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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1869

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Nr. 89-101 (3. August - 31. August)
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— 398 —

Nochmals die Handschuhsheimer Brücken¬
versammlung.
OIi. Aus der Pfalz. Bezüglich unserer Bemerkungen im
„Pfälzer Boten" über obige famose Versammlung beschweren sich
in einer „öffentlichen Erklärung" einige Celebritäten von Hand-
schuhsheim und Neuenheim in Nr. 198 der Heidelberger Zeitung,
worüber wir uns nochmals einige Randglossen erlauben.
Die 3 Artikel des „Pfälzer Boten" über fragliche Angelegen-
heit sollten einfach eine Verwahrung dagegen sein, daß bei jener
Zusammenkunft:
1) Die Hauptsache zur Nebensache und Nebensächliches zur
Hauptsache gestempelt wurde. Hauptsache sollte die Erörterung
der Heidelberger Brückenfrage fein; unter diesem Titel wurde die
Versammlung weit und breit angesagt; die Anwesenden erwarteten
eine gründliche Besprechung über diese Angelegenheit. „Morgen
ist eine Versammlung wegen der Heidelberger Neckarbrücke", sagte
selbst Einer der Unterzeichner zu einem Handschuhsheimer Gemeinde-
rath am Abend vorher. „Ich bin wegen der Brücke da", wurde
in die Versammlung hineingerufen und damit die Veranstalter an
den eigentlichen und wahren Gegenstand der Tagesordnung
erinnert — gesteht selbst die Heidelberger Zeitung. In Handschuhs-
heim und Dossenheim wußten die meisten Bürger nicht anders als
die Brückenfrage als solche komme zur Besprechung und deßhalb
find sie erschienen, wie uns Männer berichteten, denen wir mehr
Vertrauen schenken als den HH. Unterzeichnern. Warum diese
Thalsachen nicht offen eingestehen? Ist das ehrlich? Warum zu
Ausflüchten seine Zuflucht nehmen wie: es verstehe sich von selber,
daß der Abgeordnete auch von Politik rede u. s. w.
Ja wohl! sagen auch wir; das hätte er recht gut thun kön-
nen nach Erörterung der Brückensrage; denn dann wäre die Haupt-
sache abgethan und Jedem, der das liberale Programm nicht hätte
anhören wollen, freigestanden fortzugehen. Ihr aber habt den
Spies umgekehrt und die Leute moralisch genöthigt zuerst die libe-
ralen Schönfärbereien anzuhören und dann erst nichts Bedeutendes
über die Brückenfrage. Seht, dies Verfahren nannte der Boteun-
redli ch.
2) Die beleidigendsten Ausfälle gegen die kathol. Mitbürger
und damit gegen 800,000 Katholiken des Landes losgelasien, vom
Peterspfennig, schwarzen Casinos, Casinobrüdern, Ultramontanen
u. dgl. also von Dingen die Rede war, welche mit der Brücke
gar nichts zu schaffen haben. Ist das nicht wahr? Wenn aber,
ist dann euer Benehmen redlich? Oder glaubt ihr, die Katholiken
von Baden seien vogelfrei, „Heloten", denen man muthwilliger-
weise alle Schänd uno Spott in's Gesicht sagen darf? Kommt
bei unfern Versammlungen auch so etwas vor? Erlauben sich die
Redner der kathol. Volkspartei auch solche Abschweifungen auf das
rein Protest. Gebiet und solche Ausfälle auf die Angehörigen der
evangelisch-protestantischen Landeskirche? Die Redner der liberalen
Partei thun das bei jeder Gelegenheit und thaten es auch hier u.
dies Benehmen nannte der Bote unredlich.
3) Daß der längst begrabene, 300jährige pfälzer religiöse
Fanatismus wieder hervorgezaubert und angefacht und dadurch der
Friede und die Eintracht unter der Bevölkerung, den Orts- und
Confession sangehörigen gestört werden sollte. Hat es keine Unter-
brechung, keinen Lärm gegeben als jene Ausfälle stattfanden?
Die Heidelberger Zeitung gesteht es ja selbst zu. Wozu sich
noch aufblähen und aus's hohe Roß setzen? Ist das redlich? Es
scheint fast als wollet ihr euch dieser Heldenthat noch rühmen und
andeuten: es verstehe sich auch von selbst, daß bei liberalen Zu-
sammenkünften über die Katholiken losgezogen werden müsse und
wegen dieses Scheins gebrauchte der Bote den Ausdruck un-
redlich.
Als wahrhaft „gebildete" Männer, die ihr sein wollt und unsert-
wegen in alle Ewigkeit sein sollt, hättet ihr bedenken sollen, daß
es in Handschuhsheim, Dossenheim, Leutershausen und andern
Orten, die vertreten waren, nicht blos Liberale, sondern auch Ultra-
montane, nicht blos sog. Protestantenvereinler, sondern auch bibel-
gläubig-protestantische Bürger gibt und solche Ausfälle nicht dulden
sollen. Das wäre Pflicht für den Vorsitzenden als solchen, für
die anwesenden Pastoren als Inhaber der Toleranz und insbe-
sondere des Bürgermeisters gewesen, der nicht blos für die Evan-
gelischen, sondern auch für die Katholischen Ortsvorstand ist und
dem daran gelegen sem muß, daß Ruhe und Friede in der Ge-
meinde herrscht.
Die Unterzeichner der „Erklärung", 11 an der Zahl, prote-
stiren gegen den Ausdruck „einige Liberale und gedanken-
lose Gimpel" und insinuiren dem Boten, er habe damit die
gesammte Einwohnerschaft von Handschuhsheim gemeint.
Köstliche Argumentation das! Wäre die Versammlung aus
Hunderttausenden bestanden, dann könnten unter dem Ausdruck
„Einige" 200—300 verstanden werden; da aber die ganze Ver-
sammlung höchstens 200—300 Köpfe zählte, so sind unter den
„einigen liberalen und gedankenlosen Gimpeln" höchstens 10—20
verstanden und welche damit gemeint sein sollen, müssen wir je-
dem Einzelnen zu beurtheilen überlassen. „Wenn der Wurm ge-

treten wird, krümmt er sich", sagt ein Sprichwort. Die Unter-
zeichner proteftiren gegen die Nachricht, als seien de« Anwesende«
„gemischte Schulen" empfohlen worden. Der Bote sagte nur:
„Auch die Schulfrage kam zur Besprechung." W-nn die Hand-
schuhsheimer Bürger dahinter eine Anspielung auf gemischte Schulen
gewittert, wer wollte es ihnen verargen; denn nicht die confeffio-
nellen, sondern die gemischten Schulen sind ja das Schooßkind der
Liberalen. Von einer Schlägerei hat der Bote nichts berichtet,
sondern nur von „Beohrfeigungen und blutigen Köpfen" und da-
von wollt ihr nichts wissen. O herzige Unschuld! Fragt die bei-
den Chirurgen und andere Leute, die können's euch sagen. Schließ-
lich noch die Bemerkung: Der Bote und seine Berichterstatter wol-
len den Handschuhsheimer Liberalen und ihrem auswärtigem Tro-
bei Gründung von Vereinen nicht hinderlich sein, noch wenig e-
Rathschläge ertheilen. Im Gegentheil! Gründet Vereine, berufr
Versammlungen, haltet Reden, so oft ihr wollt, schreit euch dit
Lunge heraus — aber laßt die Katholiken, die katholische Kirche
und ihre Angelegenheiten in Ruhe. Die gehen euch nichts an.
Habt ihr es gehört? Thut ihr das nicht, so habt ihr den Boten
und seine Berichterstatter auf den Socken und die bleiben euch die
Bezahlung nicht schuldig. Dies unsere Begründung, welche wir
nicht in Folge der Aufforderung von Seite der bekannten Elf,
sondern aus purer Liebhaberei niedergeschrieben haben.

SüddeutschlKnd.
* Heidelberg, 29. Aug. Wollte man alle Lügen ver national-
servilen Presse aufdecken, so würden die Spalten unseres Blattes
hiezu nicht hinreichen. Wir wollen daher auch die Posaunenstöße
nicht näher würdigen, die über die neuesten Wahlen in Baden
durch alle bettelpreußische Blätter ergangen sind. Anders ist es
mit Unwahrheiten, die sich in Blättern finden, welche großdeutsch
sein wollen. So enthält wiederum einmal die Neue freie Presse
einen Artikel aus Oberbaden, dem man es auf den
ersten Anblick ansieht, daß er nicht von einem großdeutschen De-
mokraten, sondern von einem verkappten Preußen geschrieben u.
für österreichische Leser zugestutzt ist. Nach einem früher» Geständ-
niß der Neuen freien Presse möchten wir fast glauben, daß der
alte Weckbäck seine Eier jetzt dort hineinlegt — genug für ein an
ständiges Blatt, um auf der Huth zu sein. In fraglichem Artikel
steht Folgendes wörtlich, nachdem vorher die Neigung der Ultra-
montanen zu Preußen hervorgehoben wurde: „Es war auch be-
merkt worden, daß die Ultramontanen Süddeutschlands und Badens
insbesondere, die in's Zollparlament gewählt wurden, in Berlin
sich sehr manierlich und gar nicht preugenfcefferifch zeigten." Wir
erwarten über diese Behauptung den nähern Nachweis. Wird er
nicht gegeben, so muß die Nene freie Presse, tzre bereits so viele
Unwahrheiten über Baden colporürl hat, sich Vie Anklage der
Lügenhaftigkeit gefallen lassen.
* Heidelberg, 27. Aug. Heute wollen wer doch auch einmal
der Landesbafe einen Artikel Nachdrucken; derselbe lautet wörtlich
folgendermaßen:
„Die Abgeordnetenwahlen sind zu ihrer weit überwiegenden
Mehrheit zu Gunsten unserer Partei entfallen. Die Ultramon-
tanen haben außer Roßhirt, der schon der Kammer angehörte, zu
ihrem stilleren Chef Lindau noch wahrscheinlich Vissing erhalten.
Über dessen Wahl uns übrigens noch kein Bericht vorlregt; außer-
dem wurde Hr. Baumstark zweimal gewählt und zwar im Land-
bezirk Freiburg und nach hartnäckigem Wahlkampf in Gückingen
gegen Landescommissär Sachs. Baumstark wird wohl in Säckingen
anmhmen, und es bleibt sodann für den 13. Wahlbezirk eme noch-
malige Wahl vorzunehmen. Zu den Genannten tritt als Dritter
im Bunde einer der stärksten Agitatoren — Lender. Es ist ein
bsmerkenswerthes Moment, daß außer Roßhict nur gerade fana-
tische Häuptlinge von Ultramontanen gewählt wurden. Dre Kam-
mer kann sich aus merkwürdige Scenen gefaßt machen, und es ge-
hört wenig Propherengabe zu der Voraussicht, daß durch die Wahl
und das Auftreten von Männern wie Btssing, Baumstark und
Lender, die nationale Sache nur gewinnen kann. Wir werden
s. Z. an diese Prophezeihung erinnern."
Wir sehen daraus, daß die Base Angst hat vor dem Auf-
hören des süßen Stilllebens in dem Kämmerlein am Landgraben.
„Es wird Scenen absetzen!" — ja, ja, ganz richtig, Scenen muß
es absetzen, wie seit 20 Jahren noch keine da waren; denn, ver-
ehrteste Landesbase, wenn in der Presse das jetzige Regierungssystem
nicht mehr angegriffen werden kann ohne Preßprozeß, ja wenn;o-
gar Vergleiche zwischen der badischen und württembergischen Re-
gierung, die zum Nachtheil der ersteren ausfallen, die Thätigkeit
des Staatsanwaltes in Bewegung setzen, dann ist es hohe Zett,
daß es „Scenen" in der Kammer gibt, d. h. daß man von der
bis jetzt noch bestehenden Redefreiheit auch den nachdrücklichsten
Gebrauch macht. Nach allen Leiden, denen wir seit langem aus-
gesetzt sind, muß einmal der „Schmerzensschrei" heraus, so laut,
so gellend, daß er durch's ganze Land vom Main bis zum schwä-
bischen Meer vibriren und den abgestandenen Sauerteig der alten
Bsamtenkammer nochmals in Gährung versetzen soll.
 
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