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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 10.1910/​1911

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Meyer, Richard: Oeffentliche Wettbewerbe und Preisgerichte
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Riess, Paul: Zur Geschmacksbildung des Kaufmanns
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https://doi.org/10.11588/diglit.52067#0226

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2ls8

Die Werkstatt der Kunst.

liegen. Ls ist an und sür sich schon schwer, ein preis-
richterkollegium aus einer geringeren Anzahl von
Personen so zusammenzubringen, daß sie einen aus
gleichen Anschauungen fußenden Gerichtshof in künst-
lerischen Dingen bilden können. Und ferner versichere
man sich darüber, irr welcher weise die Entscheidungen
getroffen werden sollen. Ls dürfte an der Zeit sein,
ganz bestimmte Normen für Preisgerichte aufzustellen.
Auf alle Fälle ist aber zu fordern, daß die Preis-
richter zusammentreten, um in gegenseitiger Aussprache
und durch gewissenhafteste Prüfung jede der einge-
sandten Arbeiten nach den im Programm klar vor-
geschriebenen Bedingungen und nach ihrer künst-
lerischen (Qualität abzuwägen. Das andere gekenn-
zeichnete Verfahren kann nur angewandt werden,
wenn eine arithmetische Formel gefunden wird, die
den verschiedenen geistigen und künstlerischen (Quali-
täten der verschiedenen Preisrichter angcpaßt werden
kann, so daß die Stimmen nach ihren: werte mechanisch
bemessen werden können. Alle künstlerischen Kräfte
sollten ihre Mitarbeit an Wettbewerben verweigern,
wenn die Ausschreibungen über die Art der Prämi-
ierung nicht völlige Klarheit bieten.
Prof. INckarä IVle^er-bsamburg.
Tur GesckmacksbUällng cles
Raukmanns
von Prof. Paul Rieß-Dessau. (Schluß.)
versuche zur Gewinnung eines Lehrplanes für den
Geschmacksunterricht habe ich hier in Dessau durch fünf
Semester hindurch, und zwar an der im Jahre (905 ge-
gründeten Pandelsrealschule gemacht. Die im Lehrplan
vorgesehenen Stunden des Zeichenunterrichtes wurden mir
zur freien persönlichen Gestaltung überlassen. Mein
Unterricht zerfiel in einen theoretischen und in einen
praktischen Teil, die aber nicht nur beide eng aneinander-
grenzten, sondern oft miteinander verbunden waren. Daß
meine Lehrmethode sich von dem auf unseren Schulen be-
triebenen Zeichenunterricht weit entfernte, ist wohl leicht
erklärlich, wenn wir in Betracht ziehen, wie wenig selbst
unsere reformierte Zeichenstunde Rücksicht auf eine allge-
meine Geschmacksbildung nimmt. Die manuelle Geschicklich-
keit wird hier immer noch als das Hauptziel angestrebt.
Sog. „schöne, exakte Bildchen" sind die Paradepferde jeder
Schule und in den meisten Fällen die Arbeiten der Lehrer.
Ich stehe aber auf dem Standpunkte, daß nicht Schön-
zeichnen, sondern vor allen Dingen das Richtigzeichnen,
oder noch besser: das Richtigsehenlernen in den Vorder-
grund zu stellen sei. Die Gewinnung eines freien Augen-
maßes, mit dem ein jeder Berufsstand in erster Linie zu
tun hat, resultiert aus der intensiven Beobachtung
charakteristischer Merkmale eines Objektes. wir
müssen lernen das Einfache, das Notwendigste, das
Allgemeinverständlichste selbst aus einem komplizierten
Organismus herauszuschälen und sie durch die einfachsten
Hilfsmittel zum Ausdruck zu bringen versuchen. Sache
und Zweck müssen hier als Ausgangspunkt genommen
werden. Goethe sagt: „Die wenigen Linien, die ich aufs
Papier ziehe, oft übereilt, selten richtig, erleichtern mir
jede Vorstellung von sinnlichen Dingen. Denn man erhebt
sich ja eher zum Allgemeinen, wenn man die Gegenstände
genauer und schärfer betrachtet." — Neben dem richtigen
Sehen schärfen wir das Gedächtnis für die charakte-
ristische Form; zwischen beide tritt das Denken, die
Aufnahme in den Intellekt, wie oft wird gerade der

Heft s6.
Kaufmann in die Lage versetzt, zur kurzen, flüchtigen
Illustration greifen zu müssen, wenn er längerer, wört-
licher Ausführung enthoben sein will. Goethe verlangt,
daß man viel zeichne und wenig schreibe. Daß bei solchen
Illustrationen der Sinn für charakteristische Merkmale, gute
Proportionen, richtige Abmessungen, kurzum der Sinn für
den Wohllaut der Verhältnisse geweckt wird, ist nicht zu
bezweifeln. Ebenso werden dem Schüler die dimensio-
nalen Uebersetzungen eines Gegenstandes geläufig ge-
machtwerden müssen. Zu den zeichnerischen Uebungen
tritt unmittelbar die Farbe, die ja bekanntlich in der
Geschmacksfrage den größten Raum einnimmt. Die ästhe-
tische Erziehung des Farbensinnes ist das aktuelle
Problem unserer Tage. Gewiß ist Farbe am wenigsten
erlernbar, doch immerhin wird es uns möglich sein, unter
Zuhilfenahme der Farbenlehre selbst den schlechten
Farbengeschmack soweit zu verbessern, daß wir von einem
krassen Ungeschmack in Farbendingen nicht mehr zu sprechen
haben werden. Die individuelle Note im Farbengeschmack
kann naturgemäß durch eine allgemeine Lehre nicht ersetzt,
noch aber unterdrückt werden. Im Gegenteil wird der mit
angeborenem Farbensinn Begabte, sobald er sich der un-
umstößlichen Farbengesetze bewußt ist, reifer und voll-
endeter den Farbensinn dokumentieren. Gerade im Kauf-
mannsstande begegnen wir einem oft vollständigen versagen
des Farbengeschmacks, nicht einmal die elementarsten
Begriffe einer Farbenästhetik sind vorhanden. Und doch
kann kein Produkt richtig beurteilt, keine farbliche Schön-
heit vermittelt und entgegengenommen werden, solange der
Sinn für die Farbe fehlt. Bei der Erreichung des Farben-
geschmackes wäre jedoch jede Theorie im vollsten Sinne
des Wortes „grau", wenn hier nicht praktische Uebungen
einsetzen würden.
So verbinden wir die Zeichnung mit der Farbe,
um zu einem dritten wichtigen Bestandteil der Erscheinungs-
welt, der Form, zu gelangen. Der Sinn für die Plastik
eines Körpers kann nur gebildet werden, indem unsere
Tastorgane mit dem Material in Berührung kommen.
Das Formen eines Körpers gehört zu den unmittelbarsten
Ausdrücken der Hand, weite Pandelsgebiete befassen sich
mit plastischen Produkten, viele Industrien und Gewerbe
betreiben die Perstellung plastischer Gebilde, und daher
müssen sie notwendigerweise auch Kenntnis von den ästhe-
tischen Lebensbedingungen solcher Pandelsartikel besitzen,
müssen Sinn und Gefühl für eine Wertbemessung plastischer
Schönheitsformen bekunden.
Hiermit glaube ich den praktischen Teil des Geschmacks-
unterrichtes, wenn auch nicht erschöpfend, so doch vorerst
genügend, behandelt zu haben. Dem praktischer: Teile
werden sich noch die technischen Kurse, die namentlich
auf die Berufsart der Schüler und Schülerinnen Rücksicht
zu nehmen haben werden, anfügen müssen.
Gehen wir zu dem theoretischen Teil des Ge-
schmacksunterrichtes über, so werden wir hier vor allen
Dingen großes Gewicht auf die Demonstrationsvor-
träge legen müssen. Hierunter verstehe ich das lebendige,
erklärende Wort vor dem Objekt, das allemal als muster-
gültig und daher als geschmacksbildend auszuwählen ist.
Baue ich z. B. dem Zuhörer eine Schaufensterdekoration
als Demonstrationsobjekt auf, so muß ich ihm Rechenschaft
geben können über die geschlossene ästhetische Wirkung von
Material, Farbe, Form und Komposition. Material-
kunde, Materialstil, Oualitätslehre, Stillehre,
alle diese theoretischen und ästhetischen Lehren werden
einen breiten Raum in der Geschmackslchre einnehmen
müssen, hängt doch von der Kenntnis des Rohmaterials,
seiner richtigen und allein zulässigen Verwendung und ge-
schmackvollen Bearbeitung die Wertbemessung und oft
sogar die Wertsteigerung des Produktes ab. wenn wir
vollends eine Veredelung der Fabrikate nach der Seite der
Oualität hin anstreben, so erzielen wir damit das mora-
lische, ethische und ästhetische liebergewicht auf dem Welt-
markt.
In den hier niedergelegten praktischen Lehren zur Ge-
 
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