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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 10./​11.1928/​29

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1./2. Augustheft
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Wächtler, Leopold: Scheren-Schnitte
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https://doi.org/10.11588/diglit.25877#0558

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aus Papier ins Auge fällt — ein leichter S c h a 11 e n ,
der den harten Umriß umspielt. Das bringt in feine
Schnitte eine Weichheit und Wärme, die einem Linol-
oder Holzschnitt nicht in dieser Weise eigen ist.

Vom Ständpunkt des Künstlers aus
kommen wir gewissenEigenheiten desScherenschnittes
noch näher als vom Betrachten des fertigen Bildes. Der
Scherenkünstler hat s'ich, ehe er ans Werk geht, mit
der Tiefenwirk u n g im Bild abzufinden. Soll
er im Schnitt nur einen flachen Schatten, einen senk-
rechten Schnitt durch das Objekt geben, oder erlaubt
der Scherenschnitt, daß Tiefenwirkung, Perspektive,
zum Ausdruck gebracht w’ird? Die erste Behandlungs-
weise gibt den reinen Schattenriß, der alles
Gegenständliche schwarz vor hellem Grunde darstellt.
Bci einer Landschaft gibt er also schwarze Bäume,
schwarze Häuser (selbst wenn sie weiße Wände haben)
vor weißem Himmel. Er drängt die Telle einer Land-
schaft auf eine senkrechte Ebene zusammen. Es gibt
wenig künstlerische Arbeiten dieser Art, und doch ge-
nügt der reine Schattenriß vollkommen zu einer vollgül-
tigen Lösung. Sehr oft spürt man aber ein gewaltsames
Zurechtrücken, dieses wirkt gekünstelt und störend.
Es würde zu weit führen, die Unvollkommenheiten sol-
clier gestellten Bilder aufzuzählen. Man nahm sie wohl
lange Zeit für „Eigenarten“ des Scherenschnittes hin.
Wer nun trotzdem ein Hintereinander vortäuschen
wollte, tat dies, indem er bci Uebcrschneidungen weiße
Linien aufzcichncte odcr gar bestimmte Teile mit Farbe
tönte. Selbst beim Porträt wurden z. B. Haare, Kra-
gen, Aermel, Knöpfe usw. m’it weißer Tusche aufge-
malt, obwohl man gerade beim Porträt sich mit dem
einfachen Umriß begnügen kann. Irgendwelche zeich-
nerischen und malerischen Zutaten gehören nicht zum
Scherenschnitt.

Eine viel bessere Lösung dcr Darstellung des Hin-
tereinander gibt der durchbrochene Scheren-
schnitt. Ihm ist cs gestattet, nötige Konturen, weiße
Flächen, Lichtcr, Glanzstel'len oder was es alles sein
mag, aus dem Papier herauszuschneiden, so daß beim
Auflegen auf weißenGrund dieAusschnitte nun als weiße
Linien oder Flächen erkennbar werden. Dadurch er-
hält die Arbeit eine plastische Wirkung, und die plasti-
sche Wirkung gestehe ich dem Scherenschnitt zu, so
lange dic Bearbcitung den rechten Weg geht, so lange
sie materialgerecht ist. „Ausgeschnittene Feder- oder
Pinselzeichnungen“, auf die häufig auch bekannte
Künstler verfallen (ich erinnere an die Darstellung von
Dielen, Fußbodenfliesen, Gewändern), sind ebenso zu
verwerfen wie im Holzschnitt die Faksimilearbeit als
Ausdrucksmitte'l.

Aus dcm Vorangegangenen geht hervor, daß das
rein Technische des Schneidens vollkommen
Nebensache ist und daß von einer „Erlernung des

Schneidens“ genau so wenig die Rede sein kann wie
von einer Erlernung des Stichelführens beim Holz-
schneiden oder von einer Erlernung des Bleistifthaltens
beim Zeichnen. Es handelt sich hier wie dort höchstens
um eiu Ausprobieren von wenigen Minuten.

Die einzige künstlerische Arbeit beim Scheren-
schnitt ist die Aufzeichnung des Bildes, mag sie nun
mehr oder weniger ausführlich sein. Sie kann die kom-
positionelle Verteilung, die Gegensätze der schwarzen
und weißen Flächen usw. klären. Kein Zeichner wird
sicli fragen, ob ein Aufzeichnen auch erlaubt sei, aber
von seiten des Betrachters — nicht bloß des kunstfrem-
deu — wird die lächerliche Frage, ob man vorgezeich-
net liabe, docli so oft gestellt. Warum soll bei einem
Scherenschnitt das Vorzeichnen nicht in demselben
Maße gestattet sein wie bci jeder anderen Technik?
Oder ist jemals der Kunstwert eines Bildes darnach be-
messen worden, wie weit vorgezeichnet worden ist?

Geteilt sind die Meinungen bei der Einbeziehung
der F a r b e in die Gattung des Scherenschnittes. Sehr
oft wird rundweg Verzicht auf Farbe verlangt, beson-
ders von denen, die im Scherenschnitt einen „Schatten-
riß“ erblicken. Es ist schon gesagt, daß die Scheren-
schnittechnik auf Freimachung von allem Entbehrlichen,
a!so auch auf reines Schwarz-weiß, hinweist, noch stär-
ker als etwa der Holz- oder Linolschnitt. Aber genau
so wie man die Weiß-grau-schwarz-Tönung auf reines
Schwarz-weiß bringt, kann man auch die V i e 1 f a r -
b i g k e i t eines Bildes auf w e n i g e farbige F 1 ä -
c h e n reduzieren. Und wenn diese wenigen Flächen
leichter geschnitten als gemalt sind, warum sollte man
dann nicht das Bild aus solchen farbigen Flächen zu-
sammenkleben? Es würde dann eine plakatartige Wir-
kung entstehen, die durchaus nicht zu verwerfen ist.
Zu diesen farbigen Schnitten gehört ein besonders fei-
nes Empfinden; denn der Weg zum Kitsch ist gefährlich
nahe. Daß cine Verbindung von Schiritt und Aquareil-
malerei ebenso ausgeschlossen ist wie die zwischen
Schnitt und Federzeichnung, ist selbstverständlich.

Es ist hier versucht, die vielen sich widersprechen-
den Ansichten über die Technik und den Wert des
Scherenschnittes zu ergründen und zu klären, Hilfen für
die Beurteilung des Scherenschnittes zu geben und
denen, die dem Scherenschnitt bisher fremd gegenüber-
standen, Wege zu zeigen, ihm näher zu kommen.

Es sollte den Scherenschnitten von geringerem
Wert und gar kitschigen Arbeiten nicht noch irgend-
welche Publikation zuteil werden, und es ist zu wün-
schen, daß die hohen Leistungen auf dein Gebiete des
Scherenschnittes erkannt werden und daß ilnien die
Anerkennung nicht durch den Gedanken an ihre lierab-
gekoinmenen und darum ihnen gefährlichen Brüder ab-
gesprochen wird.

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