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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1869

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Nr. 128-140 (2. November - 30. November)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43880#0516

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508

einen sicheren Maßstab für die Denkweise des Volkes zu haben,
ebenso unerläßlich geboten und von ebenso großer Wichtigkeit er-
scheint, wie das direkte Wahlverfahren selbst.
Die bisherigen Bestimmungen unseres Wahlgesetzes räumen
den größeren Städten eine sehr „bevorzugte Stellung" über die
anderen Wahldistrikte ein, wie der Bericht Ihrer Commission mit
denselben Worten zugibt. Letztere ist damit vollkommen einverstan-
den und wünscht keine Aenderung dieses Mißverhältnisses. Sie
geht dabei von der Voraussetzung aus, daß in den größeren
Städten ein höheres Maß politischer Bildung vorhanden sei, als
unter dem Landvolke, und glaubt es daher mit der Gerechtigkeit
und Billigkeit nicht unverträglich, dem Landmann eine .geringere
Vertretung als dem Städter in diesem hohen Hause zutommen
lasten zu dürfen. Diese Voraussetzung ist indessen eine vollständig
willkührliche und durch nichts gerechtfertigte.
M. H-! Ich verkehre wahrscheinlich mehr mit dem Volke,
als die Herren, die hinter dem grünen Tische Paragraphen redi-
giren, und da kann ich Ihnen denn aus meiner Erfahrung be-
stätigen, daß der Landmann einen ebenso offenen Sinn hat für
die Angelegenheiten des Landes wie der Städter, und darf behaup-
ten, daß er in dem größeren Theil unseres Landes mindestens
ebenso viele politische Blätter liest, wie z. B. die Gewerbtreibenden
in den Städten. Auch werden diejenigen verehrlichen Abgeordne-
ten, die die Ehre haben, als Beamte die Großh. Regierung drau-
ßen zu reprüsentiren, wohl oft schon in der Lage gewesen sein,
sehr treffende Antworten von schlichten Bauersleuten über den Ort,
wo das Volk der Schuh drückt, gehört zu haben; die andern
Herrn College», die aber weniger mit der Landbevölkerung bekannt
sein sollten, lade ich freundlichst ein, in den Weihnachtsferien mit
mir einmal eine kleine Erholungstour in Sachen der kathol. Volks-
partei, etwa in meinen Wahlbezirk, zu unternehmen; Sie werden
die Leute erstaunlich darüber unterrichtet finden, was Sie, m. H.
in der Kammer schon Alles seit Jahren gesprochen und was Sie
schon Alles für die Steuererleichterung des Volkes gewirkt haben.
Um Ihnen aber doch die ganze Größe des Unrechtes vorzu-
halten, wie die Landbevölkerung benachtheiligt ist, will ich Zahlen
sprechen lasten. Es liegt dabei die Volkszählung von 18H4 zu
Grund, die mir gerade zur Hand war. Die 14 Städte unseres
Landes mit circa 180,000 Einwohnern wählen 22 Abgeordnete
und das ganze übrige Land mit 1,250,000 Einwohnern wählt zu-
sammen nur 41 Abgeordnete d. h. die Städte sind ungefähr 4mal
so stark vertreten, wie die Dörfer und die kleineren Lanostädtchen.
Wäre eine gleichartigere Vertheilung vorhanden, so müßte das
übrige Land statt 41 — 152 Abgeordnete wählen. Und was die
Städte unter einander betrifft, so hat sich auch da im Laufe der
Zeit ein eigenthümliches Mißverhältniß gebildet: so z. B. ist es
unbegreiflich, wenn die Stadt Ueberlingen einen eigenen Abgeord-
neten wählt, während die Stadt Villingen mit circa 1000 Ein-
wohnern mehr dies nickt darf; dasselbe gilt von Weinheim und
Ettlingen, während die kleineren Städte Wertheim und Durlach
ihre eigene Vertretung haben I M. H.! Dieses Mißverhältniß
wird bet der Fluctuation der Bevölkerung nie aufhören, bevor Sie
nicht einfach im Gesetz bestimmen: so und so viel Tausend Ein-
wohner wählen einen Abgeordneten, wie es auch bei den Zollparla-
mentswahlen gilt, ohne weitere Nebenrücksichten. Wollen Sie dann
aber trotzdem noch eine weitere Vertretung der größeren Städte
haben, wohlan! ich habe nichts dagegen, — setzen Sie Repräsen-
tanten derselben in die erste Kammer, wo eine derartige besondere
Vertretung sich wohl rechtfertigen ließe und wofür Sie auch ein
Vorbild in anderen Staaten haben. Schaffen Sie aber die gegen-
wärtige Eintheilung der Wahlkreise ab, die der Verfassung ange-
hängt wurde, als Baden eine weit kleinere und anders verteilte
Bevölkerungszahl aufwies, als dies gegenwärtig der Fall ist.
Aber noch ein weiteres Moment darf ich nicht unerwähnt
lasten: auch in conseffioneller Beziehung findet ein ungeheures
Mißverhältniß statt, zum Nachtheil der Katholiken. Der
Abg. Lamey und verschiedene andere Abgeordneten haben zwar
neulich gesagt, sie könnten nur badische Staatsbürger ohne Rück-
sicht auf die Confeffon und die Regierungsbank ist wohl auch da-
mit einverstanden gewesen. Es mag dies so im Allgemeinen richtig
sein, aber nur so lange, als die Interessen ihrer politischen Rich-
tustg nicht gefabrdet werden. In der Eintheilung der Wahlbe-
zirke scheinen sie aber doch auch katholische und protestantische
Staatsbürger sehr wohl zu kennen, denn sonst hätte sowohl der
frühere wie der jetzige Minister des Innern längst dafür gesorgt,
daß diejenigen badischen Staatsbürger, welche zufällig auch Katho-
liken sind, bei den Wahlen nicht zu kurz kämen. Um aber die
behauptete Benachtheiligung der Katholiken zu beweisen, laste ich
abermals Zahlen sprechen. So hat das überwiegend protestan-
tische Lahr mit 8000 Einwohnern 2 Abgeordnete zu wählen; das
katholische Baden mit größerer Bevölkerung nur einen; Landamt
Pforzheim mit 14,000 Einwohnern — es ist überwiegend prote-
stantisch — wählt 1 Abgeordneten, die Aemter Stockach-Engen-
Mößkirch mit kath. Bevölkerung wählen auch nur 1, obgleich ihre
Bevölkerung 46,000 Köpfe beträgt; Amt Müllheim (protestantisch)
hat 22,000 Einwohner, die kath. A"mter RastatbEirLmgßN haben

die doppelte Zahl und wählen auch nur einen Vertreter. Von
meinem Wahlbezirke will ich nicht reden und verzichte überhaupt
auf weitere Beispiele, obgleich ich deren noch mehr anführen könnte.
Ich habe endlich noch der Motion des Abg. Lindau zu ge-
denken, so weit sie sich auf die Auflösung der gegenwärtigen Stände-
versammlung bezieht. Dieses hohe Haus hat die Motion in nähere
Berathung zu ziehen beschlossen, und die betr. Commission hat sie
todtgeschwiegen. Der Herr Abg. Lindau hat soeben die Frage an
die Regierungsbank gerichtet, wie es sich damit verhalte, ob die
nächste Kammer eine Total- oder nur eine Portialerneuerung er-
fahren werde. Der HerrStaatsminister hat ihm keine Antwort gegeben;
nun, m. H., keine Antwort ist auch eine. Wir erleben also das herrliche
Schauspiel — u. bei Gott u. in Neu-Baden sind ja alle Dinge möglich!
— daß die nächste Kammer aus '/«r Mitgliedern nach dem altenWahlge-
setz und i/i nach dem neuen mit geheimer Stimmgebung zusam-
mengesetzt, nein! zusammen geflickt ist, denn weiter nichts als eine
Flickarbeit haben wir daun zu Wege gebracht. Ich hätte erwartet,
daß bei so großen Meinungsverschiedenheiten, wie sie auf allen
Gebieten des öffentlichen Lebens in unserem Lande zu Tage treten,
endlich einmal von allen Parteien der Appel an das Volk verlangt
würde; eine Partialerneuerung des nächsten Landtages vollends,
nachdem Sie ein neues Wahlgesetz geschaffen haben, hätte ich geradezu
für unmöglich gehalten. Ich will und darf nicht annehmen, m.
H., denn es wäre eine Beleidigung Ihrer Mehrheit, daß Ihnen
das Festkleben an den grünen Sitzen zu sehr am Herzen läge,
daß Sie mit diesen, wie die Centauren mit ihren Pferden verwach-
sen wären, nein! Ihr Motiv ist ein anderes, Sie theilen die
Augst des Abg. Näf vor dem Ueberwiegen der Ultramontanen
und Democraten in diesem Hause, zumal Ihnen die Campagne bei
den Zollparlamentswahlen noch tief in den Gliedern sitzt. Sw wol-
len keinen Kampf, wo Licht und Boden gleich vertheilt sind, Sie
wollen ein Wahlsystem und eine Distriktseintheilung, mit der selbst
eine Minderheit Jahrhunderte lang bequem regieren könnte, Sie wollen
eine Parleiherrschaft an der Stelle des wahren Willensaus-
drucks des Volkes!
M. H.! Der Berichterstatter Ihrer Commission gebraucht
wiederholt das Wort „wissenschaftlich" und scheint dieses für
seinen Bericht in Anspruch zu nehmen. Ich bin nun aber mit
dem besten Willen nicht im Stande, auch nur eine einzige wissen-
schaftliche Ausführung in demselben zu entdecken. Wollen Sie eine
wirklich wissenschaftliche Darstellung des vorliegenden Gegenstandes
in diesem Hause lesen, so empfehle ich Ihnen angelegentlich die
Arbeit eines Mannes, dessen Worte bei seinen Lebzeiten wie Ora-
kelsprüche von Ihnen verehrt wurden: ich meine den Bericht des
Abg. Häusfer vom 1. Mai 1849 über das Wahlgesetz, in wel-
chem eine Stelle aus S. 99 vorkommt, welche weder Sie noch die
Großh. Regierung bei der Berathung der Motion des Abg. Lin-
dau gewürdigt haben; sie lautet:
„Ihr Ausschuß glaubt, daß eine genauere und unbefangene
Prüfung der Frage jetzt mehr gegeben ist, da es sich nicht wie im
Jahre 1825 um die gleichzeitige Einführung einer längeren Land-
tagsperiode, noch wie im Jahre 1831 um die Wiederherstellung
einer verstümmelten Verfassung handelt. Bei einer unbefangenen
Prüfung war aber Ihr Ausschuß einstimmig der Ansicht, daß die
Jntegralerneuerung der partialen vorzuziehen sei. Zunächst ent-
spricht die Jntegralerneuerung dem demokratischen Grundsätze der
Vertretung viel reiner und consequenter, als die partiale; während
bei dieser stets nur Bruchtheile des Volkes ihre Meinung abgeben,
führt die gänzliche Erneuerung zu einem klaren und unzweideuti-
gen Ausdruck der Stimmung des ganzen Volkes. Dieser eine Vor-
zug ist im constitutionellen Staate allein schon von einem sehr gro-
ßen Gewichte. Die partiellen Erneuerungen bringen neue Elemente
(Drittel oder Hälften) in die Kammern herein, und wie man be-
hauptet, werden diese jüngeren Elemente auf die älteren zürückge-
bliebenen einen unwillkürlichen Einfluß ausüben; allein dies ist
von Zufälligkeiten und Persönlichkeiten abhängig, und in jedem
Falle erfährt man dann mit unzweideutiger Bestimmtheit, welche
Sümmung des Volkes gerade zur Zeit der partiellen Erneuerung
die herrschende gewesen ist. Es kommen dann meistens schwankende
und unsichere Majoritäten heraus, zumal da bei partiellen Erneue-
rungen der fremde Einfluß viel leichter geübt werden kann, als
bei einer allgemeinen Wahl; jene unsicheren Majoritäten sind der
Gesetzgebung, wie der constitutionellen Regierung gleich hinderlich.
Durch die gänzliche Erneuerung wird eine Landssvertretung bestellt,
die auf die Apellation an's Volk eine klare Antwort gibt, und aus
sie wird sich dann die parlamentarische Regierung zu stützen ha-
ben. Die Gesetzgebung wird consormer, die Regierung stärker und
kräftiger sein, wenn sie für zwei Landtagsperioden eene unmittel-
bar und vollständig aus dem Volke hervor egangene Landesreprä-
sentation zur Seite hat, statt sich auf eine zur Hälfte oder zu
Dritteln gewählte Kammer zu stützen und mit unsicher« Majori-
täten regieren zu muffen." — „Man wendet ein, cs bleibe bei
Partialerneueruugkn ein Stamm in der Kammer zurück, der für
die kundige Leitung der Geschäfte von großem Werth ter. Ihr
Ausschuß hält die Besorgmß, daß dieser Vortheil bei Jntegraler-
muerungeu verloren gehe, für unbegründet. Die Erfahrung be-
 
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