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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1869

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Nr. 128-140 (2. November - 30. November)
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509

weist, daß die Jntegralerneuerungen zwar den Körper im Ganzen,
aber nicht alle einzelnen Mitglieder erneuern, sondern daß sich
in Ländern, wo solche besteht, die Stetigkeit einer parlamentarischen
Generation selbst in Revolutionszeiten Nicht verleugnet. Tüchtige
und bedeutende parlamentarische Talente werden ohnedies nirgends
Gefahr laufen, gleich nach ihrer ersten Wahl bei Seite geschoben
zu w rden; am wenigsten in einem kleinen Lande, wo die Aus'
wähl nicht allzu groß ist. Wohl aber liegt in jener zurückbleiben-
den Hälfte oder gar zwei Dritteln eine andere Gefahr: es bildet
sich eine Art von Aristokratie der älteren Mitglieder, die in auf-
geregten Zeilen die Entfremdung zwischen dem jungen und alten
Theil der Kammer bedenklich steigern kann, indem die Zurückge-
bliebenen sich auf ihre Anciennetöt, die neueingetretenen sich auf
ihr unmittelbares Hervorgehen aus den Volkswahlen stützen wer-
den. Dies Alles wird bei einer Jntegralerneueruug mit nicht zu
langen Wahlperioden, wie der Ausschuß sie Ihnen später Vorschlä-
gen wird, vermieden; die Landesvertretung wird durch eine allge
meine Berufung an das Volk gebildet, sie hat Zeit, sich mit den
Geschäften vertraut zu machen und auf Regierung und Gesetzgeb-
ung in ihrem Sinne zu wirken; sie veraltet nicht, sondern erhält
durch ihre conforme Zusammensetzung eine verstärkte Macht und
Einheit."
So urtheilt eine wissenschaftliche Größe zu einer Zeit, wo die
Massen noch „reif" waren; anders der heutige Berichterstatter, des-
sen Arbeit offenbar unter der jetzt wieder unreif gewordenen Zeit-
strömung zu leiden hat.
Der Herr Berichterstatter spricht von „Nebenabsichten" in der
Motion des Abg. Lindau; betrachtet er seinen Bericht selbst ge-
nauer, so kommt er wohl zu dieser Ansicht, weil er die Worte des
Dichters zu sehr beherzigte: „In meiner Brust versteh' ich And-
rer Thaten." Ja fürwahr seine Arbeit ist eine einzige Neben-
ab sicht. Diese wurde mir um so klarer, als ich mich bei der
Lectüre derselben an einen Artikel eines officiösen Amtsverkündi-
gungsblattes erinnerte, des Mannheimer Journals, in welchem die
viel in der Presse und in Volksversammlungen besprochene Aeu-
ßerung ganz ungenirt zu lesen war: „Das jetzige Ministerium
muß bleiben, und wenn auch ^/io des bad. Volkes sich gegen das
selbe erklären sollten." Erweitern Sie diesen Satz auch noch aus
die Kammer, dann, m. H., haben Sie die Nebenabsicht Ihres
Berichterstatters Näf!
(Die Rede des Abg. Bifsing wurde wiederholt von lauten
Zeichen des Beifalls begleitet und am Schluffe derselben war das
Bravo von der Galerie so lebhaft, daß der Präsident eindringlich
zur Ruhe ermahnen mußte. Ebenso wurden die andern Redner
des Festungsvierecks wiederholt mit Bravorufen unterbrochen.)

Kammerverhandlungen.
* Karlsruhe, 29. Okt. Die gestrige Sitzung über die Wahl-
reform bot an Interesse noch viel mehr als die Adreßdebatte und
war namentlich dadurch spannend, daß dir Anhänger des indirekten
Wahlverfahrens an Kräften den Gegnern desselben lange nicht ge-
wachsen waren: sie hatten nur Lamey und Jolly als Redner
von einigem Belang aufzuweisen, und diese wagten es nicht einmal,
in prinzipieller Beziehung das direkte Wahlverfahren zu verwerfen,
vielmehr suchte Jolly die Unbedeutendheit des Unterschiedes beider
Wahlarten in den Vordergrund zu schieben, während Lamey nur
Zweckmäßigkeitsgründe für sein indirektes Wahlsystem vorbrachte.
Am sonderbarsten war die Rolle, die die Herren Kiefer und Eck-
hard spielten: sie „polterten", um mit Baumstark zu reden, gegen
die Uliramontanen, die doch mit ihnen das direkte Wahlrecht ver-
fochten und gefielen sich darin, ihre eigenen Gegner zu vertheidigen,
die in ihrer geistigen Schwäche dessen allerdings auch sehr bedürftig
waren, und deren Gründe fortwährend für besser als ihre eigenen
gelten zu lassen. Das Auftreten Kiefer's machte vollständig den
Eindruck, als wünsche er den Durchfall seines eigenen Antrags aui
Einführung der direkten Wahl uud habe diesen nur gestellt, — um
—- ehrlicher als seine andern Gesinnungsgenossen — seinen Offen-
bürger Verpflichtungen wenigstens in diesem einen Cardinalpunkte
uachzukommen und ihnen dann aus immer Valet zu sagen. — Der
Bericht des Abg. Näf über die Wahlreform war ein so dürftiges,
trauriges Machwerk ohne alle Uefe Gedanken, daß man mit der
Eommissionsmehrhe'it Mitleid haben mußte, daß sie nicht im Stande
war, einen einigermaßen besseren Arbeiter aufzutreiben. Dabei
waren sehr impertinente Verdächtigungen gegen die kath. Volkspar-
tei darin enthalten, die auch von den Abgg. Lindau und Bissiug
dre gebührende Zurechtweisung erhielten; auch das Landvolk ist darin
gegenüber der Stadtbevölkerung sehr geringschätzig behandelt, was gleich-
falls von letzterem Abgeordneten eine sehr starke Zurechtweisung er-
litt. Der Abg. Näf selbst ist nichts weniger als ein Redner, er
war sogar nicht einmal im Stande, auch nur eine Sylbe zur Verthei-
digung seines so hart angegriffenen Berichtes vorzubringen, ein noicmm
in der parlamentarischen Geschichte, da es bekanntlich nie vorkommt,
daß ein Berichterstatter in einer der wichtigsten Fragen, die jetzt das
politische Lebe« beweW«, stille schweigt. War der Abg. Näf also
gar kein Redner, so war unter diesen der Abg. Grimm von Mann-
heim entschieden der schwächste, wenn überhaupt da noch von einer

Rede gesprochen werden kann, wo der Sprechende nicht nur den
Andern, sondern sich selbst offenbar vollständig unverständlich ist. Es
waren ganz eigene Gedanken, die in uns aufstiegen, als wir solche
Leute als die Repräsentanten der höheren Intelligenz der größeren
Städte vom Seil fallen sahen. Durch Grobheit zeichnete sich, wie
immer, Herr Lamey aus, der den 4 Repräsentanten dec kathol.
Volkspartei zurief, sie verstünden nichts von staatsrechtlichen Fragen,
das würde sich zeigen, wenn er sie examiniren dürfe, worauf ihm
der Abg. Baumstark die treffend zurechtweisende Antwort gab:
nur das graue Haupt des Herrn Lamey hindere ihn daran, ihm
Dinge zu sagen, die an Grobheit nichts zu wünschen übrig ließen.
Was unsere Redner betrifft, so kann man von keinem sagen, daß
er den Gegnern etwas geschenkt hätte. Roßhirt sprach mit Schwung
und Begeisterung, Lindau gewandt und schlagend, Bissing mit
derbem Hohne, Baumstark lakonisch und präcis, Lender unver-
gleichlich als Kritiker der vorhergegangenen feindlichen Angriffe. Der
uns sonst ferne stehende Abg. Mühlhäusser bewährte sich als
einer der geistreichsten Redner, die wir noch gehört haben.
* Karlsruhe, 30. Oct. In der gestrigen Sitzung der II.
Kammer wurde die allgemeine Berathung über die Wahlreform in-
sofern weiter fortgesetzt, ats man noch den Herren Kiefer, v. Fe-
der und Näf, der aber verzichtete, das Wort verlieh, andere Red-
ner aber davon ausschloß, so daß die Mitglieder der kath. Volks-
partei die schon oft dagewesenen Ausfälle des Abg. Kiefer noch-
mals anhören mußten, ohne zu eingehender Entgegnung berechtigt
zu sein. Eine Fluth von persönlichen Erklärungen folgte darauf,
die vielfach zur Erheiterung des Hauses beitrugen. Sehr gut sprach
an diesem Morgen v. Feder, der Repräsentant der demokratischen
Richtung in der Kammer. Bei der Abstimmung wurde der Antrag
Kiefer's auf Einführung des directen Wahlverfahrens gegen eine
Minorität von 13 Stimmen (Baumstark, Bissing, v. Feder, Lindau,
Lender, Roßhirt, v. Gulat, Mühlhäusser, Hebting, Kiefer, Eckhard,
Wundt, Eschbacher) abgelehnt. Der abwesende Abg. Gerwig
ist dieser Minderzahl gleichfalls beizuzählen. Das ganze Gesetz
wurde hernach, weil man das Gute nimmt, wenn man das Bessere
nicht haben kann, einstimmig angenommen. Eine köstliche Episode
spielte zu Anfang der Sitzung zwischen dem Abg. Winter einer-
seits und den Abgg. Baumstark nnd Lindau andrerseits, auf
welche wir noch zurückkommen werden, wie auf die betr. Sitzung über-
haupt. Die große Schlacht des vorhergehenden Tages wird, sobald
der stenographische Bericht fertig ist, unseren Lesern wortgetreu mit-
getheilt werden, die sich für jetzt mit der Rede des Abg. Bffsing einst-
weilen begnügen müssen. Schließlich haben wir noch zu bemerken,
daß in der gestrigen Sitzung der Abg. Bissing eine Interpellation
an den Kriegsminister v. Beyer angezeigt hat, welche die bekannten
Vorgänge bei den letzten Controlversammlungen der Landwehrmänner
zum Gegenstand hat. Es wäre möglich, daß diese Interpellation
am nächsten Dienstag Gegenstand der Verhandlung würde. Schließ-
lich haben wir noch zu erwähnen, daß Ihr Heidelberger Abg. Blum
sich zwar durch vollständige Rednerbescheioenheit in der Kammer aus-
zeichnet, aber desto möhr „oh!" „pah!" und was dergleichen Aus-
rufe sonst find, seinen beredten Lippert entströmen läßt, sobald einer
vom kath. Festungsviereck am Worte ist. Jedenfalls sehr intelligent
von dem Vertreter der „bevorzugt" - intelligenten Stadt Heidelberg!
Uebrigens warten wir schon lange darauf, was der Herr einmal
zum Besten gibt: gut' Ding will eben gute Weile haben!

SüdderttschLarrd.
Heidelberg, 28. Okl. Sie haben s. Z. einen Erlaß des
Kaisers Napoleon an die badische Regierung vom Jahre 1810
wieder veröffentlicht, worin Letztere in sehr 'ernstem Tone ausge-
fordert wurde, gegen ihre kath. Untcrthanen gerecht zu sein.
Heute kommt mir eine Publication der Gr. Regierung des
Oberrheins vom Jahr 1809 in die Hände, welche ebenfalls ver-
beut wreder veröffsütlicht zu werden. In jenem Jahre hatte die
französische Armee im Kriege gegen Oesterreich unser Land durch-
zogen und es scheinen damals, wie auch in dem Jahre 1806 die
protestantischen Eiferer im Gefühle des gegen ihre katholischen
Mitbürger fortgesetzt geübten Unrechts besorgt gewesen
zu sein, daß die zur Wiedervergeltung sich bietende Gelegenheit
benutzt werden möge. In der Angst des bösen Gewissens
sahen sie auch damals Gespenster und gebährdeten sich so jämmerlich,
als müßten sie stündlich gewärtigen, daß ihnen die Kehle abge-
schnitten werde. Diesem Gebühren trat folgende Publiesüon ent-
gegen :
„Die Größh. Regierung des Oberrheins hat nicht ohne großes
Befremden vernommen, daß Gerüchte von feindseligen Anschlägen
der katholischen Unterthanen gegen ihre christlichen Mitbrüder
protestantischer Confession im Umlaufe seien. Sie glaubte sich
zu der Erwartung berechtigt, daß den Erfindern solcher schändlichen
Fabeln der Spott und die verdiente Verachtung
derjenigen zum Lohne werden würde, welche damit zu beunruhi-
gen sie die boshafte Absicht hatten.Nicht eine
Spur war auszufinven, die als ein rechtfertigender Anlaß der
unerhörten Verläumvung angesehen werden könnte.Die
Nrglerung sich: mtt Bedauern, daß ein kindisches Hirngespinnst
 
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