.“

In langen Serien stellt er diese Szenen des Lebens dar. Sein
Zeichenstift ist brutal, Hogarth erscheint zaghaft gegen ihn, aber
zugleich ist er geschmeidig.

Dicselbe superbe Kraft wie in den Zeichnungen offenbart sicli
in Daumiers Qemälden, die naclr langer Vergessenheit auf der Pari-
ser Wcltausstellung von 1900 zum Vorscliein kamen und wo man
ihn als einen Maler entdeckte, der neben Delacroix zu stellen sei.
Ja, der gleiche grandiose Rliythmus offenbart sich in seinen Gcmäl-
den (und Aquarellen), die gleiche hohe Kraft des Stils, die gleiche
Sicherheit der großen Linien; auch in den Vorwürfen ist er zum
großen Teil dcrsclbe wie in seinen Zeichnungen. Er malt in brei-
ten, mächtigen Strichen. Malt die Qestalten in ihrer dichten Form,
die Leichtigkcit dcr Atmosphäre, dic logischen Valeurs, die die Vor-
dergründe mit dem Fond harmonisieren; er ist ein wunderbarer
Kolorist, der von sammet- und seidenartigen Aspekten, von feinen
und preziösen Helligkeiten und transparenten Dunkelheiten ent-
ziickt ist.

Wenn konzentrierte Lichtstrahlen in dämmriges Halbdunkel
fallen, so erhöht diese Beleuclitung bei ihm dic Charakteristik der
Figuren und den Zauber der Farbenakkorde; mit einer impressio-
nistischen Verve. Millet wurde von ihm auf das Bestc in seinem
koloristischen Empfinden und einem vertieften Erfassen der Wesen
beeinflußt.

Sein Aussehen schildert Theodore de Banville vortrefflich in
den „Souvenirs“: Sein Qesicht war sprühend von Kraft und Qüte,
die kleinen Augen durchdringend, die Nase aufgeworfen wie von
einem Windstoß des Ideals, der Mund fein, graziös und weit geöff-
net, sein ganzes schönes Haupt wie benetzt und gebrannt in den
lebendigen Flammen des Qeistes.

Kurt von Peter.

m ßdgteru

Naivität der Kindheit bewahrt oder wiedergefunden. Wie soll
man nicht tief inncrlich beriilirt wcrden von einem Bild. das sicli
Hafen nennt und das das getreue Abbild aller dieser Märchen-
häfen ist, die jeden Tag in allen Kinderstuben der Welt ent-
stehen und die merkwürdigerweise noch niemals einen wirk-
liclien Baumeister inspiriert haben? Kinder sind unerkannte
große Baumeister. Klee mußte kommen, damit man sich vor
ihrem Qenius beugt. Klee ist Akademiedirektor und seine Werke
sind in allen großen Museen Deutschlands. Das sei denen ge-
sagt, die durchaus in dem allen einen Bluff sehen wollen. Aber
nur der wird ihn verstehen, der ihn verstehen will. Hoffentlich
werden die Anderen wenigstens den so interessanten und lie-
benswürdigen Werken von Renee Sintenis gute Aufnahme ge-
währen. Ihre Tiere sind wirklich entzückend, trunken von
Jugend und Qrazie. So wiirden sie sein, wenn das Paradies
auf Erden wäre. Frau Renee Sintenis hat große Begabung.“

Wenige Tage nach der Ausstellung der Klee’schen Bilder hielt
liier der deutsche Psychologe Dr. Prinzhorn einen Vortrag
über Bilder von Qeisteskranken, Kindern und Modernen. Er prägte
das verständige Wort: „Ein Künstler, der sogenannte Negerplastik
macht, ist deswegen doch noch kein Neger“. Man kann anaiogisie-

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