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Badische Hopsenzeitung.
Allgemeiner Anzeiger für die badische und bayerische Rheinpfalz.
Ho. 131. Donnerstag, 5. November 1871. VIII. Jahrgang.
Inserate von Auswärts nehmen für uns auch entgegen die Annoncen-Bureaux von Saascnstcin L Sogker, Rudolf Masse und H. L. Sauöe L Ho., Süddeutsche Aunonceu-Hrpedktiou
von tz. Stöckhardt in Franksurt, Stuttgart, Berlin, Lipzig, München, Wien, Zürich, Basel und Straßburg, sowie das KSger'sche Central-Bureaux für Inserate in Frankfurt a./M.
Die Schund« und Schandprefse unserer
Tage.
In diesem Jahrhundert der „Humanität" ist es selbst-
verständlich, daß sich allerorten Vereine für Hebung des
Volkswotstes bilden; die einen fassen die materielle Wohl-
fahrt, die anderen den Volksgeist, die dritten Beides -in's
Auge. Man hat zur Erreichung dieses erhabenen Zieles
die verschiedensten Wege eingeschlagen; die Beleuchtung der-
selben und deren größerer und geringerer Erfolge soll in-
dessen heute nicht unsere Aufgabe sein. Dagegen wollen
wir auf eines der verbreitetsten und gefährlichsten Gifte
aufme ksam machen, das in seinen Fo gen für das Wohl
des Volkes, für das Denken und Handeln jedes Einzelnen
von der weitgreifendsten Bedeutung ist: wir meinen die
üppig wuchernde Schand- und Schuno-Ro-
man-Literatur unserer Tage.
Kaum ein Erzeugniß der modernen Presse dringt so
lief, so maßgebend in alle Schichten des Volkes ein, wie die
Zeitung und der Roman, erstere zumeist auf den Verstand,
die politische Denk- und Handlungsweise, letzterer auf Phan-
tasie und Gemüth, auf die Moralität der Leser wirkend,
und zwar da am gewaltigsten, wo das Gemüth am empfäng-
lichsten, das Urtheil am befangensten ist. Der Mann auf
der Sonnenhöhe des Glücks interessirt sich ebenso gut wie
der Arbeiter in der Tiefe der Gesellschaft für die Erlebnisse
und das endliche Schicksal eines interessanten Romanhelden;
die Dame vom Stande vergießt in ihrem reizvollen Bou-
ioir ebenso heiße Thräuen über das traurige Loos einer
unglücklich Liebenden, wie die armselige Höckerfrau an ihrem
Gcmüsekram; die Jugend zumal ist eifrig bemüht, in der
Romanlektüre die schlummernde Phantasie zu reizen, bis da-
hin verborgene Triebe zu wecken, sich ein Leben zu erträu-
men, das mit der Wirklichkeit in so rauhem Komraste steht.
ES ist natürlich, daß diesem ungeheuren Konsum die
Produktion entgegen zu kommen strebt, welche > aber leider
des Absatzes wegen nur zu oft dem roben Keschmacke der
Menge sröbnt und dadurchziim Entsetzen aller wahren Freunde
deS Volkes die außerordeml chsten Erfolge erzielt W:r rich-
ten unsere Worte haup säch ich gegen tue V rfass r und V r-
leger jener „blunger" Rnter». Räuber-, Ehebrecher- u s. w.
Romane, die im Wege des Ko Poe ag-Handels angepriesen
und in außerordentlich großen Maßen in die breiten Lchich-
ten des Volke» mit vergiftender Wirkung eingeführt werden,
ohne daß von irgend einer Leite eine Warnung kommt und
ohne daß die Behörde in der Weise eiuschreiten könnte, wie
sie die ultramontane Broschüren- und Flimschriften-Literatur
überwacht. Wie oft kommen uns Kolportagerettel in die
Hände, auf welchem sich allerhand schauerliche oder „pikante"
Geschichten angekündigt finden, angepriesen nicht nur durch
„lecker" gemachte Angabe des Inhalts und durch Hinweis
auf „schöne Bilder" (grellbunte Fratzen), sondern auch durch
in Aussicht gestellte „Prämien" gegen „geringe Nachzah-
lung". Oft ist es jedoch die Anziehungskraft dieser B lder-
prämien wie des ganzen „mit Spannung erwarteten" Wer-
kes noch nicht groß genug; deßhalb hat man, um das mit
Spannung erwartende Publikum noch mehr zu reizen, zu
andern Gewaltmitteln gegnffen. So ist z. B. den Abon-
nenten eines „ohnehin schon durch seinen außerordentlich
interessanten Inhalt alle Erwartungen der Leser. bedeutend
übertreffenden" Werkes, dessen Lektüre „jeder derselben in
größter Zufriedenheit und innerer Beseelung (!)" beenden
wird, außer den gewöhnlichen „prachtvollen" Bilderprämien
noch als Extraprämie „ein prachtvoller, hocheleganter Wand-
spiegel in barockem Nußbaumradmen, wohlverpackt, gegen
die geringe Nachzahlung von 1 Thlr." in Aussicht gestellt.
Auch das hat man noch zu Überbielen gesucht; ci»e Ber-
liner Verlagshanoung z. B. gewährte den Abonnenten
eines ihrer „zeitgemäßen" Romane die Möglichsten, stch auf
besonder» Wunsch gegen die geringe Nachzahlung von an-
fänglich 20 Sgr., später 1 Thlr. , in den Besitz zweier
Goldschmuckgegenstände zu setzen, nämlich „einer großen
brillanten, blendend schönen Damenbroche in echtem Golde"
und „eines Paares feiner, sehr geschmackvoller Ohrringe
in echtem Golde, zur Brache passend". Der Abonnenten
suchende Scharfsinn ging noch weiter; man versprach als
Extraprä.nien „prachtvolle Beigabe» noch nie dagewesener
Art", und zwar entweder zu dem hinsichtlich der Billigkeit
„allerdings an das Unglaubliche grenzenden und nur durch
große Opfer möglich gemachten Preise" von zusammen nur
3 Thlr. 12 Sgr. zwei Goldgarniiuren, die „in jedem soli-
den Juwelengeschäft mit ungefähr 10 Thlr. verkauft wer-
den", oder es erhalten die Abonnenten „eine prabwolle.
sauber gearbeitete Uhrkette von ganz vorzüglicher Komposi-
tion in starker, echter Vergoldung in drei verschiedener Mu-
stern."
Sollte man glauben, daß den Abonnenten noch mehr
geboten werden könnte? Das ist in der That der Fall. Eine
Firma hat d'es in der „beispiellos g'.oßailigsten" Weise mög-
lich gemacht, ind m sie jedem Abonnenten die Anwartschaft
auf k'iie Prämien» rchettnng „ganz gratis" znsiherle, bei
der außer den kleinen Piämien, die kleinste von mindestens
1 Talr. Werth, nicht weniger als 5000 Haupipräniien „unter
amtlicher und notarieller Kontrole durch acht Prnsrichter"
zur Vertheilung kommen soll e». An der Sp'tze dieser Haupt-
Prämien standen : „ein engl scher Sportwagen mit vier ele-
ganten Pferden, komp et mit Geschirr und Peiische (4500
Thlr.)", ferner: „eine Equipage mit zwei eleganten braunen
Pferden (3500 Thlr )", Mödelausstattvngen, Pianos, Pen-
dulen u. s. w. Und welch ein Schwindel wird mit den
Versprechungen getrieben! So lesen wir kürzlich, daß eine
Berliner Buchhandlung solch schauerlichen Roman in Heften
L 4 Sgr. — das Heft enthält 23 Blätter b'drucftes Lösch-
papier — vertreibt, der in „ca 20 Heft »" (ca. klein ge-
druckt) beendet sein soll, wo dann den Subskribenten zwei
„Märkische" Oeldrucklandschaften, „die nur durch den Banke-
rott eines amerikanischen Hauses so billig erwarben werden
konnten", gegen 15 Sgr. Nachzahlung ausgehändigt werden.
Nach dem Erscheinen des 20. Hefies verlangten nun die
Abonnenten die Prämien, aber da hieß es: der Roman ist
erst mit dem 28. Hefte zu Ende, wonach es Bilder gibt.
Die Abonnenten haben wenigstens gelernt, daß 28 nur „ca.
20", nicht cä. 30 ist.
Manchem wird es unbegreifli h sein, wie die Schwindel
erregenden Angebote von Ex raprämien gemacht werden köni»n
bei Werken zu dem Preise von ein paar Thalern; Jeder-
mann wird aber einsehen, daß an diesen Mmhweiken. deren
V rtrieb so hohe Klaftanstrengungen erfordert, nichts Gnies
sein kann. I» der Thal gehöre» dergleichen Kotporwg ar-
tikel zu dein gröbsten, gem iasten LueruiurauSschnss'. vor
dem nicht genug gewarnt w.rden kann. Sie erhitzen die
Phantasie, vergiften längs nn. aber st her den gesunden Sinn
de» Volkes und führen W ll.» und Handlangen aus Abwege,
van deren „Ende mit Schrecken" iranrige Beispiele genug
vorliegen. Da» Gesetz finaft in den seltensten Fälle» e ne
Handhabe, diesem Unwesen zu steuern; daher erscheint es
als eine um so dringendere und ernstere Pflicht der V reine
und Zeitungen, welche auf das Wahl des Volkes bedacht
sind, das Gebaren der Verleger so cher Schandlttera ur zu
enthüllen und mit allen Mitteln der letzleren den Zugang
zu dem Herzen de» Vo kes zu wehren.
Deutsches Reich.
Berlin, 31. Otk. (Deutscher Reichstag)
Bei Beginn der Sitzung ergibt der zuerst vorgenomme Na-
mensauirnf die Anw senden von 205 M "gliedern, der Reichs-
tag ist somit beschlußfähig und es wind in die Tages-
ordnung (Präsiaenienwahi) eingeireten. Bei der Wahl
des ersten Präsidenten wurden 207 Snmmzettel abgegeben,
davon erhält Abg v. Forckendeck 203 Stimmen, Abg,
Or Simson 1 3 Zettel sind unberschrieben. Abg. v.
Forckendeck ist somit zum ersten Präsidenten
des Ha » ses auf die Dauer der Session wiedergewählk
und nimmt diese Wahl, dankend für das ihm wiederholt
ausgesprochene Vertrauen, an Er verspricht alle seine Kräfte
auszuvieten, um durch eine gerechte und unparierische Hand-
habung der Geschäftsordnung seinen Dank lebendig zu be-
thätigeii.
Bei der Wahl des ersten Vizepräsidenten werden 210
Stimmen abgegeben. Davon erhallen Abg. Frhr. von
Feuilleton.
Pie Waöen.
(Fortsetzung.)
„Sie hatten in der Voruntersuchung eine ziemlich schwere
Verantwortung auf sich geladen, welche wir indeß entschuldigen
wollen. Sie haben dem Untersuchungsrichter erklärt, daß
Sie am 28. November Morgens bei Jakob Boucard waren
und daß Sic von sechs bis acht Uhr bei ihm blieben."
„Ja, Herr."
Es entstand ein Stillschweigen von einigen Minuten;
alle Herzen pochten, es schien, als würde die Antwort Su-
sannens einen Kopf retten oder fallen machen. Der Präsi-
dent fuhr fort: .
„Der Angeklagte, bei dem ungeachtet des wilden Ver-
brechens noch nicht alles Gefühl für Ehre erstickt zu sein
scheint, hat von Ihrer Erklärung keinen Nutzen ziehen wollen;
er hat das erste Mal geleugnet, heute wiederholt er, daß er
allein war. Sie stehen jetzt vor den Geschworenen. Be-
denken Sie, daß Sie Ihre Aussage beeiden müssen, halten
Sie sich also streng an der Wahrheit. Sie haben Zeit ge-
habt, nachzudenjen, erwägen Sie die Folgen Ihrer Worte.
Beharren Sie dabei, am 28. November Morgens zwischen
sechs und ach! Uhr bei Jakob Boncard gewesen zu sein?"
„Nein, Herr Präsident," antwortete Susanne mit leiser
Stimme.
Eine allgemeine Bewegung der Ueberraschung entstand.
Man hatte etwas Anderes erwartet. Herr von Esterac schleuderte
Susannen einen vorwurfsvollen Blick zu, welchem sie anszu-
weichen schien.
Es war nur der Form wegen, daß der Präsident den
Angeklagten zum letzten Male fragte:
„Sie leugnen also Alles? Es ist daher unnütz, Sie zu
fragen, wo Sie das Geld hingethan haben."
Jakob antwortete nicht.
„Gut," sagte der Präsident. „Der Herr Staatsanwalt
hat das Wort."
13.
Herr Favernay erhob sich, warf einen Blick auf seine
Notizen, schien eine Bewegung unterdrücken zu wollen, die
er nicht hatte, fuhr sich mit der Hand durch die Haare, zupfte
an seinen Manschetten und begann also:
„Meine Herren Geschworenen. Wenn ein Gefühl von
Eigenliebe in diese hohe Versammlung eindringen könnte,
wenn es unS nicht darum zu thun wäre, die Wahrheit und
Gerechtigkeit triumphiren zu lassen, so würde ich es fast be-
dauern, daß Susanne Servaz, endlich der Stimme ihres
Gewissens gehorchend, ihre Lüge zurückgenommen hat. Sie
raubt mir das einzige Verdienst, auf welches zu rechnen mir
in diesem denkwürdigen Prozeß erlaubt war, nämlich ein Zeug-
niß auf sein Nichts zurückzuführen, welches der Augenschein
widerlegte, aber für welches die Schönheit, die Hingebung,
der fleckenlose Ruf dieses jungen Mädchens etwas bestechend
waren. Nein, Susanne Servaz war nicht bei Jakob Boucard
am 28. November 1825 um sieben Uhr Morgens, und zwar
aus gutem Grunde: an diesem Tage und um diese Stunde
war Jakob Boucard nicht zu Hause.
..Wo war er, meine Herren?"
„Ihre innerste Ueberzeugnng hat schon geantwortet:
er war auf dem Acker Simon Vernou's, hinter einem Baum
verborgen, den Augenblick erwartend, um jenen seiner Eifer-
sucht zu opfern. Sie sehen hier die tragische Scene. Es
ist kaum Tag. Simon, ein unermüdlicher Arbeiter, gebeugt
auf den Spaten und mit seinen fleißigen Händen die Erde
cultivirend, hört nicht seinen Feind, welcher mit Wolfsschritten
ankommt. Er wird überrascht, ein Kampf entsteht. daS Opfer,
welches darauf nicht vorbereitet war, kann sich nicht vertheidigen.