Erscheint
wöchentlich drei Mal:
Dienstag, Donnerstag
und Samstag.
Alle Postanstalten
und Boten nehmen
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Fttr's Wochenblatt LI kr
UnterhaltungSblatt I- kr.
Anserate
die viergespaltene
Petitzeile oder deren
Raum 4 kr.,
Garmondzeile 5 kr.
Amtsverkündi^ngckbkatt für den Aezirk Schwetzingen.
,Kadis che Hopsenzeilung.
Allgemeiner Anzeiger für die badische und bayerische Rheinpfalz.
Donnerstag, 2. April 1874.
VIII. Jahrgang.
Inserate von Auswärts nehmen für uns auch entgegen die Annoncen-Burcaux von Kaasenstein L Aogkcr, Ikndolf Waffe und K. T- Janöe L ßa., die Süddeutsche Annoncen-HrpedMo«
_ von H. Stöckhardt in Frankfurt, Stuttgart, Berlin, Leipzig, München, Wien, Zürich, Basel und Straßburg, sowie das Jäger'sche Central-Bureaux für Inserate in Frankfurt a./M.
Von Bisrnarck's Krankenbett.
Unter dieser Ueberschrift schreibt die Spener'sche Zeitüng
vom 28. März Folgendes:
„Gestern hotten zwei Mitglieder des Reichstags, die
HH. D, und L„ Audienz bei dem Reichskanzler. Sw be-
suchten die Fürstin, um sich nach des Kanzlers Befinden zu
erkundigen und ihre Theilnahme kundzngeben. Zum Für-
sten zu gehen, hatten sie eigentlich nicht die Absicht. Allein
derselbe erfuhr von ihrer Ai.Wesenheit und ließ sie zu sich
bitten. Sie fanden ihn nicht so krank, wie sie es nach den
officiellen Nachrichten erwartet hatten. Dagegen war der
Fürst sehr unzufrieden mit dem Gange der parlamentarischen
Politik. Er bemerkte u A.:
„Ich habe 1867 im konstituirenden Reichstag gesagt:
„„Heben >mrDeutschland nur in den Sattel, reiten wird es
schon können."" Ich fürchte, dies geflügelte Wort muß
man wieder streichen. Der Reichstag scheint den Beweis
liefern zu wollen, daß Deutschland nicht reiten kann. Der
Reichstag verkennt die Situation. Einzelne hervorragende
Mitglieder glauben sich durch irgend eine frühere Aeußerung
gebunden. Sie glauben deshalb, das nicht thun zu dür-
fen, was die Lage des Augenblicks gebieterisch fordert. Ich
habe es ander? gemacht. Ich habe stets gestrebt, Neues zu
lernen, und wenn ich dadurch in die Lage kam, eine frü-
here Meinung berichtigen zu müssen, so habe ich das so-
fort gethon, und bin stolz daraus, daß ich so gehandelt
habe. Denn ich stelle stets das Vaterland über meine
Person. Das gegcntheilige Verhalten ist mir geeadczu uu-
b. greiflich. Ich habe mich gar nicht besonnen, sogar meine
sudjective Meinung zu opfern oder unterzuordncn, wenn cs
das Wohl des Ganzen erheischt. Hier aber im Reichstag
glauben diejenigen Herren, welche ausdrücklich auf meinen
Namen gewählt sind, von welchen ihre Wähler wünschen,
daß sie die deutsche Reichspolitik stützen, daß sie mir gegen
unsere gemeinsamen Feinde bcistehen, diese Herren glauben
sich dieser Aufgabe stets dann entziehen zu dürfen, wenn sie
dadurch scheinbar in Widerspruch gerathen mit irgend
einem Worte, das sie an einem anderen Orte, zu anderer
Zeit und unter ganz anderen Umständen gesprochen haben.
Ich kann mir diese Lage der Dinge nicht gefallen lassen.
Ich kann meinen europäischen Ruf nicht opfern. Ich werde,
sobald ich wieder im Stande bin, die Feder zu führen,
meinen Abschied erbitten. Vielleicht findet sich ein Anderer,
welcher sich in diesem Reichstag eine Majorität, eine zu-
verlässige Majorität, zu sichern weiß. Ich habe an ande-
ren Orten, z. B. auch im Bundesrath, schon Schwierig,
ketten genug zu überwinden; spöttelnd sagt man mir unter
Hinweisung auf das Verhalten einzelner Liberaler und der
Fortschrittspartei im Reichstag: „„Das also sind die
Männer, auf die Sie sich stützen?"" Einer solchen Lage
der Dinge, welche die höchsten Interessen deS Reichs schä-
digt, muß möglichst bald ein Ende gemacht werden, unv es
gibt nur zwei Mittel hierzu, entweder mein Rücktritt oder
die Auflösung des Reichstags."
Auf Anfrage der beiden Abgeordneten ermächtigte der
Reichskanzler dieselben, diese seine! Aeußerungen Andern
mitzuiheilen. Wir geben sie wieder, wie sie heute im
Reichstag erzählt wurden, wie wir hoffen, wenn auch nicht
dem Wortlaut, dann wenigstens oem Sinne nach richtig.
Zum Schluß bemerken wir, daß der Reichskanzler sich auch
im Einzelnen über den Preßgeseß- und den Reichs-Miliiär-
gesetz-Entwnrf ausließ; wir haben jedoch Gründe, die
Wiedergabe dieser Aeußerungen zu unterlassen."
Deutsches Reich.
Werkln, 30. März. Auch der Bundesrath folgt dem
Beispiel des Reichstags und macht Ferien. Die meisten der
Mitglieder haben Berlin bereits verlassen oder reisen heute
ab. Nur die Subkommission des Justizausschusses, welche
den Entwurf der Strafprozcßocdnung im Sinne der Bei-
behaltung der Schwurgerichte umarbeitet, bleibt hier und
setzt ihre Thätigkeit fort.
Kätn, 31. März. Erzbischof MelcherS ist heute früh
8*Z Uhr gefänglich eingezogen worden. Die Ruhe blieb
ungestört.
Wraunschweig, 27. März. Heute Morgen um 7
Uhr wurde Krage hin ge richtet. Der Staatsanwalt
Koch begleitete ihn zum Schaffot, wo er ihn dem Scharf-
richter Reindcl ans Magdeburg „übergab." Krage war
anscheinend vollständig gefaßt. — Man hat in diesen Tagen
beobachten können, wie ekelhaft solche Gerechtigkeitsakte auf
das Volk wirken: Ueberall fast bildete die Hinrichtung das
Tagesgespräch, nicht etwa in dem Sinne, wie es die Ver-
theidiger der Todesstrafe meinen, daß eine solche Strafe
wie ein sittlich reinigendes Gewitter die Menschen er-
schüttere. Von dieser Auffassung war wenig zu spüren;
Anekdoten über Anekdoten zirkulirten über jede Aeußerung
und Handlung Krage's in den letzten Tagen, wie er aß,
trank, wie er scherzte oder lachte u. s. m. Nebenher tauchte
dann wieder der alte Spuck, den man längst zur ewigen
Ruhe eingegangcn glaubte, wieder auf und vollen Ernstes
erzählen alte Weiber, wie die herzogliche Regierung meh-
reren Epileptischen die Erlaubniß gegeben habe, der Hin-
richtung beizuwohnen, um von dem frischen Blute des
Hingerichteten trinken zu dürfen. Das soll ein unfehlbares
Mittel gegen Epilepsie, Fallsucht, kaltes Fieber u. s. w.
sein.
Ausland.
Konstantinopek, 31. März. Der anglo. türkische
Conflikt, der in Folge Gefangennehmung britischer Unter-
thanen durch den türkischen Truppen - Commandeur in Lahedsch
entstanden war, ist geschlichtet. Die Pforte wies den Trup-
pen - Commandeur an, die Gefangenen an die britischen
Behörden guszuliefern. — Die gestern hier bei dem Minister
der auswärtigen Angelegenheiten, Raschid Pascha, abgehal-
tene Konferenz von Vertretern der Mächte anläßlich deS
Protestes von Lesseps' gegen Anwendung deS neuen Suez-
kanal - Tarifs blieb ohne Resultat.
London, 30. Abends. „Reuter's Bureau" meldet
aus Eligondo vom 30.: Alle am 28. wiederum versuchten
Angriffe Serranos auf die Stellung der Carlisten wurden
abgeschlagen. Die Republikaner verloren etwa 4000, die
Carlisten lOOO Mann.
Washington, 31. März. Der Senat hat einen An-
trag, welcher verlangte, daß die Zahlungen in Metallgeld
vom Januar 1876 ab wieder ausgenommen würden, abge-
lehnt.
Madrid, 30. März. Ein amtliche? Telegramm der
„Gaceta" aus Somorrostro bestätigt die Besetzung von Muri-
eia und Barriada durch die Republikaner und meldet, daß
der Angriff auf San Pedro Abanto, welches durch Lauf-
gräben von den Carlisten stark befestigt ist, aufgeschoben sei.
, General Primo de Rivera ist zum Generallieutenant ernannt
worden. Brigadier Ferrero ist verwundet. Sonnabend Mor-
gen begann das Kleingewehrfeuer wieder. Eine neu ange-
legte Batterie richtet ihr Feuer auf die Kirche von San
Pedro Abanto.
Wayonne, 30. März. Eine Depesche der Carlisten
meldet: Der Kampf dauerte am 27. den ganzen Tag,
wurde am 28. nicht fortgesetzt. Die Carlisten behaupteten
alle Positionen der zweiten Linie, einschließlich der Anhöhen
von San Pedro Abanto. Die telegraphischen Verbindungen
des Hauptquartiers Serranos sind unterbrochen.
V02. Gommissiorkskericht des Wereins für
gemeinnützige Zwecke in Schwetzingen,
nebst einer geschichtlichen Einleitung.
(Schluß.)
Des Vereins haben sich im verflossenen Jahre beson-
ders verdient gemacht:
1) Herr Prof. Dr. Pagenstecher durch seine wissen-
schaftliche Untersuchung und den diesbezüglichen Vortrag des
Schnackenlebens und deren Vertilgung (am 22. Dezbr.)
2) Herr Dr. Bessels durch einen Vortrag (am 31 Jan.)
seiner Erlebnisse auf der Nordpolreise mit der Polaris, und
zwar zum Besten unserer Casse.
Beide Herren haben wir zu Ehrenmitgliedern ernannt,
und ihnen die Diplome eingehändigt.
3) hat Herr Hummel, der unermüdliche Förderer der Rhein-
thalbahn, z. Z, Mitglied der I. badischen Kammer, uns am
2. Febr. l. I, ein Geschenk von 1 0 0 fl. gemacht. Er zählt
heute der 3. unier unfern hohgeschätzten Ehrenmitgliedern.
Endlich müssen wir der Dilettanten Heidelbergs erwäh-
Feuilleton.
Der Armenarzt.
Roman aus dem Leben einer großen Stadt,
von I. Strinmann.
Zweites Kapitel.
Hoffnungslose Liebe.
Was Eure heilige Arbeitersache anbelangt, so thnt mir
den einzigen Gefallen und bleibt mir damit vom Halse. Ihr
wißt, ich bin keiner der Enrigen und werde es nie werden'"
Kurz warf einen tückischen Blick auf den Meister, ei-
nen unheimlichen Blick voller Neid und Haß. Aber mit
vollkommm gleichgültigen Mienen wandte er sich im nächsten
Augenblick zu Mutter Eberhardt und sagte t
„Na, schöne Frau, das müssen Sie doch auch sagen,
dem Arbeiter geht es nicht so, wie es ihm gehen sollte.
Warum kann ein Arbeiter nicht ebenso gut in einer feinen
Etage wohnen und schöne Möbel und Equipage haben wie
andere Leute, die den ganzen Tag gar nichts thun, als
höchstens mit einem guten Rock ans die Börse gehen, oder
ein Bischen' auf dem Comptoir herumliegen, Das ist Alles
keine Arbeit."
Mutter Eberhardt sah ihren Einlogirer an, als wenn
sie sagen wollte: Entweder Du bist nicht ganz bei Trost,
oder Du hast wirklich Recht. So viel stand bei ihr fest,
daß manche Arbeiter — und daß sie zu diesen Manchen
gehörten, war nun mal ausgemacht — entschieden besser
anderswo wohnen könnten, als gerade in einem Gang.
Von der Equipage sah sie vorläufig ab. Und ehe sie sich
versehen, hatte sie dem Einlogirer beistimmeud zugenickt.
„Kurz," nahm Eberhardt das Wort und setzte sich wie-
der in seinen Snrgenstuhl, „ich will Ihnen Etwas sagen:
Hier in meiner Familie will ich Ruhe haben, muß ich doch
leider auf der Fabrik während der Frühstück- und Vesper-
zcit mehr von Euren Geschichten und Ansichten hören, als
mir lieb ist. Ich habe immer für einen rechtschaffenen A r-
beiter gegolten und denke es bis an mein Lebensende
zu bleiben. Was ich mir erworben, habe ich mit meiner
Hände Arbeit sauer genug verdient und Niemand soll sagen,
wenn sie mich im Sarge hinaustragen: Der hat auch von
seinen Mitmenschen gezehrt, die nicht mehr hatten als er.
Also ein für alle Mal, laßt die Geschichten ruhen — oder
! wir stau geschiedene Leute."
„Mein Gott, so schlimm ist es ja gar nicht gemeint,"
erwiederte Kurz kleinlaut. „Man soll doch auch 'ne Kleinig-
keit sprechen, wozu hat man denn sonst den Mund?"
„Es ist schon gut und damit Basta!" sagte Eberhardt.
„Lies' ruhig vor," wandte er sich hierauf abbrechend gegen
die Tochter.
Und Lea begann. Sie las die Geschichte, wie die
Liebenden sich immer noch nicht kriegten und sich immer
wieder neue Hindernisse aufthürmten, ehe das „Schluß folgt"
die allerletzten Aufklärungen versprach.
Man hörte in dem Zimmer nur die wohlgeschulte
Stimme Lea's, die von jeher auf leichte Beschäftigung an-
gewiesen, sich tüchtige Schulkenntnisse erworben und mit Ver-
ständniß und Lust vorlas. Ganz leise klang das einförmige
Ticken der Wanduhr durch, wenn Lea eine Pause machte.
Der schwarze Kater lag ruhig auf einem Stuhl an einer
schattigen Stelle, wohin das Licht der sauber geputzten Pe-
troleumlampe nur gedämpft zu dringen vermochte.
Mutter und Tochter waren sehr bei der Sache. Die
Mutter ließ zuweilen die fleißig strickenden Hände in den
Schooß sinken und blickte Lea starr an, als wenn sie auf
diese Weise noch Näheres über diese oder jene Begebenheit
i erfahren könnte. (Fortsetzung folgt.)
wöchentlich drei Mal:
Dienstag, Donnerstag
und Samstag.
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Donnerstag, 2. April 1874.
VIII. Jahrgang.
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Von Bisrnarck's Krankenbett.
Unter dieser Ueberschrift schreibt die Spener'sche Zeitüng
vom 28. März Folgendes:
„Gestern hotten zwei Mitglieder des Reichstags, die
HH. D, und L„ Audienz bei dem Reichskanzler. Sw be-
suchten die Fürstin, um sich nach des Kanzlers Befinden zu
erkundigen und ihre Theilnahme kundzngeben. Zum Für-
sten zu gehen, hatten sie eigentlich nicht die Absicht. Allein
derselbe erfuhr von ihrer Ai.Wesenheit und ließ sie zu sich
bitten. Sie fanden ihn nicht so krank, wie sie es nach den
officiellen Nachrichten erwartet hatten. Dagegen war der
Fürst sehr unzufrieden mit dem Gange der parlamentarischen
Politik. Er bemerkte u A.:
„Ich habe 1867 im konstituirenden Reichstag gesagt:
„„Heben >mrDeutschland nur in den Sattel, reiten wird es
schon können."" Ich fürchte, dies geflügelte Wort muß
man wieder streichen. Der Reichstag scheint den Beweis
liefern zu wollen, daß Deutschland nicht reiten kann. Der
Reichstag verkennt die Situation. Einzelne hervorragende
Mitglieder glauben sich durch irgend eine frühere Aeußerung
gebunden. Sie glauben deshalb, das nicht thun zu dür-
fen, was die Lage des Augenblicks gebieterisch fordert. Ich
habe es ander? gemacht. Ich habe stets gestrebt, Neues zu
lernen, und wenn ich dadurch in die Lage kam, eine frü-
here Meinung berichtigen zu müssen, so habe ich das so-
fort gethon, und bin stolz daraus, daß ich so gehandelt
habe. Denn ich stelle stets das Vaterland über meine
Person. Das gegcntheilige Verhalten ist mir geeadczu uu-
b. greiflich. Ich habe mich gar nicht besonnen, sogar meine
sudjective Meinung zu opfern oder unterzuordncn, wenn cs
das Wohl des Ganzen erheischt. Hier aber im Reichstag
glauben diejenigen Herren, welche ausdrücklich auf meinen
Namen gewählt sind, von welchen ihre Wähler wünschen,
daß sie die deutsche Reichspolitik stützen, daß sie mir gegen
unsere gemeinsamen Feinde bcistehen, diese Herren glauben
sich dieser Aufgabe stets dann entziehen zu dürfen, wenn sie
dadurch scheinbar in Widerspruch gerathen mit irgend
einem Worte, das sie an einem anderen Orte, zu anderer
Zeit und unter ganz anderen Umständen gesprochen haben.
Ich kann mir diese Lage der Dinge nicht gefallen lassen.
Ich kann meinen europäischen Ruf nicht opfern. Ich werde,
sobald ich wieder im Stande bin, die Feder zu führen,
meinen Abschied erbitten. Vielleicht findet sich ein Anderer,
welcher sich in diesem Reichstag eine Majorität, eine zu-
verlässige Majorität, zu sichern weiß. Ich habe an ande-
ren Orten, z. B. auch im Bundesrath, schon Schwierig,
ketten genug zu überwinden; spöttelnd sagt man mir unter
Hinweisung auf das Verhalten einzelner Liberaler und der
Fortschrittspartei im Reichstag: „„Das also sind die
Männer, auf die Sie sich stützen?"" Einer solchen Lage
der Dinge, welche die höchsten Interessen deS Reichs schä-
digt, muß möglichst bald ein Ende gemacht werden, unv es
gibt nur zwei Mittel hierzu, entweder mein Rücktritt oder
die Auflösung des Reichstags."
Auf Anfrage der beiden Abgeordneten ermächtigte der
Reichskanzler dieselben, diese seine! Aeußerungen Andern
mitzuiheilen. Wir geben sie wieder, wie sie heute im
Reichstag erzählt wurden, wie wir hoffen, wenn auch nicht
dem Wortlaut, dann wenigstens oem Sinne nach richtig.
Zum Schluß bemerken wir, daß der Reichskanzler sich auch
im Einzelnen über den Preßgeseß- und den Reichs-Miliiär-
gesetz-Entwnrf ausließ; wir haben jedoch Gründe, die
Wiedergabe dieser Aeußerungen zu unterlassen."
Deutsches Reich.
Werkln, 30. März. Auch der Bundesrath folgt dem
Beispiel des Reichstags und macht Ferien. Die meisten der
Mitglieder haben Berlin bereits verlassen oder reisen heute
ab. Nur die Subkommission des Justizausschusses, welche
den Entwurf der Strafprozcßocdnung im Sinne der Bei-
behaltung der Schwurgerichte umarbeitet, bleibt hier und
setzt ihre Thätigkeit fort.
Kätn, 31. März. Erzbischof MelcherS ist heute früh
8*Z Uhr gefänglich eingezogen worden. Die Ruhe blieb
ungestört.
Wraunschweig, 27. März. Heute Morgen um 7
Uhr wurde Krage hin ge richtet. Der Staatsanwalt
Koch begleitete ihn zum Schaffot, wo er ihn dem Scharf-
richter Reindcl ans Magdeburg „übergab." Krage war
anscheinend vollständig gefaßt. — Man hat in diesen Tagen
beobachten können, wie ekelhaft solche Gerechtigkeitsakte auf
das Volk wirken: Ueberall fast bildete die Hinrichtung das
Tagesgespräch, nicht etwa in dem Sinne, wie es die Ver-
theidiger der Todesstrafe meinen, daß eine solche Strafe
wie ein sittlich reinigendes Gewitter die Menschen er-
schüttere. Von dieser Auffassung war wenig zu spüren;
Anekdoten über Anekdoten zirkulirten über jede Aeußerung
und Handlung Krage's in den letzten Tagen, wie er aß,
trank, wie er scherzte oder lachte u. s. m. Nebenher tauchte
dann wieder der alte Spuck, den man längst zur ewigen
Ruhe eingegangcn glaubte, wieder auf und vollen Ernstes
erzählen alte Weiber, wie die herzogliche Regierung meh-
reren Epileptischen die Erlaubniß gegeben habe, der Hin-
richtung beizuwohnen, um von dem frischen Blute des
Hingerichteten trinken zu dürfen. Das soll ein unfehlbares
Mittel gegen Epilepsie, Fallsucht, kaltes Fieber u. s. w.
sein.
Ausland.
Konstantinopek, 31. März. Der anglo. türkische
Conflikt, der in Folge Gefangennehmung britischer Unter-
thanen durch den türkischen Truppen - Commandeur in Lahedsch
entstanden war, ist geschlichtet. Die Pforte wies den Trup-
pen - Commandeur an, die Gefangenen an die britischen
Behörden guszuliefern. — Die gestern hier bei dem Minister
der auswärtigen Angelegenheiten, Raschid Pascha, abgehal-
tene Konferenz von Vertretern der Mächte anläßlich deS
Protestes von Lesseps' gegen Anwendung deS neuen Suez-
kanal - Tarifs blieb ohne Resultat.
London, 30. Abends. „Reuter's Bureau" meldet
aus Eligondo vom 30.: Alle am 28. wiederum versuchten
Angriffe Serranos auf die Stellung der Carlisten wurden
abgeschlagen. Die Republikaner verloren etwa 4000, die
Carlisten lOOO Mann.
Washington, 31. März. Der Senat hat einen An-
trag, welcher verlangte, daß die Zahlungen in Metallgeld
vom Januar 1876 ab wieder ausgenommen würden, abge-
lehnt.
Madrid, 30. März. Ein amtliche? Telegramm der
„Gaceta" aus Somorrostro bestätigt die Besetzung von Muri-
eia und Barriada durch die Republikaner und meldet, daß
der Angriff auf San Pedro Abanto, welches durch Lauf-
gräben von den Carlisten stark befestigt ist, aufgeschoben sei.
, General Primo de Rivera ist zum Generallieutenant ernannt
worden. Brigadier Ferrero ist verwundet. Sonnabend Mor-
gen begann das Kleingewehrfeuer wieder. Eine neu ange-
legte Batterie richtet ihr Feuer auf die Kirche von San
Pedro Abanto.
Wayonne, 30. März. Eine Depesche der Carlisten
meldet: Der Kampf dauerte am 27. den ganzen Tag,
wurde am 28. nicht fortgesetzt. Die Carlisten behaupteten
alle Positionen der zweiten Linie, einschließlich der Anhöhen
von San Pedro Abanto. Die telegraphischen Verbindungen
des Hauptquartiers Serranos sind unterbrochen.
V02. Gommissiorkskericht des Wereins für
gemeinnützige Zwecke in Schwetzingen,
nebst einer geschichtlichen Einleitung.
(Schluß.)
Des Vereins haben sich im verflossenen Jahre beson-
ders verdient gemacht:
1) Herr Prof. Dr. Pagenstecher durch seine wissen-
schaftliche Untersuchung und den diesbezüglichen Vortrag des
Schnackenlebens und deren Vertilgung (am 22. Dezbr.)
2) Herr Dr. Bessels durch einen Vortrag (am 31 Jan.)
seiner Erlebnisse auf der Nordpolreise mit der Polaris, und
zwar zum Besten unserer Casse.
Beide Herren haben wir zu Ehrenmitgliedern ernannt,
und ihnen die Diplome eingehändigt.
3) hat Herr Hummel, der unermüdliche Förderer der Rhein-
thalbahn, z. Z, Mitglied der I. badischen Kammer, uns am
2. Febr. l. I, ein Geschenk von 1 0 0 fl. gemacht. Er zählt
heute der 3. unier unfern hohgeschätzten Ehrenmitgliedern.
Endlich müssen wir der Dilettanten Heidelbergs erwäh-
Feuilleton.
Der Armenarzt.
Roman aus dem Leben einer großen Stadt,
von I. Strinmann.
Zweites Kapitel.
Hoffnungslose Liebe.
Was Eure heilige Arbeitersache anbelangt, so thnt mir
den einzigen Gefallen und bleibt mir damit vom Halse. Ihr
wißt, ich bin keiner der Enrigen und werde es nie werden'"
Kurz warf einen tückischen Blick auf den Meister, ei-
nen unheimlichen Blick voller Neid und Haß. Aber mit
vollkommm gleichgültigen Mienen wandte er sich im nächsten
Augenblick zu Mutter Eberhardt und sagte t
„Na, schöne Frau, das müssen Sie doch auch sagen,
dem Arbeiter geht es nicht so, wie es ihm gehen sollte.
Warum kann ein Arbeiter nicht ebenso gut in einer feinen
Etage wohnen und schöne Möbel und Equipage haben wie
andere Leute, die den ganzen Tag gar nichts thun, als
höchstens mit einem guten Rock ans die Börse gehen, oder
ein Bischen' auf dem Comptoir herumliegen, Das ist Alles
keine Arbeit."
Mutter Eberhardt sah ihren Einlogirer an, als wenn
sie sagen wollte: Entweder Du bist nicht ganz bei Trost,
oder Du hast wirklich Recht. So viel stand bei ihr fest,
daß manche Arbeiter — und daß sie zu diesen Manchen
gehörten, war nun mal ausgemacht — entschieden besser
anderswo wohnen könnten, als gerade in einem Gang.
Von der Equipage sah sie vorläufig ab. Und ehe sie sich
versehen, hatte sie dem Einlogirer beistimmeud zugenickt.
„Kurz," nahm Eberhardt das Wort und setzte sich wie-
der in seinen Snrgenstuhl, „ich will Ihnen Etwas sagen:
Hier in meiner Familie will ich Ruhe haben, muß ich doch
leider auf der Fabrik während der Frühstück- und Vesper-
zcit mehr von Euren Geschichten und Ansichten hören, als
mir lieb ist. Ich habe immer für einen rechtschaffenen A r-
beiter gegolten und denke es bis an mein Lebensende
zu bleiben. Was ich mir erworben, habe ich mit meiner
Hände Arbeit sauer genug verdient und Niemand soll sagen,
wenn sie mich im Sarge hinaustragen: Der hat auch von
seinen Mitmenschen gezehrt, die nicht mehr hatten als er.
Also ein für alle Mal, laßt die Geschichten ruhen — oder
! wir stau geschiedene Leute."
„Mein Gott, so schlimm ist es ja gar nicht gemeint,"
erwiederte Kurz kleinlaut. „Man soll doch auch 'ne Kleinig-
keit sprechen, wozu hat man denn sonst den Mund?"
„Es ist schon gut und damit Basta!" sagte Eberhardt.
„Lies' ruhig vor," wandte er sich hierauf abbrechend gegen
die Tochter.
Und Lea begann. Sie las die Geschichte, wie die
Liebenden sich immer noch nicht kriegten und sich immer
wieder neue Hindernisse aufthürmten, ehe das „Schluß folgt"
die allerletzten Aufklärungen versprach.
Man hörte in dem Zimmer nur die wohlgeschulte
Stimme Lea's, die von jeher auf leichte Beschäftigung an-
gewiesen, sich tüchtige Schulkenntnisse erworben und mit Ver-
ständniß und Lust vorlas. Ganz leise klang das einförmige
Ticken der Wanduhr durch, wenn Lea eine Pause machte.
Der schwarze Kater lag ruhig auf einem Stuhl an einer
schattigen Stelle, wohin das Licht der sauber geputzten Pe-
troleumlampe nur gedämpft zu dringen vermochte.
Mutter und Tochter waren sehr bei der Sache. Die
Mutter ließ zuweilen die fleißig strickenden Hände in den
Schooß sinken und blickte Lea starr an, als wenn sie auf
diese Weise noch Näheres über diese oder jene Begebenheit
i erfahren könnte. (Fortsetzung folgt.)