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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1869

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Nr. 102-114 (2. September - 30. September)
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402

Elemente unserer Bevölkerung dienen zu sehen, weil es nämlich
bis vor Kurzem noch erlaubt war, sich durch Zahlung einer be-
stimmten Summe vom Militärdienste zu befreien — sich einen
Stellvertreter zu kaufen. Der Mann ohne Geld ist gering geschätzt,
also auch der Soldat, der es entbehrt und der Soldat, der deßhalb
selbst diente oder sich als Stellvertreter verkaufte, mußte armer Leute
Kind sein. Als solches konnte er sich wohl nicht die Schulbildung erwer-
ben, wie reicher Leute Kind, und deßhalb auch in dieser Hinsicht
sich kein Ansehen erwerben. Seitdem hat das Loskaufen aufge-
hört und müssen Reiche und Gebildete ihre Dienstzeit durchmachen,
aber die Sonderstellung hat nicht aufgehört, sondern wird sogar
noch schroffer. Ein weiterer Mißstand, den die stehenden Heere nach
sich ziehen, ist der, daß der Handwerker unk Kaufmann seinem
Geschäfte auf einige Jahre gänzlich entfremdet wird, Vieles ver-
lernt und gewöhnlich, wie auch der junge Landmann, eine Arbeits-
scheu vom Militär mitbringt, die erst mit vieler Noth wieder ab-
gewöhnt wird, Manchen aber sein ganzes Leben hindurch begleitet.
Von den Uebelständen in moralischer Beziehung wollen wir gar
nicht reden, ebenso nicht über den Nutzen des Parade- u. Kasernen-
dienstes, über die Ausbildung und Stellung der Officiere und wie
wenig oft die sogenannten Standesausgaben und der Gehalt har-
moniren. Man sage nicht, wir mallen mit zu düsteren Farben, ein
nur oberflächlicher Blick würde genügen, die Wahrheit des Gesag-
ten zu entdecken, ja noch weit mehr.
Wer aber möchte behaupten, daß bei einem großen National-
kriege dieses mit so schweren Opfern errichtete und unterhaltene
stehende Heer ausreiche? Wer bürgt uns, daß es nicht wieder da-
hin kommen könnte, daß wie anno 1813 das Volk schließlich auf-
geboten werden, daß das Volk seine Freiheit trotz den
stehenden Heeren selbst erkämpfen müßte? Eine derartige Ansicht
ist gewiß um so berechtigter, als man sich durch den Ausschluß
Oesterreichs aus Deutschland einer seiner bedeutendsten Kräfte selbst
beraubte; so thöricht wird aber wohl Niemand mehr sein wollen,
zu verlangen, Oesterreich solle stets Sympathie-Politik treiben und
sogar für den Staat eintreten, der es eines Rechtes beraubte, das
durch die Jahrhunderte mit Blut und Leben von ihm gewahrt
wurde. Es ist daher wohl begründet, wieder den Gedanken an
das Volksheer anzuregen. Es ist schon oft geschehen ohne Erfolg
und wird wahrscheinlich noch manches Jahr vergehen, ehe es dazu
kommt. Die hindernden Gründe sind aber derart, daß darüber
gesprochen werden kann, ohne daß der Standrechtsartikel 631a in
Anwendung käme.
Doch wollen wir über die Art und Weise der Errichtung
einer deutschen Volkswehr in einigen Zügen unsere Ansicht dar-
legen. Unter den europäischen Staaten ist die Schweiz der einzige,
der eine wirkliche Volkswehr besitzt; und trotz seiner geringen Be-
völkerung von nur 2* */r Millionen Seelen stellt die Schweiz den-
noch beinahe 200,000 Mann Soldaten ohne jede stehende Armee.
Allerdings kommt dabei in Betracht die Lage und die Boden-
beschaffenheit der Schweiz, ihre von allen Staaten garantirte Neu-
tralität und ihr hoher Patriotismus; aber an ihrer Wehrhaftigkeit
und bekannten Tapferkeit haben wir keinen Grund zu zweifeln.
Nur ein Mangel macht sich immer mehr geltend. Der Mangel
an guten theoretisch und praktisch gebildeten Officieren. Nach der
Schweiz besitzt England die freieste Militäreinrichtung. Das stehende
Heer besteht aus Angeworbenen und ist über die halbe Welt zer-
streut. Für den Schutz des Mutterlandes sind die Milizen und
die Freiwilligencorps errichtet; Niemand kann gezwungen werden
einzutreten und ohne ihre Einwilligung können sie nicht verwendet
werden zum Dienste außerhalb des Mutterlandes.
Der Mangel, den wir oben bei der Militäreinrichtung der
Schweiz erwähnt haben, treffen wir hier nicht; denn durch die
ständigen Kämpfe in Indien hat England Gelegenheit genug sich
kriegstüchtige Officiere zu bilden und dann hat auch jedes Regi-
ment sein stehendes Cadre von Officieren, die von der Regierung
besoldet sind. An der Einrichtung dieser beiden Länder läßt sich
Manches lernen für ein deutsches Volksheer. Vor Allem wird es
nöthig sein, schon in der Jugend den Grund zu legen. Man hat
angefangen den Turnunterricht, wie er an den höheren Schulen
existirt, auch auf die Volksschulen überzutrageu, und es wäre leicht,
hier das Hauptgewicht zu legen auf militärische Bewegungen und
Marschübungen, statt wie man es oft findet, auf halsbrecherische
Seiltänzerstücke. Die Jugend wird mehr Freude und Eifer dafür
zeigen, die Begeisterung und oie Liebe für das Vaterland wird
mit gefördert werden. Verbindet man für die vorgerücktere Jugend
mit dem Turnen Schießübungen und Uebungen im Bajonnet-
fechten, so werden die jungen Leute, wenn sie das Alter erreicht
haben zum Eintritt in das Volksheer, eine tüchtige Vorbildung
genossen haben, und die vollständige Ausbildung wird in kurzer
Zeit und mit geringer Mühe vollendet sein. Zur theoretischen
Heranbildung von Officiren wäre es auch nicht zu viel verlangt,
wenn man sagte, es sollte an den Mittelschulen und Universitäten
Elementarunterricht ertheilt werden in dec modernen Kriegführung.
An der Schweiz zeigt es sich, daß es nöthig ist einen Kern tüchtig
gebildeter Officiere Zu haben, die dann in den einzelnen Bezirken

stationirt die Einübung der Bezirksmannschaft besorgten und vom
Staate besoldet würden. Ein ständiger Generalstab überwacht die
Gesammtleitung und leitet die Gesammtübungen, die in größeren
Zwischenräumen stattsinden. Dis Zeitdauer des Einübens hängt
ab von der Tüchtigkeit der Recruten, deren nicht zu viele auf ein-
mal einberufen werden sollen, damit der Acbeitsverlust nicht em-
pfindlich wird, und auch bei der Zeit dieses Einberufens kann hier-
auf Rücksicht genommen werden. Bei der Eintheilung der Mann-
schaften berücksichtigt man die Beschäftigung und die Gewerbe der
Einzelnen, so daß man Schmiede und andere Effenarbeiter zur
Artillerie, Leute, die mit Pferden umgegangen sind, zur Cavallerie
rc. einreiht. Ausrüstung, Waffen und Unterhalt während der Ein-
rückungszeit besorgt der Staat.
Auf diese Weise würden Millionen von Ausgaben erspart u.
Millionen durch die Verwendung von Arbeitskräften gewonnen,
ohne daß unsere Wehrhaftigkeit dadurch geschädigt würde, im Gegen-
theil wir besäßen das schon, wozu es über kurz oder lang doch
kommen kann, wenn die eiserne Noth uns zwingen wird — ein
Vol ksheer.

Süddentschlsrrd.
* Heidelberg, 31. Aug. Unsere Vermuthung, daß die Be-
richte der Neuen Freien Presse aus Baden nicht von einem Corre-
spondenten aus Baden, sondem von einem solchen aus der Vogel-
perspektive abftammen, ist wieder durch die neueste Mittheilung jenes
Blattes aus Baden bestätigt. Denn abgesehen von dem total ver-
unglückten, weil unwahren Raisonnement über die bad. Wahlen, be-
geht der Correspondent noch den großen Schnitzer, daß er den Grafen
v. Kageneck als „vom oberen Murgthal" gewählt erklärt, während
doch jeder halbgebildete Mensch in Baden weiß, daß der grund-
herrl. Adel bezüglich der Wahl seiner Vertreter in den Adel „ober-
halb" und den Adel „unterhalb" der Murg abgetheilt ist. Vom
Correspondenten der Neuen Freien Presse kann man also mit Fug
und Recht sagen: er ist weit her — ein etwas zweifelhafter Vor-
zug, der aber wohl von der Mannheimer Abendzeitung ebenso gut
übersehen wird, als das angebliche „manierliche" Verhalten der
badischen ultramontanen Zollparlaments-Abgeordneten in Berlin
nachgekaut wurde, worüber letzteres Blatt sich doch besser belehren
konnte, als ihr Wiener Born.
c/ Heidelberg, 31. Aug. Der Landtag wird Mitte Septem-
ber eröffnet. Ueber die Vorlagen tappt man immer noch im Dunkeln;
in Betreff derjenigen auf kirchlichem Gebiete erfahren wir aus sicherer
Quelle Dinge, die selbst wir kaum für möglich gehalten hätten. Die-
selben werden nicht verfehlen, in der katholischen Welt großes und
schmerzhaftes Aufsehen zu erregen; die Conflicte im Innern aber wer-
den dadurch nicht gehoben, sondern wesentlich geschärft werden. Das
schöne Vaden kommt nicht mehr zur Ruhe!
* Heidelberg, 31. Aug. In Betreff des nachträglich con-
fiscirten Artikels unseres Blattes über die Versetzung des Herrn
Amtsrichters Jung Han ns ist der Strafantrag auf die Kleinigkeit
von 3 Monaten Gefängniß und 200 fl. Geldstrafe gegen unseren
Drucker gestellt. Ob man uns wohl ein deutsches Land oder Länd-
chen nachweisen kann, in welchem die Preßklagen so lustig gedeihen
wie in dem liberalst regierten Musterstaate diesseits des Oceans?
Geht's noch eine Weile so fort, so werden die Herren Berberich
und Schweiß so ziemlich auf lebenslänglich sich durch den
Art. 631a eingemauert sehen. Es gibt eben heut zu Tage nicht
blos eingemauerte Nonnen und Mönche, sondern auch Redakteure
und Drucker.
Aus Baden, 31. Aug. Sie scheinen zwar kein beson-
derer Freund von Morithaten und dergl. zu sein, was man ge-
wöhnlich unter oie Rubrik „Vermischtes" zu setzen pflegt; auch will
ich Ihnen daraus durchaus keinen Vorwurf machen, weil ich wohl
weiß, daß bei dem spärlich zugemessenen Raum Ihres Blattes für
dergleichen Dinge selten Platz vorhanden fein wird. (Herr Jolly
und seine unvergleichliche neueste Aera gibt uns in der Regel,
wofür wir ihm unfern Dank abstatten, so viel Stoff, daß wir
auf Anderes nur zu häufig verzichten müssen. Der Bote.j Gleich-
wohl will ich die so knapp zugemessene „saure Jurkenzeit" bis
zum Zusammentritt der Kammer ein oder das andere Mal be-
nützen, um Ihnen Einiges von dem was so gewöhnlich im Leben
paffirt zu berichten.
In Heidelberg ist der Juristenspektakel zu End; man hat
viel gezecht und gejubelt, was uns gar nichts angeht; auch
auf dem Neckar sind die Männer des Rechts nebst Damen
uns badischen Ministern gefahren und Bluntschli hat chnen
dabei seine neueste epochemachende „Forschung" enthüllt, daß die
Sladt Heidelberg, sogleich sie trockene Juristen seien, sie aufs
Wasser gesetzt habe. Mit diesem wichtigen Resultate im Felleisen
sind sie jetzt Alle wieder heimwärts gezogen, und ihr Secretär
Makover spitzt schon zur Verherrlichung so vieler Thaten oie Feder
in Mokum-Berlin. Es bleibt nichts mehr zurück wie das Deficit!
— Allgemein bedauert wird der arme Maurer, der in Heidelberg
vom Thurme stürzte; er war ein braver, fleißiger junger Mann.
Der Verunglückte rvuroe gestern unter zahlreicher Bethe-ligung zur
Erde bestattet, - auch tue katholische Sliftungscomnusfivn war in
 
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