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die viergespaltene
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Badische H o p s e n z e i t u u g.
Allgemeiner Anzeiger für die badische und bayerische Rheinpsalz.
M. 82.
Dienstag, 14. Juli 1874.
VII!. Jahrgang.
Inserate von Auswärts nehmen für uns auch entgegen die Annoncen-Bureaux von Kaasensseill L Dogker, Rudolf Masse und K. L> Daube L tzo., Süddeutsche Anneu-Hrpedition
von H. Stöckhardt in Franksurt, Stuttgart, Berlin, Leipzig, München, Wien, Zürich, Basel und Straßburg, sowie das Jäger'sche Central-Bureaux für Inserate in Frankfurt a./M.
* Ueber den Frieden
wird gegenwärtig so viel geschrieben, und besonders gibt
sich ein Theil der ultramontanen Presse äußerst viele
Mühe, das Morgenroth des Friedens in die nächste Nähe
zu stellen. Aber wollen wir auch den Frieden! Antwort:
Ja! wir wollen den Frieden, aber nicht um jeden Preis,
sondern wir wollen vor Allem Beibehaltung aller liberalen
Errungenschaften sammt und sonderst.
Die „Weser Ztg." zitirt eine englische Zeitung, worin
folgende Version über einen etwaigen Frieden mit der
Curie mitgetheitt wird. Dies englische Blatt schreibt :
„Wir haben die Ansicht, daß die deutschen Bischöfe dein
Staate keinen ärgeren Possen spielen könnten, als wenn sie
sich seinen Gesetzen unterwürfen. Der Friede ist, wie
heute die Dinge stehen, für die Regierung gefährlicher als
die Fortsetzung bes Krieges. Der Feind werde bleiben,
sein Haß, seine Agitation werde nicht abnehmen, aber die
Regierung werde keine Waffe mehr gegen ihn haben." Das
ist gewiß ein neuer Gesichtpunkt, aber ist es auch ein rich-
tiger ? Um uns davon zu überzeugen, bedürfte es einer
um so bündigeren Beweisführung, je paradoxer die Be-
hauptung ist.
Im Grunde würde, wenn sie richtig wäre, damit ge-
sagt sein, daß im natürlichen Verlaufe der Dinge die . rö-
mische Kirche sich dem modernen zivilistrten Staate inner-
lich und geistig überlegen erweisen werde. Denn, wenn die
Kirche, ohne Anrufung physischer Gewalt, auf friedlichem
und gesetzlichem Wege, bei vollständiger Unterwerfung unter
die Staatsordnung der Regierung mehr Schadeil ihm, als
durch offene Auflehnung, so liegt darin der thalsächliche Be-
weis, daß sie an moralischer Kraft, an geschichtlichem Be-
rufe höher steht. Es darf nicht geläugner werden, daß der
Satz in einzelnen Fällen richtig ssin kann, da nämlich, wo
die Civilisation des Staats selbst eine dürftige oder inner-
lich falsche ist. In einem solchen Staate ist cs Möglich
und unter Umständen wahrscheinlich, daß die römische Kirche
durch die bloße Ausbreitung ihres moralischen Einflusses,
allmählig dahin gelangen wird, die Geister so zu unter-
jochen, daß eS hernach lediglich von ihr abhängt, die
StaatSgrsctze nach ihren.Wünschen ziizuschneiden. Es fragt
sich nur, ob Deutschland zu diesen Staaten zu rechnen, ist.
ob die deutsche Bevölkerung, sich selbst überlassen, der rö-
mischen Propaganda rettungslos zum Opfer fallen würde.
Wäre dem so, dann könnte man allerdings nur froh über
1 n auSgebrochenen Kampf sein, welche die Gemüther nn-
z-chnglich macht für die schleichende Ilcberredimgskanst
cr wahlgeschülteu Priesterkaste.
Nun liegen aber die Dinge doch in der That ganz
anders. Nicht allein sind die zwei Dritttheile Deutschlands,
welche dem protestantischen Bekenntnisse anhängeu, dem
Einflüsse Roms völlig entrückt und für denselben durch
keine Künste jemals wieder zu gewinnen, sondern auch in
den katholischen Landestbeilen hat die moderne Zivilisation
viel zu feste Wurzel geschlagen als daß, selbst bei weitge-
hendem Uebergewichte der Ultramoiitanen, deren Ausrot-
tung jetzt noch möglich wäre. Man sieht, daß' die Ultra-
montanen, um dort nur einigermaßen ihre Stellung zu
behaupten, fortwährend genöthigt sind, die letzten-Konse-
quenzen ihres eigenen nltramontauen Programms abzuleug-
nen und sich den Forderungen des modernen Liberalismus
anzubequemen. So müssen, nur für Rom zu wirken, täg-
lich neue Programme aufstellen, welche Rom verdammt,
lediglich deshalb, weil ihnen die Zivilisation, die staatliche,'
zu mächtig ist. Gelangten sie einmal so weit, daß sie
ihre eigentlichen Pläne zu verwirklichen Mieiien machen
könnten, so würden sie einem unüberwündlichen Widerstande
auch in den katholischen Landestchetlen begegnen. Aus ihrem
gegenwärtigen Einstusse auf die katholischen Massen kann
man keine Schlüsse, ziehen. Ihre Anhänger haben zur Zeit
von der Opposition gegen die Regierung keinerlei Nach-
theil und Ungemach; das tägliche Leben geht seinen ge-
wohnten Gang, die Sonne geht auf und unter, die Jah-
reszeiten bringen ihre regelmäßigen Gaben, nichts verräth
dem harmlosen und folgsamen Schäflein, daß es mitten
in einem Wettkampfe steht. Niemand verlangt von dem
katholischen Landmann und'Bürger, daß er'Opfer bringe,
daß er Gefahren bestehe, viel^whr, dqß er die jetzigen ge-
ordneten Zustände,-seinen sichert'Rechksschütz , seine freie
Bewegung, die.Segnungen einer verständigen 'Verwaltung
mit einem thcokrathische» Staate vertausche, dessen Wohl-
chatcn, wenn, er sie viernndzwänzig Stunden z» kosten be-
käme, ihn zu Hellem Aufruhr treiben würde. Die Ar-
gumente, mit welchen die ultramontane Partei auf den
Bauer und Bürger zu wirken sucht, sind eben deshalb
vorwiegend sentimentaler Art. Ans dem praktischen Ge-
biete fühlt sie sich ohnmächtig, sie greift daher zu den
Mitteln mystischer Erregung und gemächlicher Rührung,
welche Handel, Wandel und Gewerbe nicht'stören. Sie
schildern in ergreifende». Und sensationellen -BilVern die
Kerkernoth des heiligen Vaters., Las Elend der vertriebe-
nen ehrwürdigen Väter, .das. "Martyrium der-frommen Bi-
schöfe; sie empört das. Selbstgefühl der Männer, sie er-
regt die Aengstlichkeit der Frauen, indem sie anÄsprengt,
die ketzerischen.Regierungsbehörden legten es darauf an,
dem Volke einen neuen Glauben aufzuzwingcn u. si f.
Dies und diese Art sind die wirksamsten Mittel, durch
welche diese Partei die Menge beherrscht. In dem Augen-
blicke, wo der Friede geschlossen wird, verliert , sie dieselben.
Die Bischöfe kehren auf ihre Sitze zurück, der katholische
Kultus, ohnehin niemals beeinträchtigt, nimmt seinen gere-
gelten Fortgang,, jeder—auch der falsche -«-Schein einer
Kirchenbedrücknng verschwindet. Wie will^nan alsdann
es anfangen, die deutschen Katholiken zu unnatürlicher
Feindschaft gegen das eigene Vaterland aufzustacheln?
Ohne Martyrium,; ohne leidenschaftliche Scenen ist das
nicht möglich, Freilich der „gefangene Papst" bliebe noch
zur Verwendung. Da der Papst aber nicht.in-Spandau,
sondern in Rom sitzt, so ist es schwierig,, ihn als Trumpf
gegen die preußischen Minister, ansznspielen. '.Zn der Par-
thie, welche man angefangei, hat , bedarf es näher gelege-
ner, unmittelbar in die Augen springender Rühr,nittel.
Das Volk wird niemals, recht an den Jammer der Kirche
glauben, wenn es im eigenen Lande diese bedrängte Kirche
ganz vergnügt und munter sieht.
Der Friede paßt also nicht in das System. Nicht
der Staat, sondern die Kurie hat ihn zu scheuen. Und
damit stimmen auch die thatsächlichen Vorgänge. Die
Kurie fand den doch wahrhaftig hinreichend friedlichen An-
stand der Dinge, wie er sich unter dem Kultusminister
v. Äühler entwickelt hatte, .nicht förderlich genug für ihre
hochfliegenpen Absichten. Die Fortschritte der geistlichen
Macht waren ihr zu langsam und namentlich von zu ge-
ringem politischem Belange. Darum versuchte sie es-mit
dem , Kriege. Sic ist also offenbar. ganz. anderer Meurüng
in diesem Punkte als die „Pall Mall Gazette". : Selbst
der weit varlheilhastM Ariedc der v. Mühler'schen Periode
erschien ihr schlimmer M, Kampf ; , wie viel mehr wird sie
sich gegen die Uaterwersung unter die heutige staatliche
Zucht sträuben. Es mag sein, daß die deutschen Bischöfe
anders denken. Aber ans sie kommt cs nicht mehr an;
sie haben keinen .eigenen Willen; sie müssen thun, was
man ihnen befiehl,. Im Interesse der Bischöfe wäre es
ganz gewiß, wenn ihnen erlaubt würde, Vernunft anzu-
nehmen. Aber was fragt man über den Bergen nach dem
Interesse der deutschen Bischöfe? Man kann sich darauf
verlassen, fände man dort, daß eS. im Frieden besser stände,
wird hätten den Frieden morgen. u m.-
Deutsches Reich.
Karlsruhe. Seine Königliche Hoheit der Groß Herzog
haben sich unter dem 9. Juli d. I. allergntidigst bewogen gefunden,
den-nabbcnaunten Ofsiciren des Großh. Gendarmerie-Corps folgende
Auszeichnungen zu verleihen und zwar: dem Kommandeur des Gen-
darmerie-Corps, General-Major Dslorme, den Stern zu dem bereits
iimehabenden Kommandeurkreu; des Zähringer Löw-ti-Ordens; dem
Kstmmandanicn des H. >GmdätOerie«Distriktz, ObersttmtenmiR v.
Bodm mn, das, Kommandeurkreuz zweiter. Klaffe des Zähringer
LSwtn'-OrdeiiS; dem Kommandanten des IV., Gendarmerie-Distrikts,
Ob-rstlieutaant Brltckner, das Eichenlaub zu dem bereits innehabcn-
ven Ritterkreuz erster Kläff- des Zähringer Löwen-OrdenZ; dem
Kommandanten des I. Gendarmerl.-DistriktS, Hauptmann-Horchler,
das Ritterkreuz erster Klaff- de« Zähringer Löwen-OrdmS- ferner
dem Professor Dr. Theodor Löhlein am Ghnasium zu Karlsruhe
sowie dem Hofdiakonus Alb Helbing daselbst das Ritterkreuz erster
Klaffe All-rhöchstihres Ordens vom Zähringer Löwen zu verleihen.
Seine königliche Hoheit des Großherzogs haben unterm
Feuilleton.
Der Armenarzt.
(Fortsetzung.)
Warum fragten sie damals mich nicht, warum war er
so arm, warum war sie so stolz? Er war Volontair —
ich gab ihm Nichts, gar nichts — er stahl sich in mein Ver-
trauen — er wagte es, sich mir gleichzUstellen—da that
ich Einhalt, gerade zur rechten Zeit."
„Und wann war das?" fragte Alphons
„Es ist lange her," flüsterte der Alte, "lange, lange
— schon vergessen — und doch wollte ich, es wäre nie ge-
schehen."
Aus dem nahe gelegenen Fabrikgebäude ertönte lautes
Schreien, Rufen und Lärmen. Der Volontair blickte aus
dem Fenster. Die grüße Thür zur Fabrik stand weit ge-
öffnet und er sah. daß ein förmlicher Tumult unter den
Arbeitern ausgebrochen zu sein schien.
Mit einem Satze war er zur Thür hinaus und nach
wenigen Schritten stand er den- Arbeitern gegenüber.
„Was geht hier vor?" rief er.
Statt aller Antwort traten die Leute zurück. Auf dem
schwarzen Sandboden lag bewußtlos der Arbeiter Kurz.
„Ich schlug ihn zu Boden," sagte Eberhardt, „er wollte
es nicht anders. Kommt, laßt uns an die Arbeit gehen."
Elftes Kapitel. ^ .
Die zerstörte Form.^
Seit jenem Abend war Doctor Feldmann ein Anderer
geworden/selbst die alte Frau Dorn fand das, sie sagte
eines schönen Morgens zu ihm:
„Es freut mich ordentlich, Herr Doctor, daß Sie all-
mälig anfangen, vergnügter zu werden, und nicht immer bei
hen langweiligen Büchern sitzen, von dem vielen Studiren
muß der Mensch dumm werden, was haben Sie auch von
den alten! Büchern, die machen keinen Menschen froh, und
stoch dazu neulich sah ich in einem Buche, das offen aüf
dem Tische lag, einen Todtenkops abgebildet, davon muß
her Mensch ja mißgestimmt und unglücklich werden, nein,
sd gefallen Sie mir viel besser."
Dr. Feldmann mußte lächeln. Die wohlgemeinten
Worte der alten Frau gaben ihm trotzdem zu denken; er
erinnerte sich, wie er früher geglaubt hatte, daß die Wis-
senschaft aMn im Stande sei einen Menschen so zu erfreuen,
daß alles Ändere keinen Werth für ihn habe. Damals,
als Frau Darn ihn bat, Freiwerber für ihren Sohn bei
der schönen Eoa zu sein, als sie gesagt hatte, daß ihr Sohn
sie mehr liebe als seilte Seligkeit, da hatte er gelüchelt und
nicht begriffen, was sie damit meinte, jetzt wußte er, was
es zu bedeuten hatte. Ging es ihm nicht ebenso? Concen-
trirten sich nicht alle seine Gedanken auf die junge Dame,
welche er vom Tode gerettet hatte?
Dr. Feldmann hatte in seinem Leben bereits viele
Krankenbesuche gemacht, nichts erfüllte ihn mit größerer Freude,
als wenn es ihm gelang, einen' Menschen dem voraussicht-
lichen Tode zu entreißen. Wenn er im Stande war, mit
Hülfe seiner ärztlichen Kunst Leben und Gesundheit zu schaf-
fen, dann freute er sich seiner Wissenschaft. Nun überdachte
er anders, er sah ein, daß zwei Menschenherzen sich lieb
haben können, mehr als der Gelehrte seine Wissenschaft lie-
ben kann. Der Gelehrte findet wohl in seiner Wissenschaft
seine Befriedigung, allein sie kommt ihm nicht warm, nicht
lebensfrisch entgegen, das hatte er nun empfunden, wohl
kein Patient lag ihm so am Herzen als die junge Dame.
Täglich war er zu ihr gegangen, mit Argusaugen überwachte
er sie, daß kein schädlicher Einfluß ihrer Gesundheit schadete,
und als sie nun allmälig genas, besuchte er sie häufig
und sprach mit ihr »her Dinge, die ihm bis jetzt fremd ge-
wesen waren. (Fortsetzung folg!.)
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M. 82.
Dienstag, 14. Juli 1874.
VII!. Jahrgang.
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von H. Stöckhardt in Franksurt, Stuttgart, Berlin, Leipzig, München, Wien, Zürich, Basel und Straßburg, sowie das Jäger'sche Central-Bureaux für Inserate in Frankfurt a./M.
* Ueber den Frieden
wird gegenwärtig so viel geschrieben, und besonders gibt
sich ein Theil der ultramontanen Presse äußerst viele
Mühe, das Morgenroth des Friedens in die nächste Nähe
zu stellen. Aber wollen wir auch den Frieden! Antwort:
Ja! wir wollen den Frieden, aber nicht um jeden Preis,
sondern wir wollen vor Allem Beibehaltung aller liberalen
Errungenschaften sammt und sonderst.
Die „Weser Ztg." zitirt eine englische Zeitung, worin
folgende Version über einen etwaigen Frieden mit der
Curie mitgetheitt wird. Dies englische Blatt schreibt :
„Wir haben die Ansicht, daß die deutschen Bischöfe dein
Staate keinen ärgeren Possen spielen könnten, als wenn sie
sich seinen Gesetzen unterwürfen. Der Friede ist, wie
heute die Dinge stehen, für die Regierung gefährlicher als
die Fortsetzung bes Krieges. Der Feind werde bleiben,
sein Haß, seine Agitation werde nicht abnehmen, aber die
Regierung werde keine Waffe mehr gegen ihn haben." Das
ist gewiß ein neuer Gesichtpunkt, aber ist es auch ein rich-
tiger ? Um uns davon zu überzeugen, bedürfte es einer
um so bündigeren Beweisführung, je paradoxer die Be-
hauptung ist.
Im Grunde würde, wenn sie richtig wäre, damit ge-
sagt sein, daß im natürlichen Verlaufe der Dinge die . rö-
mische Kirche sich dem modernen zivilistrten Staate inner-
lich und geistig überlegen erweisen werde. Denn, wenn die
Kirche, ohne Anrufung physischer Gewalt, auf friedlichem
und gesetzlichem Wege, bei vollständiger Unterwerfung unter
die Staatsordnung der Regierung mehr Schadeil ihm, als
durch offene Auflehnung, so liegt darin der thalsächliche Be-
weis, daß sie an moralischer Kraft, an geschichtlichem Be-
rufe höher steht. Es darf nicht geläugner werden, daß der
Satz in einzelnen Fällen richtig ssin kann, da nämlich, wo
die Civilisation des Staats selbst eine dürftige oder inner-
lich falsche ist. In einem solchen Staate ist cs Möglich
und unter Umständen wahrscheinlich, daß die römische Kirche
durch die bloße Ausbreitung ihres moralischen Einflusses,
allmählig dahin gelangen wird, die Geister so zu unter-
jochen, daß eS hernach lediglich von ihr abhängt, die
StaatSgrsctze nach ihren.Wünschen ziizuschneiden. Es fragt
sich nur, ob Deutschland zu diesen Staaten zu rechnen, ist.
ob die deutsche Bevölkerung, sich selbst überlassen, der rö-
mischen Propaganda rettungslos zum Opfer fallen würde.
Wäre dem so, dann könnte man allerdings nur froh über
1 n auSgebrochenen Kampf sein, welche die Gemüther nn-
z-chnglich macht für die schleichende Ilcberredimgskanst
cr wahlgeschülteu Priesterkaste.
Nun liegen aber die Dinge doch in der That ganz
anders. Nicht allein sind die zwei Dritttheile Deutschlands,
welche dem protestantischen Bekenntnisse anhängeu, dem
Einflüsse Roms völlig entrückt und für denselben durch
keine Künste jemals wieder zu gewinnen, sondern auch in
den katholischen Landestbeilen hat die moderne Zivilisation
viel zu feste Wurzel geschlagen als daß, selbst bei weitge-
hendem Uebergewichte der Ultramoiitanen, deren Ausrot-
tung jetzt noch möglich wäre. Man sieht, daß' die Ultra-
montanen, um dort nur einigermaßen ihre Stellung zu
behaupten, fortwährend genöthigt sind, die letzten-Konse-
quenzen ihres eigenen nltramontauen Programms abzuleug-
nen und sich den Forderungen des modernen Liberalismus
anzubequemen. So müssen, nur für Rom zu wirken, täg-
lich neue Programme aufstellen, welche Rom verdammt,
lediglich deshalb, weil ihnen die Zivilisation, die staatliche,'
zu mächtig ist. Gelangten sie einmal so weit, daß sie
ihre eigentlichen Pläne zu verwirklichen Mieiien machen
könnten, so würden sie einem unüberwündlichen Widerstande
auch in den katholischen Landestchetlen begegnen. Aus ihrem
gegenwärtigen Einstusse auf die katholischen Massen kann
man keine Schlüsse, ziehen. Ihre Anhänger haben zur Zeit
von der Opposition gegen die Regierung keinerlei Nach-
theil und Ungemach; das tägliche Leben geht seinen ge-
wohnten Gang, die Sonne geht auf und unter, die Jah-
reszeiten bringen ihre regelmäßigen Gaben, nichts verräth
dem harmlosen und folgsamen Schäflein, daß es mitten
in einem Wettkampfe steht. Niemand verlangt von dem
katholischen Landmann und'Bürger, daß er'Opfer bringe,
daß er Gefahren bestehe, viel^whr, dqß er die jetzigen ge-
ordneten Zustände,-seinen sichert'Rechksschütz , seine freie
Bewegung, die.Segnungen einer verständigen 'Verwaltung
mit einem thcokrathische» Staate vertausche, dessen Wohl-
chatcn, wenn, er sie viernndzwänzig Stunden z» kosten be-
käme, ihn zu Hellem Aufruhr treiben würde. Die Ar-
gumente, mit welchen die ultramontane Partei auf den
Bauer und Bürger zu wirken sucht, sind eben deshalb
vorwiegend sentimentaler Art. Ans dem praktischen Ge-
biete fühlt sie sich ohnmächtig, sie greift daher zu den
Mitteln mystischer Erregung und gemächlicher Rührung,
welche Handel, Wandel und Gewerbe nicht'stören. Sie
schildern in ergreifende». Und sensationellen -BilVern die
Kerkernoth des heiligen Vaters., Las Elend der vertriebe-
nen ehrwürdigen Väter, .das. "Martyrium der-frommen Bi-
schöfe; sie empört das. Selbstgefühl der Männer, sie er-
regt die Aengstlichkeit der Frauen, indem sie anÄsprengt,
die ketzerischen.Regierungsbehörden legten es darauf an,
dem Volke einen neuen Glauben aufzuzwingcn u. si f.
Dies und diese Art sind die wirksamsten Mittel, durch
welche diese Partei die Menge beherrscht. In dem Augen-
blicke, wo der Friede geschlossen wird, verliert , sie dieselben.
Die Bischöfe kehren auf ihre Sitze zurück, der katholische
Kultus, ohnehin niemals beeinträchtigt, nimmt seinen gere-
gelten Fortgang,, jeder—auch der falsche -«-Schein einer
Kirchenbedrücknng verschwindet. Wie will^nan alsdann
es anfangen, die deutschen Katholiken zu unnatürlicher
Feindschaft gegen das eigene Vaterland aufzustacheln?
Ohne Martyrium,; ohne leidenschaftliche Scenen ist das
nicht möglich, Freilich der „gefangene Papst" bliebe noch
zur Verwendung. Da der Papst aber nicht.in-Spandau,
sondern in Rom sitzt, so ist es schwierig,, ihn als Trumpf
gegen die preußischen Minister, ansznspielen. '.Zn der Par-
thie, welche man angefangei, hat , bedarf es näher gelege-
ner, unmittelbar in die Augen springender Rühr,nittel.
Das Volk wird niemals, recht an den Jammer der Kirche
glauben, wenn es im eigenen Lande diese bedrängte Kirche
ganz vergnügt und munter sieht.
Der Friede paßt also nicht in das System. Nicht
der Staat, sondern die Kurie hat ihn zu scheuen. Und
damit stimmen auch die thatsächlichen Vorgänge. Die
Kurie fand den doch wahrhaftig hinreichend friedlichen An-
stand der Dinge, wie er sich unter dem Kultusminister
v. Äühler entwickelt hatte, .nicht förderlich genug für ihre
hochfliegenpen Absichten. Die Fortschritte der geistlichen
Macht waren ihr zu langsam und namentlich von zu ge-
ringem politischem Belange. Darum versuchte sie es-mit
dem , Kriege. Sic ist also offenbar. ganz. anderer Meurüng
in diesem Punkte als die „Pall Mall Gazette". : Selbst
der weit varlheilhastM Ariedc der v. Mühler'schen Periode
erschien ihr schlimmer M, Kampf ; , wie viel mehr wird sie
sich gegen die Uaterwersung unter die heutige staatliche
Zucht sträuben. Es mag sein, daß die deutschen Bischöfe
anders denken. Aber ans sie kommt cs nicht mehr an;
sie haben keinen .eigenen Willen; sie müssen thun, was
man ihnen befiehl,. Im Interesse der Bischöfe wäre es
ganz gewiß, wenn ihnen erlaubt würde, Vernunft anzu-
nehmen. Aber was fragt man über den Bergen nach dem
Interesse der deutschen Bischöfe? Man kann sich darauf
verlassen, fände man dort, daß eS. im Frieden besser stände,
wird hätten den Frieden morgen. u m.-
Deutsches Reich.
Karlsruhe. Seine Königliche Hoheit der Groß Herzog
haben sich unter dem 9. Juli d. I. allergntidigst bewogen gefunden,
den-nabbcnaunten Ofsiciren des Großh. Gendarmerie-Corps folgende
Auszeichnungen zu verleihen und zwar: dem Kommandeur des Gen-
darmerie-Corps, General-Major Dslorme, den Stern zu dem bereits
iimehabenden Kommandeurkreu; des Zähringer Löw-ti-Ordens; dem
Kstmmandanicn des H. >GmdätOerie«Distriktz, ObersttmtenmiR v.
Bodm mn, das, Kommandeurkreuz zweiter. Klaffe des Zähringer
LSwtn'-OrdeiiS; dem Kommandanten des IV., Gendarmerie-Distrikts,
Ob-rstlieutaant Brltckner, das Eichenlaub zu dem bereits innehabcn-
ven Ritterkreuz erster Kläff- des Zähringer Löwen-OrdenZ; dem
Kommandanten des I. Gendarmerl.-DistriktS, Hauptmann-Horchler,
das Ritterkreuz erster Klaff- de« Zähringer Löwen-OrdmS- ferner
dem Professor Dr. Theodor Löhlein am Ghnasium zu Karlsruhe
sowie dem Hofdiakonus Alb Helbing daselbst das Ritterkreuz erster
Klaffe All-rhöchstihres Ordens vom Zähringer Löwen zu verleihen.
Seine königliche Hoheit des Großherzogs haben unterm
Feuilleton.
Der Armenarzt.
(Fortsetzung.)
Warum fragten sie damals mich nicht, warum war er
so arm, warum war sie so stolz? Er war Volontair —
ich gab ihm Nichts, gar nichts — er stahl sich in mein Ver-
trauen — er wagte es, sich mir gleichzUstellen—da that
ich Einhalt, gerade zur rechten Zeit."
„Und wann war das?" fragte Alphons
„Es ist lange her," flüsterte der Alte, "lange, lange
— schon vergessen — und doch wollte ich, es wäre nie ge-
schehen."
Aus dem nahe gelegenen Fabrikgebäude ertönte lautes
Schreien, Rufen und Lärmen. Der Volontair blickte aus
dem Fenster. Die grüße Thür zur Fabrik stand weit ge-
öffnet und er sah. daß ein förmlicher Tumult unter den
Arbeitern ausgebrochen zu sein schien.
Mit einem Satze war er zur Thür hinaus und nach
wenigen Schritten stand er den- Arbeitern gegenüber.
„Was geht hier vor?" rief er.
Statt aller Antwort traten die Leute zurück. Auf dem
schwarzen Sandboden lag bewußtlos der Arbeiter Kurz.
„Ich schlug ihn zu Boden," sagte Eberhardt, „er wollte
es nicht anders. Kommt, laßt uns an die Arbeit gehen."
Elftes Kapitel. ^ .
Die zerstörte Form.^
Seit jenem Abend war Doctor Feldmann ein Anderer
geworden/selbst die alte Frau Dorn fand das, sie sagte
eines schönen Morgens zu ihm:
„Es freut mich ordentlich, Herr Doctor, daß Sie all-
mälig anfangen, vergnügter zu werden, und nicht immer bei
hen langweiligen Büchern sitzen, von dem vielen Studiren
muß der Mensch dumm werden, was haben Sie auch von
den alten! Büchern, die machen keinen Menschen froh, und
stoch dazu neulich sah ich in einem Buche, das offen aüf
dem Tische lag, einen Todtenkops abgebildet, davon muß
her Mensch ja mißgestimmt und unglücklich werden, nein,
sd gefallen Sie mir viel besser."
Dr. Feldmann mußte lächeln. Die wohlgemeinten
Worte der alten Frau gaben ihm trotzdem zu denken; er
erinnerte sich, wie er früher geglaubt hatte, daß die Wis-
senschaft aMn im Stande sei einen Menschen so zu erfreuen,
daß alles Ändere keinen Werth für ihn habe. Damals,
als Frau Darn ihn bat, Freiwerber für ihren Sohn bei
der schönen Eoa zu sein, als sie gesagt hatte, daß ihr Sohn
sie mehr liebe als seilte Seligkeit, da hatte er gelüchelt und
nicht begriffen, was sie damit meinte, jetzt wußte er, was
es zu bedeuten hatte. Ging es ihm nicht ebenso? Concen-
trirten sich nicht alle seine Gedanken auf die junge Dame,
welche er vom Tode gerettet hatte?
Dr. Feldmann hatte in seinem Leben bereits viele
Krankenbesuche gemacht, nichts erfüllte ihn mit größerer Freude,
als wenn es ihm gelang, einen' Menschen dem voraussicht-
lichen Tode zu entreißen. Wenn er im Stande war, mit
Hülfe seiner ärztlichen Kunst Leben und Gesundheit zu schaf-
fen, dann freute er sich seiner Wissenschaft. Nun überdachte
er anders, er sah ein, daß zwei Menschenherzen sich lieb
haben können, mehr als der Gelehrte seine Wissenschaft lie-
ben kann. Der Gelehrte findet wohl in seiner Wissenschaft
seine Befriedigung, allein sie kommt ihm nicht warm, nicht
lebensfrisch entgegen, das hatte er nun empfunden, wohl
kein Patient lag ihm so am Herzen als die junge Dame.
Täglich war er zu ihr gegangen, mit Argusaugen überwachte
er sie, daß kein schädlicher Einfluß ihrer Gesundheit schadete,
und als sie nun allmälig genas, besuchte er sie häufig
und sprach mit ihr »her Dinge, die ihm bis jetzt fremd ge-
wesen waren. (Fortsetzung folg!.)