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Bezirk Schwetzingen [Hrsg.]; Amtsbezirk Philippsburg [Hrsg.]
Schwetzinger Wochenblatt: Amts-Verkündigungsblatt für den Bezirk Schwetzingen ; badische Hopfenzeitung — 1874

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August (No. 90 - 102)
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https://doi.org/10.11588/diglit.33305#0399

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Amtsverkündigungsvlatt für den Aezirk Schwetzingen.
Kadische Hopsenrei 1 ung.
Anzeiger für die badische und bayerische Rheinpfalz.

M. 10«.

Dienstag, 25. August 1874.

VIII. Jahrgang.

Inserate »St» Auswärts nehmen für uns auch entgegen die Annoncen-Bureaux von Haaseustein L Aogker, Audokf Waffe und K. F. Jaule L Ea., Süddeutsch« Auuonceu-Krpedition
von S. StöLhardt in Frankfurt, Stuttgart, Berlin, Leipzig, München, Wien, Zürich, Basel und Straßburg, sowie das ISger'sche Central-Bureaux für Inserate in Frankfurt a./M.


für den Monat
September
auf das „Schwetzinger Wochenblatt und die
Bad. Hopfenzeitung" nehmen alle Postanstalten,
sowie unsere Boten und Zeitungsträger entgegen.
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Ende August erscheinenden Nummern gratis.

Der Schneiderkongref; in Dresden.
Der Schneiderkongreß in Dresden verdankt es wohl nur
der eigenthümlichen Popularität gerade dieses Gewerbes, daß
er mehr Aufmerksamkeit erregt hat als die Zusammenkünfte
anderer gleichstrebender Handwerksmeister. Wesentlich Neues
hat er nicht geleistet. Seine Resolutionen tragen denselben
Stempel einer theils berechtigten/ theils unberechtigten Unzu-
friedenheit an der Stirn, welchen wir bereits auf zahlreichen
Petitionen Gewerbetreibender an BundeSrath und Reichstag
gesehen haben. Seine Ziele sind im Allgemeine« die näm-
lichen, welche die Anhänger des Alten auch in anderen Ge-
werken verfolgen, und wie diese sind sie zum Theil vernünftig
und erreichbar, zum Theil beruhen sie auf Illusionen und
liegen jenseits der Grenzen des Möglichen. Die Schneider
verlangen, um eS kurz zu sagen, „ein enges Zusammenhalten
der Gewerbsgenoflen", (und dagegen ist nichts einzuwendenp»
und eine Herstellung der alten Unfreiheit für die Arbeiter
durch gesetzlichen Prüfungszwang und polizeiliche Bevor-
mundung, und insoweit verschwenden sie ihre Kraft an leere
Träume. Er ist ein großer Jrrthum, zu'glauben, die Reichs-
gesetzgebung sei geneigt oder auch nur im Stande, die Er-
rungenschaften der Jahre 1868/1869 wieder zu vernichten,
und es ist daher schädlich, durch Agitation für diesen uner-
reichbaren Zweck die Leute von wirklich nützlichen Anstrengungen
abzulenken. Die Argumente, mit welchen nian die Agitation
unterhält, find im Kreise der Handwerkmeister gewiß unge-
mein wirksam; außerhalb dieses Kreise- dägegen, d. h. bei
der ungeheuren Mehrheit der Bevölkerung, dürften sie wenig
Eindruck machen.
Man sagt uns, es sei ein unermeßlicher Schaden da-
durch angerichtet worden, daß Jedermann für jedes beliebige
Geschäft als Meister sich einträgen lassen'könne, ohne auch
nur den geringsten Nachweis geliefert zu haben, daß er das
auSzuübende Handwerk wirklich verstehe. Die Schaden sei
nicht allein ein materieller, auch Intelligenz und Moral hätten
darunter gelitten. Wenn wir aber fragen, wo denn, in
welchen Ziffern, in welchen Thatsachen dieser angebliche un-
ermeßliche Schaden stecke, so fertigt man uns mit allgemeinen
Redensarten ab, weiche nichts beweisen. Selbst zugegeben,
es wäre richtig, daß der Gewerbstand heute im Großen und
Ganzen schlimmer daran sei, als vor zehn Jahren (was denn

doch erst sorgfältig untersucht werden müßte), so ist damit
doch noch nicht im mindesten bewiesen, daß'die Freigtbüng
des Gewerbes die Ursache dieser Verschl^teiung sei. Die
Vermuthung spricht vielmehr dagegen: DieHbA,' über' welche
.heutzutage die mittleren Schichten"'.de^''^völke.rMßklägM,
lassen sich auf andere Ursachen zurückführen, welche mit der
Gewerbefreiheit nichts zu schaffen haben; diese Uedel treffen
sogar andere Klaffen weit empfindlichet als die der Hand-
werksmeister. Außerdem ist es ja bekannt, daß die Gewerbe-
Freiheit in anderen Ländern lange bestanden hat, ohne die-
jenigen Beschwerden herbeizuführen, über welche man gegen-
wärtig klagt; eS ist daher schon von vornherein wahrschein-
lich, daß dabei andere Umstände wirksam gewesen find. ES
genügt nicht, nachzuweiscn, daß ein Schaden vorhanden sei;
es muß uns auch glaublich gemacht werden, daß derselbe
verschwinden würde, wenn man die bestehende Ordnung der
Dinge mit dem früheren Zwangssysteme wieder vertauschte.
Das glaublich zu machen, wird nicht leicht sein. Schon vor
1868 hat eine Menge Gewerbe gegeben, die Jedermann be-
treiben konnte, ohne vorab sich prüfen zu lassen. Man hat
nie davon gehört, daß in diesen freien Gewerben unermeß-
licher Schaden entstanden, daß sie schlechter daran gewesen
seien, als die an den Prüfungszwang gebundenen. Und das
müßte doch der Fall gewesen sein, wenn der Prüf ingszwang
die heilsamen Wirkungen hätte, die man ihm beilegt.
Wir verkennen keineswegs, daß für den Gewerbestand
die Zeitverhältnisse schwierig find. Aber wir geben zu be-
denken, einmal daß unter dieser Schwierigkeit die große In-
dustrie nicht weniger leidet als daS kleine Handwerk, vielleicht
sogar in noch höherem Grade, und zweitens daß alle Gewerbe,
auch die von jeher freien, in gleicher Weise mit den Zeit-
Verhältnissen zu kämpfen haben. Schon dieser Umstand legt
die Vermuthung nahe, daß es nicht besondere, sondern all-
gemeine Ursachen seien, aus denen das herrschende Mißbe-
hagen hervorgeht. Und diese Vermuthung wird durch Beob-
achtung der Thatsachen vollauf bestätigt. Alle Beschwerden
des Gewerbestandes, des großen wie des kleine«, des ehemals
unfreien wie de« von jeher freien, entspringen aus dem plötz-
lich eingetretenen Mangel an wohlfeilen und zuverlässtgen
Arbeitskräften. Nicht weil zu viele Personen sich als Meister
etablirt haben, sondern weil die etablirten Meister zu wenig
gute Gesellen, die Fabriken zu wenig gute Arbeiter finden,
deshalb sind die Zeiten schwierig. Um so schwieriger, als
dieser Zustand über Nacht, ganz plötzlich, hereingebrochen ist
und die Meister und Fabrikanten unvorbereitet, ohne defensive
Organisation überrascht hat. Dies ist der Sitz des UebelS,
gegen ihn sind alle Versuche der Abhilfe zu richten; Maß-
regeln, welche sich nicht auf ihn beziehen, werden völlig
wirkungslos bleiben. Man hat zu Untersuchen, woher die
plötzliche Verschlechterung der Arbeitcrverhältniffe rührt, und
ob ihre Ursachen der Art find, daß man ihnen mit Gesetzen

Feuilleton.
Ker Armenarzt.
Fortsetzung.
Er glaubte in seiner Eigenschaft als Arzt, nicht nur als
Irzt des Körpers, sondern auch als treuer Brrather der
Seele, hier mitreden zu müssen.
„ES wird Ihrem Kinde Glück geboten, eS stellt sich
ihnen eine angenehmere Zukunft in Aussicht, wenn Sie sie
uch hartnäckig ablrhnen. Bedenken Sie, was Sie dem Glücke
ihres Kindes schulden."
Die alte Frau blickte den Arzt an.
„Ich traue Ihnen nicht," sagte fit, „schon einmal
wllten Sie mir das Liebste nehmen, wer bürgt mir, daß
ihre Worte jetzt nicht einen ähnlichen Zweck haben als.
amalS?"
Dr. Feldmann fühlte sich verletzt.
„Sic find krank," erwiederte er ernst, „deshalb ber-
ühr ich Ihnen diese Worte. Es ist mir nie in den Sinn
«kommen, Ihnen wehe zu thun, Sie zu stänken, hier aber
mß ich reden. Es ist nicht das Leid Ihrer Jahre, welches

Sie abhält, Ihre Tochter glücklich zu machen, eS ist nur ein
Eigensinn,, den Sie nicht verantworten können."
Die Alte sah den Arzt einen Augenblick starr an, ihre
Umgebung hatte sie stets geschont und ihr nicht wehe thun
tnögen, und so war eS gekommen, daß sie seit Jahren kein
bitteres Wort gehört hatte. Lea, das unglückliche Mädchen,
ihre einzige Vertraute, das einzige Wesen, welches sie außer
Eva liebte, hatte in ihrem Zartgefühl Alles vermieden, was
der Kranken wehe thun konnte und deshalb müßte sie über
die Worte Feldman«'s doppelt erstaunt sein. Sie lachte
hitter auf, dann sagte sie:
„Das find die Menschen, wie sie damals auch waren,
ich glaube Nicht, daß er gekommen ist, Eva glücklich zu machen.
Er wird fit unglücklich machen und sie wird ebenso elend
Werden wie ich und deshalb verbiete ich meiner Tochter jeden
Umgang mit ihm. Sie soll ihn meiden, sie soll fort, daß
er sie nie wieder findet und wenn ich auch zu Grunde gehen
sollte."
Die Aufregung machte ihre Wirkung, geltend; Dr. Feld-
Mann sah, daß diese , Scene kein gutes Ende nehmen würde
pnd flüsterte daher hem jungen Manne zu:
^ „Entfernen Sie sich, aber ich bitte Eie, draußen auf
mich zu warten, ich habe Wichtiges mit Ihnen zu sprechen,"

beikommen kann. Es hilft nichts, über schlechte Zeiten zu
klagen und sich wehmüthiger Sehnsucht nach dem Vergangenen
hinzugeben: man muß der Noch ins Gesicht sehe», so uner-
freulich der Anblick sein mag.
Man wird dann, wie wir glauben, finden, daß sie
ebenso natürlich entstanden ist, wie aus einer schlechten Ernte
oder aus einer raschen Zunahme von Konsumenlen Theurung
entsteht. Ein außerordentlicher Aufschwung des Verkehrs
und der Unternehmung vermehrt nothwendig die Nachfrage
nach Arbeitern und steigert daher den Preis der Arbeit. Ein
solcher Aufschwung hat seit 1868 und noch mehr seit 1871
stattgefunden, in Europa, in Amerika, am meisten in Deutsch-
land. Bei uns hat er Dimensionen angenommen, welche es
den Arbeitern gestatteten, ihre Lohnforderungen ins Kolossale
zu steigern. Dies allein hätte genügt, alle Berechnungen
des soliden Geschäfts über den Haufen zu werfen. Die
Koalitionsfreiheit der Arbeiter erleichterte ihnen allerdings
die Ausbeutung der ihnen günstigen Konjunktur, aber ohne
die letztere hätte die bloße formelle Koalitionsfreiheit ihnen
nichts genützt. Und auch ohne diese Freiheit würden die
Löhne gestiegen sein, wie sie denn in Ländern, wo die Arbeiter
sich nicht verabreden dürfen, gestiegen sind. Nun kamen aber
zu der außerordentlichen Geschäfrskonjunktur noch zwei andere
Momente hinzu, welche das Uebel ungemein verschärften : die
Entwerthung des Geldes, in Folge einer beispiellosen Finanz-
operation und einer maßlosen Papierwirthschast, und die
sozialdemokratische Bewegung. Beide trafen mit der ohnehin
einsetzenden enormen Nachfrage nach Arbeitskräften zusammen,
wie der Sturm mit einer Springfluth zusammentrifft. So
gewaltige Umwälzungen, in den Zeitraum zweier Jahre kon-
zentrirt, mußten nothwendig das gesammte wirihschaftliche
Leben bis ins Tiefste erschüttern. Es fragt sich, ob die Gesetze
im Stande find, die Erschütterung wieder auszugleichen, und
welche Gesetze solche Zaubermacht besitzen?
Theilweise find gewiß die Uebel der Art, daß ihnen
durch legislative Vorkehrungen eine Schranke gezogen werden
kann. Durch ein strenges Bankgesetz kann der Urverschwem-
mung mit papiernen Zahlmitteln und damit der künstlichen
Theuerung Einhalt gethan werden. Man kann den Terroris-
mus. welchen die Agitatoren über die fleißigen Arbeiter aus-
üben. vielleicht etwas wirksamer als bisher bekämpfen, obwohl
in dieser Richtung nicht allzuviel gehofft werden darf. Evenso
kann der Unternehmungsschwindel durch strengere Strafgesetze
vielleicht etwas gemäßigt werden. Allein zu einer wirklichen
Abhülfe ist der menschliche Gesetzgeber nicht im Stande. Eine
solche kann nur von den Naturgesetzen erwartet werden, welche
das wirthschaftliche Leben beherrschen und welche auch hier
der Fluth die Ebbe folgen lassen. Die Ebbe ist schon da,
ohne' daß ein einziger neuer Paragraph zu den neuen Reichs-
gesetzen hinzugekommen wäre. Keine Diktatur der Welt hätte
vermocht, den zehnten Theil der Wirkungen hervorzurafen,

AlponS that, wie der Arzt ihn geheißen hatte und ent-
fernte sich.
Eva war weinend über dar Bett der Kranken gesunken
und flehte:
„Mutter, sei nicht grausam gegen mich, ich liebe ihn
mehr als mein Leben."
„Lasse« Sir die Sache ruhen." sagte Feldmann leise
zu ihr, „es wird sich noch Alles zum Besten wenden, ver-
trauen Sie mir."
Dann gab er einige Verordnungen und sagte, daß, so-
wie irgend eine Acnderung im Zustand der Kranken eintreten
sollte, man zu ihm, oder wenn er nicht zu Hause sein sollte,
nach einem andern Arzt schicken sollte, und empfahl die größt-
möglichste Ruhe,
Eva blieb allein bei ihrer Mütter zurück und lange
schwiegen Beide, keines wagte den Anfang zum Sprechen zu
machen.
Da begann die Kranke endlich mit leiser Stimme:
„Habe ich Dir wehe gethan, mein liebes Kind, so ver-
zeihe mir, aber glaube mir, es ist zu Deinem Heil. Wenn
Du die Welt kennen gelernt hä ltst wie ich, dann würdest
Du sehen, daß ich nur Dein Beste» will."
Mortsetzung folgt.)
 
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