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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 10./​11.1928/​29

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1./2. Juniheft
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Loewental, Artur Imanuel: Wie ich Girardi porträtierte
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https://doi.org/10.11588/diglit.25877#0465

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wesen aber versank dabei die ganze untere Hälfte dcs
Kopfes in seinem Vatermörder.

Er mußte wohl meine Nervösität verspürt haben,
denn nach einer Weile rückte er wie eine Schildkrötc
den Kopf aus dem Vatermörder und begann so über die
Kragenkante zu mir herüberguckend: „Sagn’s mir
amal, in welcherer Roll’n hab’ i Ehna denn am besten
g’falln?“ Ich war sehr verlegen, denn ich hatte ihn
faktisch noch nie im Theater gesehen und platzte dann
heraus: „In gar keiner, Herr Girardi, denn ich hab’ Sie
ja nocli nie im Theater gesehen.“

Was sich nun ereignete, werde ich wohl nie ver-
gessen können. IVlit einem Ruck, als ob cr gestochen

Hier sei nur kurz gesagt, daß ich ihm versprechen
mußte zur Premiere dcr „Schützenliesl“ — das war
nämlich die Rolle, dic er eben studierte — zu komtnen.
in fünf weiteren Sitzungen, die mei'stens feuchtfröhlich
waren — schon bei der zweiten traf ich ihn hinte'r einer
Hatteric von Likörflaschen an — gelang es mir seine
Züge so zu verewigen, daß sowohl er als auch seine
Gattin und alleFreunde begeistert waren, auch ich selbst
halte heute noch diese Arbeit als eine der besten, die mir
je gelangen. Girardi bestellte sogleich fünf große Aus-
führungen in Brouzc und honorierte sie mir in groß-
zügigster Weise. Er empfahl mich auch in wärmster
Weise seinen großen Gönnern und reichen Freunden.
Ihm verdanke icli auch die vielleicht für mein Leben

worden wäre, fultr er mit seinem Stuhl herum und
giotzte mich mit kugelrunden Augen und herunter-
geklapptem Kiefer ein paar Minuten an, dann brüllte er
aus voller Kehle, beide Hände wie einen Schalltrichter
vor den Mund haltend, gegen das Haus hin: „Leonie,
Le —■ o — nie!“ Frau Leonie Girardi, geborene Bösen-
dorfer, kam aus dem Haus herausgestürzt. Girardi
faßte sie an der Hand, wies mit ausgerecktem Zeige-
finger auf mich und würgte dann, während er mich noch
immer mit weitaufgerissenen Augen anstarrte, stoß-
weise hervor: „Leo — nie, sigst cam den Menschen do,
a lebendiger Weaner und — hat — in — Girardi noch
net g’sehen. Da legst di aber liin und stehst nimmer
auf.“ Nun starrten sie beide mich noch eine ganze
Weile an, bis sich Girardi erschöpft wieder in seinen
Stuhl fallen ließ und nun sollte ich ihm erklären, wie
denn so etwas nur möglich wäre. Das aber ist wieder
eine andere Geschichte, die werde ich ein anderes Mal
erzählen.

bedeutungsvollste Bekanntschaft mit dem Schloßherrn
von Kreutzenstein, dem Altgrafen Wiltschek.

Zum Schluß fällt mir noch einc Sache ein, die sei-
nen kaustischen Humor besonders illustriert. Ich war
damals in Ischl durch eine Dame an die Schauspielerin
Schratt empfohlen worden und erzählte in meiner
Naivität ganz harmlos Girardi davon. Er war ganz
begeistert und rühmte das gute Herz dcr Schratt als
auch ihren großen Einfluß. „Wissens“, sagte er zu
mir, „da werdens Leut’ sehn mit so hoche golderne
Krägen, daß s’ gar net außa schauen kenna, und“,
meinte er weiter, „passens guat auf, daß derbei san,
wann der Franzl aussen Tunnel kumrnt.“ (Gemeint war
Kaiser Franz Josef, der fast jeden Tag durch einen ge-
heimen Gang, der die Kaiserlichc Villa mit dem Land-
haus der Schratt verband, zum Frühstück kam.) „Ja,
ja“, sagte er, „die Schratt hat halt a goldenes Herz,
wann de net g’west wär, könnt i heut no als Narr im
Narrenhaus sitzen.“

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