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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1869

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Nr. 51-62 (1. Mai - 26. Mai)
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242

Was Lasker betrifft, so war unter uns Süddeutschen nur
eine Stimme der Erbitterung darüber, daß ein Mensch, dessen
Stammbaum nicht in Deutschland wurzelt, sondern am Jordan
oder am todten Meere sich verläuft, sich in dieser Weise heraus-
nehmen durfte, über die Württemberger, die lichtesten Söhne deut-
scher Erde herzufallen und ihnen antinationale Gesinnungen Zu-
zuschreiben. Von den Socialdemokralen sprachen in unserem Sinne
Liebknecht und Bebel, letzterer, ein einfacher Drechslermeister,
sehr gut und lebendig. Ganz vortrefflich aber war die Rede des
früheren hannöverischen Staatsministers Wind hör st, der die
Grobheiten der Nationalliberalen mit Nachdruck zurückwies und
großen Beifall durch seine besonnene und würdige Rede erndtete,
wie er denn überhaupt eine der hervorragendsten Capacitäten des
Zollparlameutes ist. Abg. Roßhirt verwahrte sich gegen die von
Lasker angewendete Bezeichnung Probst's als „Rechtsconsulenten der
Württemberger"; denn gerade der Abg. Lasker habe ja erst neu-
lich einen Paragraphen angeführt, wornach jeder gewählte Abge-
ordnete Vertreter des ganzen Volkes sei. Die Beschwerde
des Abg. Bamberger gegen die hessische Regierung treffe auch in
andern Staaten zu, er wolle indessen hierauf nicht weiter eingehen,
weil er das Zollparlamcnt in dieser Sache nicht für zuständig
halte.
Einer der unerträglichsten Phrasendrechsler ist der alte Wal-
deck und er hat auch bei dieser Gelegenheit wieder sein Möglich-
stes gerhan, um die „Fraction Müller" zu bevölkern. Mit Würde
und Entschiedenheit wies Frhr. v. Neurath die Grobheiten und
Vorwürfe zurück, die feinen Landsleuten wie der ganzen süddeut-
Fractiou gemacht worden seien. Die ganze Persönlichkeit Neurath's,
die etwas äußerst Gewinnendes und Würdiges har und bei dieser
Gelegenheit doppelt für sich einnahm, weil sie von edlem Unwillen
glühte über die rohe Weise, mit welcher man von der linken Seite
sich äußerte, machte den vortheilhaftesten Eindruck. Wrr seren ent-
schlossen, die Verträge mit Preußen zu halten, müßten aber auch
andrerseits verlangen, daß man gleichfalls die Verträge rcspectire
und nicht mehr beanspruche als in denselben Zugestanden sei.
Abg. Bis sing: Es scheine, daß wir Süddeutschen nur da
seien, um die Sünoenböcke abzugeben. Ernste Rügen, wie lang
weilige Vorlesungen über unsere Pflichten habe man uns von
nationalliberaler wie von conservativer Seite heute zum Besten
gegeben. Noch kurz vor dem Zusammentritt des Zollparlamentes
habe Graf Brsmarck in dem norddeutschen Reichstage über die
Süddeutschen gesagt, sie seien, mit Ausnahme des Ministeriums
Jolly, —- „und das sind 5 Mann, meine Herren" — noch 30
Jahre hinter der politischen Cultur des Nordens zurück. (Lebhafter
Widerspruch und Lärm, der Redner dringt indessen mit kräftiger
Stimme durch.) Wohlan denn, man lasse uns ungesittete Cana-
dier, die die Höflichkeit dieses Hanfes noch nicht kennen, noch 30
Jahre draußen aus dem Bunde, damit wir in dieser Zeit das
nachholen können was uns noch fehlt, um zum Eintritt in diesen
Bund würdig befunden zu werden. (Lärm.)
Den seltsamsten Eindruck machten auf uns die Reden von dem
Kreuzzeüungs W a g e n e r und dem Nationalliberalen Völk aus
Bayern. Männer, die sich früher so bitter befehdeten, waren hier
plötzlich einig, als es gegen die Süddeutschen ging. Sie sagten
sich die schönsten Liebenswürdigkeiten von der Tribüne, und es
hätte nicht viel gefehlt, daß sich die Nationalliberalen und die preu
ßischen Junker einander umarmt hätten. Was Letztere für eine
Politik treiben, davon nur ein Beispiel. Zwei Conservative wur-
den bei folgender Couverfation im Saale belauscht: Baron N.:
Wie werden Sie stimmen, mein Lieben? Baron I.: Ich hätte ge
gen den Bamberger'schen Antrag gestimmt, aber da Bismarck sich
gegen Hessen ausgesprochen hat, stimme ich für denselben. Baron X.:
Natürlich, ich werde es auch so machen.
An oer Rede Völks, die im Uebrigen weit gemäßigter war,
als die seiner Collegen, und zur Versöhnung mahnte, war Haupt
sächlich der unterwürfige, schmeichlerische Ton gegen Bismarck wi-
derwärtig, weil man sich noch recht wohl erinnerte, wie gerade
Völk in der bayerischen Kammer es war, der vor Beginn des Bru
derkrieges von 1866 über Bismarck sich so äußerte: „dieser Mensch,
dessen Namen auszusprechen meine Zunge widerstrebt".
Aus dem Auftreten Bismarck's—und das war das Wichtigste
an diesem heißen Tage — ging hervor, daß er Hessen eine Demü-
thigung bereiten wollte, daß er dieses Land, das ihm zur Ueber-
brückung des Maines, d. h. zur Verpreußung Süddeutschlands täg
lich nothwendiger wird, völlig annectiren möchte und daß seine Rü-
stungen so weit vorgeschritten sind, daß er die Einmischung der
Garanten des Prager Friedens, insbesondere Frankreichs, nicht mehr
befürchten zu müssen glaubt. Die Rede machte daher einen ent-
schieden kriegerischen Eindruck und die allgemeine Stimme im
Parlament ging sofort dahin, daß wir dem Kriege viel näher ste-
hen, als die Meisten zu ahnen scheinen. Eine andere Bemerkung
drängte sich auch sofort auf. Bismarck war offenbar schwer im
Innern ergrimmt über die Ablehnung der Dankadresse an den
König, und er wollte dieser Verstimmung gegen die Süddeutschen
Ausdruck geben. Er hatte sich privatim geäußert, er mische sich in
keiner Weise in die Frage, ob eine Adresse, ob keine angenommen

werden solle, aber Ernst war es ihm keineswegs mit dieser affec-
tirten Gleichgültigkeit. Die Nationalliberaleu wollten ihm die Ka-
stanien aus dem Feuer holen und haben sich die Pfoten verbrannt.
Als sie durchgefallen waren, wurde nirgends mehr über sie ge-
schimpft als in den Bismarck'schen Kreisen. Mit diesen Leuten
kann man nichts gemein haben, war dort der Refrain, weil sie
unklug und tölpelhaft sind und uns durch ihren dummen Eifer
compromittiren. Auch Herr Bluntschli wird in dieser Beziehung
ein Liedlein singen können von dem höhnischen und groben Empfang,
den ihm Herr v. Arnim hat zu Theil werden lassen. „Was, Ge-
heimerath? Ich kenne nur Professoren an den Universitäten!" —
Hätten aber die Nationalliberalen ihre Adresse durchgesetzt, so wären
sie gehätschelt und geliebkost worden, — ganz nach Weise der Be-
dienten, die man beliebig straft oder lobt, je nachdem es am Platze
ist. Aber bei der vorliegenden Gelegenheit wollte Bismarck seinem
Groll über seine vereitelten geheimen Hoffnungen Lust machen, —
er gab im Stillen das Signal und die getreuen Jagdgenossen, die
den Pfiff des Herrn kennen, fielen über die Südoeutschen, fie-
len besonders über die Württemberger her. Merkl's Euch, Ihr
Wähler!

Süddeutschland.
* Heidelberg, 23. Mai. Daß von preußischer Seite dem
Abg. Bissing mit gewaltigem Lärm die Aeußerung Bismarck's
im norddeutschen Reichstage über die um 30 Jahre im politischen
Rückstand befindlichen Süddeutschen in Abrede gestellt werden
würde, hätte Niemand erwarten sollen. Jene Aeußerung ist bereits
eine geschichtliche Thatsache und war die erste Rede Bismarcks seit
1866, welche laut von dem Reichstage verlacht wurde. Hätte
daher Brssing ahnen können, daß man ihm eine derartige That-
sache in Abrede stellen würde, so hätte er sich, ehe er sprach, die
betr. Worte des Grasen aus den stenographischen Verachten her-
ausgeschrieben und sie den Herren vorgchaüen. Wir haben nun
die Sache näher gefirüft und da sanden wir in dem stenographi-
schen Berichte über die 6. Sitzung des norddeutschen Reichstages
vom 2. April d. J.'s Folgendes:
S. 59. Bunoeskanzler Graf v. Bismarck:-„Warum
wollen die Süddeutschen nicht zu uns kommen? nicht weil wir
ihnen nicht liberal genug sind, sondern weil wir ihnen viel zu
liberal sind."-
S. 60. Derselbe: — — „aber derjenige muß Süddeutsch-
land nrit Ausnahme Badens sehr wenig kennen, der nicht weiß,
daß im Liberalismus sie dort -— ich will nicht sagen um ein
Menschenalter, — wohl aber um diejenige Zeit, die seit der Juli-
revolution verflossen ist, hinter uns zurück sind."
Kann man deutlicher sprechen? ist es aber auch möglich, daß
man die Stirne hat, durch lautes Geschrei eine derartige von
Brssing citirte Aeußerung in Abrede stellen zu wollen?
* Heidelberg, 23. Mai. Die Demokratische Correspondenz
sagt in einem: „Der Ausgang des Zollparlaments" überschriebenen
Leitartikel:
„Bismarck ist Preuß und bleibt unter Preußen. Die Main-
linie ist seine Achillesferse, das spürt man bei jeder Gelegenheit,
so oft sie nur berührt wird, aber er meint, er dürfe es nicht Wort
haben. Während ihm jede Faser seines (gewiß nicht furchtsamen)
Wesens zittert bei dem Gedanken an die Gefahr, die er sich da
selbst bereitet, steigt er hinab zu der Phrase: „wir sind gar nicht
pressirtt" Man kennt das. Schmerling sagte auch: „wir können
warten." Mit welchen! Erfolge, das weiß die Welt, und wir
meinen: mit welchem Erfolge derjenige, dem's jetzt in Preußen
nicht pressirt, sich auf's Warten legt, das wird die Welt bald
erfahren. Der Appell an den deutschen Patriotismus, zu welchem
der edle Graf sich am Ende verflieg, scheint uns ein Beweis, daß
er mit den ihm geläufigeren Mitteln nicht mehr auszureichen
fürchtet.
So schließt denn das Zollparlament, seines Anfangs würdig,
als Nullparlament. Phrasen-umvölkt, unten, mit stiller Sorge
oben. Daß das Volk abermals mehr zu zahlen haben wird, das
beiher. Hohenzollern — hohe Zölle, das konnte sich das Volk vor-
her sagen, und wenn gerade die bei der Tabaksteuer hauptsächlich
interessirten Landestheile sich jetzt nachträglich beklagen sollten,
warum haben die Badenser und Bayern nicht besser gewählt, sich
nicht besser gewehrt?! Bluntschli, Völk und Zubehör zum Ver-
treter nehmen, heißt sich ergeben in alles was Zollern fordert an
— Tabak, Cigarren, Gulden und Gliedmaßen."
/> Heidelberg, 22. Mai. In unserem katholischen Casino
ging es gestern lustig zu, — man feierte die Rückkehr des Abg.
Biffing aus Berlin, der den förmlichen Schluß des Zollparla-
ments nicht abgewartet hatte, weil er, wie er sich ausdrückte, nie-
mals Lust habe, aus einem Balle den Kehraus mit zu tanzen. In
dem mit Kränzen und Blumen reich geschmückten Saale waren die
Mitglieder unseres Vereins in großer Zahl mit ihren Familienan-
gehörigen versammelt. Dr. Fischer begrüßte seinen Freund und
Collegen im Vorstande mit warmen Worten, worauf Bissing für
den festlichen Empfang dankte und einen längern Vortrag über die
Wahrnehmungen hielt, die er in Berlin gemacht, und über die Be-
 
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