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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1869

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Nr. 14-25 (2. Feburar - 27. Februar)
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lelalterlicher Spuck selbst in der protestantischen Kirchenverfassung
rumorte?
Die protestantische Kirchengemeinde wird vertreten durch die
Kirchengemeindeversammlung, die möglicherweise 80 Mit-
glieder zählen kann, welche von der Kirchengemeinde gewählt
werden. Dies Wahlrecht ist ein kirchliches Gemeins chafts-
recht. Kann denn die protestantische kirchliche Behörde Niemanden
von diesem ausschließen oder excommuniciren? Der Z 14 Ziffer
5 besagt, daß derjenige dies kirchliche Gemeinschaftsrecht verliert,
„der wegen Religious v era chtung oder unehrbaren
Lebenswandels öffentliches Aergerniß gegeben hat
und deshalb von den kirchlichen Behörden für ausge-
schlossen erklärt worden ist."
Was fehlt denn an dieser Verfassungsbestimmung noch bis
zur Excommunication? Offenbar nichts mehr, sie gleicht dieser
wie ein Ei dem anderen. Die kirchliche Behörde, welche einen
solchen Ausschluß vom kirchlichen Gemeinschaftsrecht der Wahl und
Wählbarkeit in Betreff der Kirchengemeindeversammlung erkennt,
ist zwar nicht der protestantische Landesbischof, sondern der Kir-
chengemeinderath (H 379) und der Excommunicirte hat das
Recht der Berufung an die Kirchengemeindeverfammlung.
Wir denken nun, was ein protestantischer Kirchengemeinderath
zur Handhabung einer kirchlichen Gemeindezucht thun darf, ohne
gegen den Geist des Jahrhunderts zu verstoßen, dasselbe sollte ein
katholischer Bischof wohl auch thun dürfen. Freilich das zweierlei
Maß spielt in der liberalen Welt eine große Rolle.
Die protestantische Kirchengemeinde wird ferner vertreten durch
den Kirchengemeinderath, dec möglicher Weise aus 16 Mit-
gliedern besteht, welche von der Kirchengemeindeverfammlung gewählt
werden.
Wir fragen: sind die Kirchenältesten oder die Mitglieder des
Kirchengemeinderathes so ganz und gar meisterlos und souverän,
daß sie unter keiner Bedingung ihre Kirchenamtssitze verlieren kön-
nen? Die protestannfche Kirchenverfassung gibt uns den hinläng-
lichen Aufschluß. Der Z 34 Ziffer 3 bestimmt:
„Die Entlassung eines Kirchenältesten wird nach Anhören des
Kirchengemeinderathes von dem Diözesanausschuß, vorbehaltlich der
Beschwerde an den Oberkirchenrath ausgesprochen: wegen fort-
dauernder Vernachlässigung der Amtspflicht, wie
auch wegenanhaltenderVernachlässigungdesöffent-
lichen Gottesdienstes und Nichtachtung der Sacra-
mente, nach vorgängigen vergeblichen Verbesserungs-
versuchen, welche in Verweis undAndrohung der Ent-
lassung bestehen."
Der liberale Lärm, ob der Excommunication Stromeyers fin-
det lauter mittelalterlichen Unrath vor und bäumt sich dagegen
aus die ergötzlichste Weise. Wir meinen, die oben genannte ver-
fassungsmäßige Excommunicationsbesugniß des Diözesanausschusscs
läßt an mittelalterlichem Beigeschmack nichts zu wünschen übrig.
Und wir meinen ferner, was ein Diözesanausschuß gegenüber ei-
nem der kirchlichen Ordnung sich hartnäckig widersetzenden Kirchen
ältesten thun darf, ohne sich eines Verbrechens gegen die Gewissens-
freiheit und die Aufklärung des Jahrhunderts schuldig zu machen,
dasselbe sollte ein katholischer Diözesanbischof gegenüber einem Ka-
tholiken wie Stromeyer wohl auch thun dürfen. Freilich schon das
Wort „katholisch" versetzt augenblicklich Manchen in eine solche
Seelen - und Geistesverfassung, daß der gesunde Menschenverstand
Reißaus nimmt. Das erklärt vieles bei dem Stromeyer'schen Adres-
senwesen.
Abgesehen nun von der Protest. Kirchenverfassung mit ihren
Excommunicationsbesugnissen ist es uns ein Räthsel, warum Auch-
Katholiken, Protestanten und Juden die Gänsehaut bekommen, daß
Stromeyer nunmehr nicht mehr beichten und communiciren darf.
Wir wissen in der That hiefür keinen Erklärungsgrund, außer
den einzig noch möglichen, daß der auchkatholische, protestantisch-
jüdische Schüttelfrost gerade in die Fastnachtstage gefallen ist.
Schließlich empfehlen wir dies unser Aufsätzlein allen hiesigen
liberalen und confessionslosen Bummlern zur besonderen geneigte-
sten Beherzigung.

Süddeutschland.
* Heidelberg, 11. Febr. Bekanntlich haben preußische und
andre deutsche Blätter schon vielfach die preußisch-russische Cartell-
convention als eine für Preußen durchaus unheilvolle bezeichnet;
man opfert dabei unendlich viel, nur um Rußland stets bei guter
Laune zu erhalten und seines Bündnisses fortwährend versichert
zu sein. Nun hat der Abg. Löwe-Calbe in der preußischen
Kammer einen Antrag eingebracht, der energisch gegen die Er-
neuerung dieser Convention protestirt. Wir theilen darüber mit,
was die Trierer Zeitung über die Behandlung dieses Antrages
in der Kammer sagt:
„So lange politisches Bewußtsein in unserm Staate lebt, also
seit dem Anfänge der vierziger Jahre, ist diese Convention von je-
dem Halbwegs liberalen Manne verurtheilt, von den Bewohnern
der östlichen Provinzen aber stets verwünscht worden. Trotz aller
Polemik in dec Preffe, trotz aller Angriffe aus Landtagen, stand

und steht diese Cartellconvention an unserm politischen Himmel
wie der Polarstern am physischen. Beide Staaten, Preußen und
Rußland, so himmelweit verschieden in ihrer Bildung und ökono-
mischen Entwickelung — wie lange ist es her, daß drüben die
Leibeigenschaft abgethan wurde! — verpflichten sich, auf dem Fuße
vollkommener Gleichheit alle durchgegangenen Militärpflichtigen,
alle irgend eines Verbrechens oder Vergehens bezüchtigten Perso-
nen einander getreulich auszuliesern! Von Preußen werden wenig
Militairs eine Route betreten, deren Endstation Sibirien heißt;
in Rußland herrscht, durch das Verhältniß zu Polen, eine stete
Treibjagd auf Rekruten! In Rußland gilt für Verbrechen, was
die Willkür als solches erscheinen lassen will, und zum Verbrechen
kann im Czarenreiche jeder Athemzug gestempelt werden. Me von
solcher Anklage Betroffenen muß das gebildete Preußen an die
moskowitischen Richter und Henker ausliefern! Und hätte Preu-
ßen nur noch irgend welchen Erfolg durch die Zollverhältnisse und
den Grenzverkehr! Eine solche Compensation wäre gemein, aber
sie könn te vortheilhaft sein, und in unserer Zeit der materiellen
Interessen gar Manchem einleuchtend gemacht werden. Aber jeder
Zeitungsleser erinnert sich bis zum Ueberdruß der beständigen
Quälereien und Plackereien, welche unsere Landsleute auf der rus-
sischen Grenze zu erdulden haben, der ungesetzlichen Arrest ationen,
Gefangenhaltungen, Beeinträchtigungen an Gut, Freiheit und Ge-
sundheit. Eine Angelegenheit, die sowohl in's moralische als in's
materielle Gebiet fällt, ist eine politische, und ein Antrag in solcher
Sache soll und muß ein politischer sein. So hatte denn auch vr.
Loewe einen politischen Antrag gegen die Erneuerung der Conven-
tion, die zuletzt am 8. Aug. 1857 abgeschlossen worden, eingebracht,
und man hätte denken sollen, daß alle liberalen Elemente der Kam-
mer bis zu den Freiconservanven herab, in der Aufrechterhaltung
der Ehre und des Vortheils des Landes zusammenstehen würden.
Ein solcher Act wäre selbst dem Ansehen des Abgeordnetenhauses
sehr ersprießlich, ja nothwendig gewesen. Seine Befugnisse sind
durch den Reichstag arg genug geschmälert worven, und die Be-
scheidenheit, die sich in alles fügt, hat bereits beantragt, den preu-
ßischen Landtag überhaupt ein - und in den Norddeutschen Reichs-
tag aufgehen zu lassen. Hier bot sich also eine Gelegenheit dar,
die preußische Specialvertretung in Aufnahme zu bringen, ihre
Existenz thatsächlich zu behaupten und den braven, verarmten Ost-
seeprovinzen einen echten Beweis warmer Sympathie zu liefern. Das
scheint jedoch nicht geschehen zu sollen, das „Rechnungtragen" hat
gar zu breit um sich gegriffen, die Volksvertretungen lieben es heut
zu Tage, sich unpolitisch zu geberden. Es gibt eine weitverbreitete
Species von Liberalen, welche alle staatlichen, politischen, moralischen,
Themata auf den Karren der Oekonomie, Volkswirthschaft, des Prak-
tischen, Nützlichen zu packen versteht und die Freiheit beständig von
der Wohlfahrt escamotiren laßt. Zu dieser Species gesellt sich auch
der Abg. Gneist, an Intelligenz einer der Ersten, an politischer Ener-
gie kaum unter den Zweiten. Gneist ist Referent über den Loewe'-
schen Antrag und formulirt den Schluß seines Berichtes dahin:
Den Antrag Loewe abzulehnen und folgende Resolution anzunehmen:
das Haus erklärt der Regierung, daß die Convention mit Rußland
. . die Handels- und Verkehrs int er e sse n der östlichen Provinzen
benachtheiligt. Also blos der Nachtheil wird hervorgehoben, das
höchste Gut ist der Vortheil. Wäre der Vertrag vortheilhaft, so
würde man nach seiner Moral wenig fragen. Wer das hohe Haus
am Dönhofsplatz kennt, der kann leicht berechnen, welcher von beiden
Anträgen die meiste Aussicht hat, und daß für Dr. Loewe ein Theil
der Fortschrittspartei, etliche Katholiken und die Polen stimmen
werden, weiter Niemand. Dem Urantrage ist die Spitze abgebrochen.
Die Regierung wird erklären, ihr fei das Cartell vortheilhaft, und
was Gneist vermeiden will, nämlich die Sache politisch werden zu
lassen, das wird gerade das Ende vom Liede sein, das Votum ge-
staltet sich reich politisch. Graf Bismarck erklärte in der Confis-
cationssrage: „Ich will nicht über juristische Zwirnsfäden stolpern."
In der Cartellsrage wird er sagen: „Ich will nicht über volkswirth-
schaftliche Zwirnsfäden stolpern." So die Trierer Zeitung; wir
aber fragen: soll man nicht meinen, man habe die Volkvertreter des
bestregierten Landes diesseits des Oceans hier vor sich?
* Heidelberg, 11. Febr. Die Heidelberger Zeitung, das
Organ des weisen und umsichtigen Emmerling, Freundes — wenn
man so sagen darf — Seiner Excellenz Jolly, hat bekanntlich der
Constanzer Zeitung „Arroganz" vorgeworfen, wert diese nicht un-
bedingt alles Ministerielle zu loben vermochte^ Was sagen die
Leser aber dazu, wenn die nämliche geistreiche Heidelberger Zeitung
iyre heutige Entgegnung gegen die Constanzerin damil beginnt,
daß sie ihre Verwunderung ausspricht, daß die Constanzer Zeitung
nach der ihr von dem Emmerling'schen Blatt gewordenen Ab-
fertigung (du gerechter Strohsack!) überhaupt noch eine weitere
Antwort zu geben im Stande sei? Das nennt wohl der nämliche
Emmerling, der Andern „Arroganz" vorwirst, Bescheidenheit!!
— Schwetzingen, 9. Febr. Es ist doch sonderbar, während
alle Welt voll Narrheit ist, und sämmtliche servile Blätter von
Adressen an Stromeyer wimmeln und Demonstrationen gegen
unfern Bischof machen, ja indem diese Blätter voll giftigen Hasses
sind gegen alles was die katholische Kirche betrifft — sonderbar!
 
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