Deutsches Reich.
Schwetzingen, 6. Dez. Eine so tumultuarische
Sitzung, wie die am 4. d. hat der Reichstag noch nicht er-
lebt. Auf, der Tagesordnung.stand der Entwurf der Etats-
beralhungi Von Seiten des Zentrums war vorher offenbar
ganz genau berechnet, auf welche Weise bei dieser Gelegen-
heil die Reichsregiernng am wirksamsten angegriffen werden
könne: So benützte denn »er Abg. Jörg das harmlose Ka-
pitel der Ausgaben für den Bundesrath, um mit spezieller
Beziehung, auf den verfassungsmäßigen Ausschuß für aus-
wärtiges Angelegenheiten die gesammtc auswärtige Politik
des Reichskanzlers auf's maßloseste anzufeinden. Die Rede
war in jedem Punkte sorgfältig vorbedacht, voll Gift und
Hohn gegen den Reichskanzler, mit raffinirter Absichtlichkeit
darauf ^angelegt, il-n zum Aeußersten zu reizen. Herr Jörg
sah, den Fürsten Bismarck überall sich einmischen, besonders
in Frankreich und in Spanien. Kurz, sein weitschweifiger
Uetferblick über die Politik des deutschen Reichs lief auf die
Tegdenzi hinaus, nachzuweisen, daß diese Politik in erster
Linie .gegen' das Papstihum gerichtet sei und den europäischen
Frieden auf's Schlimmste bedrohe. Nach Herrn Jörg's Auf-
fassung würde nun der Ausschuß des diplomatischen Bun-
destag die Pflicht haben, gegen eine solche Politik einzu-
schrenen. Aper vergeblich sucht man nach den Spuren sei-
ner"Thätigkeit. Der Abgeordnete beklagte sich über den
alles 'beherrschenden unumschräuk en Einfluß des Reichskanz-
lers, sind'er verschmähte es nicht, bei dieser Gelegenheit die
Bemerkung einfliißen zu lassen, daß gerade zur Zeit der
Anerkennung Spaniens auch sonst vernünftige Männer durch
die 'Ausbeulung des Kissiuger Attentats geradezu rasend ge-
macht worden seien. Diese gewaltsame Heremziehung der
Kullinonn'schen That gab das Signal zur heftigen Bewe-
gung Fürst Bismarck selbst erhob sich sofort zur Replik.
Er vertheidigte sich gegen den Vorwurf händelsüchtiger Ein-
mischung, die in der That geschehene Jn.erveniion in Frank-
reich und Spanien üiit den bekannten Hirtenbriefen der
französischen Bischöfe und der Erschießung des Hauptmavns
Schmidt rechtfertigend. Zugleich theilte er mit, daß der
diplomatische Ausschuß des Bundesralhs nicht nur auf dem
Papiere stehe, sondern vollkommen lebendig sei. Alsdann
kam er auf das Kissinger Attentat zu sprechen und hob die
bekannte Thatsache hervor , daß Küllmann ihm selbst gegen-
über erklärt habe, seinen mörderischen Plan im Interesse der
Zentrumspartei gefaßt zu haben. Ungeheurer Lärm folgte
auf den Bänken des Zentrums bei diesen Worten; der Ruf
„pfui" forderte das Einschreiten des Präsidenten von For-
ckenbeck und noch eine energische Zurückweisung des Reichs-
kanzlers heraus. Nunmehr erhob sich der Abgeordnete Windt-
borst, um der Entrüstung seiner Partei über die von der
officiösen Presse ihr zugeschobene Verantwortlichkeit für die
Kullmann'sche That in oiftgetränkten Worten Luft zu machen.
Die Aufregung des Hauses war auf's Höchste gestiegen. Es
ist das Verdienst des Abgeordneten Laster, in diesem Augen-
blicke den empörten Gefühlen desselben vollen Ausdruck ge-
geben zu haben. Er wies nach. daß die Jörg'sche Rede
eine berechnete Provocation gewesen sei und constatirte vor
der Oeffentlichkeit, wie die Zentrumspartei bald mit Hohn
und Ironie, bald mit direkten und indirekten Anspielungen
absichilich darauf ausgehe, die deutsche Regierung zu be-
schuldigen , daß sie gegen das friedfertige Frankreich den
Krieg plane. Diese Verdächtigung, die nicht bloß als Jn-
trignen an den Höfen, sondern jetzt in öffentlicher Versamm-
lung vor ganz Europa auftrete, dieses Hetzen von Deutschen
gegen Deutschland brandmarkte der Redner als unwürdig
eines deutschen Volksvertreters und als ein Verbrechen gegen
das Vaterland. Allerdings mußte der Präsident von For-
ckenbeck der Form nach hierauf den Ordnungsruf ergehen
lassen, aber bei jedem jener harten Worte halten mehr als
Zwewrittel des Reichstags durch lautesten Zuruf ihre voll-
ständige Zustimmung zu erkennen gegeben. Hr. Windihorst
machie sofort den Versuch, seine Partei Von der erdrücken-
Wucht dieser Kundgebung zu befreien. Dem Abg Lasker
imputirte er die Absicht, jede Kritik der auswärtigen Politik
.Verbieten zu wollen und erging sich dann in einer Verhöh-
nung des embryonischen Zustandes, in welchem sich bei sol-
chen Anschauungen der deutsche Parlamentarismus befinde.
^ Dieses ächt jesuitische Fechierstücklein wurde jedoch von Las-
ker in seiner wahren Natur gekennzeichnet. Den Fürsten
Bismarck suchte Windthorst durch eine Anspielung auf die
Affaire Arnim und durch allerlei Glossen zum Kullmann'-
schen Attentat aufs Neue zu echauffiren, jedoch vergebens.
Statt dessen ergriff der Abg. Beseler das Wort, um aus-
drücklich'der Entrüstung des deutschen Volkes über das Kis-
finger Attentat, welches allerdings als eine Frucht, der ul-
tramontanen Hetzereien zu betrachten sei, energischen Aus-
druck zu leihen. Mit einigen heftigen persönlichen Bemer-
kungen schloß die Debatte. Die ultramontanc Partei hatte
aus einem versteckten Winkel des Etats heraus einen schlau
berechneten Angriff auf den Reichskanzler machen wollen,
und der Angriff hat damit geendet, daß sie vor dem ge-
sammten deutschen Volke moralisch vernichtet ist.
Berlin, 4. Dez. Die Morgenzeitungen bestätigen die
Zur-Disposition-Stellung des Oberpräsidenten von Schlesien,
Nordenflycht, wegen seines Verhaltens bei Ausführung der
Kirchengesetze.
Der Reichstag dürfte eventuell zur Erledigung des
Bonkgesetzes vom 5. bis 15. Jan. 1875 noch einmal ein-
berufen werden.
Berlin, 4. Dez. Gutem Vernehmen nach ist die
Nachricht eines hiesigen Börsenblattes, der Termin für den
! Prozeß Arnim sei verschoben, unbegründet. Allerdings hat
der Vertheidiger Arnims bei dem Stadtgericht den Antrag
auf Vertagung gestellt, das Stadtgericht hat denselben aber
abgelehnt.
Berlin, 4. Dez. Gutem Vernehmen nach ist die
Nachricht eines hiesigen Börsenblattes, der Termin für den
Prozeß Arnim iei verschoben worden, unbegründet. Aller-
dings hat der Vertheidiger Arnims bei dem Stadtgericht einen
Antrag auf Vertagung gestellt, das Stadtgericht aber ab-
lehnend geantwortet.
Berlin, 5. Dez. Reichstag. Ein neuer Antrag der
bayerischen Regierung auf Verfolgung der „süddeutschen
Presse" wegen Beleidigung des Reichstags wird der Ge-
schäftsordnungs-Kommission ü verwiesen. Darauf wird bei
fortgesetzter Berathung des Reichshaushalts der Etat des
Reichst,senbahnamts genehmigt; nachdem der Präsident des-
selben für die Zukunft die Ernennung von Reichseisenbahn-
kommissären zugefagt und eine Untersuchung auf Abstellung
der gerügten Uebelstände verheißen hat.
Berlin, 5. Dez. Reichstag. Bei dem Etat des
Auswärtigen Amts bemängelt Windthorst die Aufhebung des
Gesandlschaftspostens beim päpstlichen Stuhl. Bismarck er-
widert: Er habe bei Durchlesung der letzteren Reichstags-
verhandlungen über diesen Gegenstand gefunden, daß er da-
mals versöhnliche Stimmung ausgedrückt, die er jetzt auf-
geben müsse, wenn er sich nicht der ihm schon insinuirten
Mißdeutung aussetzen wolle, daß die Reichsregierung unter
allerlei Bedingungen in Rom Frieden nachgesucht habe. —
Die Reichsregierung sei weit entfernt, den Papst als das
Oberhaupt der kath. Kirche nicht anzuerkennen. Das aber
bedinge noch nicht die Absendung eines Gesandten an den
Vatikan. Wenn die Nothwendigkeit von diplomatischen Be-
ziehungen zur Kurie -eintreten sollte, habe die Reichsregierung
hierzu einen Diplomaten in Rom. Jetzt liege dazu kein
Anlaß vor, weil die vor anderthalb Jahren gehegten Hoff-
nungen unerfüllt geblieben seien.
München, 4. Dez. Das „Bayerische Vaterland"
meldet: Dr. Sigl hat heute von dem ihm zustehenden Rechte
der Einsprache gegen das Contumacialurtheil vom 30. Nov.
Gebrauch gemacht und kommt der Fall demnächst nochmals
zur Aburtheilung vor das Schwurgericht.
Ausland
Paris, 4. Dez. Die Morgenblätter besprechen die
Botschaft des Präsidenten. Die republikanischen Zeitungen
betrachten dieselbe als gegen die Legitimisten gerichtet und
zollen der Erklärung des Marschalls, er werde keiner Partei
dienen, Beifall. Die Konservativen beziehen die mißbilligen,
den Aeußerungen des Marschalls auf die radikale Partei.
Von der Bevölkerung wird die Botschaft gut ausgenommen,
besonders machte der warme patriotische Ton und die Be-
rufung an die Gemäßigten aller Parteien einen günstigen
Eindruck.
Versailles, 3. Dez. (Nationalversammlung.) Die
Botschaft wurde besonders von dem rechten und von dem
linken Zentrum applaudirt. Die Versammlung begann nach
Verlesung der Botschaft die Berathung des vom Deputaten
Jaubert eingebrachten Gesetzentwurfs, betreffend die Frei-
gebung des höheren Unterrichts. — Von den in den Bu-
reau; nunmehr erwählten Präsidenten gehören 9 den Frak-
tionen der Rechten, 6 der Linken an. Die Botschaft hat in
dem Publikum einen lebhaften, aber beruhigenden Eindruck
gemacht.
Versailles, 4. Dez. Die Nationalversammlung setzt
heute die Berathung über den Gesetzenlwurf betr. die Frei-
gebuug des höheren Unterrichts fort. Der Finanzminister
wird im Januar einen Gesetzentwurf wegen Abänderung der
bestehenden Steuern einbringen.
Versailles, 5. Dez. Die Nationalversammlung setzte
heute die Berathung des Gesetzentwurfes betreffend die Frei-
gebung des höheren Unterrichts fort und beschloß nach einem
lebhaften Zwischenfall zwischen dem Erzbischof Dupanloup
und dem Deputirten Challemel-Locour mit 553 gegen 133
Stimmen in die Berathung einzutreten.
Madrid, 3. Dez. Offiziell wird mitgetheilt, daß 3
Kompagnien eines in Badajoz garnisonirenden Bataillons,
welche mit der Eisenbahn nach dem No:den abgehen sollten,
dies anfänglich verweigerten, indeß doch dazu vermocht
wurden. — Der Karlistenchef Lozano wurde erschossen.
Bayonne, 3. Dez. General Loma hat sich mit
10,000 Mann nach einem Hafen der Provinz Guipuzcoa
eingefchifft, wo ein Armeecorps die Grenze zwischen Jrun
und Vera besetzt hält. —Die karlistische Nachricht, wonach
die Regiernngtruppen bei Despujots eine Niederlage erlitten
hätten, ist unbegründet.
Rom, 4. Dez Senatspräsident Ambrois de Nevache
ist in letzter Nacht plötzlich gestorben. Zur Bekundung der
Trauer Hallen die Kammern heute keine Sitzung.
St. Petersburg, 3. Dez. Nach Meldung des
„Regierungsanzeigers" ist Kaiser Alexander mit der Gemah-
lin des Großfürsten Thronfolgers gestern Vormittag aus
Livadia in Zarskoje-Selo eingetroffen. Der Großfürst-Thron-
I folger ist gleichfalls gestern zurückgekehrt und hat sich als-
. bald nach Zarskoje-Selo begeben.
Belgrad, 5. Dez. Der Fürst hat den früheren
Minister des Innern Zumilsch mit der Bildung eines neuen
Kabinets beauftragt. Zumitsch gehört der liberalen Partei
an und ist für eine besonnene auswärtige Politik.
! Belgrad, 5. Dez. Das Ministerium hat seine De-
I Mission gegeben, da es bei der Diskussion der Adresse an
den Fürsten in der Ecuplschina nur eine Majorität von
3 Stimmen erhalten hatte. Der Fürst ist mit der Bildung
eines neuen Ministeriums beschäftigt.
' Bahia, 2. Dez. Telegraphischer Meldung zufolge
unterwarf sich der Jnsurgentengeneral Mitre der Regierung
von Buenos Ayres. Mitres, seine Offiziere und Soldaten
legten die Waffen nieder und wurden amncstirt, die übrigen
Insurgenten sind in die von Mi,re mit der Regierung ge-
troffenen Vereinbarung nicht eingeschlossen. Auch in Uruguay
soll ein Aufstand ausgebrochen sein.
Buenos-Ahres, 4. Dezbr. Nach authentischer
Mittheilung zufolge ergab sich Mitre auf Diskretion an die
Regicrungstruppcn, nachdem er geschlagen und auf der Flucht
eingeholt war. Die Provinz Buenos-Ayres ist ruhig. Die
Regierungstruppen verfolgen Arredondo, dessen Avantgarde
gleichfalls geschlagen wurde.
uns du, ch geehrte Personen emhfohlen worden, edle Herzen
nehmen an Ihrem Unglück Theil und Ihre gute Führung,
welche sich keinen Augenblick, seitdem Sie hier sind, verleugnet
hat, bestimmt uns, für Sie zu sprechen."
„Ja, Madame," fuhr er fort, während seine Blicke
von Susanne zu deren Beschützerin gingen, „es ist nicht ge-
tagt, daß Ihre Reise nach Toulon vollständig für Jakob
Boucard verloren ist. Hier ist ein Gnadengesuch. Die
Gründe sind zahlreich, um auf dieses schuldige Haupt Barm-
herzigkeit und Verzeihung herabzurafen. Diese Petition ist
Von Allen unterzeichnet, welche hier irgend eine Autorität
st, d und mit Ihrem Schützling in Beziehung stehen. Wollen
Sie, Madame, daß ich das Gesuch auf dem gewöhnlichen
Wege abschicke oder würde es Ihnen in Ihrer unermüdlichen
Güte gefallen, cs selbst zu besorgen? Hier ist es."
Und er überreichte Frau von Ribisre die Petition; sie
begann zu lesen und freute sich über die warme Verwendung,
welche sie darin fand, als Susanne sich plötzlich auf das
Papier stürzte, es ihren Händen entließ und eS in Stücke
zerriß, indem sie mit einer Mischung von Zorn und Schmerz
ausrief: ! ^
„Nein, Nein! Ich will nicht! Ich will nicht!"
Alle Anwesenden waren bestürzt von diesem neuen
Beweis einer Geistesstörung, für die es keine Heilung gab'
Der Abbv erhob seine Augen gen Himmel, der Kommissar
konnte ein Zeichen von Ungeduld nicht zurückhalteu. Aber
er. faßte sich alsbald und sagte zu dem Galeerensträfling:
„Das verspätet die Sache."
„Sie hat wieder Recht!" antwortete Jakob mit einem
gewissen Stolz und Susanne mit einem langen und tiefen
Blick messend. „Ich sollte nicht durch die Gnade diesen Ort
verlassen."
Man führte ihn ab. Einige Augenblicke später verab-
schiedete sich Frau von Ribiore, betroffen und entmuthigt
von Denen, deren Gedanke dem ihrigen so gut entsprochen
hatte; sie waren ebenfalls entmuthigt durch dieses doppelte
Räthsel. zu dem allein eine Irrsinnige und ein Sträfling
den Schlüssel hatten.
(Fortsetzung folgt.)
Verschiedenes.
(Praktisch.) Lehrer: Sage mir Fritz, welchen Nutzen
bietet uns die Naturgeschichte? Fritz: Zwanzig Kreuzer. —
Lehrer: Wie so, mein Lieber? — Fritz: Der Herr Lehrer
kauft sie um 20 Kreuzer und verkauft sie uns um 40
Kreuzer.
(Rath einer Mutter an ihren Sohn.) Höre mich an,
lieber Sohn, ich bin älter als Du, denn sonst könnte ich
nicht Deine Mutter sein. Hüte Dich, eine junge Dame zu
heirathen, bevor es Dir gelungen ist, wenigstens 4 oder 5 Mal
noch vor dem Frühstück Dich in das Haus einzuschleichen,
in welchem sie wohnt. Du mußt wohl Acht geben, ob ihr
Teint des Morgens derselbe ist, wie des Abends, oder ob
Wasser und Handtuch ihr die Rosenblüthe von den Wangen
gerieben haben. Du mußt Dich bemühen, sie zu überraschen,
damit Du sie in ihrem Negligä siehst und erfährst, wie ihr
Haar aussieht, wenn sie D,ch nicht erwartet. Du mußt das
Morgengespräch zwischen ihr und ihrer Mutter hören. Wenn
sie unfreundlich und schnippisch gegen ihre Mutter ist, so wird
l sie es auch gegen Dich sein, darauf verlaß Dich. Wenn Du
sie aber des Morgens wach findest und schon sauber gekleidet,
mit demselben Gesicht, demselben Lächeln, demselben netigc-
kämmten Haar, denseben bereitwilligen und freundlichen Ant-
Worten gegen ihre Mutter, wodurch sie sich am Abend aus-
zeichnete. und besonders, wenn sie mit behülflich ist, das
Frühstück zur rechten Zeit fertig zu bringen, dann ist sie ein
Juwel, mein lieber Sohn, und je eher Du sie zu gewinnen
suchst, desto besser wird es für Dich sein.
Schwetzingen, 6. Dez. Eine so tumultuarische
Sitzung, wie die am 4. d. hat der Reichstag noch nicht er-
lebt. Auf, der Tagesordnung.stand der Entwurf der Etats-
beralhungi Von Seiten des Zentrums war vorher offenbar
ganz genau berechnet, auf welche Weise bei dieser Gelegen-
heil die Reichsregiernng am wirksamsten angegriffen werden
könne: So benützte denn »er Abg. Jörg das harmlose Ka-
pitel der Ausgaben für den Bundesrath, um mit spezieller
Beziehung, auf den verfassungsmäßigen Ausschuß für aus-
wärtiges Angelegenheiten die gesammtc auswärtige Politik
des Reichskanzlers auf's maßloseste anzufeinden. Die Rede
war in jedem Punkte sorgfältig vorbedacht, voll Gift und
Hohn gegen den Reichskanzler, mit raffinirter Absichtlichkeit
darauf ^angelegt, il-n zum Aeußersten zu reizen. Herr Jörg
sah, den Fürsten Bismarck überall sich einmischen, besonders
in Frankreich und in Spanien. Kurz, sein weitschweifiger
Uetferblick über die Politik des deutschen Reichs lief auf die
Tegdenzi hinaus, nachzuweisen, daß diese Politik in erster
Linie .gegen' das Papstihum gerichtet sei und den europäischen
Frieden auf's Schlimmste bedrohe. Nach Herrn Jörg's Auf-
fassung würde nun der Ausschuß des diplomatischen Bun-
destag die Pflicht haben, gegen eine solche Politik einzu-
schrenen. Aper vergeblich sucht man nach den Spuren sei-
ner"Thätigkeit. Der Abgeordnete beklagte sich über den
alles 'beherrschenden unumschräuk en Einfluß des Reichskanz-
lers, sind'er verschmähte es nicht, bei dieser Gelegenheit die
Bemerkung einfliißen zu lassen, daß gerade zur Zeit der
Anerkennung Spaniens auch sonst vernünftige Männer durch
die 'Ausbeulung des Kissiuger Attentats geradezu rasend ge-
macht worden seien. Diese gewaltsame Heremziehung der
Kullinonn'schen That gab das Signal zur heftigen Bewe-
gung Fürst Bismarck selbst erhob sich sofort zur Replik.
Er vertheidigte sich gegen den Vorwurf händelsüchtiger Ein-
mischung, die in der That geschehene Jn.erveniion in Frank-
reich und Spanien üiit den bekannten Hirtenbriefen der
französischen Bischöfe und der Erschießung des Hauptmavns
Schmidt rechtfertigend. Zugleich theilte er mit, daß der
diplomatische Ausschuß des Bundesralhs nicht nur auf dem
Papiere stehe, sondern vollkommen lebendig sei. Alsdann
kam er auf das Kissinger Attentat zu sprechen und hob die
bekannte Thatsache hervor , daß Küllmann ihm selbst gegen-
über erklärt habe, seinen mörderischen Plan im Interesse der
Zentrumspartei gefaßt zu haben. Ungeheurer Lärm folgte
auf den Bänken des Zentrums bei diesen Worten; der Ruf
„pfui" forderte das Einschreiten des Präsidenten von For-
ckenbeck und noch eine energische Zurückweisung des Reichs-
kanzlers heraus. Nunmehr erhob sich der Abgeordnete Windt-
borst, um der Entrüstung seiner Partei über die von der
officiösen Presse ihr zugeschobene Verantwortlichkeit für die
Kullmann'sche That in oiftgetränkten Worten Luft zu machen.
Die Aufregung des Hauses war auf's Höchste gestiegen. Es
ist das Verdienst des Abgeordneten Laster, in diesem Augen-
blicke den empörten Gefühlen desselben vollen Ausdruck ge-
geben zu haben. Er wies nach. daß die Jörg'sche Rede
eine berechnete Provocation gewesen sei und constatirte vor
der Oeffentlichkeit, wie die Zentrumspartei bald mit Hohn
und Ironie, bald mit direkten und indirekten Anspielungen
absichilich darauf ausgehe, die deutsche Regierung zu be-
schuldigen , daß sie gegen das friedfertige Frankreich den
Krieg plane. Diese Verdächtigung, die nicht bloß als Jn-
trignen an den Höfen, sondern jetzt in öffentlicher Versamm-
lung vor ganz Europa auftrete, dieses Hetzen von Deutschen
gegen Deutschland brandmarkte der Redner als unwürdig
eines deutschen Volksvertreters und als ein Verbrechen gegen
das Vaterland. Allerdings mußte der Präsident von For-
ckenbeck der Form nach hierauf den Ordnungsruf ergehen
lassen, aber bei jedem jener harten Worte halten mehr als
Zwewrittel des Reichstags durch lautesten Zuruf ihre voll-
ständige Zustimmung zu erkennen gegeben. Hr. Windihorst
machie sofort den Versuch, seine Partei Von der erdrücken-
Wucht dieser Kundgebung zu befreien. Dem Abg Lasker
imputirte er die Absicht, jede Kritik der auswärtigen Politik
.Verbieten zu wollen und erging sich dann in einer Verhöh-
nung des embryonischen Zustandes, in welchem sich bei sol-
chen Anschauungen der deutsche Parlamentarismus befinde.
^ Dieses ächt jesuitische Fechierstücklein wurde jedoch von Las-
ker in seiner wahren Natur gekennzeichnet. Den Fürsten
Bismarck suchte Windthorst durch eine Anspielung auf die
Affaire Arnim und durch allerlei Glossen zum Kullmann'-
schen Attentat aufs Neue zu echauffiren, jedoch vergebens.
Statt dessen ergriff der Abg. Beseler das Wort, um aus-
drücklich'der Entrüstung des deutschen Volkes über das Kis-
finger Attentat, welches allerdings als eine Frucht, der ul-
tramontanen Hetzereien zu betrachten sei, energischen Aus-
druck zu leihen. Mit einigen heftigen persönlichen Bemer-
kungen schloß die Debatte. Die ultramontanc Partei hatte
aus einem versteckten Winkel des Etats heraus einen schlau
berechneten Angriff auf den Reichskanzler machen wollen,
und der Angriff hat damit geendet, daß sie vor dem ge-
sammten deutschen Volke moralisch vernichtet ist.
Berlin, 4. Dez. Die Morgenzeitungen bestätigen die
Zur-Disposition-Stellung des Oberpräsidenten von Schlesien,
Nordenflycht, wegen seines Verhaltens bei Ausführung der
Kirchengesetze.
Der Reichstag dürfte eventuell zur Erledigung des
Bonkgesetzes vom 5. bis 15. Jan. 1875 noch einmal ein-
berufen werden.
Berlin, 4. Dez. Gutem Vernehmen nach ist die
Nachricht eines hiesigen Börsenblattes, der Termin für den
! Prozeß Arnim sei verschoben, unbegründet. Allerdings hat
der Vertheidiger Arnims bei dem Stadtgericht den Antrag
auf Vertagung gestellt, das Stadtgericht hat denselben aber
abgelehnt.
Berlin, 4. Dez. Gutem Vernehmen nach ist die
Nachricht eines hiesigen Börsenblattes, der Termin für den
Prozeß Arnim iei verschoben worden, unbegründet. Aller-
dings hat der Vertheidiger Arnims bei dem Stadtgericht einen
Antrag auf Vertagung gestellt, das Stadtgericht aber ab-
lehnend geantwortet.
Berlin, 5. Dez. Reichstag. Ein neuer Antrag der
bayerischen Regierung auf Verfolgung der „süddeutschen
Presse" wegen Beleidigung des Reichstags wird der Ge-
schäftsordnungs-Kommission ü verwiesen. Darauf wird bei
fortgesetzter Berathung des Reichshaushalts der Etat des
Reichst,senbahnamts genehmigt; nachdem der Präsident des-
selben für die Zukunft die Ernennung von Reichseisenbahn-
kommissären zugefagt und eine Untersuchung auf Abstellung
der gerügten Uebelstände verheißen hat.
Berlin, 5. Dez. Reichstag. Bei dem Etat des
Auswärtigen Amts bemängelt Windthorst die Aufhebung des
Gesandlschaftspostens beim päpstlichen Stuhl. Bismarck er-
widert: Er habe bei Durchlesung der letzteren Reichstags-
verhandlungen über diesen Gegenstand gefunden, daß er da-
mals versöhnliche Stimmung ausgedrückt, die er jetzt auf-
geben müsse, wenn er sich nicht der ihm schon insinuirten
Mißdeutung aussetzen wolle, daß die Reichsregierung unter
allerlei Bedingungen in Rom Frieden nachgesucht habe. —
Die Reichsregierung sei weit entfernt, den Papst als das
Oberhaupt der kath. Kirche nicht anzuerkennen. Das aber
bedinge noch nicht die Absendung eines Gesandten an den
Vatikan. Wenn die Nothwendigkeit von diplomatischen Be-
ziehungen zur Kurie -eintreten sollte, habe die Reichsregierung
hierzu einen Diplomaten in Rom. Jetzt liege dazu kein
Anlaß vor, weil die vor anderthalb Jahren gehegten Hoff-
nungen unerfüllt geblieben seien.
München, 4. Dez. Das „Bayerische Vaterland"
meldet: Dr. Sigl hat heute von dem ihm zustehenden Rechte
der Einsprache gegen das Contumacialurtheil vom 30. Nov.
Gebrauch gemacht und kommt der Fall demnächst nochmals
zur Aburtheilung vor das Schwurgericht.
Ausland
Paris, 4. Dez. Die Morgenblätter besprechen die
Botschaft des Präsidenten. Die republikanischen Zeitungen
betrachten dieselbe als gegen die Legitimisten gerichtet und
zollen der Erklärung des Marschalls, er werde keiner Partei
dienen, Beifall. Die Konservativen beziehen die mißbilligen,
den Aeußerungen des Marschalls auf die radikale Partei.
Von der Bevölkerung wird die Botschaft gut ausgenommen,
besonders machte der warme patriotische Ton und die Be-
rufung an die Gemäßigten aller Parteien einen günstigen
Eindruck.
Versailles, 3. Dez. (Nationalversammlung.) Die
Botschaft wurde besonders von dem rechten und von dem
linken Zentrum applaudirt. Die Versammlung begann nach
Verlesung der Botschaft die Berathung des vom Deputaten
Jaubert eingebrachten Gesetzentwurfs, betreffend die Frei-
gebung des höheren Unterrichts. — Von den in den Bu-
reau; nunmehr erwählten Präsidenten gehören 9 den Frak-
tionen der Rechten, 6 der Linken an. Die Botschaft hat in
dem Publikum einen lebhaften, aber beruhigenden Eindruck
gemacht.
Versailles, 4. Dez. Die Nationalversammlung setzt
heute die Berathung über den Gesetzenlwurf betr. die Frei-
gebuug des höheren Unterrichts fort. Der Finanzminister
wird im Januar einen Gesetzentwurf wegen Abänderung der
bestehenden Steuern einbringen.
Versailles, 5. Dez. Die Nationalversammlung setzte
heute die Berathung des Gesetzentwurfes betreffend die Frei-
gebung des höheren Unterrichts fort und beschloß nach einem
lebhaften Zwischenfall zwischen dem Erzbischof Dupanloup
und dem Deputirten Challemel-Locour mit 553 gegen 133
Stimmen in die Berathung einzutreten.
Madrid, 3. Dez. Offiziell wird mitgetheilt, daß 3
Kompagnien eines in Badajoz garnisonirenden Bataillons,
welche mit der Eisenbahn nach dem No:den abgehen sollten,
dies anfänglich verweigerten, indeß doch dazu vermocht
wurden. — Der Karlistenchef Lozano wurde erschossen.
Bayonne, 3. Dez. General Loma hat sich mit
10,000 Mann nach einem Hafen der Provinz Guipuzcoa
eingefchifft, wo ein Armeecorps die Grenze zwischen Jrun
und Vera besetzt hält. —Die karlistische Nachricht, wonach
die Regiernngtruppen bei Despujots eine Niederlage erlitten
hätten, ist unbegründet.
Rom, 4. Dez Senatspräsident Ambrois de Nevache
ist in letzter Nacht plötzlich gestorben. Zur Bekundung der
Trauer Hallen die Kammern heute keine Sitzung.
St. Petersburg, 3. Dez. Nach Meldung des
„Regierungsanzeigers" ist Kaiser Alexander mit der Gemah-
lin des Großfürsten Thronfolgers gestern Vormittag aus
Livadia in Zarskoje-Selo eingetroffen. Der Großfürst-Thron-
I folger ist gleichfalls gestern zurückgekehrt und hat sich als-
. bald nach Zarskoje-Selo begeben.
Belgrad, 5. Dez. Der Fürst hat den früheren
Minister des Innern Zumilsch mit der Bildung eines neuen
Kabinets beauftragt. Zumitsch gehört der liberalen Partei
an und ist für eine besonnene auswärtige Politik.
! Belgrad, 5. Dez. Das Ministerium hat seine De-
I Mission gegeben, da es bei der Diskussion der Adresse an
den Fürsten in der Ecuplschina nur eine Majorität von
3 Stimmen erhalten hatte. Der Fürst ist mit der Bildung
eines neuen Ministeriums beschäftigt.
' Bahia, 2. Dez. Telegraphischer Meldung zufolge
unterwarf sich der Jnsurgentengeneral Mitre der Regierung
von Buenos Ayres. Mitres, seine Offiziere und Soldaten
legten die Waffen nieder und wurden amncstirt, die übrigen
Insurgenten sind in die von Mi,re mit der Regierung ge-
troffenen Vereinbarung nicht eingeschlossen. Auch in Uruguay
soll ein Aufstand ausgebrochen sein.
Buenos-Ahres, 4. Dezbr. Nach authentischer
Mittheilung zufolge ergab sich Mitre auf Diskretion an die
Regicrungstruppcn, nachdem er geschlagen und auf der Flucht
eingeholt war. Die Provinz Buenos-Ayres ist ruhig. Die
Regierungstruppen verfolgen Arredondo, dessen Avantgarde
gleichfalls geschlagen wurde.
uns du, ch geehrte Personen emhfohlen worden, edle Herzen
nehmen an Ihrem Unglück Theil und Ihre gute Führung,
welche sich keinen Augenblick, seitdem Sie hier sind, verleugnet
hat, bestimmt uns, für Sie zu sprechen."
„Ja, Madame," fuhr er fort, während seine Blicke
von Susanne zu deren Beschützerin gingen, „es ist nicht ge-
tagt, daß Ihre Reise nach Toulon vollständig für Jakob
Boucard verloren ist. Hier ist ein Gnadengesuch. Die
Gründe sind zahlreich, um auf dieses schuldige Haupt Barm-
herzigkeit und Verzeihung herabzurafen. Diese Petition ist
Von Allen unterzeichnet, welche hier irgend eine Autorität
st, d und mit Ihrem Schützling in Beziehung stehen. Wollen
Sie, Madame, daß ich das Gesuch auf dem gewöhnlichen
Wege abschicke oder würde es Ihnen in Ihrer unermüdlichen
Güte gefallen, cs selbst zu besorgen? Hier ist es."
Und er überreichte Frau von Ribisre die Petition; sie
begann zu lesen und freute sich über die warme Verwendung,
welche sie darin fand, als Susanne sich plötzlich auf das
Papier stürzte, es ihren Händen entließ und eS in Stücke
zerriß, indem sie mit einer Mischung von Zorn und Schmerz
ausrief: ! ^
„Nein, Nein! Ich will nicht! Ich will nicht!"
Alle Anwesenden waren bestürzt von diesem neuen
Beweis einer Geistesstörung, für die es keine Heilung gab'
Der Abbv erhob seine Augen gen Himmel, der Kommissar
konnte ein Zeichen von Ungeduld nicht zurückhalteu. Aber
er. faßte sich alsbald und sagte zu dem Galeerensträfling:
„Das verspätet die Sache."
„Sie hat wieder Recht!" antwortete Jakob mit einem
gewissen Stolz und Susanne mit einem langen und tiefen
Blick messend. „Ich sollte nicht durch die Gnade diesen Ort
verlassen."
Man führte ihn ab. Einige Augenblicke später verab-
schiedete sich Frau von Ribiore, betroffen und entmuthigt
von Denen, deren Gedanke dem ihrigen so gut entsprochen
hatte; sie waren ebenfalls entmuthigt durch dieses doppelte
Räthsel. zu dem allein eine Irrsinnige und ein Sträfling
den Schlüssel hatten.
(Fortsetzung folgt.)
Verschiedenes.
(Praktisch.) Lehrer: Sage mir Fritz, welchen Nutzen
bietet uns die Naturgeschichte? Fritz: Zwanzig Kreuzer. —
Lehrer: Wie so, mein Lieber? — Fritz: Der Herr Lehrer
kauft sie um 20 Kreuzer und verkauft sie uns um 40
Kreuzer.
(Rath einer Mutter an ihren Sohn.) Höre mich an,
lieber Sohn, ich bin älter als Du, denn sonst könnte ich
nicht Deine Mutter sein. Hüte Dich, eine junge Dame zu
heirathen, bevor es Dir gelungen ist, wenigstens 4 oder 5 Mal
noch vor dem Frühstück Dich in das Haus einzuschleichen,
in welchem sie wohnt. Du mußt wohl Acht geben, ob ihr
Teint des Morgens derselbe ist, wie des Abends, oder ob
Wasser und Handtuch ihr die Rosenblüthe von den Wangen
gerieben haben. Du mußt Dich bemühen, sie zu überraschen,
damit Du sie in ihrem Negligä siehst und erfährst, wie ihr
Haar aussieht, wenn sie D,ch nicht erwartet. Du mußt das
Morgengespräch zwischen ihr und ihrer Mutter hören. Wenn
sie unfreundlich und schnippisch gegen ihre Mutter ist, so wird
l sie es auch gegen Dich sein, darauf verlaß Dich. Wenn Du
sie aber des Morgens wach findest und schon sauber gekleidet,
mit demselben Gesicht, demselben Lächeln, demselben netigc-
kämmten Haar, denseben bereitwilligen und freundlichen Ant-
Worten gegen ihre Mutter, wodurch sie sich am Abend aus-
zeichnete. und besonders, wenn sie mit behülflich ist, das
Frühstück zur rechten Zeit fertig zu bringen, dann ist sie ein
Juwel, mein lieber Sohn, und je eher Du sie zu gewinnen
suchst, desto besser wird es für Dich sein.