Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen
— 10./11.1928/29
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https://doi.org/10.11588/diglit.25877#0444
DOI Heft:
1./2. Juniheft
DOI Artikel:Hajos, Elisabeth M.: Berliner Architektur und Architekten von heute
DOI Seite / Zitierlink:https://doi.org/10.11588/diglit.25877#0444
Architekturen. Das kühne Wollen nach neuer Form,
das Veriangen nach rationeller Gestaltung leitet zu
souveräner Vereinfachung, dem Abkratzen unorgani-
scher Ornamentspielereien, dern großzügigen Glätten
überladener Fassaden. I3en Ladenumbau bestimnrt
auch ein neuer Geschmack, überladenc Effekte siud ge-
mieden, sachlich, ohne fremden Ballast, hat das Wesen
des Materials sein Wort zu sprcchen.
Aus der großen Anzahl der Bauenden, dic der
Stadt zur Wandiung verhelfen, seien iiier Einige lieraus-
gegriffen, diejenigen, welche neben den allgeme'in lei-
tenden und herrschenden Prinzipien und den aus den
Anforderungen und konstruktiven Gesetzen resulticr-
ten Mögiichkeiten, noch durcli starke eigene Note,
schöpferischer Phantasie, intuitive Begabung der neuen
Stilentwicklung die weitgehendsten Perspektiven er-
öffuen.
Ausführung gelangen konnte. (Oft wiederkehrendes
Schicksal großer Bauphantasien!) Das, was man heute
,,Neue Sachlichkeit“ nennt, hat Poelzig auch schon
längst gekonnt. Seine Wassertürme bekunden es be-
reits um 1910. Monumentale Einfachheit, die souveräne
Behcrrschung der Konstruktion und ein unbeirrbarer
Geschmack sprechen aus scinen Arbeiten. Ob es sich
nun dabei um einen Hannoveraner Lagerschuppen, das
Kabelwerk Cassirer & Co. in Berlin-Spandau oder das
grandiose Projekt des Hauses der Funkstunde handelt
— immer leitet ihn seltene Großzügigkeit und Raum-
empfindung.
Poelzig malt und ist auch sehr musikalisch. Der
Umbau des Großen Schauspielhauses 1919 erklingt in
einer wunderbaren Phantastik. Hier beherrscht ihn
niclit bloß das Gesetz der Zweckmäßigkeit, des Sach-
licheti, der Heiligkeit der Koristruktion, sondern er gönnt
H. Poelzig: Entwurf fiir das Haus der Funkstunde
H a n s P o e 1 z i g , der Sechzigjährige, sei an
erster Stelle genannt. Durch sämtliche Besprechungcn
seines kürzlichen Geburtstages ging das einmütige
Staunen über die Unglaubwürdigkeit dieses Alters hin-
durcii, bei dem Manne, dcr künstlerisch wie menschlich
der inbegriff einer unerhörten Jugend, einer hinreißen-
den Vitalität ist. Doch ist diese künstlerische Jugend
nicht bloß cin Mitgehen, etwa nur Schritthalten mit der
Zeit, sondern bedeutet die ureigenste Note seines
Wesens. Eigentlich gehört er ja nicht einmal zu den
Jüngsten — er gehört gar keiner Gruppe an — ist so
persönlich und einmalig, so außerhalb aller offiziellen
Richtungen stehend, wie es nur die größten Begabun-
gen sein köntien.
Er ist reicli an Möglichkeiten, hat sehr viel und vie-
lerlci gebaut und vieles entworfen, was nicht zur
sicli ein Schwelgen in der Unwirklichkeit echten
Theatergefühls. Die Farbengebung, die Beleuchtungs-
anlagen oder die Mittelsäule im Foyer bedeuten nicht
bloß technische Bravourleistungen, sondern berückende
Faktoren einer imaginären Welt. Der erzeugte Raum
birgt unendliche Möglichkeiten. Die Projekte für das
Salzburger Festspielhaus erfüllt ein ähnlicher Phantasie-
reichtum. Bis zur Besessenheit kühn, oft unheimlich
grandios quellen seine architektonischen Gedanken.
Die Bebauung des Scheunenviertels und die Schule
am Urbanhafen sind modernc, zweckentsprechciide An-
lagen, konzipiert in echtern Künstiertum und mit Ein-
beziehung sozialer Problemc der Gegenwart.
O s k a r Kaufmann vertritt unter den Moder-
nen die Richtung, die nicht nur von dem allein-selig-
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das Veriangen nach rationeller Gestaltung leitet zu
souveräner Vereinfachung, dem Abkratzen unorgani-
scher Ornamentspielereien, dern großzügigen Glätten
überladener Fassaden. I3en Ladenumbau bestimnrt
auch ein neuer Geschmack, überladenc Effekte siud ge-
mieden, sachlich, ohne fremden Ballast, hat das Wesen
des Materials sein Wort zu sprcchen.
Aus der großen Anzahl der Bauenden, dic der
Stadt zur Wandiung verhelfen, seien iiier Einige lieraus-
gegriffen, diejenigen, welche neben den allgeme'in lei-
tenden und herrschenden Prinzipien und den aus den
Anforderungen und konstruktiven Gesetzen resulticr-
ten Mögiichkeiten, noch durcli starke eigene Note,
schöpferischer Phantasie, intuitive Begabung der neuen
Stilentwicklung die weitgehendsten Perspektiven er-
öffuen.
Ausführung gelangen konnte. (Oft wiederkehrendes
Schicksal großer Bauphantasien!) Das, was man heute
,,Neue Sachlichkeit“ nennt, hat Poelzig auch schon
längst gekonnt. Seine Wassertürme bekunden es be-
reits um 1910. Monumentale Einfachheit, die souveräne
Behcrrschung der Konstruktion und ein unbeirrbarer
Geschmack sprechen aus scinen Arbeiten. Ob es sich
nun dabei um einen Hannoveraner Lagerschuppen, das
Kabelwerk Cassirer & Co. in Berlin-Spandau oder das
grandiose Projekt des Hauses der Funkstunde handelt
— immer leitet ihn seltene Großzügigkeit und Raum-
empfindung.
Poelzig malt und ist auch sehr musikalisch. Der
Umbau des Großen Schauspielhauses 1919 erklingt in
einer wunderbaren Phantastik. Hier beherrscht ihn
niclit bloß das Gesetz der Zweckmäßigkeit, des Sach-
licheti, der Heiligkeit der Koristruktion, sondern er gönnt
H. Poelzig: Entwurf fiir das Haus der Funkstunde
H a n s P o e 1 z i g , der Sechzigjährige, sei an
erster Stelle genannt. Durch sämtliche Besprechungcn
seines kürzlichen Geburtstages ging das einmütige
Staunen über die Unglaubwürdigkeit dieses Alters hin-
durcii, bei dem Manne, dcr künstlerisch wie menschlich
der inbegriff einer unerhörten Jugend, einer hinreißen-
den Vitalität ist. Doch ist diese künstlerische Jugend
nicht bloß cin Mitgehen, etwa nur Schritthalten mit der
Zeit, sondern bedeutet die ureigenste Note seines
Wesens. Eigentlich gehört er ja nicht einmal zu den
Jüngsten — er gehört gar keiner Gruppe an — ist so
persönlich und einmalig, so außerhalb aller offiziellen
Richtungen stehend, wie es nur die größten Begabun-
gen sein köntien.
Er ist reicli an Möglichkeiten, hat sehr viel und vie-
lerlci gebaut und vieles entworfen, was nicht zur
sicli ein Schwelgen in der Unwirklichkeit echten
Theatergefühls. Die Farbengebung, die Beleuchtungs-
anlagen oder die Mittelsäule im Foyer bedeuten nicht
bloß technische Bravourleistungen, sondern berückende
Faktoren einer imaginären Welt. Der erzeugte Raum
birgt unendliche Möglichkeiten. Die Projekte für das
Salzburger Festspielhaus erfüllt ein ähnlicher Phantasie-
reichtum. Bis zur Besessenheit kühn, oft unheimlich
grandios quellen seine architektonischen Gedanken.
Die Bebauung des Scheunenviertels und die Schule
am Urbanhafen sind modernc, zweckentsprechciide An-
lagen, konzipiert in echtern Künstiertum und mit Ein-
beziehung sozialer Problemc der Gegenwart.
O s k a r Kaufmann vertritt unter den Moder-
nen die Richtung, die nicht nur von dem allein-selig-
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