Erscheint
wöchentlich drei Mal:
Dienstaz, Donnerstag
und Samstag.
Alle Postanstaltcn
«nd Boten nehnien
Bestellungen an.
Mwchinger Woihmblatl
Viertels. Abonnement:
FUr's Wochenblatt S1 kr
Unterhaltungsblatt 12 kr.
Ins erate
die viergespaltene
Petitzeile oder deren
Raum 4 kr.,
Garmondzeile 5 kr.
Amtsverkündigungsölatt für den Wezirk Schwetzingen.
Badische Hopsenzeitung.
Allgemeiner Anzeiger für die badische und bayerische Rheinpfalz.
Ko. 58.
Samstag, 16. Mai 1874.
VIII. Jahrgang.
Inserate von Auswärts nehmen für uns auch entgegen die Annoncen-Bureaux von Saasenstei» L Mogler, Rudolf Waffe und H. T Iau5e L Ho., die Süddeutsche Annonccn-Hrpedition
von H. Stöckyardt in Frankfurt, Stuttgart, Berlin, Leipzig, München, Wien, Zürich, Basel und Straßburg, sowie das Jügcr'sche E-ntral-Bureaux für Inserate in Frankfurt a./M.
Badischer Landtag.
Karlsruhe, 12. Mai. Tagesordnung der
41. ö f fe n t li ch en S itz un g d e r 2. Kammer, am
12. Mai, Vormittags 9 Uhr. Vorsitzender: Präsident
Kirsner. Auf der Ministerbank: Staatsmiuister Dr. Jolly
und Ministerialrath Joos, im Anfang auch Ministerial-
Präsident Turban. *
Der Letztgenannte bringt eine. Regierungsvorlage ein,
betreffend die Ertheilung der Konzession für den Bau einer
Eisenbahn auf den Berg Merkur bei Baden.
Die fernere Sitzung, in welcher das aus der Initiative
des Hauses hervorgegangene Altkatholiken-Gesetz in allge-
meiner Debatte berathen wurde, erlitt wenige Stunden nach
ihrem Beginne eine stürmische Unterbrechung.
Den Verlauf der Verhandlungen werden wir nach-
tragen und uns heute auf die kurze Darstellung der er-
wähnten Unterbrechung beschränken.
Der Abgeordnete Fieser, welcher in längerer Rede die
Berechtigung der allkatholischen Bewegung und die Verwerf-
ung des Dogmas von der Unfehlbarkeit des Papstes nach-
zuweisen unternommen hatte, brauchte für genanntes Dogma
den Ausdruck: „jene infame Irrlehre", worauf sofort auf
der Rechten des Hauses das Verlangen nach einem Ord-
nungsruf stürmisch erhoben wurde und die Miglieder, der
Rechten bis auf den Abgeordneten Junghanns aufstanden
und unter lautem Protest und u. A. dem vom Abgeordneten
v. Buß ausgestoßenem Rufe: „Das ist eine Beleidigung von
250 Millionen Katholiken", begleitet von Gelächter und
lauten Beifallsbezeugungen der Tribünen den Saal ver-
ließen.
Der zurückgebliebene Abgeordnete Junghanns stellte
nun einen Antrag auf Erlassung des Ordnungsrufes gegen
den Abgeordneten Fieser, indem bei Nichterlassung eines
solchen auch er wie seine Parteifreunde das Haus verlassen
müsse, worauf der Präsident den gebrauchten Ausruf für
unparlamentarisch erklärt und den Abgeordneten Fieser zur
Rücknahme auffordert, widrigenfalls er allerdings denselben
zur Ordnung rufen müsse.
Abg. Fieser erklärt zu seiner Rechtfertigung, daß er
den Ausdruck nicht zurücknehmcn könne. Er stützt sich auf
Regierungsäußerungen und die bestehende Gesetzgebung, welche
nur der katholischen Kirche, wie sie vor den vatikanischen De-
kreten bestand, Schutz und Anerkennung verleihen.
Der Präsident spricht nun gegen den Vorredner wegen
des von ihm gebrauchten Ausdrucks „infam" förmlich den
Ordnungsruf aus.
Da hiergegen der Abg. Fieser an das Haus zu appel-
liren erklärt, enlspinntsich über diesen Zwischenfall eine De-
batte. in welcher zunächst Abg. Kiefer unter Hervorhebung
der Ansicht, daß besser ein anderer Ausdruck vom Abg.
Fieser gebraucht hätte werden können, den Ordnungsruf
nicht für gerechtfertigt findet, da einem Abgeordneten das
Recht zustehen müsse, eine Sache so zu bezeichnen, für was
er sie nach seiner tiesinnersten Ueberzeugung hält, wenn er
dieselbe zugleich eingehend begründet, wie es im vorliegenden
Falle geschehen ist.
Für das Vorgehen des Präsidenten traten auf: Staats-
minister Dr. Jolly, welcher insbesondere die Regierung da-
gegen verwahrte, daß sie irgend einen Anlaß zur obigen
Bezeichnung jener dogmatischen Lehre gegeben habe, die Abgg.
Baer und Bluntschli, welche durchweg ihr Bedauern aus-
sprachen. daß obiger, gewisse Mitglieder des Hauses indirekt
beleidigenve Ausdruck gefallen sei.
Es schloß sich Dem der Abg. v. Feder an, welcher zu-
gleich aus der Geschäftsordnung nachwies, daß die Appella-
tion des Abg. Fieser an das Haus in diesem Falle nicht
statthaft sei.
Abg. Fieser verzichtet auf die Appellation und zugleich
auf Fortsetzung seiner Rede, worauf der Präsident das Haus
um 5 Minuten vertagt. Die Unterbrechung dehnt sich jedoch
länger aus, da erst nach einer halben Stunde die Abgeord-
neten der Rechten wieder erscheinen.
Abg. Lender nimmt Namens der Partei das Wort zur
Erklärung, daß sie als Glieder der römisch-kathol. Kirche in
der vom Abg. Fieser gebrauchten Aeußerung nicht eine bloße
Kritik, sondern eine Beleidigung erkennen mußten, weßhalb
sie das Haus verlassen hätten. Nach erfolgtem Ordnungs-
ruf und demselben zustimmenden Erklärungen aus der Mitte
des Hauses würden sie nunmehr dem weiteren Verlaufe der
Verhandlung beiwohnen; sie bedauerten jedoch, auf die ein-
zelnen Ausführungen des Abg. Fieser nicht weiter eingehen
können. — Die allgemeine Diskussion wurde in bis 4fls
Uhr dauernder Sitzung zu Ende geführt. Die Spezialdis-
kussion findet morgen 10 Uhr statt.
Deutsches Reich.
Werkln, 12. Mai. Der Kaiser wird den bisherigen
Dispositionen zufolge bis zum 26. oder 27. Mai in Wies-
baden verbleiben und dann nach einem kurzen Besuch bei
dem Kaiser von Rußland in Ems seinen Aufenthalt bis
zum 6 oder 7 Juni in Babelsberg nehmen. Bezüglich der
späteren Dispositionen des Kaisers und der königlichen Herr-
schaften ist zu melden, daß alle Mitglieder der königlichen
Familie sich anfangs September hier wieder einfinden werden,
um der Konfirmation des ältesten Sohnes des Kronprinzen
bei zuwohnen.
Fürst Bismarck wird sich, wie bereits anderweitig ge-
meldet, zum Psingstfeste nach Varzin begeben und daselbst
ungefähr 8 bis 10 Tage verweilen und alsdann nach Kis-
singen gehen, da sich die konsultirten Aerzte nunmehr defini-
tiv für diesen Kurort entschieden haben.
Werkin, 15. Mai. Mittags. Nach den bis jetzt ge-
troffenen Bestimmungen wird Fürst Bismarck morgen früh
nach Varzin «Kreisen.
Konstanz, 11. Mai. Ueber das erschütternde Un-
glück, welches die Familie des Sparkassenrechners Stärk
von Ueberlingen betroffen hat, erfährt die „Konst. Ztg."
noch folgendes Nähere. Stärk, welcher ein sehr gutes
Möbelgeschäft besaß, auch Mitglied des Ortsschulrathes
und von Jedermann geachtet war, besaß das allgemeine
Vertrauen in dem Grade, daß ihm Niemand eine solche
That'zügetraut hätte. Bevor er abreiste, legte er jedem
der drei in Ueberlingen lebenden Kinder je 100 fl. in
das Sparbüchle und ermahnte sie zur Folgsamkeit gegen
die Mutter. Er begab sich zunächst nach Konstanz, wo er
mehrere Geschäfte abwickelte und dann nach Lindau. Seine
Frau, welcher die Umstände seiner Abreise aufficlen, besoill
ders das Ungewöhnliche, daß er über 16,000 fl. mitnahm,
schöpfte Verdacht und machte die Anzeige. Als die De-
peschen nach Konstanz kamen, fuhr er mit dem Lindauer
Schiff zum 'Hafen hinaus. Seine Verhaftung und sein
trauriges Ende haben wir bereits gemeldet. Die Leiche
wurde in Lindau beerdigt. Das Geld hat sich fast un-
angetastet vorgefnnden und werden weder die Einleger,
noch die 21 Verbandsgemeinden einen Kreuzer verlieren.
Schwerin, 10. Mai. Der „Voss. Ztg" wird von
einer komischen Scene — „einen verdrießlichen Vorgang"
nennt ihn der Correspondent des erwähnten Blattes — be-
richtet, die sich während des Aufenthalts des Großher-
zogs in Begleitung seines künftigen Schwiegersohnes,
des Großfürsten Wladimir von Rußland, auf dem Bahn-
hof Hagenow am 6. d. Mt. abspielte: „Zum
Empfange des Großherzogs, der Großherzogin und des
hohen Brautpaares, welche von Berlin nach Schwerin zu-
rückkehrten, waren auf dem Hagenower Bahnhof die Mit-
glieder des Magistrats der Stadt Hagenow und des Bür-
gerausschusses, die Großherzoglichen Beamten, die Geistlichen,
Lehrer und ein zahlreiches Publikum versammelt. Der Zug
kam an, die Begrüßung erfolgte und die hohen Herrschaften
hielten sich schon zur Abfahrt bereit, als ein Geschäfsrei-
sender, mit brennender Cigarre im Munde, sich
in die unmittelbarste Nähe des Grobherzogs stellte; die an-
wesenden Polizeidiener forderten ihn auf, die brennende
Cigarre aus dem Munde zu nehmen, der Bürgermeister
Hofrath Praetorius machte in eigener Person den Fremden
auf das Ungeziemende seines Benehmens aufmerksam, er
wich aber diesen Autoritäten nicht, so daß schließlich der
Großherzog selbst sich veranlaßt fand, ihn in sehr bestimm-
ter Weise zur Entfernung der Cigarre aufzufordern. Dies
gab das Signal zur sofortigen Verhaftung des passionirten
Rauchers und der Bürgermeister von- Hagenow glaubte nun,
zum Schutze seiner Bürger gegen den in den landesherrlichen
MlUIrtml.
Aer Armenarzt.
Roman aus dem Leben einer großen Stadt
von I. Steinmann.
Fünftes Kapitel.
Das Medaillonportrait.
(Fortsetzung.)
„Mir eine Flasche Selterwasser," befahl Alexander.
Ernst lachte spöttisch.
Der Dritte der Herren kehrte den beiden Streitenden
den Rücken zu; ihm gefiel diese Art der Conversation nicht.
Dieses gegenseitige Vorwerfen von körperlichen Fehlern und
allen möglichen Untugenden war ihm schon lange zuwider,
und doch bildete dieser Stoff das Lieblingsthema seiner
beiden — wie sie selber meinten — geistreichen Gefährten.
Alfons sah das fröhliche Gewoge an, aber seine Augen
glitten theilnahmslos über die Schaar der Tanzenden. Ihm
kam Alles, was sich vor seinen Augen zutrug, so unendlich
fade, so grenzenlos abgeschmackt vor wie nur möglich. Es
fand auch nicht die geringste Beziehung statt zwischen ihm
und der fröhlichen Welt da vorn.
Und doch blickte so manches Auge nach ihm.
Alfons war ein schöner junger Mann. Die Gestalt,
leicht und elastisch, zeigte jenes herrliche Ebenmaß, wie wir es
bei den Spaniern, mehr noch bei Creolen finden. Die Füße und
Hände sind klein, aristokratisch, das Handgelenk fein. An-
muthige Kraft gab sich in jeder Bewegung kund, die ganze
Haltung mußte unwillkürlich Interesse erwecken.
Das Gesicht, dessen oberer Theil von einem breitran-
digen Hut aus schwarzem Seidenfilz beschattet wurde, bot
die Forin eines klassischen Ovales. Ein kleiner schwarzer
Schnurbart bedeckte die Oberlippe des wohlproportionirten
Mundes. Die dichten Augenbraunen berührten sich fast
und überschatteten ein dunkles Augenpaar von prächtigem
Glanze. Leider deckten die stark bewimperten Lider die Augen
meistens und nur wenn irgend ein höheres Interesse Alfons
bewegte, entschleierten sich die Augen zu wunderbar blickenden
Sternen.
Seine Tracht war elegant und gewählt. Er trug
einen knapp anliegenden Gehrock aus feinem schwarzen Tuch,
enge Beinkleider von ebenfalls schwarzer Farbe und kleine
Lackstiefel. Dazu kam ein Havelock von schwarzem Tuch,
dessen Kragen mit blauem Sammet gefüttert war und dessen
einen Zipfel er leicht über die rechte Schulter geworfen hatte.
Jeder Andere würde in dieser Tracht ausgesehen haben
wie ein «fahrender Künstler", aber hier ließ das ganze
Wesen, die Tournüre sofort einen Angehörigen der höheren
Stände, einen vollendeten Gentleman erkennen.
Alfons wurde bald aus seinem gedankenlosen Zuschauen
aufgestört.
Unmittelbar vor ihm entspann sich ein merkwürdiges
Gespräch. Ein junger Mann machte einem andern jüngeren
Manne begreiflich, daß er absolut tanzen müsse und zwar
mit seinen Cousinen, die geradeaus, am zweiten Pfeiler saßen.
„Daß Sie die Damen nicht kennen, macht Nichts, sa-
gen Sie nur, der Cousin Christian hätte Sie geschickt!"
schloß der Werber seine eindringliche Rede.
Alfons mußte lächeln.
Unwillkürlich folgten seine Blicke dem so eben vom
Cousin Christian Gepreßten, während dieser sich zu seinen
Collegen begab, um Musik zu machen.
Er entdeckte, wie dies nicht anders sein konnte, sehr
bald die Familie Behrens, die einträchtig bei einander zu
sitzen schien, denn auf diese Entfernung mußte ihm entgehen,
daß Clara und Mathilde sich gegenseitig mit lächelndem
Munde Sotlisen sagten. Clara hatte nämlich einen Tanz
weniger als Mathilde und das ist hinreichender Grund zum
Zanten.
Unwillkürlich blieben seine Blicke auf Eva haften,
l (Fortsetzung folgt.)
wöchentlich drei Mal:
Dienstaz, Donnerstag
und Samstag.
Alle Postanstaltcn
«nd Boten nehnien
Bestellungen an.
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Viertels. Abonnement:
FUr's Wochenblatt S1 kr
Unterhaltungsblatt 12 kr.
Ins erate
die viergespaltene
Petitzeile oder deren
Raum 4 kr.,
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Amtsverkündigungsölatt für den Wezirk Schwetzingen.
Badische Hopsenzeitung.
Allgemeiner Anzeiger für die badische und bayerische Rheinpfalz.
Ko. 58.
Samstag, 16. Mai 1874.
VIII. Jahrgang.
Inserate von Auswärts nehmen für uns auch entgegen die Annoncen-Bureaux von Saasenstei» L Mogler, Rudolf Waffe und H. T Iau5e L Ho., die Süddeutsche Annonccn-Hrpedition
von H. Stöckyardt in Frankfurt, Stuttgart, Berlin, Leipzig, München, Wien, Zürich, Basel und Straßburg, sowie das Jügcr'sche E-ntral-Bureaux für Inserate in Frankfurt a./M.
Badischer Landtag.
Karlsruhe, 12. Mai. Tagesordnung der
41. ö f fe n t li ch en S itz un g d e r 2. Kammer, am
12. Mai, Vormittags 9 Uhr. Vorsitzender: Präsident
Kirsner. Auf der Ministerbank: Staatsmiuister Dr. Jolly
und Ministerialrath Joos, im Anfang auch Ministerial-
Präsident Turban. *
Der Letztgenannte bringt eine. Regierungsvorlage ein,
betreffend die Ertheilung der Konzession für den Bau einer
Eisenbahn auf den Berg Merkur bei Baden.
Die fernere Sitzung, in welcher das aus der Initiative
des Hauses hervorgegangene Altkatholiken-Gesetz in allge-
meiner Debatte berathen wurde, erlitt wenige Stunden nach
ihrem Beginne eine stürmische Unterbrechung.
Den Verlauf der Verhandlungen werden wir nach-
tragen und uns heute auf die kurze Darstellung der er-
wähnten Unterbrechung beschränken.
Der Abgeordnete Fieser, welcher in längerer Rede die
Berechtigung der allkatholischen Bewegung und die Verwerf-
ung des Dogmas von der Unfehlbarkeit des Papstes nach-
zuweisen unternommen hatte, brauchte für genanntes Dogma
den Ausdruck: „jene infame Irrlehre", worauf sofort auf
der Rechten des Hauses das Verlangen nach einem Ord-
nungsruf stürmisch erhoben wurde und die Miglieder, der
Rechten bis auf den Abgeordneten Junghanns aufstanden
und unter lautem Protest und u. A. dem vom Abgeordneten
v. Buß ausgestoßenem Rufe: „Das ist eine Beleidigung von
250 Millionen Katholiken", begleitet von Gelächter und
lauten Beifallsbezeugungen der Tribünen den Saal ver-
ließen.
Der zurückgebliebene Abgeordnete Junghanns stellte
nun einen Antrag auf Erlassung des Ordnungsrufes gegen
den Abgeordneten Fieser, indem bei Nichterlassung eines
solchen auch er wie seine Parteifreunde das Haus verlassen
müsse, worauf der Präsident den gebrauchten Ausruf für
unparlamentarisch erklärt und den Abgeordneten Fieser zur
Rücknahme auffordert, widrigenfalls er allerdings denselben
zur Ordnung rufen müsse.
Abg. Fieser erklärt zu seiner Rechtfertigung, daß er
den Ausdruck nicht zurücknehmcn könne. Er stützt sich auf
Regierungsäußerungen und die bestehende Gesetzgebung, welche
nur der katholischen Kirche, wie sie vor den vatikanischen De-
kreten bestand, Schutz und Anerkennung verleihen.
Der Präsident spricht nun gegen den Vorredner wegen
des von ihm gebrauchten Ausdrucks „infam" förmlich den
Ordnungsruf aus.
Da hiergegen der Abg. Fieser an das Haus zu appel-
liren erklärt, enlspinntsich über diesen Zwischenfall eine De-
batte. in welcher zunächst Abg. Kiefer unter Hervorhebung
der Ansicht, daß besser ein anderer Ausdruck vom Abg.
Fieser gebraucht hätte werden können, den Ordnungsruf
nicht für gerechtfertigt findet, da einem Abgeordneten das
Recht zustehen müsse, eine Sache so zu bezeichnen, für was
er sie nach seiner tiesinnersten Ueberzeugung hält, wenn er
dieselbe zugleich eingehend begründet, wie es im vorliegenden
Falle geschehen ist.
Für das Vorgehen des Präsidenten traten auf: Staats-
minister Dr. Jolly, welcher insbesondere die Regierung da-
gegen verwahrte, daß sie irgend einen Anlaß zur obigen
Bezeichnung jener dogmatischen Lehre gegeben habe, die Abgg.
Baer und Bluntschli, welche durchweg ihr Bedauern aus-
sprachen. daß obiger, gewisse Mitglieder des Hauses indirekt
beleidigenve Ausdruck gefallen sei.
Es schloß sich Dem der Abg. v. Feder an, welcher zu-
gleich aus der Geschäftsordnung nachwies, daß die Appella-
tion des Abg. Fieser an das Haus in diesem Falle nicht
statthaft sei.
Abg. Fieser verzichtet auf die Appellation und zugleich
auf Fortsetzung seiner Rede, worauf der Präsident das Haus
um 5 Minuten vertagt. Die Unterbrechung dehnt sich jedoch
länger aus, da erst nach einer halben Stunde die Abgeord-
neten der Rechten wieder erscheinen.
Abg. Lender nimmt Namens der Partei das Wort zur
Erklärung, daß sie als Glieder der römisch-kathol. Kirche in
der vom Abg. Fieser gebrauchten Aeußerung nicht eine bloße
Kritik, sondern eine Beleidigung erkennen mußten, weßhalb
sie das Haus verlassen hätten. Nach erfolgtem Ordnungs-
ruf und demselben zustimmenden Erklärungen aus der Mitte
des Hauses würden sie nunmehr dem weiteren Verlaufe der
Verhandlung beiwohnen; sie bedauerten jedoch, auf die ein-
zelnen Ausführungen des Abg. Fieser nicht weiter eingehen
können. — Die allgemeine Diskussion wurde in bis 4fls
Uhr dauernder Sitzung zu Ende geführt. Die Spezialdis-
kussion findet morgen 10 Uhr statt.
Deutsches Reich.
Werkln, 12. Mai. Der Kaiser wird den bisherigen
Dispositionen zufolge bis zum 26. oder 27. Mai in Wies-
baden verbleiben und dann nach einem kurzen Besuch bei
dem Kaiser von Rußland in Ems seinen Aufenthalt bis
zum 6 oder 7 Juni in Babelsberg nehmen. Bezüglich der
späteren Dispositionen des Kaisers und der königlichen Herr-
schaften ist zu melden, daß alle Mitglieder der königlichen
Familie sich anfangs September hier wieder einfinden werden,
um der Konfirmation des ältesten Sohnes des Kronprinzen
bei zuwohnen.
Fürst Bismarck wird sich, wie bereits anderweitig ge-
meldet, zum Psingstfeste nach Varzin begeben und daselbst
ungefähr 8 bis 10 Tage verweilen und alsdann nach Kis-
singen gehen, da sich die konsultirten Aerzte nunmehr defini-
tiv für diesen Kurort entschieden haben.
Werkin, 15. Mai. Mittags. Nach den bis jetzt ge-
troffenen Bestimmungen wird Fürst Bismarck morgen früh
nach Varzin «Kreisen.
Konstanz, 11. Mai. Ueber das erschütternde Un-
glück, welches die Familie des Sparkassenrechners Stärk
von Ueberlingen betroffen hat, erfährt die „Konst. Ztg."
noch folgendes Nähere. Stärk, welcher ein sehr gutes
Möbelgeschäft besaß, auch Mitglied des Ortsschulrathes
und von Jedermann geachtet war, besaß das allgemeine
Vertrauen in dem Grade, daß ihm Niemand eine solche
That'zügetraut hätte. Bevor er abreiste, legte er jedem
der drei in Ueberlingen lebenden Kinder je 100 fl. in
das Sparbüchle und ermahnte sie zur Folgsamkeit gegen
die Mutter. Er begab sich zunächst nach Konstanz, wo er
mehrere Geschäfte abwickelte und dann nach Lindau. Seine
Frau, welcher die Umstände seiner Abreise aufficlen, besoill
ders das Ungewöhnliche, daß er über 16,000 fl. mitnahm,
schöpfte Verdacht und machte die Anzeige. Als die De-
peschen nach Konstanz kamen, fuhr er mit dem Lindauer
Schiff zum 'Hafen hinaus. Seine Verhaftung und sein
trauriges Ende haben wir bereits gemeldet. Die Leiche
wurde in Lindau beerdigt. Das Geld hat sich fast un-
angetastet vorgefnnden und werden weder die Einleger,
noch die 21 Verbandsgemeinden einen Kreuzer verlieren.
Schwerin, 10. Mai. Der „Voss. Ztg" wird von
einer komischen Scene — „einen verdrießlichen Vorgang"
nennt ihn der Correspondent des erwähnten Blattes — be-
richtet, die sich während des Aufenthalts des Großher-
zogs in Begleitung seines künftigen Schwiegersohnes,
des Großfürsten Wladimir von Rußland, auf dem Bahn-
hof Hagenow am 6. d. Mt. abspielte: „Zum
Empfange des Großherzogs, der Großherzogin und des
hohen Brautpaares, welche von Berlin nach Schwerin zu-
rückkehrten, waren auf dem Hagenower Bahnhof die Mit-
glieder des Magistrats der Stadt Hagenow und des Bür-
gerausschusses, die Großherzoglichen Beamten, die Geistlichen,
Lehrer und ein zahlreiches Publikum versammelt. Der Zug
kam an, die Begrüßung erfolgte und die hohen Herrschaften
hielten sich schon zur Abfahrt bereit, als ein Geschäfsrei-
sender, mit brennender Cigarre im Munde, sich
in die unmittelbarste Nähe des Grobherzogs stellte; die an-
wesenden Polizeidiener forderten ihn auf, die brennende
Cigarre aus dem Munde zu nehmen, der Bürgermeister
Hofrath Praetorius machte in eigener Person den Fremden
auf das Ungeziemende seines Benehmens aufmerksam, er
wich aber diesen Autoritäten nicht, so daß schließlich der
Großherzog selbst sich veranlaßt fand, ihn in sehr bestimm-
ter Weise zur Entfernung der Cigarre aufzufordern. Dies
gab das Signal zur sofortigen Verhaftung des passionirten
Rauchers und der Bürgermeister von- Hagenow glaubte nun,
zum Schutze seiner Bürger gegen den in den landesherrlichen
MlUIrtml.
Aer Armenarzt.
Roman aus dem Leben einer großen Stadt
von I. Steinmann.
Fünftes Kapitel.
Das Medaillonportrait.
(Fortsetzung.)
„Mir eine Flasche Selterwasser," befahl Alexander.
Ernst lachte spöttisch.
Der Dritte der Herren kehrte den beiden Streitenden
den Rücken zu; ihm gefiel diese Art der Conversation nicht.
Dieses gegenseitige Vorwerfen von körperlichen Fehlern und
allen möglichen Untugenden war ihm schon lange zuwider,
und doch bildete dieser Stoff das Lieblingsthema seiner
beiden — wie sie selber meinten — geistreichen Gefährten.
Alfons sah das fröhliche Gewoge an, aber seine Augen
glitten theilnahmslos über die Schaar der Tanzenden. Ihm
kam Alles, was sich vor seinen Augen zutrug, so unendlich
fade, so grenzenlos abgeschmackt vor wie nur möglich. Es
fand auch nicht die geringste Beziehung statt zwischen ihm
und der fröhlichen Welt da vorn.
Und doch blickte so manches Auge nach ihm.
Alfons war ein schöner junger Mann. Die Gestalt,
leicht und elastisch, zeigte jenes herrliche Ebenmaß, wie wir es
bei den Spaniern, mehr noch bei Creolen finden. Die Füße und
Hände sind klein, aristokratisch, das Handgelenk fein. An-
muthige Kraft gab sich in jeder Bewegung kund, die ganze
Haltung mußte unwillkürlich Interesse erwecken.
Das Gesicht, dessen oberer Theil von einem breitran-
digen Hut aus schwarzem Seidenfilz beschattet wurde, bot
die Forin eines klassischen Ovales. Ein kleiner schwarzer
Schnurbart bedeckte die Oberlippe des wohlproportionirten
Mundes. Die dichten Augenbraunen berührten sich fast
und überschatteten ein dunkles Augenpaar von prächtigem
Glanze. Leider deckten die stark bewimperten Lider die Augen
meistens und nur wenn irgend ein höheres Interesse Alfons
bewegte, entschleierten sich die Augen zu wunderbar blickenden
Sternen.
Seine Tracht war elegant und gewählt. Er trug
einen knapp anliegenden Gehrock aus feinem schwarzen Tuch,
enge Beinkleider von ebenfalls schwarzer Farbe und kleine
Lackstiefel. Dazu kam ein Havelock von schwarzem Tuch,
dessen Kragen mit blauem Sammet gefüttert war und dessen
einen Zipfel er leicht über die rechte Schulter geworfen hatte.
Jeder Andere würde in dieser Tracht ausgesehen haben
wie ein «fahrender Künstler", aber hier ließ das ganze
Wesen, die Tournüre sofort einen Angehörigen der höheren
Stände, einen vollendeten Gentleman erkennen.
Alfons wurde bald aus seinem gedankenlosen Zuschauen
aufgestört.
Unmittelbar vor ihm entspann sich ein merkwürdiges
Gespräch. Ein junger Mann machte einem andern jüngeren
Manne begreiflich, daß er absolut tanzen müsse und zwar
mit seinen Cousinen, die geradeaus, am zweiten Pfeiler saßen.
„Daß Sie die Damen nicht kennen, macht Nichts, sa-
gen Sie nur, der Cousin Christian hätte Sie geschickt!"
schloß der Werber seine eindringliche Rede.
Alfons mußte lächeln.
Unwillkürlich folgten seine Blicke dem so eben vom
Cousin Christian Gepreßten, während dieser sich zu seinen
Collegen begab, um Musik zu machen.
Er entdeckte, wie dies nicht anders sein konnte, sehr
bald die Familie Behrens, die einträchtig bei einander zu
sitzen schien, denn auf diese Entfernung mußte ihm entgehen,
daß Clara und Mathilde sich gegenseitig mit lächelndem
Munde Sotlisen sagten. Clara hatte nämlich einen Tanz
weniger als Mathilde und das ist hinreichender Grund zum
Zanten.
Unwillkürlich blieben seine Blicke auf Eva haften,
l (Fortsetzung folgt.)