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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 10.1910/​1911

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Redaktioneller Teil
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Hellwag, Fritz: Kaufmann und Künstler, II
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72

Die Werkstatt der Kunst.

Heft 6.

Redaktioneller Teil.

Kaufmann unct Künstler. II
(vgl. den Artikel in Heft 3)
In unseren Tagen, in denen der „Deutsche Werk-
bund" die Verbindung zwischen kunstgewerblich produk-
tiven Künstlern und Fabrikanten, Kaufleuten und anderen
verarbeitenden Berufen schon in vorzüglicher Weise ein-
geleitet und mit seinen Vorträgen zur Geschmacksbildung des
Kaufmanns und mit Vorführungen der einschlägigen
Sammlungen des „Deutschen Museums für Kunst iin
Handel und Gewerbe" bei allen Beteiligten so viel Gegen-
liebe gefunden hat, solche Fragen noch wieder prinzipiell
und öffentlich erörtern zu lassen, mag manchen Beurteilern
als „Eulen nach Athen tragen" erschienen sein.
Die Einberufung jener öffentlichen Versammlung,
die am 22. Oktober im großen Saale des „Vereins Ber-
liner Kaufleute und Industrieller" in Berlin unter großer
Beteiligung stattgefunden hat, war eine jener Gefühls-
handlungen, über deren Tragweite und Resultate man sich
erst nachher ganz klar werden kann, die man aber deshalb
keineswegs als unnötig oder gar als der Entwicklung fort-
strebender Gedanken hinderlich bezeichnen darf. Im Gegen-
teil bringt eine solche Handlung zuweilen mehr Licht in
die Lage der Dinge, als manche rein theoretische Be-
mühung.
Ls war der Schriftleitung der „W. d. K." schon seit
längerer Zeit deutlich geworden, daß die große Mißstimmung
der zahlreichen, in ihrem Beruf unbefriedigten oder un-
genügend beschäftigten Künstlerkreise sich bald und irgend-
wie eruptiv Luft verschaffen würde. Zu erwägen blieb
nur noch, wo am besten das Ventil zu öffnen wäre. Reif-
lich haben wir den Gedanken erwogen, ob die Veranstal-
tung einer juryfreien Ausstellung, also die Ver-
bindung von Tat und Theorie, eine passende Gelegenheit
bieten könnte. Da es aber sehr zweifelhaft erschien, ob
die ausstellende Künstlerschaft schon mit nötiger Reife und
Selbstkritik in einer juryfreien Ausstellung die Entbehr-
lichkeit der Jury und damit die Berechtigung eines neuen
(sozial vielleicht außerordentlich wohltätigen) Ausstel-
lungsprinzipes dokumentieren könnte, so hat sich schließ-
lich die Schriftleitung der „W. d. K." von diesem plane
vorläufig zurückgezogen, und das künstlerische Resultat
einer inzwischen in München veranstalteten derartigen Aus-
stellung hat die Berechtigung ihrer Bedenken voll bestätigt.
Gb überhaupt in juryfreien Ausstellungen der ersehnte
Mehrverkauf von Kunstwerken, auf den die Künstler
doch in der Hauptsache immer rechnen, erzielt werden
würde, kann man auch nicht sagen, weil die Stellungnahme
des Publikums, insbesondere des Berliner, zu solchem Unter-
nehmen durchaus nicht mit Sicherheit vorauszusehen wäre.
Nun trat vor kurzem eine Künstlergruppe an uns
heran, die fest entschlossen schien, sich in irgendeiner Weise
an die Oeffentlichkeit zu wenden, um für die vielleicht doch
nicht allein durch künstlerische Unzulänglichkeit verschuldete
Situation vieler Künstler ihr Interesse zu erwecken. Ziem-
lich unklare Vorstellungen freilich verbanden sich in den
Köpfen einiger Protestierender mit diesem plan. Man
konnte Andeutungen hören von einem beabsichtigten Tele-
gramm an den Kaiser (I): „Hier sind soundsoviel auf
königlichen Akademien ausgebildete Künstler versammelt,
die . . . usw." Ferner richtete sich ein dumpf-unkritischer
Groll gegen diese Akademien selbst, deren Lehrgang man
die Schuld an der Notlage ehemaliger Schüler zuschob und
denen man vorwarf, „Proletariat zu erzeugen".
Gegenüber solchen phantastischen und wenig Nutzen
versprechenden Plänen hielten wir es für unsere Pflicht,
reale und ethisch bedeutendere Seiten mit möglichem
Nachdruck hervorzukehren; deshalb wiesen wir (vgl. Heft 3)
besonders darauf hin, daß die weitere Kaufmannschaft
in der Lage und willens sei, den Künstlern in der an-
gewandten Kunst umfangreiche Aufgaben zu stellen. Wir

unterließen es aber nicht, dabei die Bitte an die Künstler
zu richten, sie möchten es mit solchen Aufgaben so ernst
wie möglich nehmen und sie nicht als leicht zu bewältigende
anzusehen, sonst würden sie, als rein akademisch Ausge-
bildete, mit den Kunstgewerblern, die in ihrem ganzen
künstlerischen Streben durchaus auf realem Boden stehen,
von Anfang an nicht wetteifern können. Immerhin er-
schien es wünschenswert, daß sich auch einmah die aka-
demisch gebildeten Künstler mit den Kaufleuten, diesen
Begriff in weiterem Sinne gefaßt, aussprächen, damit man
erkennen könnte, wie jene sich überhaupt zum neu-
zeitlichen Kunstgewerbe, das doch manche Keime einer
neuen weltanschaung in sich birgt, jetzt und künftig stellen
wollen.
Aus jenen ideellen und materiellen Wünschen der
Künftlcrschaft und unserer eigenen Fragestellung ließ sich
kaum eine deutliche Tagesordnung bilden, und so kam es
auch, daß die Versammlung vom 22. Oktober einen
recht unorganisierten Verlauf nahm.
Der Vorsitzende, Herr Kunstschriftsteller Adolph Do-
nath, gab sich viele Mühe, dem Gewoge der Meinungen
unparteiisch die Wage zu halten, aber er sah sich mehreren
festen Gruppen gegenüber, die eine Resultatlosigkeit der
ganzen öffentlichen Kundgebung erzielen wollten.
Als Sprecher, wenn man diesen Ausdruck für seine
volltönigkeit überhaupt noch anwenden darf, der ersten
Gruppe erschien Herr Maler Paul Herrmann auf dem
Plan. Er fand, wie man es von ihm ja längst gewöhnt
ist, für seine Ausführungen auch diesmal nicht den rechten
Ton. Er setzte gleich zu Anfang mit Ausdrücken, wie
„Gemeinheit, dreckige Schnauze, junge Pintscher" usw. usw.
ein; seine Redeweise wurde später von der gesamten Ber-
liner Tagespresse, die zahlreich in der Versammlung ver-
treten war, als „unflätig, unqualifizierbar usw." bezeichnet.
Wir haben es deshalb nicht nötig, hier selbst gegen ihn
Partei zu ergreifen, zumal auch der Inhalt seiner Rede
uns zu einer ernsthaften Widerlegung keinen Anlaß geben
kann. Herr Paul Herrmann sprach nämlich hier als
Künstler pathetisch gegen das Kunstgewerbe, wie wir ihn
schon oft in kunstgewerblichen Versammlungen als Hand-
werker gegen die Künstler wettern hörten, wir wissen
zudem, daß er dem Führer der absterbenden kunstgewerb-
lichen Richtung sehr nahe steht, und, vereint mit jenem,
den Zuzug von Künstlern, also von selbständig schaffenden,
frischen Kräften, vom Kunstgewerbe fernzuhalten bestrebt
ist. Also können wir seine temperamentvollen Proteste
wirklich nicht ernst nehmen. Nur muß man es von Herzen
bedauern, daß ein solcher „Vertreter der Künstler" das
Niveau der Versammlung derart tief stimmen konnte. Die
vielen anwesenden Vertreter der Kaufmannschaft waren
liebenswürdig genug, dieses Beispiel als für die Künstler
nicht typisch anzusehen und immer wieder zu versichern,
man möge in diesem Radau doch ja nicht überhören, daß
auf der Seite der Kaufleute und Fabrikanten ein ernster
Wille, mit geeigneten Künstlern zusammenzuarbeiten,
vorhanden sei.
Die andere Gruppe hatte ein Interesse daran, etwaige
Angriffe auf die Akademien abzuwehren und zu ironi-
sieren. Sie bekam aber nicht viel zu tun, denn Ernsthaftes
wurde gegen die Akademien gar nicht vorgebracht und
kann auch in einer öffentlichen Versammlung kaum stich-
haltig vorgebracht werden. Wenn in den Akademien realer
als bisher auf den Geist und die Weltanschauung der
Studierenden eingewirkt werden würde, so hätten sie, nach
unserer Ansicht, bei der Behandlung der hier in Frage
stehenden Dinge überhaupt ganz ausscheiden können, zu-
mal ja der spezielle kunstgewerbliche Unterricht längst
und in sehr intensiver Weise an unseren Kunstgewerbe-
schulen gehandhabt wird; ferner wird die Meinung doch
ziemlich allgemein geteilt, daß die Akademien in: Gegenteil
gut daran täten, den Schülern eine, wohl handwerkliche,
 
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